KG, Beschluss vom 27.11.2006 - 12 U 181/06
Fundstelle
openJur 2012, 4555
  • Rkr:

Der Vorgang des Ausfahrens aus einem Grundstück in eine öffentliche Straße ist erst dann beendet, wenn sich das Fahrzeug endgültig in den fließenden Verkehr eingeordnet hat oder verkehrsgerecht am Fahrbahnrand oder an anderer Stelle abgestellt worden ist.Das Ausfahren wird nicht schon dadurch beendet, dass das ausfahrende Fahrzeug etwa zwei bis drei Minuten in der Position gestanden hat, in der sich die Kollision ereignet hat.

Tenor

1. Es wird gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO darauf hingewiesen, dass der Senat nach Vorberatung beabsichtigt, die Berufung durch Beschluss zurückzuweisen, weil sie keine Aussicht auf Erfolg hat.

2. Der Kläger erhält Gelegenheit zur Stellungnahme hierzubinnen drei Wochen.

Gründe

Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg.

Nach § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung erfolgreich nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht (§ 546 ZPO) oder nach § 529 ZPO zu Grunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen.

Beides ist hier nicht der Fall. Der Senat folgt vielmehr den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, die durch die Berufungsbegründung nicht entkräftet werden.

Insofern wird auf Folgendes hingewiesen:

1. Im Ergebnis zu Recht ist das Landgericht von einem Anscheinsbeweis gegen den Kläger wegen Verstoßes gegen Pflichten auch § 10 StVO ausgegangen.

6a) Der Beweis des ersten Anscheins spricht für ein Verschulden des Verkehrsteilnehmers, wenn dieser einen Verkehrsunfall bei der Ausfahrt aus einem Grundstück verursacht. Denn er hat sich nach § 10 StVO dabei so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Damit legt das Gesetz demjenigen, der aus einem Grundstück ausfährt, die Verantwortung für die Gefahrlosigkeit seines Verhaltens im Wesentlichen allein auf, so dass der Anschein gegen ihn spricht, wenn es bei diesem Fahrmanöver zu einer Kollision mit einem Verkehrsteilnehmer des fließenden Verkehrs kommt (vgl. OLG Köln, VM 2006, 18 Nr. 19). Der Vorgang des Ausfahrens aus einem Grundstück in eine öffentliche Straße ist erst dann beendet, wenn sich das Fahrzeug endgültig in den fließenden Verkehr eingeordnet hat oder verkehrsgerecht am Fahrbahnrand oder an anderer Stelle abgestellt worden ist (OLG Köln, a.a.O.; OLG Düsseldorf, VRS 60, 420). Der Vorgang des Ausfahrens wird auch nicht dadurch beendet, dass das ausfahrende Fahrzeug ca. zwei bis drei Minuten in seiner Position gestanden habe, in der sich die Kollision ereignet hat.

b) Nach Maßgabe dieser Grundsätze hat sich die Kollision hier beim Ausfahren ereignet mit der Folge, dass der Anscheinsbeweis gegen den Kläger spricht.

Ein solches Ausfahrmanöver ergibt sich aus den Darlegungen des Klägers selbst. Nach seiner Schilderung wollte er mit dem Fahrzeug das Grundstück verlassen und ist jedenfalls auf die Fahrbahn bis in den Bereich der „Parkreihe“ gefahren. Er hat bei seiner persönlichen Anhörung Fotos vorgelegt mit der Erklärung, es handele sich um die Stellung seines Fahrzeuges nach der Kollision. Seine als Zeugin vernommene Lebensgefährtin T. W. hat dies ausdrücklich bestätigt.

Danach hat der Kläger in der Absicht, aus dem Grundstück aus- und auf die Fahrbahn einzufahren, jedenfalls den Bordstein überfahren und ist auf die Fahrbahn bis in den Bereich dort parkender Fahrzeuge gefahren (im umgekehrten Rechtsstreit vor dem AG Mitte – 114 C 3532/04 – hat der Kläger diese Position „Frontbereich auf der Fahrbahn“ ausdrücklich eingeräumt). Dies ist ein Ausfahrmanöver i. S. d. § 10 StVO mit der Folge des entsprechenden Anscheinsbeweises. Dass der Kläger dann auf der Fahrbahn möglicherweise angehalten hat und ausgestiegen ist, ändert daran nichts; im Gegenteil könnte man es für erschwerend halten, wenn ein Kraftfahrer während eines Fahrmanövers, das besondere Vorsicht erfordert, anhält und aussteigt. An der Einstufung als „Ausfahren“ ändert es nichts, dass sich auf der Fahrbahn am Rand parkende Fahrzeuge befanden - dadurch verlängert sich der Bereich der Grundstücksausfahrt im Rechtssinne nicht etwa bis in die Fahrbahn hinein.

Es hat sich auch die typische Gefahr verwirklicht, auf die sich § 10 StVO bezieht – es ist zu einer Kollision mit einem Fahrzeug auf der Fahrbahn gekommen, in die der Kläger hineingefahren ist.

Entsprechend haben die Polizisten vor Ort den Kläger als Beschuldigten angesehen, und gegen ihn ist zunächst ein Bußgeldbescheid ergangen; das AG Tiergarten hat die Sache nach § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt.

2. Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht die Darlegungen des Klägers zu einer überhöhten Geschwindigkeit des Beklagtenfahrzeuges für die Annahme einer Mithaftung oder das Einholen eines Unfallrekonstruktionsgutachtens als nicht ausreichend angesehen (UA S. 6). Die Frage, wie das Beklagtenfahrzeug gefahren ist, kann im Rahmen der Haftungsverteilung nur Bedeutung gewinnen, wenn sich der Fahrer durch eine überhöhte Geschwindigkeit außer Stand gesetzt hat, unfallverhütend zu reagieren (st. Rspr., vgl. nur Senat, NZV 2003, 376 = KGR 2003, 20 = VM 2003, Nr. 28). Dafür fehlen hier jeder Vortrag und Anhaltspunkt, wobei den Kläger insoweit die Darlegungs- und Beweislast trifft; zu S. 5 der Berufungsbegründung sei noch angemerkt, dass der Anhalteweg aus 30 km/h bei Notbremsung auf feucht/nasser Straße (so polizeiliche Unfallaufnahme) zwischen 13,3 und 14,6 m beträgt (vgl. Anhaltewegtabelle bei Kuckuk/Werny, Straßenverkehrsrecht, 8. Aufl., XIX 2.).

Im Übrigen hat die Sache weder grundsätzliche Bedeutung noch ist eine Entscheidung des Senats zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich, § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 ZPO.

Es wird angeregt, die Fortführung des Berufungsverfahrens zu überdenken.