KG, Beschluss vom 29.08.2006 - 5 Ws 436/06
Fundstelle
openJur 2012, 4041
  • Rkr:
Tenor

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluß des Landgerichts Berlin – Strafvollstreckungskammer – vom 21. Juni 2006 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin hat den Beschwerdeführer am 24. Juni 2004 wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis und vorsätzlichen Vollrausches unter Einbeziehung der – wegen Diebstahls (im besonders schweren Fall) und Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Beleidigung verhängten – Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 28. Januar 2003 und Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, die er derzeit verbüßt. Die Vollstreckung dieser Strafe ist zweimal (vom 25. August bis 22. Dezember 2004 und vom 19. Februar bis 18. April 2006) zur Vollstreckung anderer (Rest-) Freiheitsstrafen unterbrochen worden. Zwei Drittel der Strafe waren am 18. Februar 2006 vollstreckt; das Strafende ist auf den 18. Dezember 2006 notiert. Mit dem angefochtenen Beschluß hat die Strafvollstreckungskammer es – ebenso wie bereits zuvor durch Beschluß vom 29. März 2006 – abgelehnt, die Vollstreckung der Reststrafe zur Bewährung auszusetzen.

Die hiergegen erhobene sofortige Beschwerde des Verurteilten ist statthaft (§ 454 Abs. 3 Satz 1 StPO) und rechtzeitig erhoben (§ 311 Abs. 2 StPO), hat aber in der Sache keinen Erfolg. Die Strafvollstreckungskammer hat die beantragte Reststrafenaussetzung zu Recht abgelehnt. Auch der Senat vermag dem Beschwerdeführer derzeit die für eine vorzeitige Entlassung aus der Strafhaft erforderliche günstige Prognose (§ 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB) nicht zu stellen.

1. Der Beschwerdeführer ist seit 1983 vielfach durch Straftaten, namentlich durch Eigentums-, Verkehrs- und Betäubungsmitteldelikte, in Erscheinung getreten. Er verbüßte erstmals in der Zeit bis zum 3. September 1987 eine Haftstrafe, nämlich eine Jugendstrafe von einem Jahr und sechs Monaten. In der Folgezeit beging er erneut Straftaten, die mit einer Geldstrafe sowie drei jeweils – in den beiden letzten Fällen trotz Bewährungsversagens – zur Bewährung ausgesetzten (Gesamt-) Freiheitsstrafen geahndet wurden, zuletzt durch Urteil vom 13. Juli 1995. Das Amtsgericht Tiergarten verurteilte den Beschwerdeführer ferner am 29. Januar 1996 wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen unter Einbeziehung der letztgenannten Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr, deren Vollstreckung es noch einmal zur Bewährung aussetzte. Der Beschwerdeführer wurde jedoch erneut nach kurzer Zeit straffällig. Das Amtsgericht Tiergarten verurteilte ihn daher am 15. April 1997 wegen zweier Verkehrsdelikte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten und am 18. September 1997 unter Einbeziehung der zuvor genannten Verurteilung wegen mehrerer Verkehrsvergehen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten, die bis zum 16. Dezember 2000 vollstreckt wurde. Der Beschwerdeführer verbüßte zudem – nach Widerruf der Strafaussetzung – einen Teil der Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil vom 29. Januar 1996. Nach Aussetzung der Reststrafen zur Bewährung durch Beschluß vom 29. November 2000 beging der Beschwerdeführer die Taten, die den Verurteilungen vom 28. Januar 2003 (Tatzeit: 5. Februar 2002) und vom 24. Juni 2004 (Tatzeiten: 28. August 2002 und 12. Februar 2003) zugrundelagen. Die Aussetzung der Reststrafe aus dem Urteil vom 29. Januar 1996 wurde sodann widerrufen; der Beschwerdeführer verbüßte den Strafrest in der Zeit bis zum 22. Dezember 2004.

Der dargelegte Verlauf zeigt, daß der Beschwerdeführer vor der derzeitigen Haftverbüßung bereits zweimal die Erfahrung eines längeren Freiheitsentzuges gemacht hat, ohne daß ihn dies nachhaltig zu beeindrucken vermocht hätte. An die Wahrscheinlichkeit künftigen Wohlverhaltens ist zudem insbesondere dann ein kritischerer Maßstab anzulegen, wenn der Verurteilte bewährungsbrüchig geworden ist und dadurch bewiesen hat, daß der von ihm vermittelte günstige Eindruck falsch war (vgl. KG, Beschlüsse vom 18. Mai 2006 – 5 Ws 249-250/06 –, 11. Januar 2006 – 5 Ws 12-13/06 –, 21. Dezember 2005 – 5 Ws 613-614/05 –, 21. Januar 2004 – 5 Ws 11/04 – und 8. Januar 2002 – 5 Ws 809/01 –). Dies gilt hier in besonderem Maße. Denn der Beschwerdeführer ist vielfacher Bewährungsversager. Er hat selbst die mit der Reststrafenaussetzung vom 29. November 2000 bestimmte Bewährungszeit, bei der ihm ein Bewährungshelfer zur Seite gestellt wurde, nicht beanstandungsfrei durchgestanden. Seine Taten sind durch eine hohe Rückfallgeschwindigkeit gekennzeichnet.

2. Eine Reststrafenaussetzung könnte danach nur dann verantwortet werden, wenn erprobt und durch Tatsachen, die sich nicht nur auf äußere Umstände beziehen dürfen, belegt wäre, daß die charakterlichen Mängel und sonstigen Ursachen, die zu den Straftaten geführt haben, soweit behoben sind, daß die Rückfallgefahr nur noch sehr gering ist (vgl. KG NStZ-RR 2000, 170; Senat, Beschlüsse vom 15. März 2006 – 5 Ws 104/06 –, 21. Dezember 2005 – 5 Ws 613-614/05 – und 11. November 2005 – 5 Ws 510/05 –; std. Rspr.). Allein der Wille, sich künftig straffrei zu führen, reicht hierfür ebenso wenig aus (vgl. KG NStZ-RR 2000, 170) wie ein beanstandungsfreies Vollzugsverhalten. Maßgeblich ist vielmehr eine günstige Entwicklung während des Vollzuges, die von besonderem Gewicht sein muß. Dazu zählt etwa die Beseitigung von Defiziten im Sozialverhalten, vor allem aber die Behebung von tatursächlichen Persönlichkeitsmängeln, wie sie bei dem Beschwerdeführer zutage getreten sind. Dazu müssen Tatsachen feststehen; sie dürfen nicht lediglich unterstellt werden (vgl. KG, Beschluß vom 21. Dezember 2005 – 5 Ws 613-614/05 –).

Die Erwartung künftiger Straffreiheit ließe sich daher allenfalls gewinnen, wenn sich der Beschwerdeführer aktiv mit seinen Straftaten und deren Ursachen auseinandergesetzt und Tatsachen geschaffen hätte, die es überwiegend wahrscheinlich machen, daß er in Freiheit Tatanreizen zu widerstehen vermag (vgl. Senat, Beschlüsse vom 15. März 2006 – 5 Ws 104/06 –, 11. Januar 2006 – 5 Ws 12-13/06 –, 21. Dezember 2005 – 5 Ws 613-614/05 – und 4. Februar 2005 – 5 Ws 49/05 –; std. Rspr.). Er hätte insbesondere Maßnahmen ergreifen müssen, die auf eine aussichtsreiche Bewältigung seiner Suchtproblematik schließen lassen (vgl. Senat, Beschluß vom 11. November 2005 – 5 Ws 538/05 –). Denn seine Straftaten weisen immer wieder und mit zunehmender Häufigkeit einen Zusammenhang mit Alkohol- und Drogenkonsum auf. Dies belegen die Verurteilungen vom 4. Februar 1991 (unbefugter Besitz von Betäubungsmitteln), vom 15. April und 18. September 1997 (insgesamt drei Trunkenheitsfahrten) und 24. Juni 2004 (Vollrausch), aber auch die der Verurteilung vom 28. Januar 2003 zugrundeliegenden Taten (Diebstahl und Widerstand in Tateinheit mit Beleidigung), die unter Alkoholeinfluß (festgestellte Blutalkoholkonzentration: 1,3 Promille) begangen wurden.

Gemessen an diesen Rechtsgrundsätzen kann eine vorzeitige Entlassung des Beschwerdeführers aus der Strafhaft derzeit nicht verantwortet werden. Eine konkrete Straftataufarbeitung ist bei ihm bislang trotz inzwischen mehr als zweijähriger durchgängiger Inhaftierung nicht festzustellen. Prognostisch besonders ungünstig aber wirkt sich aus, daß die Suchtproblematik des Beschwerdeführers fortbesteht. Dieser ist eigenen Angaben zufolge seit fünf Jahren von Haschisch, Opiaten und Tabletten abhängig. Am 6. August 2004 wurden in seinem Haftraum 146 mg Heroingemisch für den Eigengebrauch festgestellt, weswegen ihn das Amtsgericht Tiergarten am 7. September 2005 zu einer (inzwischen verbüßten) zweimonatigen Haftstrafe verurteilte. In der Folgezeit wurde der Beschwerdeführer dem Clearingbereich der Teilanstalt I der Justizvollzugsanstalt Tegel zugewiesen und dort am 15. Dezember 2004 aufgenommen; er erklärte sich bereit, an einem Urinkontrollprogramm teilzunehmen. Die hiermit verbundenen Erwartungen vermochte der Beschwerdeführer indes nicht zu erfüllen:

Die Urinproben vom 18. Dezember 2004 und 19. Januar 2005 wiesen positive Befunde an THC und Opiaten auf. In der Folgezeit (31. Januar, 9. Februar, 2. und 7. März 2005) kam der Beschwerdeführer der Aufforderung zur Abgabe von Urinproben nicht nach; seine hierfür angeführte Erklärung, jeweils vorher auf der Toilette gewesen zu sein, ist als Schutzbehauptung zu werten. Nach einer Phase der Abstinenz (negative Befunde in der Zeit vom 22. März 2005 bis 8. Juni 2005) kam der Beschwerdeführer am 28. Juni 2005 der Aufforderung zur Urinkontrolle nicht nach; am 29. August 2005 versuchte er die Kontrolle durch ein mitgebrachtes Behältnis mit Urin zu manipulieren. Am 30. September und 4. Oktober 2005 und selbst noch Mitte Juni 2006 – nach erneuter Anbringung eines Reststrafengesuchs – gab der Beschwerdeführer trotz Aufforderung keine Urinproben ab.

Daß die Aufforderung aus dem Juni 2006 den Beschwerdeführer infolge einer Personenverwechslung nicht erreicht haben sollte, erscheint ungeachtet dessen, daß insgesamt drei Personen mit dem Namen B in der Teilanstalt II der Justizvollzugsanstalt Tegel einsitzen, fernliegend, weil dieser Umstand der Arztgeschäftsstelle bekannt ist und der Beschwerdeführer der einzige der drei namensgleichen Insassen ist, der an dem Urinkontrollprogramm teilnimmt. Soweit sich der Verurteilte in seiner Beschwerdebegründung darauf beruft, am fraglichen Tag sei sein Cousin S B zur Urinkontrolle aufgerufen worden, ist auch ein bewußt irreführendes Zusammenwirken dieser beiden Personen oder aber eine Ausnutzung der Namensgleichheit durch den Beschwerdeführer nicht auszuschließen; denn dieser hat bereits im Januar 2005 eine für S B ausgestellte Therapiebescheinigung zur Unterstützung eines Antrags nach § 35 BtMG durch seine Verteidigerin an die Staatsanwaltschaft übermitteln lassen.

Demnach hat der Beschwerdeführer nicht einmal an den Vorbereitungen für eine Drogentherapie ernsthaft mitgewirkt. Von einer erfolgreichen Bewältigung seiner Drogenproblematik ist er noch weit entfernt.

3. Zudem war auch das Vollzugsverhalten des Beschwerdeführers nicht frei von Beanstandungen. Abgesehen von dem Betäubungsmittelfund in seinem Haftraum gab die Beteiligung an körperlichen Auseinandersetzungen am 3. November 2005 und 5. Dezember 2005 Anlaß zu Disziplinarmaßnahmen, unter anderem einer vorübergehenden Verlegung des Beschwerdeführers auf eine andere Station innerhalb der Teilanstalt I.

Bei dieser Gesamtsituation kommt es auf die fortbestehende Beziehung des Beschwerdeführers zu seiner Ehefrau und seinen drei Kindern und die – zudem äußerst vage – Aussicht auf Beschäftigung als Praktikant auf einem Schrottplatz nicht mehr an, weil allgemeine soziale Umstände bei ansonsten aus Gründen der Persönlichkeit ungünstiger Prognose die Reststrafenaussetzung nicht zu begründen vermögen. Insbesondere können Gründe familiärer Fürsorge günstige Prognosetatsachen nicht ersetzen (vgl. Senat, Beschlüsse vom 29. Mai 2006 – 5 Ws 262/06 – und 28. Februar 2005 – 5 Ws 42/05 –).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.