FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12.07.2005 - 3 K 1669/02
Fundstelle
openJur 2012, 2305
  • Rkr:
Tatbestand

Die Klägerin ist Insolvenzverwalterin über das Vermögen der X... Bau GmbH (im folgenden: GmbH).

Der Beklagte erließ am 27.05.1997 gegenüber der GmbH hinsichtlich der Investitionszulage für die Jahre 1993 und 1994 Änderungs- und Zinsbescheide und forderte von dieser einen Gesamtbetrag in Höhe von insgesamt 102.255,- DM einschließlich Zinsen zurück, der jedoch nicht vollständig getilgt wurde.

Am 12.02.2001 gab die GmbH eine Lohnsteuer-Anmeldung für Januar 2001 über 19.375,91 DM einschließlich Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer beim Finanzamt ab.

Wegen offener Steuerforderungen erließ das Finanzamt am 02.03.2001 gegenüber der Y... Bank. eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung in Höhe von 61.866,35 DM, durch welche die Konten der GmbH gepfändet wurden. Der Kontenpfändung lagen im wesentlichen die Rückstände wegen angemeldeter Lohnsteuern, Solidaritätszuschläge und Kirchensteuern für Januar 2001 und Dezember 2000 sowie zurückzuzahlender Investitionszulage 1994 einschließlich Zinsen zugrunde. Die Zustellung an die Y... Bank. erfolgte am 06.03.2001, worauf diese mit Schreiben vom selben Tag die GmbH unter Angabe des Gläubigers und der Summe der Hauptforderung über die Pfändung informierte.

Am 14.03.2001 wurde der Anmeldungsbetrag für Lohnsteuer Januar 2001 aufgrund einer am 12.03.2001 unterzeichneten Anweisung von einem bei der Sparkasse L.... am 05.03.2001 eröffneten Konto der GmbH überwiesen, ging am 16.03.2001 beim Finanzamt ein und wurde dort am 20.03.2001 verbucht.

Zu denselben Zeitpunkten erfolgte eine weitere Überweisung der GmbH in Höhe von 32.418,38 DM für Umsatzsteuer-Vorauszahlungen Dezember 2000 bis Februar 2001. Die GmbH war seinerzeit  Organgesellschaft im Rahmen einer umsatzsteuerlichen Organschaft  der X...-Anlagen-Verwaltung GbR als Organträgerin, welche Schuldnerin der Umsatzsteuern Dezember 2000 bis Februar 2001 war.

Am 19.03.2001 ging beim Finanzamt der Beschluss des Amtsgerichts M.... vom 15.03.2001 über die Bestellung der Klägerin zur vorläufigen Insolvenzverwalterin ein; dem Beschluss lag ein Insolvenzantrag der GmbH vom selben Tag zugrunde. Ferner erhielt es am 20.03.2001, eine Drittschuldnererklärung der Y... Bank., wonach ein eigenes Pfandrecht an den gepfändeten Rechten bestehe.

Mit Beschluss vom 30.03.2001 eröffnete das Amtsgericht M.... zum 01.04.2001 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH und bestellte die Klägerin zur Insolvenzverwalterin.

Die Klägerin gab für Januar 2001 berichtigte Lohnsteuer-Anmeldungen ab, zunächst am 09.05.2001 über 0,- DM, dann am 11.05.2001 über 1.926,59 DM einschließlich Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer. Am 11.06.2001 buchte der Beklagte einen Betrag in Höhe von 19.363,99 DM von der Lohnsteuer Januar 2001 auf die Rückstände zur Investitionszulage 1993/1994 und Zinsen zur Investitionszulage um und übersandte der Klägerin darüber eine Umbuchungsmitteilung vom 15.06.2001. Diese enthielt den Zusatz:

"Sollten Sie mit den Buchungen nicht einverstanden sein, geben Sie bitte umgehend die beanstandeten Buchungen sowie Ihre Buchungswünsche mit Steuernummer, Steuerart/Abgabeart, Zeitraum und Betrag an. Eine Berücksichtigung Ihrer Buchungswünsche ist im Regelfall nur  bei vorgenommenen Buchungen auf noch nicht fällige Forderungen möglich."

Die Klägerin widersprach am 26.06.2001 der Umbuchung und forderte den Beklagten in der Folge zur Erstattung der 19.375,91 DM auf.

Am 06.12.2001 ging eine weitere berichtigte Lohnsteuer-Anmeldung der Klägerin für Januar 2001 über 0,- DM beim Finanzamt ein, worauf am 18.01.2002 der Betrag von 1.926,59 DM an die Klägerin per Verrechnungsscheck erstattet wurde.

Am 08.01.2002 hatte die Klägerin Leistungsklage auf Rückzahlung des sich nach der berichtigten Lohnsteuer-Anmeldung vom 11.05.2001 ergebenden Differenzbetrages von 17.449,32 DM (= 8.921,70 €) erhoben. Die unter dem Aktenzeichen 3 K 80/02 geführte Klage wurde nach Erlass eines Abrechnungsbescheides auf Hinweis des Gerichtes durch die Klägerin zurückgenommen.

In dem von der Klägerin angegriffenen Abrechnungsbescheid vom 26.03.2002 über Lohnsteuer Januar 2001 werden folgende Umbuchen und Erstattungen festgestellt:

DMLohnsteuerSolidaritätszuschl.Ev. Kirchenst..r.k. Kirchenst.Zahlung18.069,33836,04459,4411,13Umbuchung 11.06.01 auf InvZul. 199413.353,35Umbuchung 11.06.01 auf InvZul. 19941.916, 01Umbuchung 11.06.01 auf InvZul. 1993963, 95745,45459, 4411,13Erstattung 18.01.021.836,0090,59Den hiergegen erhobenen Einspruch vom 18.04.2002 wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 27.06.2002 zurück. Zur Begründung führte er aus, das Finanzamt sei durch § 96 Nr. 3 der Insolvenzordnung (InsO) nicht gehindert, die Aufrechnung vorzunehmen; insbesondere läge keine Anfechtungsmöglichkeit nach den §§ 130 und 131 InsO vor. Eine Anfechtung wegen inkongruenter Deckung nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO scheide aus, weil das Finanzamt die Befriedigung zu Recht und nicht vorzeitig erlangt habe. Denn die GmbH hätte den gezahlten Betrag aufgrund ihrer Lohnsteuer-Anmeldung bis zum 12.02.2001 zahlen müssen. Auch eine Anfechtung nach § 130 InsO komme nicht in Betracht. Die Rechtshandlung, welche dem Finanzamt die Möglichkeit der Aufrechnung gegeben habe, sei die Überweisung des Betrages gewesen. Maßgebender Zeitpunkt sei der Zahlungseingang gewesen, zu welchem dem Finanzamt weder die Zahlungsunfähigkeit der GmbH noch Umstände bekannt gewesen seien, die zwingend darauf hätten schließen lassen. Erstmals am 19.03.2001 habe das Finanzamt von dem Beschluss über die Bestellung der vorläufigen Insolvenzverwalterin und damit von einer möglichen Zahlungsunfähigkeit der GmbH erfahren. Eine Zahlungsunfähigkeit habe sich auch nicht aus der Notwendigkeit zur zwangsweisen Beitreibung von Verbindlichkeiten ableiten lassen. Aus dem Umstand, dass sämtlicher Zahlungsverkehr mit dem Finanzamt über ein und dasselbe Konto abgewickelt worden sei, ergebe sich nicht, dass die Schuldnerin nicht über weitere Konten verfüge. Die Kontenpfändung vom 02.03.2001 sei zudem die erste Vollstreckungsmaßnahme gegen die GmbH gewesen, so dass eine vorübergehende Zahlungsstockung hätte vorliegen können. Eine Mitteilung der Drittschuldnerin sei erst am 20.03.2001, der Insolvenzantrag erst am 19.03.2001 beim Finanzamt eingegangen.

Mit der am 16.07.2002 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie hält die Aufrechnung für unzulässig, weil der Erstattungsanspruch aus materiell zu Unrecht gezahlter Lohnsteuer, mit dem das Finanzamt aufgerechnet habe, den Arbeitnehmern, nicht aber dem Arbeitgeber - der GmbH - zustehe, so dass es an einer aufrechenbaren Hauptforderung fehle. Darüber hinaus sei die Aufrechnung mit fälligen Steuerforderungen gemäß § 96 Nr. 1 und 3 InsO unzulässig. Zum einen sei der Erstattungsanspruch erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden, zum anderen habe der Beklagte die Möglichkeit der Aufrechnung nur durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt. Die Zahlung der materiell nicht geschuldeten Lohnsteuer für Januar 2001 habe dem Finanzamt durch die Schaffung einer Aufrechnungslage und damit -möglichkeit zu einer inkongruenten Deckung verholfen. So habe dem Finanzamt die Befriedigung der angemeldeten Lohnsteuerschuld eine Deckung gewährt, die dieses nicht zu beanspruchen gehabt habe. Zudem habe die GmbH zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung gezahlt, weil der Beklagte zuvor bereits deren Geschäftskonto gepfändet habe. Schließlich sei der Schuldner bei Zahlung der Lohnsteuer bereits zahlungsunfähig gewesen, was der Beklagte bei Eingang der Zahlung gewusst habe. So habe dieser Kenntnis von erheblichen Steuerrückständen in Höhe von 61.522,35 DM gehabt und bereits Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen die GmbH durchgeführt. Des weiteren habe der Beklagte aus der Überweisung sehen können, dass die GmbH ihr bis dahin einziges Geschäftskonto nicht mehr habe nutzen können und ein Ausweichkonto eingerichtet worden sei. Schließlich würde durch Unregelmäßigkeiten bei Lohnsteueranmeldungen und -zahlungen die Inhaftungnahme des Geschäftsführers der GmbH indiziert. Dieser habe nur, um sich dieser Haftung zu entziehen, die Lohnsteuer für Januar 2001 noch überwiesen; in der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin klargestellt, es handele sich insoweit um eine Vermutung von ihr.

Die Klägerin beantragt, abweichend von dem Abrechnungsbescheid vom 26.03.2002 und der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 27.06.2002 ein Guthaben aus Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer Januar 2001 in Höhe von 17.449,32 DM (= 8.921,80 €) festzustellen.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Er ist der Auffassung, der Erstattungsanspruch sei bereits bei Zahlung der Lohnsteuer entstanden und stehe dem Arbeitgeber zu. Von der Zahlungsunfähigkeit der GmbH habe er keine Kenntnis gehabt. Die erstmalige Vollstreckungsmaßnahme belege nicht das Gegenteil, denn es habe sich auch um kurzfristige Zahlungsstockungen handeln können. Über welche Konten die GmbH habe verfügen können, sei für das Finanzamt nicht zwingend ersichtlich. Im übrigen habe die GmbH nicht zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung gezahlt, weil die Kontenpfändung bereits vollzogen gewesen sei und nicht mehr habe vermieden werden können.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der angefochtene Abrechnungsbescheid vom 26.03.2002 und die dazu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 27.06.2002 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

Über Streitigkeiten, welche die Verwirklichung für Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis betreffen, entscheiden die Finanzbehörden durch Verwaltungsakt, auch wenn es sich um einen Erstattungsanspruch handelt, § 218 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO). Abweichend von der in dem angegriffenen Bescheid getroffenen Regelung ergibt sich zugunsten der Klägerin ein Guthaben aus Lohnsteuer (16.233,30 DM), Solidaritätszuschlag (745,45 DM) und Kirchensteuer (ev.: 459,44 DM; r.k.: 11,13 DM) Januar 2001, in einer Gesamthöhe von 17.449,32 DM (= 8.921,70 €), denn deren Erstattungsanspruch ist nicht durch Aufrechnung durch den Beklagten erloschen.

Es bestand zwar eine Aufrechnungslage, die vom Beklagten erklärte Aufrechnung war jedoch insolvenzrechtlich nicht zulässig.

Die der Klägerin zugegangene Umbuchungsmitteilung des Finanzamtes vom 15.06.2001 stellt eine Aufrechnungserklärung dar. Eine Aufrechnungserklärung kann formlos und durch ein für den Empfänger erkennbares schlüssiges Handeln abgegeben werden, wenn der Erklärung der klare und unzweideutige Wille des Aufrechnenden zur Tilgung und Verrechnung entnommen werden kann. Eine - auch maschinell erstellte - Umbuchungsmitteilung genügt dieser Anforderung, wenn sie die klare Aussage enthält, dass hierdurch Haupt- und Gegenforderung getilgt werden sollen (vgl. Bundesfinanzhof [BFH], Urteil vom 06.02.1990 - VII R 86/88 -, Bundessteuerblatt II [BStBl II] 1990, 523; Rozek, in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 226 AO Rdn. 103 m.w.N.). So verhält es sich hier. In der streitigen Mitteilung hat der Beklagte unmissverständlich erklärt, wie er den Lohnsteuer-Erstattungsanspruch der Klägerin umgebucht, das heißt mit welchen Gegenforderungen verrechnet hat. Die Erklärung des Finanzamtes steht auch nicht etwa unter der Bedingung, dass der Steuerpflichtige nicht widerspricht. Der Beklagte hat klar angezeigt, in welcher Höhe und mit welchen nach Grund und Betrag bezeichneten Gegenforderungen er den Erstattungsanspruch der Klägerin umgebucht, das heißt verrechnet hat, so dass die umgebuchten Beträge nicht mehr als Erstattungsleistung zur Verfügung stehen. Der Mitteilung lässt sich nicht entnehmen, dass das Finanzamt die Voraussetzungen für eine einseitige Aufrechnung nicht als gegeben ansieht, aber gleichwohl eine Tilgung der wechselseitigen Forderung herbeiführen möchte. Der Beklagte hat lediglich für noch nicht fällige Forderungen einen Vorbehalt hinsichtlich der Umbuchung gemacht und damit seine Bereitschaft erklärt, bei einer nicht fälligen Gegenforderung einen abweichenden Wunsch des Steuerpflichtigen entgegenzunehmen. In Bezug auf fällige Forderungen hat er die Berücksichtigung von Buchungswünschen des Steuerzahlers im Regelfall ausgeschlossen und somit klargestellt, dass die Verrechnung und Tilgung grundsätzlich greifen soll. So hat es auch die Klägerin verstanden, da sie in ihrem Schreiben vom 26.06.2001 der Umbuchung widersprochen hat.

Im Zeitpunkt der Aufrechnung lagen auch die allgemeinen Voraussetzungen für eine Aufrechnung gemäß § 226 AO in Verbindung mit § 387 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) vor. Insbesondere waren die Ansprüche gegenseitig in dem Sinne, dass jeweils der Schuldner des einen Anspruchs der Gläubiger des anderen war, weil der Lohnsteuer-Erstattungsanspruch der Klägerin und nicht den Arbeitnehmern der GmbH zustand. Meldet nämlich der Arbeitgeber zu Unrecht Lohnsteuer an und führt er sie ab, obwohl sie mangels Lohnzahlung nicht zu erheben ist, so steht ihm und nicht den Arbeitnehmern nach § 37 Abs. 2 AO ein Erstattungsanspruch zu. Denn nach § 37 Abs. 2 Satz 1 AO hat derjenige einen solchen Erstattungsanspruch, auf dessen Rechnung eine Steuer ohne rechtlichen Grund gezahlt worden ist. Lohnsteuer wird vom Arbeitgeber, obgleich der Arbeitnehmer nach § 38 Abs. 2 Satz 1 Einkommensteuergesetz (EStG) dieselbe schuldet, nicht etwa gemäß § 48 Abs. 1 AO als Drittem für Rechnung des Arbeitnehmers an das Finanzamt geleistet, sondern zur Erfüllung der den Arbeitgeber selbst treffenden Steuerentrichtungspflicht auf eigene Rechnung (BFH, Beschluss vom 15.11.1999 - VII B 155/99 -, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH [BFH/NV] 2000, 547).

Der Anspruch, gegen den aufgerechnet worden ist (Hauptforderung), bestand des weiteren rechtswirksam. Das ist der Fall, wenn der Aufrechnende die ihm obliegende Leistung bewirken kann, § 387 BGB, der Anspruch also erfüllbar ist. Erfüllbar ist ein Anspruch mit seiner Entstehung, § 38 AO. Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall erfüllt, denn der Lohnsteuer-Erstattungsanspruch der Klägerin war im Zeitpunkt der Erklärung der Aufrechnung durch das Finanzamt bereits entstanden. Nach der vom Bundesfinanzhof vertretenen materiellen Rechtsgrundtheorie entsteht ein Erstattungsanspruch bereits dann, wenn etwas gezahlt ist, was nach dem materiellen Recht nicht geschuldet ist, und zwar unabhängig davon, ob bereits eine dem Erstattungsanspruch entsprechende Steuerfestsetzung (Änderung oder Berichtigung) vorliegt oder nicht (vgl. BFH, Urteil vom 26.04.1994 - VII R 109/93 -, BFH/NV 1994, 839; BFH, Urteil vom 30. 03.1993 - VII R 108/92 -, BFH/NV 1993, 583; s.a. Brockmeyer, in Klein, AO, 8. Aufl. 2003, § 37 Rdn. 4 ff.). Die Zahlung von Lohnsteuern für Januar 2001 entsprechend der Anmeldung vom 12.02.2001 war mangels Lohnzahlung der GmbH für diesen Monat nicht geschuldet, so dass der Lohnsteuer-Erstattungsanspruch bereits vor der Aufrechnungserklärung entstanden war. Allerdings ist die Entstehung des Erstattungsanspruchs aufschiebend bedingt durch den Wegfall des formellen rechtlichen Grundes, also die Aufhebung des entgegenstehenden Bescheides, hier der Lohnsteuer-Anmeldung für Januar 2001, die einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht, § 168 Satz 1 AO (vgl. Brockmeyer, in Klein, AO, § 37 Rdn. 5). Unbedingt und damit erfüllbar ist der Erstattungsanspruch daher erst mit der berichtigten Anmeldung und der Zustimmung der Finanzbehörde nach § 168 Satz 2 AO entstanden. Diese Zustimmung ist im Zeitpunkt der Aufrechnung gegenüber der Klägerin bekannt gegeben worden, so dass die Hauptforderung bei Aufrechnung erfüllbar war. Zwar ist aus dem Lohnsteuer-Überwachungsbogen 2001 - Abfrage 28.08.02 - eine Zustimmung zu den berichtigten Anmeldungen nicht ersichtlich. Die Umbuchung/Aufrechnung durch das Finanzamt beinhaltet jedoch die Erklärung des Bestehens des Erstattungsanspruchs und damit konkludent die - nach § 168 Satz 3 AO formlos mögliche - Zustimmung. Der Umstand, dass die Bekanntmachung der Zustimmung und damit die Entstehung der Hauptforderung mit der Aufrechnungserklärung zusammenfällt, steht dem nicht entgegen (vgl. zur Fälligkeit der Gegenforderung BFH, Urteil vom 25.04.1989 - VII R 36/87 -, BStBl II 1990, 352 "vor oder mit der Aufrechnung"; Loose, in Tipke/Kruse, AO, § 226 Rdn 36).

Da die Forderungen gleichartig und die Ansprüche des Finanzamtes auf Rückerstattung der zuviel gezahlten Investitionszulage 1993 und 1994 sowie auf Zinsen nach § 8 Investitionszulagengesetz (InvZulG) (= Gegenforderungen) bereits im Jahr der Festsetzung (1997) fällig geworden sind, lag im Zeitpunkt der Aufrechnung eine - nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingetretene (§ 95 Abs. 1 Satz 1 InsO) - Aufrechnungslage vor. § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO steht der Aufrechnung nicht entgegen, weil der Lohnsteuer-Erstattungsanspruch (Hauptforderung) mangels früherer Zustimmung gemäß § 168 Satz 2 AO nicht "vor" Entstehen der Aufrechnungslage fällig geworden ist.

Die Aufrechnung des Beklagten verstößt auch nicht gegen § 96 Nr. 1 InsO, weil der zur Masse gehörende Lohnsteuer-Erstattungsanspruch der Klägerin insolvenzrechtlich bereits im Zeitpunkt der Zahlung der Lohnsteuer am 16.03.2001 (Gutschrift auf dem Konto der Finanzbehörde, § 224 Abs. 2 Nr. 2 AO, § 140 Abs. 1 InsO) begründet gewesen ist (Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 5. Auflage, S. 74 m.w.N.; vgl. auch BFH, Urteil vom 20.07.2004 - VII R 28/03 -, Der Betrieb [DB] 2004, 2250 - Leitsatz -; Bundesgerichtshof [BGH], Urteil vom 29.06.2004 - IX ZR 147/03 -, Deutsches Steuerrecht [DStR] 2004, 1839).

Die Klage hat aber Erfolg, weil das Finanzamt durch die Aufrechnung eine inkongruente Deckung im Sinne von §§ 96 Nr. 3, 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO erlangt hat.

Das Finanzamt hat die Aufrechnungsmöglichkeit durch eine anfechtbare Rechtshandlung erhalten, so dass die Aufrechnung nach § 96 Nr. 3 InsO unzulässig war. Nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist eine Rechtshandlung anfechtbar, die einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat, die er nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte (inkongruente Deckung), wenn die Handlung im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag vorgenommen worden ist.

Maßgeblich sind alle Rechtshandlungen, die zu einer Deckung geführt oder diese ermöglicht haben, unabhängig davon, ob sie von dem Schuldner, dem Gläubiger oder einem Dritten vorgenommen worden sind. Im vorliegenden Fall stellt die durch die GmbH erfolgte Überweisung der angemeldeten Lohnsteuer für Januar 2001, die mit dem Eingang auf dem Konto der Finanzamtes vollzogen ist, eine solche Rechtshandlung dar, weil damit ein Erstattungsanspruch zur Entstehung gebracht worden ist, der die Aufrechnungslage erst begründet hat.

Diese Zahlung hat dem Finanzamt eine inkongruente Deckung verschafft, denn die Zahlung wurde unter dem Druck einer unmittelbar drohenden Zwangsvollstreckung gewährt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine während der "kritischen" Zeit im Wege der Zwangsvollstreckung erlangte Sicherung oder Befriedigung als inkongruent anzusehen (BGH, Urteil vom 11.04.2002 - IX ZR 211/01 - Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis [ZIP] 2002, 1159, m.w.N.). Das die Einzelzwangsvollstreckung beherrschende Prioritätsprinzip wird durch das System der insolvenzrechtlichen Anfechtungsregeln eingeschränkt, wenn für die Gesamtheit der Gläubiger nicht mehr die Aussicht besteht, aus dem Vermögen des Schuldners volle Deckung zu erhalten. Dann tritt die Befugnis des Gläubigers, sich mit Hilfe hoheitlicher Zwangsmittel eine rechtsbeständige Sicherung oder Befriedigung der eigenen fälligen Forderungen zu verschaffen, hinter dem Schutz der Gläubigergesamtheit zurück. Für die Beurteilung der Anfechtbarkeit ist es vor diesem Hintergrund nicht wesentlich, ob die Zwangsvollstreckung im formalrechtlichen Sinne schon begonnen hat. Da § 131 InsO die Rechtsstellung der Masse stärkt, ist eine Befriedigung oder Sicherung auch dann inkongruent, wenn diese unter dem Druck einer unmittelbar drohenden Zwangsvollstreckung gewährt wurde, der Gläubiger also zum Ausdruck gebracht hatte, er werde alsbald die Mittel der Vollstreckung einsetzen, wenn der Schuldner die Forderung nicht erfülle (BGH, Urteil vom 11.04.2002 - IX ZR 211/01 - a.a.O., m.w.N.).

Dies zugrundegelegt hat die nach der vollzogenen Kontenpfändung erfolgte Überweisung der Lohnsteuer für Januar 2001 dem Beklagten eine inkongruente Deckung verschafft. Unerheblich ist dabei, dass die Vollstreckungsmaßnahme der Kontenpfändung im Zeitpunkt der Zahlungsanweisung bereits durchgeführt war und durch die Zahlung der GmbH weder vermieden noch abgewendet werden konnte. Wenn eine im Wege der Zwangsvollstreckung erlangte Befriedigung des Gläubigers einerseits sowie eine Befriedigung aufgrund des Drucks einer lediglich angedrohten Zwangsvollstreckung andererseits zu einer inkongruenten Deckung führen, kann nach dem Sinn und Zweck des § 131 Abs. 1 InsO nichts anderes für den Fall gelten, dass ein Vollstreckungsversuch bereits erfolgt ist. Der Druck einer unmittelbar drohenden Zwangsvollstreckung auf den Schuldner endet nämlich nicht mit der - erfolglosen - Durchführung einer einzelnen Vollstreckungsmaßnahme. Im Gegenteil führt eine solche Vollstreckungsmaßnahme dem Schuldner deutlich vor Augen, dass einer seiner Gläubiger nicht mehr zuwartet oder mit hoheitlicher Zwangsmitteln nur droht, sondern tatsächlich entsprechende Maßnahmen ergreift, um die Schuld beizutreiben. Darin liegt eine erhebliche Erhöhung des auf ihn ausgeübten Drucks zugunsten des betreffenden Gläubigers und zu Lasten der anderen Gläubiger. Zwar ist mit der erfolgten Kontenpfändung bereits ein erheblicher Nachteil im Hinblick auf das Handeln und das geschäftliche Ansehen des Schuldners eingetreten. Dies ändert jedoch nichts daran, dass dieser nun umso mehr damit rechnen muss, dass weitere Vollstreckungsmaßnahmen ergriffen werden, die seinen wirtschaftlichen Bewegungsspielraum einengen und einen Fortgang der noch laufenden Geschäfte beeinträchtigen oder zum Stillstand bringen. Es besteht daher kein Anlass, den Gläubiger, der nach (erfolgloser) Durchführung einer einzelnen Vollstreckungsmaßnahme eine Befriedigung vom Schuldner erlangt, besser als denjenigen zu stellen, der die Befriedigung aufgrund einer "nur drohenden" Zwangsvollstreckung erhält. Da eine Vollstreckung unter anderem in die bestehenden Forderungen der GmbH, die vorhandenen Sachmittel oder eventuell auch in das Konto bei der Sparkasse L.... möglich war, bestand weiterhin der Druck einer unmittelbar drohenden Zwangsvollstreckung.

Die GmbH hat die Überweisung der angemeldeten Lohnsteuer für Januar 2001 unter dem Druck dieser unmittelbar drohenden Zwangsvollstreckung vorgenommen. Die Drittschuldnerin, die Y... Bank., hat die GmbH dringlich schon mit Schreiben vom Tag der Zustellung der Pfändungs- und Einziehungsverfügung bei ihr, dem 06.03.2001, über die Kontenpfändung informiert. Auch unter Berücksichtigung der Postlaufzeit ist daher sicher davon auszugehen, dass die GmbH bei Unterzeichnung des Überweisungsauftrages am 12.03.2001 Kenntnis von der Vollstreckung durch den Beklagten hatte. Aus der angegebenen Höhe der Hauptforderung hat die GmbH zudem erkennen können, dass die Vollstreckung die fälligen Steuerforderungen des Finanzamtes im wesentlichen umfasste, es sich insbesondere nicht lediglich um eine Beitreibung einzelner bestimmter Rückstände handelte. Da es sich ausgehend von dem Gutachten der Klägerin in dem Insolvenzeröffnungsverfahren um die einzige Einzelvollstreckungsmaßnahme gegen die GmbH in dem Zeitraum vor Insolvenzantragstellung gehandelt hat und die Überweisung in sehr engem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit dieser Vollstreckungsmaßnahme erfolgt ist, führt dies zu der Schlussfolgerung, dass die GmbH unter dem Eindruck der Kontenpfändung eine (weitere) Vollstreckung des Finanzamtes gegen sich vermeiden wollte und zu diesem Zweck fällige Steuerforderungen, insbesondere Lohnsteuer Januar 2001, überwiesen hat.

Soweit die Klägerin in dem Schreiben vom 11.06.2001 an das Finanzamt die Vermutung geäußert hat, die Überweisung gerade der Lohnsteuer Januar 2001 könne zur Vermeidung einer eventuell drohenden Haftungs-Inanspruchnahme des Geschäftsführers der GmbH erfolgt sein, steht dem nach Auffassung des Senats der Umstand entgegen, dass die GmbH gleichzeitig auch Umsatzsteuer-Vorauszahlungen beglichen hat. Zur Vermeidung einer persönlichen Inhaftungnahme hätte es vielmehr nahe gelegen, stattdessen weitere offene Lohnsteuerrückstände - hier Dezember 2000 - zu begleichen, weil insoweit - anders als etwa bei der Umsatzsteuer - nicht eine Haftung entsprechend der Tilgungsquote, sondern vielmehr eine Haftung in voller Höhe drohte. Vor allem aber war die GmbH aufgrund der umsatzsteuerlichen Organschaft nicht Schuldnerin der Umsatzsteuer, so dass insoweit eine Inhaftungnahme ihres Geschäftsführers nicht in Betracht kam. Die Überweisungen sollten daher nach Auffassung des Senats die Zahlungswilligkeit der GmbH gegenüber dem Finanzamt dokumentieren und dieses zur einstweiligen Einstellung weiterer Vollstreckungsmaßnahmen bewegen, nicht aber eine eventuelle Haftungssumme verringern.

Selbst wenn die Überweisung der Lohnsteuerrückstände für Januar 2001 eventuell durch den Willen des Geschäftsführers, eine persönliche Inhaftungnahme zu vermeiden, mitveranlasst worden wäre, würde dies nach Auffassung des Senats eine Anfechtbarkeit der Überweisung im Sinne von § 131 Abs. 1 InsO nicht ausschließen. Schon dann, wenn die Überweisung durch den von der Einzelvollstreckung ausgehenden Druck jedenfalls mitveranlasst worden ist, berührt dies den Schutz der Gläubigergesamtheit im Insolvenzverfahren, so dass die Rechtsfolge der §§ 96 Nr. 3, 131 Abs. 1 InsO eingreift. Maßgeblich ist die objektive Benachteiligung der anderen Gläubiger.

Die weiteren Voraussetzungen des § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO liegen vor, denn die anfechtbare Rechtshandlung ist im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung - ZPO -.

Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.