FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14.07.2005 - 1 K 1386/04
Fundstelle
openJur 2012, 2302
  • Rkr:
Tatbestand

Die Sache befindet sich im zweiten Rechtsgang.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte die Klägerin zu Recht als Mitgesellschafterin einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts wegen Steuerschulden der Gesellschaft als Haftende in Anspruch nehmen durfte bzw., ob er dies aus dem Grund eines von der Klägerin hinsichtlich ihrer Gesellschafterstellung erzeugten Rechtsscheins durfte.

Am 14. Juni 1991 ging beim Beklagten die Mitteilung über die Gewerbeanmeldung einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts -GbR- Hxxx x xxx gegenüber dem Bezirksamt Kxxx ein. Diese GbR sollte sich aus der Klägerin und der Beigeladenen des Klageverfahrens 1 K 1xxx/04 (wegen gesonderter und einheitlicher Feststellung von Besteuerungsgrundlagen 1991), Frau xxx Hxxx, zusammensetzen. Der zweimaligen Aufforderung des Beklagten an die Klägerin, eine steuerliche Anmeldung einzureichen, folgte diese nicht.

Nach der im Oktober 1993 erfolgten Mitteilung über die zwischenzeitlich erfolgte Gewerbeabmeldung schrieb der Beklagte im Juni 1994 an die Klägerin, dass sie nach den Mitteilungen des Bezirksamts in der Zeit vom 28. Januar 1991 bis zum 31. Januar 1992 an der GbR Hxxx x xxx beteiligt gewesen sei. Gleichzeitig wurde sie gebeten, die noch ausstehenden steuerlichen Erklärungen für 1991 einzureichen. Auch dieser Aufforderung kam die Klägerin nicht nach.

Am 13. September 1994 erließ der Beklagte einen Bescheid über Umsatzsteuer für 1991  gegenüber der "GbR Hxxx x xxx" und gab ihn in jeweils einer Ausfertigung der Klägerin wie auch ihrer - angeblichen - Mitgesellschafterin Hxxx bekannt. Dabei wurden die Besteuerungsgrundlagen mangels Abgabe einer Steuererklärung geschätzt, mit 71 600,00 DM an steuerpflichtigen Lieferungen, sonstigen Leistungen und Eigenverbrauch und einer hierauf entfallenden Umsatzsteuer in Höhe von 14 %, entsprechend 10 024,00 DM. Hiervon zog der Beklagte 200,00 DM an Vorsteuerbeträgen ab sowie einen Kürzungsbetrag nach § 13 Berlinförderungsgesetz -BerlinFG- in Höhe von 720,00 DM und setzte somit eine Umsatzsteuer von 9 104,00 DM fest.

Am 15. September 1994 erließ er einen Bescheid auch für 1992 mit einer Steuerfestsetzung von 1 166,00 DM, auch insoweit nach geschätzten Besteuerungsgrundlagen.

Einsprüche wurden gegen diese Steuerbescheide nicht eingelegt.

Für die GbR wurden im streitbefangenen Zeitraum 1991/Anfang 1992 auch keine Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben. Für 1991 wie auch 1992 setzte der Beklagte deshalb Umsatzsteuervorauszahlungen aufgrund geschätzter Besteuerungsgrundlagen fest, quartalsweise für 1991 und monatsweise für 1992, jedoch nach dem Inhalt der erst im Verhandlungstermin vom 14. Juli 2005 vorgelegten Umsatzsteuer-Voranmeldungsakte erstmals für den Voranmeldungszeitraum August 1992 gegenüber der GbR Hanke & Fels (durch Bescheid vom 16. November 1992), während die Bescheide für vorangegangene Zeiträume eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts "Hxxx, Axxx u. Oxxx, Axxx" betrafen.

Mit einem Schreiben vom 22. November 1994 kündigte der Beklagte an, die Klägerin wegen der rückständigen Steuerschulden und Nebenleistungen als Gesellschafterin der GbR gemäß §§  427, 421 Bürgerliches Gesetzbuch -BGB- in Haftung nehmen zu wollen und gab ihr Gelegenheit, sich hierzu binnen drei Wochen zu äußern.

Daraufhin erwiderte die Klägerin mit einem Schreiben ihrer damaligen Bevollmächtigten, dass sie von Frau Hxxx lediglich eine Vergütung für die Hingabe ihres Meistertitels erhalten habe, sodass es sich (bei dem Steuerpflichtigen) nicht um eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts gehandelt habe, sondern um ein Einzelunternehmen, weshalb sie nicht zur Haftung herangezogen werden könne.

Der Beklagte folgte dem nicht und erließ am 8. Juni 1995 einen Haftungsbescheid gegenüber der Klägerin über insgesamt 14 787,81 DM betreffend die Steuern und steuerlichen Nebenleistungen, die im Einzelnen in einer Anlage aufgeführt waren, die Bestandteil des Haftungsbescheides war (s. Bl. 60 ff., 62 d. Umsatzsteuerakten) und auf die Bezug genommen wird.

Zur Begründung gab der Beklagte an, dass sehr wohl von einer GbR auszugehen sei, da ohne die Beteiligung der Klägerin unter Berücksichtigung der Handwerksordnung das Friseurgeschäft gar nicht zu betreiben gewesen wäre. Die weitere Gesamtschuldnerin Hxxx werde in Anspruch genommen, sobald deren Aufenthaltsort ermittelt worden sei.

Den hiergegen fristgerecht eingelegten Einspruch begründete die Klägerin damit, dass ihre Haftung nach einem Zusatzvertrag vom 5. Februar 1991 zum Gesellschaftsvertrag ausgeschlossen sei.

Hinsichtlich der Vertragstexte des Gesellschaftsvertrags wie auch des Zusatzvertrags wird auf Bl. 36 ff. der Streitakte sowie auf Bl. 71 der Umsatzsteuerakte verwiesen, wobei der von der Klägerin in Kopie vorgelegte Gesellschaftsvertrag eine offenbar später vorgenommene Umschreibung auf einen anderen Vertragspartner enthält, die für das vorliegende Verfahren unbeachtlich ist.

Die Klägerin führt hierzu aus, sie habe nur ihren Meistertitel zur Verfügung gestellt, wie bei Friseurbetrieben durchaus üblich. Erst als man die streitgegenständlichen Steuern bei Frau Hxxx nicht habe beitreiben können, habe das Finanzamt nach einer weiteren Steuerschuldnerin gesucht. Erst dann habe man mit der Auskunft des Bezirksamts Kxxx gemeint, eine gesamtschuldnerische Haftung gegenüber der Klägerin begründen zu können. Diese Vorgehensweise sei rechtlich fehlerhaft. Die von der Klägerin geleistete Hilfestellung dahingehend, Frau Hxxx die Zulassung zum Betreiben eines Friseurfachgeschäfts nach der Handwerksordnung zu verschaffen, könne isoliert betrachtet rechtswidrig gewesen sein. Ordnungswidrigkeiten nach der Handwerksordnung könnten jedoch nicht automatisch auch eine gesamtschuldnerische Haftung in steuerrechtlicher Hinsicht begründen. Die Klägerin habe die vertragliche Vereinbarung mit Frau Hxxx nur zur Vorlage beim Bezirksamt unterzeichnet und danach sofort eine Aufhebungsvereinbarung getätigt, bevor Frau Hxxx überhaupt in der Lage gewesen wäre, das streitgegenständliche Friseurfachgeschäft zu betreiben und steuerpflichtige Rechtsgeschäfte auszulösen. Die Klägerin habe noch nicht einmal einen Rechtsschein gesetzt, aus dem heraus der Beklagte bei Entstehen der streitgegenständlichen Steuerschulden davon habe ausgehen müssen bzw. können, dass auch die Klägerin neben Frau Hxxx Geschäftsinhaberin gewesen sei.

Mit Einspruchsentscheidung vom 13. Juli 2000 minderte der Beklagte die Haftungssumme auf 12 868,00 DM hinsichtlich der bis dahin von der Haftung mit umfassten Teilbeträge wegen Umsatzsteuer 1990, Verspätungszuschlag zur Umsatzsteuer 1990 sowie Verspätungszuschläge zur Umsatzsteuer für die Monate ab Februar 1992.

Im Übrigen wies er den Einspruch als unbegründet zurück, weil die Klägerin als Gesellschafterin der GbR zivilrechtlich aus den §§ 421 und 427 BGB hafte. Sie müsse demnach für die Umsatz- und Lohnsteuerschulden der Gesellschaft einstehen, die vom 28. Januar 1991 bis zum 31. Januar 1992 entstanden seien. Eine Vereinbarung der Gesellschafter untereinander, dass ein Gesellschafter ganz oder teilweise aus der Haftung genommen werde, sei Dritten gegenüber unwirksam, da gemäß § 421 BGB alle Gesellschafter zur Bewirkung der Leistung verpflichtet seien. Derartige Vereinbarungen berührten nur das Innenverhältnis der Gesellschaft. Das Finanzamt könne die Leistung nach seinem Belieben von jeder der ehemaligen Gesellschafterinnen der GbR ganz oder zum Teil fordern.

Die Behauptung der Klägerin, sie sei nie Gesellschafterin einer GbR gewesen, sei durch den vorgelegten Ergänzungsvertrag zum Gesellschaftsvertrag und durch das Verhalten der Klägerin gegenüber dem Finanzamt bis zum Erlass des Haftungsbescheides widerlegt. In dem den Gesellschaftsvertrag ergänzenden Vertrag werde die Klägerin als Gesellschafterin bezeichnet. Weiterhin werde dort ein Gewinnanteil der Klägerin vereinbart. Ferner heiße es dort, dass Änderungen des Vertrages der Schriftform bedürften. Eine Aufhebungsvereinbarung sei jedoch nie vorgelegt worden. Auch spreche das Verhalten der Klägerin gegenüber dem Finanzamt gegen ihre Behauptung, nie Gesellschafterin gewesen zu sein, da sie selbst nach Erhalt des Feststellungsbescheides für 1991 zwar Einspruch eingelegt, nicht jedoch - so sinngemäß - der Annahme einer BGB-Gesellschaft und ihrer Behandlung als Gesellschafterin widersprochen habe. Erst bei der Inanspruchnahme durch Haftungsbescheid habe sie vorgetragen, nie Gesellschafterin gewesen zu sein. Derjenige, der dem Finanzamt gegenüber als Gesellschafter einer Personengesellschaft auftrete, müsse sich nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs -BFH- nach dem Maß des von ihm erweckten Rechtsscheins als Gesellschafter behandeln lassen, was auch hinsichtlich der Haftung gelte. Der Beklagte bezieht sich hierzu auf zwei Entscheidungen des BFH vom 20. Januar 1977, Bundessteuerblatt -BStBl- II 1977, 364 und vom 4. März 1986, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH -BFH/NV- 1986, 646.

Mit der fristgerecht erhobenen Klage macht die Klägerin weiter geltend, nicht Gesellschafterin einer GbR Hxxx x xxx gewesen zu sein.

Die Klägerin hat beantragt,

den Haftungsbescheid vom 8. Juni 1995 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13. Juli 2000 aufzuheben,

hilfsweise,

die Revision zuzulassen,

sowie die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er bezieht sich auf die Gründe der Einspruchsentscheidung und verweist auf den von der Klägerin unterschriebenen Gesellschaftsvertrag. Außerdem hat er schriftsätzlich erklärt, dass er ergänzend nach § 102 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung -FGO- darauf hinweise, dass die Haftungsinanspruchnahme innerhalb der nach § 5 Abgabenordnung -AO- zu beachtenden Ermessensgrenzen erfolgt sei. Da die Tilgung der Rückstände durch die Steuerschuldnerin nicht habe erreicht werden können insbesondere deshalb, weil die GbR zum 31. Januar 1992 aufgelöst worden sei, sei es ermessensgerecht gewesen, die Klägerin mit dem vollen Betrag zur Haftung heranzuziehen. Sie sei lt. Gesellschaftsvertrag vom 21. Januar 1991 zu 30 v. H. und damit zu einem wesentlichen Teil an der GbR beteiligt gewesen und habe somit bestimmenden Einfluss auf die Geschäftsführung ausüben können.

Eine Überprüfung der Haftungsinanspruchnahme der anderen Gesellschafterin habe erst nach der erfolgreichen Ermittlung der Postanschrift erfolgen können. Insoweit seien die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung, wonach das Finanzamt die Leistung nach seinem Belieben von jeder der ehemaligen Gesellschafterinnen der GbR ganz oder zum Teil fordern könnte, lediglich das Zitat der haftungsbegründenden Gesetzesnorm und keine abschließende Ermessenserwägung.

Dem Senat haben bei seiner Entscheidung drei Bände der vom Beklagten zur Steuernummer xxx (früher: xxx) geführten Steuerakten (je ein Band Feststellungs-, Gewerbesteuer- und Umsatzsteuerakten) vorgelegen sowie ein Band Umsatzsteuervoranmeldungsakten zur Steuernummer xxx.

Gründe

Die Klage ist zulässig und auch begründet.

Die Klägerin ist durch die Inanspruchnahme mit Haftungsbescheid vom 8. Juni 1995 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13. Juli 2000 in ihren Rechten verletzt.

Nach ständiger Rechtsprechung der Finanzgerichtsbarkeit haftet der Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts für die Steuerschulden der Gesellschaft auf der Rechtsgrundlage der §§ 421, 427 BGB bzw. nach neuerer Auffassung nach § 128 Handelsgesetzbuch -HGB- analog.

Im Streitfall ist eine Haftung der Klägerin als Gesellschafterin aber deshalb ausgeschlossen, weil keine Gesellschaft bürgerlichen Rechts zustande gekommen ist, wie dies der Senat in seinem Urteil vom selben Tag in Sachen der Klägerin wegen einheitlicher und gesonderter Einkünftefeststellung 1 K 1xxx/04 im Einzelnen ausgeführt hat. Auf die Gründe jenes Urteils, dort Bl. 6 - 7, die dem vorliegenden Urteil nochmals beigeheftet sind, wird insoweit verwiesen.

Eine Inanspruchnahme der Klägerin wegen Haftung könnte sich deshalb nur auf Rechtsscheingesichtspunkte gründen, die der Beklagte in der Einspruchsentscheidung mit angeführt hat. Die Voraussetzungen einer Rechtsscheinhaftung liegen nach Auffassung des Senats im Streitfall jedoch nicht vor.

Die Rechtsscheinhaftung hat ihren Ursprung im Handelsrecht. Wird die Eigenschaft als Kaufmann oder das Bestehen einer (Handels-) Gesellschaft vorgetäuscht, führt dies nach herrschender Lehre zur sog. Rechtsscheinhaftung (vgl. Baumbach/Hopt, HGB § 5 Tz. 9). Sie ist Teil der Vertrauenshaftung (Hopt a. a. O.), gründet also auf den gesetzten Rechtsschein, der zu einem berechtigten Vertrauen Dritter in den Scheintatbestand führt. Die Lehre von der Rechtsscheinhaftung ist von der Rechtsprechung auch für andere Rechtsgebiete übernommen worden, s. etwa die im Tatbestand angeführten Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (BStBl II 1977, 364 und BFH/NV 1986/646) sowie Finanzgericht München, Urteil 14 K 5376/01 vom 1. April 2004, nicht veröffentlicht, und Bundessozialgericht, Urteil vom 12. November 1986 IX B RU 8/84. Nach dem letztzitierten Urteil ist der Rechtsgrundsatz einer Haftung aus Rechtsschein aufgrund eines zum Schein geschlossenen Gesellschaftsvertrags im Zivilrecht allgemein anerkannt. Das Rechtsinstitut des Rechtsscheins gelte ebenso im öffentlichen Recht und sei als haftungsbegründender Tatbestand auch im Sozialrecht anwendbar.

Im Leitsatz des (im BFH-Urteil vom 4. März 1986 VII R 133/80 als Grundsatzurteil bezeichneten) Urteil des V. Senats des BFH vom 20. Januar 1977 heißt es: "Wer sich dem Finanzamt gegenüber als Gesellschafter einer Personengesellschaft geriert, muss sich auch bei Nichtbestehen der Gesellschaft nach dem Maß des von ihm erweckten Rechtsscheins als Gesellschafter behandeln lassen". Die anderen Urteile aus der Finanzrechtsprechung folgen dieser Formel.

Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung stellt sich die Frage, ob die Klägerin überhaupt gegenüber dem Finanzamt einen Rechtsschein gesetzt hat und wenn, ob das Maß des von ihr erweckten Rechtsscheins derart war, dass es eine Haftungsinanspruchnahme erlaubt oder gebietet.

Der Senat bejaht diese Fragen. Als die Klägerin zusammen mit ihrer Vertragspartnerin Hxxx eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts zum Betriebe des Friseurhandwerks beim Bezirksamt anmeldete, musste ihr aufgrund ihrer beruflichen Erfahrung klar sein, dass das Bezirksamt diese Information, wie erkennbar auch tatsächlich geschehen, an die Finanzverwaltung weiterleiten würde. Nur so ließ sich auch die an sie ergangene Aufforderung des Beklagten erklären, die GbR steuerlich anzumelden. Mit der an die Finanzverwaltung weitergeleiteten Gewerbeanmeldung und den geraume Zeit währenden passiven Verhalten gegenüber dem Beklagten, bei dem sie trotz mehrfach gegebenen Anlasses nicht richtig stellte, dass es die GbR nicht gab, hat die Klägerin nach Auffassung des Senats gerade auch gegenüber dem Finanzamt den Rechtsschein des Bestehens einer GbR gesetzt. Der Senat ist auch der Auffassung, dass die Verhaltensweise der Klägerin ausreicht, um ein haftungsbegründendes "Maß" des von ihr erweckten Rechtsscheins im Sinne der zitierten Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zu erfüllen. Dabei geht der Senat davon aus, dass sich ein Maß des erweckten Rechtsscheins nach der Häufigkeit des diesbezüglichen Handelns (oder Unterlassens), seiner Nachhaltigkeit und seiner Intensität bestimmen kann. Wenn im vorliegenden Streitfall die Klägerin auch deutlich weniger an aktivem rechtsscheinbegründendem Tun entfaltet hat, als dies bei den Sachverhalten der Fall war, die dem Bundesfinanzhof bzw. dem Finanzgericht München in den bereits zitierten Entscheidungen zur Beurteilung vorlagen, ist der Senat gleichwohl der Auffassung, dass das Verhalten der Klägerin zur Begründung einer Haftung aufgrund Rechtsscheins deshalb ausreicht und in der Besteuerungspraxis ausreichen muss, weil sie den Beklagten gewissermaßen auf die falsche Schiene gesetzt hat, der zunächst gar keine Veranlassung hatte, Steuerbescheide gegenüber der Einzelunternehmerin Hxxx zu erlassen anstatt gegenüber der GbR.

Gleichwohl erachtet der Senat den Haftungsbescheid für rechtswidrig, weil die Klägerin mit ihrem unter Vorlage der ergänzenden Vereinbarung vom 5. Februar 1991 begründeten Einspruch gegen den Haftungsbescheid diesen Rechtsschein zerstört hat. Wie bereits in den Gründen des Urteils im Verfahren 1 K 1xxx/04 wegen einheitlicher und gesonderter Feststellung vom Senat ausgeführt, hätte der Beklagte bei zutreffender Würdigung dieser ergänzenden Vereinbarung zu dem Schluss gelangen müssen, dass die beim Bezirksamt angemeldete GbR rechtlich tatsächlich nicht existierte. Unzweifelhaft wirkt eine solche Beseitigung des Rechtsscheins für die Zukunft. Der Senat ist der Auffassung, dass darüber hinaus die Beseitigung des Rechtsscheins aber auch dann für Zeiträume in der Vergangenheit beachtlich ist, wenn und soweit das Finanzamt verfahrensrechtlich noch in der Lage ist, in angemessener Zeit die zutreffenden rechtlichen Folgerungen aus der neu gewonnenen Erkenntnis zu ziehen. Da mangels der Nichtabgabe von Steuererklärungen für den streitbefangenen Zeitraum die Festsetzungsfristen im Zeitpunkt der Rechtsscheinbeseitigung im November 1995 sämtlich noch mehrere Jahre liefen, hätte der Beklagte keine Schwierigkeiten gehabt, Steuerbescheide gegenüber der Vertragspartnerin der Klägerin als tatsächlich handelnder Einzelunternehmerin noch zu erlassen.

Anders könnte der Rechtsfall ggf. beurteilt werden, wenn greifbare Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass die aufgrund des gesetzten Rechtsscheins sich ergebende Verzögerung bei der Steuerfestsetzung gegenüber dem wahren Steuerschuldner zu einem Steuerausfall im Erhebungsverfahren führen würde. Nach dem sich aus den vorgelegten Steuerakten im Streitfall ergebenden Gesamtbild, gab es solche greifbaren Anhaltspunkte aber gerade nicht: Umsatzsteuervoranmeldungen wurden nicht abgegeben, auf festgesetzte Umsatzsteuervorauszahlungen wurden keine Zahlungen mehr geleistet. Das angemeldete Gewerbe wurde nach nur einem Jahr wieder abgemeldet, die von der Vertragspartnerin Hxxx daraus erzielten Gewinne wurden vom Beklagten - wohl zu Recht - sehr niedrig geschätzt. Frau Hxxx war offenbar auch postalisch für den Beklagten über eine längere Zeit nicht erreichbar mangels Kenntnis einer zutreffenden Adresse.

Für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreites unbeachtlich ist nach Auffassung des Senats, dass im Handelsrecht die Rechtsscheinhaftung auf das positive Interesse geht, d. h. bewirkt, dass sich derjenige, der den Rechtsschein zurechenbar gesetzt hat, dem gutgläubigen Dritten gegenüber, der sich bei seinem geschäftlichen Verhalten auf den Rechtsschein verlassen hat, nicht auf die wahre Rechtslage berufen kann. Die Wirkung des Rechtsscheins beschränkt sich dort also nicht auf den bloßen Vertrauensschaden (negatives Interesse) (s. Hopt a. a. O. Tz. 14). Diese Ausformung der Lehre von der Rechtsscheinhaftung erscheint für das Handelsrecht als Teil des Zivilrechts gerechtfertigt, weil sich dort einander gleichgeordnete Zivilrechtssubjekte gegenübertreten, die im Rahmen der Vertragsfreiheit grundsätzlich über zwischen ihnen gewollte Ansprüche und Verbindlichkeiten nach Grund, Höhe und Art selbst bestimmen können. Wer dort als Kaufmann oder als Gesellschaft auftritt, soll dann aufgrund des geschaffenen Vertrauenstatbestandes auch für die vereinbarten Rechtsfolgen einstehen müssen. Diese Überlegungen und Wertungen passen nach Auffassung des Senats aber nicht auf die gesetzlich begründeten Ansprüche im Steuerrechtsverhältnis. Ein Einstehenmüssen als Haftender für materiell nicht entstandene Steueransprüche (gegenüber der GbR) lässt sich nach Auffassung des Senats nur rechtfertigen, wenn dem Fiskus anderenfalls ein durch den Rechtsscheinsetzenden verursachter und vom Finanzamt nicht durch Steuerfestsetzung gegenüber dem zutreffenden Steuerpflichtigen zu beseitigender Schaden entstünde.

Der Senat weist darauf hin, dass der angefochtene Haftungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung auch dann teilweise hätte aufgehoben werden müssen, wenn die Klägerin aus Rechtsscheingründen haftete. Aus der Anlage zum Haftungsbescheid ist ersichtlich, dass sich die Haftungsinanspruchnahme u. a. auf die Umsatzsteuervorauszahlungen für das II., III. und IV. Quartal 1991 bezog. Diese drei Vorauszahlungen machen mit den dazu festgesetzten Verspätungszuschlägen schon bereits den überwiegenden Teil des Gesamthaftungsbetrages aus. Der Blick in die Umsatzsteuervoranmeldungsakte zeigt dabei, dass diese Umsatzsteuervorauszahlungen nicht gegenüber der GbR Hxxx x xxx festgesetzt waren, sondern gegenüber einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, bestehend aus Frau Hxxx und Herrn Axxx Oxxx. Zumindest aus dem Grund der Verschiedenheit der Steuersubjekte kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass an die Stelle einer Haftungsinanspruchnahme für Umsatzsteuervorauszahlungen gegenüber dieser letztgenannten Gesellschaft automatisch eine Inanspruchnahme wegen der Umsatzsteuerjahresfestsetzung für 1991 gegenüber der Hxxx x xxx GbR treten könnte und würde.

Der Senat hat die Revision zugelassen, weil er seiner Entscheidung grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zumisst, soweit es die Ausführungen zur rückwirkenden Beseitigung einer Rechtsscheinhaftung angeht, die jedenfalls zumindest hinsichtlich eines Teils der Haftungsinanspruchnahme (etwa wegen Umsatzsteuer 1992) im vorliegenden Fall entscheidungserheblich sind.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO und schließt wegen der insoweit erfolgten Übertragung nach § 143 Abs. 2 FGO auf den Senat die Kosten des Revisionsverfahrens mit ein.

Die Entscheidung über die notwendige Hinzuziehung eines Bevollmächtigen zum Vorverfahren beruht auf § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO.

Den Streitwert hat das Gericht gemäß §§ 25, 13 Gerichtskostengesetz -GKG- a. F. bestimmt.

Die Nebenentscheidungen über die vorläufige Vollstreckbarkeit und die Abwendungsbefugnis des Beklagten ergeben sich aus §§ 151 Abs. 1 und 3 FGO, 708 Nr. 10 und 711 Zivilprozessordnung -ZPO-.

Zitiert0
Referenzen0
Schlagworte