KG, Beschluss vom 10.02.2005 - 13 UF 4/04
Fundstelle
openJur 2012, 2993
  • Rkr:
Tenor

Auf die Beschwerde des Vaters wird unter Zurückweisung derBeschwerde im Übrigen der Beschluss des AmtsgerichtsTempelhof-Kreuzberg vom 19. Dezember 2003 geändert:

Der Mutter wird das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Kind L.B. entzogen und auf den Vater übertragen.

Der weitergehende Antrag des Vaters wird zurückgewiesen.

Die Beschwerde der Mutter wird zurückgewiesen.

Die Gerichtskosten des Verfahrens in erster Instanz tragen dieParteien je zur Hälfte. Ihre außergerichtlichen Kosten im Verfahrenin erster Instanz und im Beschwerdeverfahren trägt jede Parteiselbst. Die Sachverständigenkosten haben die Parteien je zur Hälftezu tragen, im Übrigen werden keine Kosten für dasBeschwerdeverfahren erhoben.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000,00 EURfestgesetzt.

Gründe

Die Eltern von L. waren nie verheiratet, die Mutter ist alleinige Inhaberin der elterlichen Sorge. Die Parteien lebten mit L. bis Januar 2000 in Berlin zusammen. Der Vater verzog dann alleine nach Nienburg. Im Februar 2000 kam es zu einer Versöhnung der Eltern und die Mutter zog mit L. nach Nienburg zum Vater. Im Mai 2000 begann die Mutter, die gelernte OP-Schwester ist und seit Herbst 1997 wieder halbtags in ihrem Beruf tätig war, eine Weiterbildung zur Pflegedienstleiterin. Im Mai 2001 trennten sich die Parteien erneut. Die Mutter zog im Juni 2001 nach Hannover, L. verblieb zunächst beim Vater. Am 01.09.2001 holte die Mutter L. zu sich, für die sie einen Ganztagsbetreuungsplatz gefunden hatte. Am 15.09.2001 erkrankte die Mutter an einer Psychose und befand sich vom 16.09.2001 bis 15.10.2001 in stationärer Behandlung. L. befand sich zu diesem Zeitpunkt beim Vater und blieb bis zum 21.10.01 bei ihm und seinen Eltern. In der Folgezeit lebte L. dann wieder bei der Mutter. Die Mutter bestand im März 2002 die Prüfung zur Pflegedienstleiterin und war danach ab April 2002 in diesem Beruf tätig. Am 28.06.2002 erkrankte die Mutter wiederum an einer Psychose und begab sich bis 16.07.2002 erneut in stationäre Behandlung. L. lebte in dieser Zeit bis einschließlich 31.07.2002 beim Vater. Am 03.08.2002 wurde L. in Hannover eingeschult. Die Mutter hatte, nachdem sie ihr bisheriges Arbeitsverhältnis gekündigt hatte, einen neuen Arbeitsplatz in Berlin gefunden und zog am 01.09.2002 nach Berlin. L. sollte bis zum Beginn der Herbstferien von der Großmutter mütterlicherseits in Hannover betreut werden, außerdem sollte der Vater nach der Vorstellung der Mutter mehrmals in der Woche nach dem Rechten schauen. Der Vater zog daraufhin am 03.09.2002 nach Hannover zu L., die anschließend bis zum 19.10.2002 die Ferien beim Vater und den Großeltern väterlicherseits verbrachte. Die Mutter wechselte zum 01.12.2002 erneut den Arbeitgeber. Die Weihnachtsferien bis einschließlich 05.01.2003 verbrachte L. beim Vater, wobei streitig ist, ob dies in Abstimmung mit der Mutter geschah. Auch in den Winterferien vom 01.02.2003 bis 09.02.2003 war L. beim Vater und dessen Eltern. Am 18.03.2003 erkrankte die Mutter erneut und befand sich bis 04.04.2003 wiederum in stationärer Behandlung. L. , die sich zu diesem Zeitpunkt im Hort aufhielt, wurde von einer befreundeten Familie aufgenommen. Der Vater besuchte L. am 29./30.03.2003 und holt sie Anfang April 2004 zunächst mit Einverständnis der Mutter zu sich, wobei die Mutter bestreitet, dass sie ihr Einverständnis für einen über die Ferien hinausgehenden Aufenthalt erteilt habe. Auf seinen Antrag vom 11.04.2003 übertrug das Amtsgericht Nienburg ihm im Wege einer einstweiligen Anordnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht für L. . Seither hält sich L. ununterbrochen beim Vater auf und besucht die Mutter nach anfänglichen Schwierigkeiten regelmäßig alle drei Wochen in Berlin. Die Mutter, die nach Kündigung wegen Krankheit zum 01.05.2003 eine neue Arbeitsstelle fand, wechselte den Arbeitsplatz letztmalig zum 01.10.2003.

Nachdem das Amtsgericht Nienburg dem Vater das Aufenthaltsbestimmungsrecht im Wege einer einstweiligen Anordnung übertragen hatte, ist das Verfahren an das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg abgegeben worden. Dies hob mit Beschluss vom 13.06.2003 nach Anhörung der Parteien den Beschluss wegen Unzuständigkeit des Amtsgerichts Nienburg auf und entzog auf einen neuen Antrag des Vaters der Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrechts für L. und übertrug es auf einen Pfleger, zu dem der Vater bestimmt wurde. Nach Einholung eines psychiatrischen Gutachtens in dem Verfahren 135 F 6556/03 hat das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg durch Beschluss vom 19. Dezember 2003 den Antrag des Vaters auf Übertragung der elterliche Sorge für L. zurückgewiesen und zugleich der Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrechts entzogen und einem Pfleger übertragen. Das Amtsgericht hat zur Begründung ausgeführt, dass nach dem eingeholten Gutachten aus psychiatrischer Sicht keine Bedenken gegen die Ausübung der elterlichen Sorge durch die Mutter bestünden. Gleichwohl sei der Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu entziehen, da zum Schutz des Kindes wegen des bestehenden Restrisikos einer erneuten Erkrankung der Mutter ein unverzügliches Eingreifen gewährleistet sein müsse. Aufenthaltsbestimmungsrechtspfleger solle wegen der Streitigkeiten der Eltern eine neutrale Person werden.

Gegen diesen der Mutter am 23.12.2003 und dem Vater am 29.12.2003 zugestellten Beschluss haben die Mutter am 06.01.2004 und der Vater am 27.01.2004 Beschwerde eingelegt und diese sogleich begründet.

Die Mutter wendet sich gegen den Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts für L. . Der Vater seinerseits begehrt, dass ihm unter Änderung des angefochtenen Beschlusses die elterliche Sorge für L. , hilfsweise die Personensorge, hilfsweise das Aufenthaltsbestimmungsrecht übertragen wird.

Eine auf Anraten des Senats von den Parteien versuchte Mediation ist nach drei Sitzungen gescheitert.

Die Eltern und L. sind vom Senat angehört worden. Das Jugendamt ist beteiligt worden. Der Senat hat ein Gutachten zu der Frage eingeholt, ob ein erneuter Wechsel zur Mutter eine Kindeswohlgefährdung bedeuten würde. Auf das Gutachten der Dipl. Päd. S. B. vom 16.10.2004 wird Bezug genommen. Die Sachverständige hat ihr Gutachten in der Anhörung am 01.02.2005 erläutert.

Die Akte Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg 135 F 6556/03 ist beigezogen worden.

Die gemäß § 621e ZPO zulässige Beschwerde der Mutter hat in der Sache keinen Erfolg, die zulässige Beschwerde des Vaters hat nur insoweit Erfolg, als ihm das Aufenthaltsbestimmungsrecht für L. gemäß § 1680 Abs. 3, Abs. 2 S. 2 BGB zu übertragen ist, im Übrigen ist die Beschwerde ebenfalls unbegründet.

Der Mutter ist die elterliche Sorge für L. nicht gemäß §§1666, 1666a BGB zu entziehen. Das Amtsgericht hat zutreffend festgestellt, dass kein Grund ersichtlich ist, dass die Mutter aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage sei, die elterliche Sorge für L. auszuüben. Der in dem beim Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg anhängigen Umgangsverfahren - 135 F 6556/03 - bestellte Sachverständigen B. ist in seinem Gutachten zu dem Ergebnis gekommen, dass die Mutter an einer psychotischen Störung erkrankt sei, die relativ selten auftrete und wenig erforscht, wenn auch schon lange bekannt sei. In Belastungssituationen entwickle sich ein psychotisches Syndrom, welches durch Unruhe, Schlafstörung, Wahrnehmungsstörung und formale Denkstörung mit Verwirrtheit gekennzeichnet sei. Unter Behandlung klinge dieses Syndrom schnell wieder ab. Es bestehe nur ein geringes Risiko einer schweren psychischen Störung und es entwickele sich auch keine andauernde Veränderung kognitiver, affektiver und motivationaler Fähigkeiten. Es bestehe hingegen ein hohes Rückfallrisiko, was nur durch eine kontinuierliche Behandlung und Krankheitseinsicht gemindert werden könne. Der Sachverständige hat der Mutter aber eine derartige Krankheitseinsicht bescheinigt. Zudem befindet sie sich in ärztlicher Behandlung. Der Senat ist davon überzeugt, dass auch weiterhin die bestehende Krankheit die Mutter nicht in der Ausübung der elterlichen Sorge beeinträchtigt, denn die Mutter hat nunmehr eine Stabilität in Wohnumfeld und beruflicher Tätigkeit entwickelt und ist zudem auch trotz der nunmehr fast zweijährigen gerichtlichen Auseinandersetzung um L. Verbleib, die für die Mutter mit einem enormen emotionalen wie psychischen und physischen Stress verbunden ist, nicht wieder rückfällig geworden. Dies zeigt deutlich, dass die Mutter zumindest gegenwärtig psychischen Belastungssituationen gewachsen ist. Das Amtsgericht hat auch zutreffend ausgeführt, dass, da die Mutter die alleinige Inhaberin der elterliche Sorge ist, es nicht darauf ankommt, wer von welchen Elternteilen besser geeignet ist, die elterliche Sorge für L. auszuüben.

Der Senat ist aber der Überzeugung, dass die Mutter gegenwärtig nicht in der Lage ist, den Aufenthalt von L. entsprechend dem Wohl des Kindes zu regeln. Die Mutter möchte L. wieder zu sich nach Berlin holen. Eine derartige Handlung stellt jedoch zur Zeit eine Kindeswohlgefährdung da. Der Senat folgt insoweit den Feststellungen der Sachverständigen, die in ihrem Gutachten zu dem Ergebnis kommt, dass ein Wechsel L. nach Berlin in den Haushalt der Mutter eine Kindeswohlgefährdung bedeutet. Der Senat hat keine Bedenken, das Gutachten zu verwerten. Zwar enthielt das schriftliche Gutachten Schwächen, weil es insbesondere die mit dem Kind durchgeführten Tests und deren Ergebnisse nicht näher beschrieb und nicht dargelegt hat, welche Schlussfolgerungen die Sachverständige aus den Reaktionen des Kindes abgeleitet hat. In der mündlichen Anhörung hat die Sachverständige dies aber nachgeholt und mündlich sowohl die Testverfahren als auch die Reaktionen von L. und ihre Schlussfolgerungen nachvollziehbar erläutert. Der Senat hat auch keinerlei Anhaltspunkte an der Erfahrung der Sachverständigen zu zweifeln, die seit mehr als 20 Jahren gutachterlich tätig ist. Der Senat vermag auch keine Voreingenommenheit gegenüber der Kindesmutter erkennen. Soweit die Krankheit der Mutter thematisiert wurde, ist dies nicht zu beanstanden. Der Gutachterauftrag enthielt die Vorgabe, dass die Folgen eines erneuten Wechsels für L. unter Berücksichtigung der in der Vergangenheit erfolgten häufigen Aufenthaltswechsel insbesondere dem dreimaligen Schulwechsel im ersten Schuljahr beurteilt werden sollten. Der häufige Wechsel von L. ist aber auch teilweise durch die Erkrankung der Mutter bedingt. Die Sachverständige hatte sich auch die Frage zu stellen, welche Bedeutung die Krankheit für L. hat und inwieweit sie von der Erkrankung der Mutter und den Folgen geprägt worden ist. Soweit die Sachverständige Zweifel an der Aussagekraft des vorliegenden neurologischen Gutachtens geäußert hat, hat der Senat bereits in der Anhörung darauf hingewiesen, dass er diese Bedenken nicht teilt, aber auch nicht zu erkennen vermag, dass diese Auffassung der Sachverständige das Gutachten im Ergebnis beeinflusst hat.

Die Sachverständige hat festgestellt, dass L. unter einem Loyalitätskonflikt leidet, der aus einem unverarbeiteten Trennungskonflikt herrührt. Die Sachverständige hat dies dahingehend mündlich näher erläutert, dass L. bis zu ihrem 4. Lebensjahr eine stabile Beziehung zu beiden Parteien hat aufbauen können und sich im Vertrauen auf das Vorhandensein der Eltern als ihrer wichtigsten Bezugspersonen hat gut entwickeln können. Durch die Trennung der Parteien Anfang Januar 2000 erlebte L. erstmals einen Bruch in ihrem bis dahin stabilen Beziehungsgeflecht. Der Senat übersieht dabei nicht, dass die Mutter in dieser Zeit die Hauptbezugsperson gewesen ist, schon weil sie in den ersten Jahren auch beruflich zurückgesteckt hat. Darüber hinaus verkennt der Senat nicht, dass die Mutter sich zugleich um ihre wirtschaftliche Existenz kümmern musste. Da der Vater eine Heirat ablehnte, war die Mutter wirtschaftlich nicht abgesichert. Für das allein entscheidende Kindeswohlinteresse ist es aber auch ohne Belang, von wem die Trennung ausgegangen ist. Die Sachverständige hat in der mündlichen Erörterung ihres Gutachtens deutlich gemacht, dass durch diese erste erlebte Trennung das Kind eine emotionale Verunsicherung erfuhr. In der Folgezeit kam es dann zwar wieder zu einem Zusammenleben der Parteien, dann aber nach ca. eineinhalb Jahren zur erneuten nun endgültigen Trennung. Abgesehen davon, dass die für die Eltern als Paar damit verbundenen emotionalen Belastungen und Auseinandersetzungen für das Kind immer spürbar und damit auch erfahrbar werden, musste L. nun eine Trennung von der Mutter hinnehmen, die zunächst in Hannover sich um eine Wohnung und eine Betreuung des Kindes kümmern musste. Aufgrund der dann eingetretenen Erkrankung der Mutter lebte L. fast 5 Monate beim Vater. Danach war L. für ein dreiviertel Jahr bei der Mutter. Nach dem zweiten Schub lebte L. ca. einen Monat mit der Mutter in Hannover, wurde dann vom Vater betreut, wechselte dann die Schule und blieb dann 5 Monate bei der Mutter. Nach der erneuten Erkrankung der Mutter wurde sie zunächst von einer befreundeten Familie betreut, bis sie dann nach ca. zwei Wochen vom Vater abgeholt worden ist. Sie besuchte dann in B. innerhalb eines Dreivierteljahres die 3. erste Klasse. Seitdem erlebt L. zum ersten Mal seit mehr als zwei Jahren, die durch häufige Wechsel des Aufenthalts und der Bezugspersonen gekennzeichnet waren, wieder Kontinuität und Sicherheit. Der Senat möchte betonen, dass bei der Bewertung des ständigen Wechsels in den letzten Jahren der Mutter keine persönliche Schuld vorgeworfen wird, denn wie bereits ausgeführt, musste die Mutter sich als Alleinerziehende um ihre eigene wirtschaftliche Existenz kümmern und sich zudem um das Kind sorgen. Neben dieser Doppelbelastung trat dann noch die Krankheit der Mutter auf. Der Senat hat auch keine Erwartungen, dass die Mutter für L. Bedingungen schaffen würde, die dem Idyll einer in Eintracht zusammenlebenden Familie entsprechen würden. Der Ausfall der Mutter durch ihre Krankheit ist vielmehr hinzunehmen, zumal die Mutter, wie sich nach den Feststellungen des Gutachtens ergeben hat, es geschafft hat, dass L. kaum Erinnerungen an die Krankheit der Mutter hat und mit einer Krankheit auch nichts bedrohliches verbindet. Diese Leistung bewertet der Senat als sehr beachtlich. Davon zu unterscheiden ist aber welche Wirkungen diese häufigen Wechsel auf L. hatten. Es bedarf keiner näheren Ausführungen, dass das Vorhandensein von stabilen Bindungen und einer Kontinuität in der Betreuung und Erziehung zu dem Grundvoraussetzungen für eine ungestörte Persönlichkeitsentwicklung des Kindes sind. L. hatte diese Bedingungen in den letzten Jahren aber nicht, sondern musste immer wieder Trennungen hinnehmen, was dann zu einer tiefen inneren Verunsicherung führt. Auch die mit einem erneuten Wechsel verbundene Trennung von dem Vater und ihren sonstigen sozialen Beziehungen bedeutet eine erneute Retraumatisierung.

Das von dem Senat eingeholte Gutachten hat ferner deutlich gemacht, dass L. nicht nur eine gute Beziehung zum Vater hat, sondern B. und ihren Vater gegenwärtig auch als ihr Zuhause erlebt. L. hat sich deutlich positioniert und möchte beim Vater leben. L. hat zwar auch eine gute Bindung zur Mutter und liebt diese auch, sie hat sich aber gegenwärtig klar für den Vater ausgesprochen. L. hat dies gegenüber der Sachverständigen mehrfach betont. Die durchgeführten Tests ergaben zudem, dass L. bei der Vorstellung einer Trennung vom Vater spontan Trauer bis Panik empfand. Sie erklärte zudem in einem Testverfahren, dass nur böse Menschen sie vom Vater trennen würden. Die Mutter vermisste L. nicht, sie sah ihre Bedürfnisse durch die Telefonate mit der Mutter in der Woche und den Besuchen hinreichend befriedigt. Der Umstand, dass die Sachverständige L. nicht zusammen mit der Mutter erlebt hat, ändert nichts an der Aussagekraft der Äußerungen des Kindes und der diesbezüglichen Feststellungen der Sachverständigen. Diese hat L. den Vorschlag eines Zusammentreffens mit der Mutter unterbreitet. L. hat sich dem aber entzogen, indem sie ein derartiges Zusammentreffen bei der Sachverständigen abgelehnt hat. Auch diese Haltung des Kindes ist zu bewerten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass beide Eltern berichteten, dass L. mit der Begutachtungssituation nach zunächst eher ängstlich-ablehnender Haltung (sie wollte in Ruhe gelassen werden) gut klar gekommen ist und die Eltern sie danach offener erlebt haben. Offensichtlich hat L. es vermeiden wollen, in einer direkten Konfrontation mit der Mutter den Loyalitätskonflikt erleben und gegebenenfalls auch ausdrücken zu müssen. Denn während L. sich in der Lage sah, der Sachverständigen auch Enttäuschungen durch ihren Vater mitteilen zu können, gelang es ihr nicht, derartige Reaktionen hervorgerufen durch die Mutter zu äußern. Wenn sie dies aber bereits nicht in Abwesenheit der Mutter kann, so ist nahe liegend, dass ein direktes Zusammentreffen mit der Mutter L. in der Gutachtensituation überfordert. Dies wird auch deutlich in der Äußerung L. , dass - da die Mutter ihren ihr gegenüber geäußerten Wunsch beim Vater bleiben zu wollen - nicht akzeptiert habe, sie sich nun nicht mehr traue auf weitere Nachfragen dies zu wiederholen und sie sich dadurch unter Druck gesetzt fühle. Mittlerweile antworte sie nunmehr nur noch mit „Ja“, um die Mutter zufrieden zu stellen und weitere Fragen zu verhindern. Für den Senat ist es offensichtlich, dass L. nicht annähernd die Vorstellung hatte, wie sie sich vor der Sachverständigen und der Mutter verhalten sollte; ohne die Mutter zutiefst enttäuschen zu müssen. Dies kann L. nicht, denn die Mutter ist weiterhin eine wichtige Bezugsperson für sie und L. ist es unmöglich den erlebten Loyalitätskonflikt zu lösen. Dies hat zur Folge, dass L. , wie das Gutachten deutlich zum Ausdruck gebracht hat, ihre eigenen Bedürfnisse zurückstellt, um die Mutter nicht zu verletzen oder aus ihrer Sicht an den Enttäuschungen der Mutter „Schuld“ zu sein. Dies führt dazu, dass L. in dieser Situation ihrer eigenen Frustrationen, aggressiven Impulse und auch Rücksichtnahmen durch einen Mechanismus des Ausweichens, Vermeidens und des Sich-Zurückziehens versucht zu bewältigen. Wird der Bedürfnisdruck zu stark und ist in der Realität keine Entlastung zu erwarten, dann verfällt L. in eine Art resignativer Passivität. Sie zeigt dann starke Signale der Belastetheit, der Irritation und Verunsicherung. Der Senat erachtet daher gegenwärtig eine Rückkehr zur Mutter nicht nur deswegen mit dem Kindeswohl nicht vereinbar, weil die nunmehr bestehenden stabilen Bindungen durch eine erneute Trennung vom Vater, den Verwandten in B. und ihren Freundinnen wieder unterbrochen und L. eine Retraumatisierung durch eine erneute erlebte Trennung erfahren würde. Es ist auch nicht mit dem Kindeswohl vereinbar, wenn der von L. geäußerte Wunsch beim Vater zu leben missachtet werden würde. Denn L. , die nach den Feststellungen der Gutachterin äußert sensibel auf Erwartungshaltungen ihrer Bezugspersonen reagiert, neigt dazu überschnell auch diese Erwartungshaltungen zu erfüllen. Ihre eigene Befindlichkeit stellt sie dabei zurück, da sie ein sehr starkes Harmoniebedürfnis hat. Der Senat teilt die Auffassung der Gutachterin, dass es sich insoweit bei L. noch um eine fragile Persönlichkeit handelt. Da sie sich aufgrund ihres Alters noch nicht von ihren Bezugspersonen abgrenzen kann, besteht bei einer Missachtung des von L. deutlich geäußerten Wunsches beim Vater zu bleiben die Gefahr, dass sie sich zwar vordergründig beugen wird, aber nicht in der Lage ist, ihre damit verbundenen Frustrationen und Enttäuschungen auszuleben und dann auch zu verarbeiten. Der Wille eines nunmehr neunjährigen Kindes ist dabei nicht allein entscheidungserheblich. Wenn aber die Missachtung des - und dies hat das Gutachten zweifelsfrei feststellen können - auf keiner Beeinflussung beruhenden, vielmehr autonom entwickelten Willens dazu führt, dass eine Gefahr für die gesunde weitere Entwicklung der Ich-Persönlichkeit besteht, bekommt der Kindeswille ein hohes Gewicht. Dies verkennt die Mutter, wenn sie nur darauf abstellt, dass ein Wechsel zu ihr mit Unannehmlichkeiten für das Kind verbunden sei, weil es seine seit nunmehr zwei Jahren gewohnte Umgebung einschließlich ihrer Freundinnen verliere. Für L. bedeutet ein Wechsel nicht nur eine vorübergehende Unannehmlichkeit, sondern die Gefährdung einer gesunden Persönlichkeitsentwicklung. Nach Auffassung des Senats kann unter Berücksichtigung der Erkenntnisse der Sachverständigen eine derartige Gefährdung der Ich-Entwicklung bei einem Wechsel zur Mutter unter Missachtung des autonomen Willens des Kindes nicht ausgeschlossen werden. Zusammen mit der durch den erneuten Wechsel verbundenen Retraumatisierung gefährdet eine Rückkehr des Kindes zur Mutter gegenwärtig dessen Wohl.

Dass die Mutter sich nicht in der Lage gesehen hat, sich mit dem Vater über einen Verbleib L. bei ihm zu verständigen und hierzu ihre Zustimmung zu erteilen, bedauert der Senat sehr. Denn eine derartige Entscheidung der Eltern hätte für L. die positive Wirkung gehabt, dass die Eltern sie wahrnehmen und gemeinsam für sie handeln können, L. sich mithin nicht gegen einen Elternteil hat entscheiden müssen. Zudem hätte sie erleben können, dass die Mutter ihr ihren Wunsch zugesteht und es ihr erlaubt, beim Vater zu bleiben. Die bei L. vorhandene Angst, die Mutter zu enttäuschen und zu verletzten, hätte dadurch stark abgemildert werden können. Um die Kindeswohlgefährdung zu vermeiden, ist der Mutter gemäß §§ 1666, 1666a BGB das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu entziehen. Der Senat erachtet eine Verbleibensanordnung gemäß § 1632 Abs. 4 BGB nicht für ausreichend, um eine Kindeswohlgefährdung zu verhindern. Grundsätzlich wird zwar eine Verbleibensanordnung als das mildere und deshalb dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gerecht werdende Maßnahme angesehen, welches Vorrang vor weitergehenden Sorgerechtsbeschränkungen gemäß § 1666 BGB hat (vgl. Staudinger/Salgo; BGB (2002), § 1632 Rdnr. 93). Aber auch in der Verbleibensanordnung liegt bereits ein erheblicher Einschnitt in die Personensorge, weil dadurch die uneingeschränkte Ausübung des Aufenthaltsbestimmungsrechts untersagt wird. Eine Verbleibensanordnung wird aber dem im Rahmen der Abwägung neben dem Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG auch zu berücksichtigenden Persönlichkeitsrecht des Kindes aus Art 2 Abs. 1 i.V.m. Art 1 Abs. 1 GG nicht gerecht, wobei auch zu berücksichtigen ist, dass L. gegenwärtig bei ihrem - wenn auch nicht sorgeberechtigten - Vater und nicht bei einer Pflegefamilie lebt. Eine Verbleibensanordnung ist grundsätzlich zwar nicht für einen bestimmten Zeitraum zu befristen, sondern hat solange Bestand, wie das Kindeswohl durch eine Wegnahme gefährdet ist. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, kann nur für den jeweiligen Prüfungszeitpunkt, nicht aber für eine bestimmte, in die Zukunft reichende Zeitspanne geklärt werden (vgl. Siedhoff, NJW 1994, 616, 619). Sinn und Zweck einer Verbleibensanordnung ist aber, dass eine Herausgabe zur Unzeit verhindert wird, mithin dem Kind Zeit und Gelegenheit gegeben wird, sich auf den Wechsel zum erziehungsberechtigten Elternteil einzustellen. Es handelt sich mithin um eine vorübergehende Maßnahme. Um den Parteien und dem Kind die Möglichkeit zu geben, sich auf den Wechsel hinreichend vorzubereiten, sollte daher auch zumindest die Dauer der prognostizierten Kindeswohlgefährdung bestimmt werden (vgl. Palandt/Diederichsen, BGB, 64. Aufl. zu

§ 1682 Rdnr. 6). Eine derartige Regelung wird den Belangen von L. nicht gerecht. Zwar kann sich der Senat nach den bisherigen Erkenntnissen vorstellen, dass die Mutter als Rollenvorbild für L. mit zunehmendem Alter an Bedeutung gewinnt und zugleich die von L. jetzt noch u.a. wegen der freieren Bewegungsmöglichkeiten bevorzugte ländliche Umgebung an Attraktivität verliert und im Gegenzug die Großstadt mit den sich bietenden Möglichkeiten verlockender erscheint. Der Senat hat aber keinerlei Anzeichen, dass mit einem derartigen Sinneswandel von L. in absehbarer Zeit zu rechnen ist. Bei einer Verbleibensanordnung besteht die Gefahr, dass wegen der damit verbundenen Unsicherheit über den zukünftigen Verbleib, der immer wieder auch amtswegig überprüft werden müsste, L. Persönlichkeitsentwicklung Schaden nimmt. Eine Verbleibensanordnung würde nicht nur zu einer erheblichen Verunsicherung der Eltern führen, weil keiner von ihnen weiß, auf welche Zeiträume er sich einlassen muss und somit bei den geringsten Veränderungen oder Äußerungen von L. zu erwarten ist, dass die Notwendigkeit einer derartigen Verbleibensanordnung in Frage gestellt wird. Der Senat hält es für wahrscheinlich, dass L. mit ihrer Sensibilität für die Erwartungshaltungen der Erwachsenen, die Schuld für eine mit einer Verbleibensanordnung verbundenen Verunsicherung insbesondere des Vaters auf sich nimmt und zur Überzeugung gelangt, es sei ihr „Versagen“, weil es ihr nicht gelungen sei, die Sachverständige und auch das Gericht von ihrem Wunsch zu überzeugen. L. wird zudem weiterhin dem bestehenden Loyalitätskonflikt massiv ausgesetzt sein, denn es ist zu erwarten, dass die Mutter - wie sollte sie es auch anderes in Erfahrung bringen - L. immer wieder darauf ansprechen wird, ob sie nicht nunmehr zur Mutter zurückkehren wolle. Angesichts der im Gutachten herausgearbeiteten Persönlichkeit von L. hält es der Senat auch für möglich, dass L. einer derartigen sie permanent dem Loyalitätskonflikt massiv spürbar werden lassenden Situation dadurch entweicht, indem sie sich anpasst und dem Druck dadurch ausweicht, dass sie ihre eigenen Interessen und Belange hinten anstellt und sich für die Mutter entscheidet, nur damit das Konfliktpotenzial (scheinbar) beseitigt wird. Ein derartiges Verhalten muss aber zur Vermeidung nachhaltiger Kindeswohlgefährdung zwingend vermieden werden, da dann zu erwarten ist, dass L. massiven Schaden in ihrer Persönlichkeitsentwicklung nimmt und zu befürchten ist, dass sie Frustrationen und Aggressionen, die sie dann in sich einschließen muss, nicht lernt offen zu verarbeiten, und daraus folgend später autoaggressive Verhaltensweisen oder unkontrolliertes Aggressionsverhalten zeigt oder sich in ein resignatives bis ins depressive gehendes Rückzugsverhalten flüchtet.

Wenn mithin wie hier absehbar ist, dass mit einer Rückkehr des Kindes in den Haushalt der Mutter gegenwärtig nicht in absehbarer Zeit zu rechnen ist, kann es nicht darum gehen, durch eine Verbleibensanordnung eine Wegnahme zur Unzeit zu verhindern, sondern es ist eine klare Regelung zu treffen, die dem wie hier stark verunsicherten Kind die notwendige Klarheit und Sicherheit gibt, die für eine weitere gesunde Entwicklung erforderlich ist (vgl. Siedhoff, FamRZ 1995, 1254, 1256; Palandt-Diederichsen, aaO zu § 1682 Rdnr. 7, FamRefK/Rogner, § 1682 Rdnr. 5). Mit dem Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts und dessen Übertragung auf den Vater ist diese Voraussetzung gegeben. Die gegenüber einer Verbleibensanordnung weitergehende Einschränkung des Elternrechts rechtfertigt sich durch die nur dadurch abzuwehrende Kindeswohlgefährdung. Ein weiterer Entzug von Bestandteilen der Personensorge oder gar der elterlichen Sorge insgesamt, wie dies vom Vater begehrt wird, ist hingegen nicht angezeigt. Es ist nicht ersichtlich, dass die Mutter mit Ausnahme der Frage des Aufenthalts des Kindes, nicht in der Lage ist, am Kindeswohl orientiert zu handeln. Weder hinsichtlich der Schule noch in Fragen der Gesundheits- oder Vermögensfürsorge ist erkennbar, dass die Eltern dies bislang nicht regeln konnten oder die Mutter hier eine notwendige Mitwirkung versagt hat. Im Übrigen erwartet der Senat von den Eltern, dass sie sich insoweit zusammenreißen und L. Angelegenheiten ohne Streit regeln können.

Dem Vater ist das Aufenthaltsbestimmungsrecht gemäß § 1680 Abs. 3, Abs. 2 S. 2 BGB zu übertragen, da dies dem Kindeswohl dient. Der Vater war für L. immer neben der Mutter die wichtigste Bezugsperson und seit fast zwei Jahren lebt sie bei ihm. Durch die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf dem Vater werden die bestehenden Bindungen gewahrt und zugleich die Kontinuität in der Betreuung und Erziehung sichergestellt. Zudem erhält L. die für sie so wichtige Sicherheit, dass ihr Aufenthalt beim Vater gesichert ist und ihrem Wunsch entsprochen wurde. Die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf den Vater fördert mithin das Wohl des Kindes.

Von der Bestellung eines Verfahrenspflegers für L. gemäß § 50 FGG ist abgesehen worden, da die Interessen des Kindes hinreichend von anderen Verfahrensbeteiligten, hier die Eltern, wahrgenommen werden konnten und zudem wegen der klaren Positionierung des Kindes im Rahmen der Begutachtung dessen Interessen in diesem Verfahren hinreichend vertreten waren.

Der Senat möchte abschließend klarstellen, dass er den Eindruck gewonnen hat, dass die Mutter aus ihrer Sicht sich als das „wahre Opfer“ ansieht. Denn nach ihrer Auffassung hat der Vater ihre Schwäche, nämlich die Krankheit, ausgenutzt, und L. , die zunächst mit ihrem Einverständnis von ihm mitgenommen worden ist, ihr dann dauerhaft vorenthalten. Es ist sicherlich aus Sicht der Mutter tragisch, dass letztendlich ihre Erkrankung, die ihr niemand zum Vorwurf macht, nun doch dazu führt, dass sie aus ihrer Sicht L. verloren hat. Der Senat kann nur an die Mutter appellieren, dass es ihr gelingen mag, diese innere Haltung, die natürlich mit einer großen Enttäuschung verbunden ist, zu überwinden, damit sie wieder L. als das eigentliche Opfer der Auseinandersetzung erkennen kann und sich dann in der Lage sieht, wieder an den Bedürfnissen von L. orientiert zu handeln. Es wäre wünschenswert, wenn sie L. Haltung akzeptieren könnte. An den Vater appelliert der Senat die in der letzten Anhörung angeklungenen Differenzen dadurch zu lösen, dass nicht L. die Entscheidungsgewalt zugewiesen bekommt, ob sie zur Mutter möchte oder nicht. Der Vater sollte zusammen mit der Mutter für klare Vorgaben sorgen und verhindern, dass L. durch Verabredungen mit Freundinnen oder Veranstaltungen im Dorf die vordergründige Gelegenheit erhält sich mit dem Vater zu solidarisieren, der sich z.B. aufgrund eines unerfreulichen Telefonats mit der Mutter geärgert hat, was ein Kind wie L. sofort wahrnimmt. Hier sind beide Eltern aufgefordert L. vor dem weiteren Konflikt zu beschützen. Auch wenn den Eltern es nicht gelungen ist, sich über den Aufenthalt von L. zu einigen, sollten sie dennoch überlegen, ob der von ihnen vorgenommene Versuch einer Mediation allein um L. gerecht zu werden, nicht doch noch einmal aufgegriffen werden sollte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 13 a Abs. 1 S. 1 FGG. Es besteht keine Veranlassung von dem im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit herrschenden Grundsatz, dass jede Partei ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt, abzuweichen. Die Wertfestsetzung folgt aus §§ 30 Abs.2 und 3, 131 Abs. 2 und 3 KostO.

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