LSG der Länder Berlin und Brandenburg, Urteil vom 21.02.2007 - L 9 KR 132/04
Fundstelle
openJur 2012, 5220
  • Rkr:

Ein Location Scout wird nur insoweit künstlerisch tätig, als er solche Drehorte eigenständig sucht, auswählt und dem Regisseur vorschlägt, die ohne weitere Veränderung für die Dreharbeiten verwandt werden können. Nimmt die Location Scout jedoch überwiegend oder ausschließlich Aufgaben organisatorischer Art wahr oder bedürfen die von ihm gewählten Drehorte überwiegend der wesentlichen Veränderung durch einen Szenenbildner, liegt insgesamt keine künstlerische Tätigkeit vor.

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil desSozialgerichts Berlin vom 12. Mai 2004 aufgehoben. Die Klage wirdabgewiesen.

Kosten sind für das gesamte Verfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Feststellung seiner Versicherungspflicht nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG).

Der im Jahre 1952 geborene Kläger erlernte zunächst den Beruf eines Möbeltischlers. In den Jahren 1976 bis 1978 studierte er das Fach Bildende Kunst an der P H B, in den Jahren 1983 bis 1985 die Fächer Arabistik und Orientalistik an der F U B und schließlich das Fach Fotografie an der H. Diese Studiengänge schloss der Kläger nicht ab. In den Jahren 1989 bis 2000 war der Kläger als Arbeitnehmer bei Filmproduktionsgesellschaften in unterschiedlichen Tätigkeiten beschäftigt, so als Produktionsassistent, Ausstattungsassistent, Koordinator, Aufnahmeleiter und Location Scout.

Seit dem 1. November 2001 ist der Kläger als selbstständiger Location Scout tätig. Die Hauptaufgabe eines Location Scouts besteht darin, in der Regel für den Szenenbildner eines Films die Außendrehorte zu suchen und auszuwählen sowie organisatorische und technische Aufgaben im Hinblick auf diese Drehorte wahrzunehmen. Der Kläger erhielt den ersten unmittelbaren Kontakt zu der Tätigkeit eines Location Scouts, als er einem Szenenbildner für eine Fernsehserie assistierte und dabei dessen Aufgaben für die Außendrehorte übernahm. Die typische Tätigkeit des Klägers stellt sich so dar, dass er zunächst ein Drehbuch übersandt erhält und es auswertet, danach zunächst ein Gespräch mit dem Regisseur führt und dann die filmischen Motive an den Außendrehorten aussucht. Dazu verschafft er sich zunächst u. a. aus touristischen Quellen einen Überblick über die Gegenden oder Orte, sucht dann diese Orte eigenständig auf und entscheidet, ob sie in Betracht kommende Drehorte sind. Während andere Location Scouts ihre Tätigkeit vornehmlich als organisatorisch begreifen, macht der organisatorische Anteil der Arbeit des Klägers nur etwa die Hälfte der Tätigkeiten aus, während die andere Hälfte die Auswahl der Drehorte selbst betrifft. Dazu betrachtet der Kläger „mit den Augen eines Regisseurs oder Kameramanns“ ein bestimmtes Objekt oder eine bestimmte Stelle und prüft, ob diese für den Film geeignet ist. Einem Berufsverband für Location Scouts gehört der Kläger nicht an, weil solche Berufsverbände nicht existieren, es gibt jedoch Arbeitskreise, so etwa von dem Filmboard Berlin-Brandenburg, bei denen ein regelmäßiger Erfahrungsaustausch der Location Scouts stattfindet.

Am 8. Juli 2002 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Feststellung seiner Versicherungspflicht in der Künstlersozialversicherung. Mit Bescheid vom 18. November 2002 lehnte die Beklagte diesen Antrag ab und wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 10. März 2003 zurück: Die Tätigkeit des Klägers als Location Scout sei nicht als künstlerische Tätigkeit anzusehen, da die Grundvoraussetzung, dass durch diese Tätigkeit darstellende Kunst geschaffen oder ausgeübt werde, nicht erfüllt sei. Die Tätigkeit, die darin bestehe, geeignete Drehorte für Filme zu finden, auszuwählen und zu empfehlen, sei eine Tätigkeit, die zum Gelingen eines Films sicherlich beitrage, aber nicht jede Tätigkeit im Bereich der Filmherstellung sei eine künstlerische Tätigkeit. Insbesondere sei die Tätigkeit des Klägers nicht der eines Szenenbildners vergleichbar, sondern bereite die Arbeit eines Szenenbildners lediglich vor.

Mit seiner hiergegen zu dem Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat der Kläger sein Ziel weiterverfolgt, die Feststellung seiner Pflichtmitgliedschaft in der Künstlersozialversicherung zu erreichen. Er hat geltend gemacht, seine Tätigkeit sei vorrangig eigenschöpferisch und damit künstlerisch. Mit Urteil vom 12. Mai 2004 hat das Sozialgericht Berlin die angefochtenen Bescheide aufgehoben und festgestellt, der Kläger unterliege der Versicherungspflicht nach dem KSVG: Nach Auswertung der vom Kläger vorgelegten Unterlagen sowie seinen Angaben im Termin zur mündlichen Verhandlung sei das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass er als Location Scout als Künstler im Sinne des § 2 KSVG anzusehen sei. Die Kammer gehe hierbei davon aus, dass der Kläger einen Teiltätigkeitsbereich des so genannten Szenen- oder Bühnenbildners ausübe, dessen Tätigkeit wiederum unzweifelhaft als künstlerisch einzustufen sei. So gehöre es zu den Aufgaben eines Szenenbildners geeignete Drehorte auszusuchen, falls Dreharbeiten an Originalschauplätzen vorgesehen seien. Diesen Teil einer Tätigkeit des Szenenbildners übe der Kläger ausschließlich aus. Hierbei setze er vorrangig schöpferische Fähigkeiten ein, die gegenüber den technischen und organisatorischen Aufgaben im Vordergrund stünden.

Gegen dieses ihr am 10. Juni 2004 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 28. Juni 2004 Berufung zum Landessozialgericht eingelegt: Die Tätigkeit des Klägers sei nicht mit der eines Szenenbildners vergleichbar. Ein Szenenbildner sei nicht hauptsächlich mit der Suche nach geeigneten Drehorten beschäftigt. Dieser Teiltätigkeitsbereich mache vielmehr einen derartig geringen Aspekt seiner Tätigkeit aus, dass es nicht gerechtfertigt sei, die Berufsgruppe der Location Scouts gleichberechtigt mit der Berufsgruppe der Szenenbildner in die Künstlersozialversicherung einzubeziehen. Darüber hinaus stehe der künstlerische Anteil bei der Arbeit des Klägers auch nicht eindeutig im Vordergrund gegenüber den technischen und organisatorischen Aufgaben.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 12. Mai 2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

die Revision zuzulassen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird Bezug genommen auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Niederschrift zum Termin zur Erörterung des Sachverhalts mit dem Berichterstatter vom 11. November 2005 sowie die Verwaltungsakten der Beklagten, welche im Termin zur mündlichen Verhandlung vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung geworden sind.

Gründe

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, insbesondere statthaft gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG), sie ist auch begründet. Das angefochtene Urteil war aufzuheben und die Klage abzuweisen, denn die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten; der Kläger unterliegt nicht der Versicherungspflicht in der Künstlersozialversicherung.

Gemäß § 1 Nr. 1 KSVG werden selbstständige Künstler und Publizisten in der Rentenversicherung der Angestellten, in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der sozialen Pflegeversicherung versichert, wenn sie eine künstlerische oder publizistische Tätigkeit erwerbsmäßig und nicht nur vorübergehend ausüben. Nach § 2 Satz 1 KSVG ist Künstler im Sinne dieses Gesetzes, wer Musik, darstellende oder bildende Kunst schafft, ausübt oder lehrt. Publizist ist, wer als Schriftsteller, Journalist oder in anderer Weise publizistisch tätig ist (§ 2 Satz 2 KSVG). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Der Kläger ist zwar seit November 2001 nicht nur vorübergehend selbstständig erwerbstätig und hat jedenfalls nach eigenen Angaben im maßgeblichen Zeitraum Arbeitseinkommen aus dieser Betätigung erzielt, welches die Geringfügigkeitsgrenze des § 3 Abs. 1 Satz 1 KSVG überschreitet. Entgegen der Einschätzung des Sozialgerichts handelt es sich jedoch bei der hier zu beurteilenden Tätigkeit als Location Scout nicht um eine künstlerische Tätigkeit im Sinne des KSVG.

In § 2 Satz 1 KSVG werden drei Bereiche künstlerischer Tätigkeit jeweils in den Spielarten des Schaffens, Ausübens und Lehrens umschrieben, nämlich die Musik, die bildende und die darstellende Kunst. Eine weitergehende Festlegung, was darunter im Einzelnen zu verstehen ist, ist im Hinblick auf die Vielfalt, Komplexität und Dynamik der Erscheinungsformen künstlerischer Betätigungsfelder nicht durch den Gesetzgeber erfolgt. Der Gesetzgeber spricht im KSVG nur allgemein von „Künstlern“ und „künstlerischen Tätigkeiten“, auf eine materielle Definition des Kunstbegriffs hat er hingegen bewusst verzichtet (Bundestagsdrucksache 8/3172 Seite 21). Der Begriff des Künstlers ist deshalb aus dem Regelungszweck des KSVG unter Berücksichtigung der allgemeinen Verkehrsauffassung und der historischen Entwicklung zu erschließen (ständige Rechtsprechung, vgl. Urteil des Bundessozialgerichts vom 26. Januar 2006, B 3 KR 1/05 R, juris – Dokument RdNr. 15 m. w. Nachw.). Aus den Materialien zum KSVG ergibt sich, dass der Begriff der Kunst trotz seiner Unschärfe auf jeden Fall solche künstlerischen Tätigkeiten umfassen soll, mit denen sich der „Bericht der Bundesregierung über die wirtschaftliche und soziale Lage der künstlerischen Berufe (Künstlerbericht)“ aus dem Jahre 1975 (Bundestagsdrucksache 7/3071) beschäftigt (BSG a. a. O.). Der Gesetzgeber hat damit einen an der Typologie von Ausübungsformen orientierten Kunstbegriff vorgegeben, der in aller Regel dann erfüllt ist, wenn das zu beurteilende Werk den Gattungsanforderungen eines bestimmten Kunsttyps entspricht. Bei diesen Berufsfeldern ist das soziale Schutzbedürfnis zu unterstellen, ohne dass es auf die Qualität der künstlerischen Tätigkeit ankommt oder eine bestimmte Werk- und Gestaltungshöhe vorausgesetzt wird.

In diesem Sinne stellt sich zunächst die Tätigkeit des Klägers als Location Scout nicht als künstlerisch dar, denn der so genannte Location Scout ist keine traditionell anerkannte künstlerische Tätigkeit im Sinne der so genannten künstlerischen Katalogberufe, d. h. der künstlerischen Berufe, die im Sinne der vorgenannten Kriterien schon traditionell stets als künstlerisch begriffen wurden.

Allerdings ist hierdurch die Qualifikation der Tätigkeit des Klägers als künstlerisch nicht schlechthin ausgeschlossen. Denn auch solche Tätigkeiten, die nicht einen künstlerischen Katalogberuf darstellen, können als künstlerisch im Sinne des KSVG zu qualifizieren sein, denn anderenfalls würde der Vielfalt und Dynamik in der Entwicklung künstlerischer und/oder publizistischer Berufstätigkeit nicht entsprochen (BSG a. a. O.). Allerdings ist zu berücksichtigen, dass sich die Tätigkeit des Klägers zusammensetzt einerseits aus technischen und organisatorischen Tätigkeiten und andererseits auch aus kreativ-gestalterischen Tätigkeiten. Bei einem solchen, aus unterschiedlichen Tätigkeiten zusammengesetzten Berufsbild kann von einem künstlerischen Beruf nur dann ausgegangen werden, wenn die künstlerischen Elemente das Gesamtbild prägen, Kunst also den Schwerpunkt der Berufsausbildung bildet (BSG a. a. O. m. w. Nachw.). Dies ist hier nicht der Fall. So hat der Kläger bereits selbst dargestellt, dass die organisatorischen bzw. technischen Aufgaben eines Location Scouts in etwa die Hälfte seiner Tätigkeit ausmachen und schon deshalb ein klares Überwiegen der künstlerischen Tätigkeit nicht vorliegen dürfte.

Vor allem aber stellt sich die verbleibende, kreativ-künstlerische Tätigkeit nicht als künstlerische Tätigkeit im Sinne des KSVG dar. Zwar ist dem Kläger zuzugeben, dass bei der geschickten Auswahl geeigneter Drehorte in umfangreicher Hinsicht kreativ-gestalterisches Arbeiten verlangt wird. Dies würde jedoch die Arbeit des Klägers nur dann als künstlerisch erscheinen lassen, wenn die dabei einzubringenden eigenschöpferisch-künstlerischen Elemente von übergeordneter Bedeutung wären und dem Schaffen des Klägers das Gepräge geben, denn viele Berufe weisen eigenschöpferische Gestaltungselemente auf, ohne dass sie hierdurch zu künstlerischen Berufen werden (BSG a. a. O.).

Die eigenschöpferisch-künstlerischen Elemente in der Tätigkeit des Klägers sind jedoch von deutlich untergeordneter Bedeutung. Von einem eigenschöpferischen Tätigwerden kann nur dann gesprochen werden, wenn der Künstler selbst ein (neues, eigengeschöpftes) Kunstwerk schafft. Dies kann zwar dann zu bejahen sein, wenn der Kläger einen für die Zwecke des Films geeigneten Drehort eigenständig auswählt und ihn dem Regisseur auch eigenständig präsentiert, denn in diesem Falle hat er durch eine eigene, allein auf den Einsatz von Kreativität zurückzuführende Leistung einen wesentlichen Teilbereich der künstlerischen Gestaltung eines Films geschaffen.

Dies gilt jedoch zur Überzeugung des Senats nur dann, wenn der Location Scout einen Außendrehort sucht und auswählt, der bereits für sich genommen – d. h. ohne weitere nennenswerte Veränderung – als Drehort verwandt werden kann. Dieser Aufgabenbereich stellt jedoch auch nach den eigenen Angaben des Klägers lediglich einen kleineren Teilbereich seines Schaffens dar. In weit größerem Bereich indessen wird der vom Kläger gesuchte und ausgewählte Drehort nicht unverändert herangezogen, sondern er muss erst noch durch wesentliche, ebenfalls kreativ-künstlerische Leistungen des Szenenbildners angepasst und verändert werden. In diesen Fällen stellt sich die Leistung des Klägers als reine Vorbereitung weiterer, fremder künstlerischer Leistungen dar, d. h. sie besitzt keinen Charakter als eigenständiges Kunstwerk mehr, sondern unterstützt lediglich eine fremde künstlerische Leistung. Vor diesem Hintergrund erlangt die eigenschöpferische, als künstlerisch zu wertende Leistung des Klägers eine deutlich geringere Bedeutung, als sie den weiteren, organisatorischen und vorbereitenden Leistungen des Klägers zukommt, die das Bild seiner Gesamtleistungen prägen und es dem nicht-künstlerischen Bereich zuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst.

Der Senat hat im Hinblick auf die grundsätzliche Bedeutung des Rechtsstreits die Revision gemäß § 160 Ansatz 2 Nr. 1 SGG zugelassen.