LG Potsdam, Beschluss vom 08.01.2007 - 25 Qs 60/06
Fundstelle
openJur 2012, 5106
  • Rkr:
Tenor

Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluss des Amtsgerichts Potsdam vom 4. August 2006 (77 Gs 903/06) aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass die Durchsuchung der Kanzlei- und Geschäftsräume, einschließlich aller Nebenräume, des Beschwerdeführers in S. am 16. Oktober 2006 und die Beschlagnahme von sechs Aktenordnern rechtswidrig waren.

Die beschlagnahmten Unterlagen, und zwar:

- 1 Ordner „AK, Verwertung, KDLB, MS“- 1 Ordner „Gläubiger 23 - 28“- 1 Ordner „Gläubiger 1 - 22“- 1 Ordner „Unterlagen von Schuldnerin zu Kreditoren“- 1 Ordner „Unterlagen von Schuldnerin lfd. Ausgangsrechnungen“- 1 Ordner „Status, Banken, Verträge, AN, GL-K., Steuern“sind unverzüglich an den Beschwerdeführer herauszugeben.

Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

I.

Gegen den Beschuldigten L. ist seit dem 12. April 2006 ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts des Betruges zum Nachteil der Sozialversicherungsträger und des Vorenthaltens von Arbeitsentgelt (Sozialversicherungsbeiträge) anhängig.

Folgende Vorwürfe erhebt die Staatsanwaltschaft Potsdam gegen den Beschuldigten:

Der Beschuldigte war mindestens von 2002 bis Dezember 2005 alleiniger Geschäftsführer der Baufirma L. GmbH mit Sitz in T.. Die Firma wurde insolvent, und am 7. Dezember 2005 eröffnete das Amtsgericht Potsdam über ihr Vermögen das Insolvenzverfahren (35 IN 1139/05). Zum Insolvenzverwalter wurde am selben Tag der Beschwerdeführer, Rechtsanwalt Prof. Dr. M. ernannt. Geschäfts- und Kanzleiräume des Beschwerdeführers befinden sich in S..

Im Zuge des Insolvenzverfahrens führte die Deutsche Rentenversicherung Brandenburg bei der Firma L. GmbH an vier Tagen zwischen dem 1. Februar und dem 15. April 2006 eine Betriebsprüfung gemäß § 28 p Abs. 1 SGB IV durch und entdeckte dabei, dass im Prüfzeitraum vom 1. Oktober 2002 bis zum 30. August 2005 systematisch zwei verschiedene Lohnabrechnungen erstellt worden waren, und zwar erhielten die Arbeitnehmer Lohnabrechnungen, auf denen ihre tatsächlichen Arbeitsleistungen mit Stundenlohn und Arbeitsstunden aufgeführt waren, während auf anderen, fiktiven Lohnabrechnungen, die Grundlage für die Beitragsabrechnungen der Einzugsstelle sein sollten und dorthin übersandt wurden, wesentlich geringere Stundenlöhne und eine deutlich reduzierte Zahl von Arbeitsstunden ausgewiesen waren. Die Ermittlungsbehörden gehen davon aus, dass der Beschuldigte wahrscheinlich gewerbsmäßig und auch schon vor dem 1. Oktober 2002 fiktive Abrechnungen erstellt hat.

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft erließ das Amtsgericht Potsdam eine Reihe von Durchsuchungsbeschlüssen. Ein derartiger Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss betraf den Beschwerdeführer. Am 4. August 2006 ordnete das Amtsgericht im angefochtenen Beschluss an, dass gemäß §§ 103, 105 StPO die Durchsuchung der Kanzlei- und Geschäftsräume, einschließlich aller Nebenräume, des Insolvenzverwalters der Firma L. GmbH, nämlich des Beschwerdeführers, durchzuführen sei. Gemäß §§ 94, 98 StPO werde die Beschlagnahme hinsichtlich der eventuell vorgefundenen Beweismittel angeordnet, da insbesondere folgende Gegenstände für das Verfahren von Bedeutung sein könnten: Die Betriebsunterlagen der Firma L. GmbH, insbesondere Arbeitsverträge, Lohnlisten, Prämienlisten, Arbeitszeitjournale, Arbeitszeitvereinbarungen, Kontounterlagen über Gehalts- und/oder Prämienzahlungen usw. Betroffen sei der Zeitraum vom 19. November 1999 bis zum 7. Dezember 2005. Der Beschluss enthielt eine Abwendungsbefugnis.

Am 16. Oktober 2006 wurden die Geschäftsräume des Beschwerdeführers in S. durchsucht. Die Einsatzkräfte traten dabei in Zivilkleidung auf. Sie stellten die sechs oben aufgeführten Ordner, die von einer Mitarbeiterin des Beschwerdeführers freiwillig herausgegeben wurden, sicher.

Die Durchsuchung dauerte 55 Minuten.

Der Beschwerdeführer hat am selben Tag Beschwerde gegen den Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss des Amtsgerichts eingelegt. Er meint, die Maßnahme sei unzulässig und unverhältnismäßig und geeignet, ohne sachlichen Grund das Ansehen seiner Anwaltskanzlei schwer zu schädigen. Sie unterbinde die weitere ordnungsgemäße Insolvenzabwicklung. Das Besitzrecht des Insolvenzverwalters habe absoluten Vorrang vor dem Sicherungsinteresse der Strafverfolgungsbehörden. Durch die Sicherstellung werde die ordnungsgemäße Insolvenzabwicklung unmöglich gemacht zum Schaden aller Insolvenzgläubiger. Dies könne nicht hingenommen werde. Die Staatsanwaltschaft sei ohnehin berechtigt, zum Zwecke der Aufklärung von Straftatbeständen Ablichtungen von Unterlagen zu verlangen oder Einsicht in die Geschäftsunterlagen zu nehmen. Deshalb sei eine Durchsuchung eine völlig überzogene und unverhältnismäßige Maßnahme. Der Insolvenzverwalter sei auch gehalten, den Ermittlungsbehörden Einsicht in die Geschäftsunterlagen zu gewähren und Ablichtungen zur Verfügung zu stellen. Deshalb bedürfe es einer Durchsuchung und Beschlagnahme nicht. Außerdem unterliege eine Durchsuchung von Räumen einer Anwaltskanzlei besonders strengen Einschränkungen, weil jederzeit die Gefahr des Bruches des Berufsgeheimnisses drohe. Eine solche Maßnahme sei außerdem für jedes Rechtsanwaltsbüro extrem rufschädigend.

Die Staatsanwaltschaft ist der Auffassung, die Durchsuchung sei rechtmäßig gewesen und ebenso die Beschlagnahme. Eine Durchsuchung der Kanzleiräume habe nicht stattgefunden, sondern der Beschwerdeführer habe von seiner Abwendungsbefugnis durch freiwillige Herausgabe der sechs Ordner Gebrauch gemacht. Die Einsatzkräfte seien in Zivil aufgetreten. Ihr Einsatz sei schonend für den Beschwerdeführer vor sich gegangen. Ein Beschlagnahmeverbot existiere nicht. Da es hier tatsächliche Anhaltspunkte dafür gäbe, dass der Beschwerdeführer im Besitz von Beweismitteln sei, die für das Verfahren von erheblicher Bedeutung seien, sei die Durchsuchung und Beschlagnahme rechtmäßig und vor allem nicht unverhältnismäßig gewesen.

II.

Die statthafte und zulässige Beschwerde ist begründet. Die Durchsuchung der Kanzlei- und Geschäftsräume des Beschwerdeführers war rechtswidrig. Dasselbe gilt für die Beschlagnahme der sichergestellten sechs Ordner.

Zwar weisen die Ermittlungsbehörden mit Recht darauf hin, dass gegen den Beschuldigten zumindest ein Anfangsverdacht des Betruges und möglicherweise anderer Straftaten besteht, der grundsätzlich auch eine Durchsuchung bei Dritten und eine Beschlagnahme dort vorgefundener Beweismittel zulässt, wenn die Voraussetzungen dafür vorliegen (vgl. §§ 103, 94 Abs. 1, 98 Abs. 1 StPO). Den Ermittlungsbehörden ist auch zuzugeben, dass eine Sichtung der Geschäftsunterlagen der Firma L. GmbH erfolgversprechend war, und zwar vor allem hinsichtlich des Zeitraums von 1999 bis 2002, der der Betriebsprüfung nicht unterlag. Das Gesetz sieht auch kein generelles Durchsuchungs- und Beschlagnahmeverbot beim Insolvenzverwalter vor bezüglich der Geschäftsunterlagen, die die von ihm verwaltete Firma betreffen. Das Beschlagnahmeverbot des § 97 Abs. 2 StPO erstreckt sich nicht auf den Insolvenzverwalter. Die Stellung des Insolvenzverwalters im Verhältnis zu der von ihm verwalteten insolventen Firma unterscheidet sich nämlich von der des Rechtsanwalts in Bezug auf seinen Mandanten. Der Insolvenzverwalter ist nicht einseitig an bestimmte Personen gebunden wie zum Beispiel der Rechtsanwalt an seinen Mandanten (vgl. Braun, Insolvenzordnung, Kommentar, 2. Aufl. 2004, Rn. 22 zu § 56 InsO); er ist nicht zur Verschwiegenheit verpflichtet wie ein Rechtsanwalt und Steuerberater (vgl. Verschwiegenheitspflicht des Rechtsanwalts in § 43 a Abs. 2 BRAO, § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB); ein Vertrauensverhältnis zwischen ihm und den Verantwortlichen oder vormals Verantwortlichen der verwalteten Firma braucht nicht zu bestehen (vgl. Braun, a.a.O., Rn. 30 zu § 56 InsO). Die Berufspflichten des Insolvenzverwalters und des Rechtsanwalts sind sorgfältig zu differenzieren (Braun, a.a.O., Rn. 20 zu § 56 InsO). Den Insolvenzverwalter treffen nämlich Amtspflichten (vgl. § 261 Abs. 1 InsO); er hat den Geschäftsbetrieb der von ihm verwalteten Firma zu überwachen und hat Kontroll- und Berichtspflichten gegenüber dem Insolvenzgericht. Der Insolvenzverwalter hat eine unabhängige Stellung inne (§ 56 Abs. 1 InsO).

Jedoch ist bei der Anordnung der Durchsuchung und Beschlagnahme beim Insolvenzverwalter äußerste Zurückhaltung geboten. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet, in jedem Verfahrensstadium das jeweils schonendste Mittel anzuwenden. Die Ermittlungsbehörden hätten hier verschiedene Möglichkeiten gehabt: Zunächst hätten sie die Insolvenzakte beiziehen können. Sodann wären sie berechtigt gewesen, vom Insolvenzverwalter Einblick in die Geschäftsunterlagen zu verlangen und entsprechende Kopien anzufordern. Der Insolvenzverwalter als unabhängige Rechtsperson, die Amtspflichten treffen, ist ohnehin verpflichtet, mit den Ermittlungsbehörden zu kooperieren. Außerdem kann nicht außer Betracht bleiben, dass bereits vor der Durchsuchung beim Beschwerdeführer die Beweise gegen den Beschuldigten durch den Prüfbericht der Deutschen Rentenversicherung schon weitgehend gesichert waren und insofern fraglich war, ob eine Durchsuchung überhaupt notwendig war. Zudem ist zu bedenken, dass der Insolvenzverwalter sein für den ungestörten Rechts- und Geschäftsverkehr wichtiges Amt ohne die beschlagnahmten Unterlagen nicht weiter durchführen kann, was der ordnungsgemäßen Abwicklung der insolventen Gesellschaft und den Interessen der Gläubiger Schaden zufügt. Nach Auffassung der Kammer ist eine Durchsuchung beim Insolvenzverwalter erst dann möglich, wenn gewichtige Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass Beweismittel ohne Durchsuchung verloren gehen könnten und dadurch die Ermittlungen beeinträchtigt werden. Das ist hier nicht ersichtlich und auch von den Ermittlungsbehörden nicht vorgebracht worden.

Hinzu kommt, wie der Beschwerdeführer mit Recht ausführt, dass eine Durchsuchung, auch wenn sie von zivil gekleideten Ermittlungspersonen durchgeführt wird, geeignet ist, das Ansehen eines Rechtsanwalts und Insolvenzverwalters zu schädigen. Dieser Sachverhalt bedarf keiner weiteren Ausführungen.

III.

Die Kostenentscheidung und die Entscheidung über die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers folgt aus § 473 Abs. 3 StPO.