KG, Urteil vom 18.10.2004 - 8 U 92/04
Fundstelle
openJur 2012, 1867
  • Rkr:

Zu den Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Verfügung wegen drohender Geschäftsschließung durch den Mieter in einem Einkaufszentrum;

Erforderlichkeit der Darlegung konkreten Schadenseintritts für die Annahme eines Verfügungsgrundes.

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das am 25. 2. 2004 verkündete Urteil der Kammer für Handelssachen 105 des Landgerichts Berlin - 105 O 8/04 – abgeändert:

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird unter Aufhebung des Beschlusses des Landgerichts vom 19. 1. 2004 zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 6.000,- EUR abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

4. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

1. Mit der Berufung wendet sich die Beklagte gegen das Urteil des Landgerichts vom 25. 2. 2004, auf dessen Gründe verwiesen wird. Die Beklagte hält das Urteil für unzutreffend, weil eine wirksame Betriebspflicht nicht vereinbart worden sei, diese im Wege des einstweiligen Verfügungsverfahrens wegen fehlender Vollstreckungsmöglichkeit nicht durchgesetzt werden könne und eine Verfügungsgrund nicht vorgelegen habe.

Die Beklagte beantragt,

das am 25.2.2004 verkündete Urteil der Kammer für Handelssachen 105 des Landgerichts Berlin - 105 O 8/04 – abzuändern und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung unter Aufhebung des Beschlusses des Landgerichts vom 19.1.2004 zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das landgerichtliche Urteil für zutreffend.

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf ihre Schriftsätze vom 24. 5. und 19. 7. 2004 verwiesen.

2. Die Berufung der Beklagten ist begründet, da eine Erledigung des Rechtsstreits i. S. d. § 91 a I ZPO nicht eingetreten ist. Entgegen der Auffassung der Klägerin durfte die einstweilige Verfügung vom 19. 1. 2004 nicht erlassen werden.

a) Zwar ist in Übereinstimmung mit dem Landgericht davon auszugehen, dass die formularmäßige Vereinbarung der Betriebspflicht in Ziff. 10.1 des Mietvertrages trotz des in Ziff. 2.2 (ebenfalls formularmäßig) vereinbarten Ausschlusses des Konkurrenz- und Sortimentsschutzes wirksam war (so zuletzt OLG Rostock, Urt. v. 8. 3. 2004, 3 U 118/03, MietRB 2004, 227 = OLG Report Rostock 2004, 268; vgl. auch OLG Hamburg, Urt. v. 3. 4. 2002, 4 U 236/01, OLG Report Hamburg 2003, 201 = ZMR 2003, 254 m. w. N; KG, Urt. v. 17. 7. 2003, 22 U 149/03, KG Report Berlin 2003, 315; a. A.: Sternel, Mietrecht, 3. Aufl., II Rn. 274; OLG Schleswig, Beschl. v. 2. 8. 1999, 4 W 24/99, OLG Report Schleswig 1999, 385). Insoweit bestand auch ein Anspruch der Klägerin darauf, dass die Beklagte nicht gegen die ihr obliegende Betriebspflicht verstieß, so dass die von ihr mit dem Antrag vom 16. 1. 2004 gewählte – auf Unterlassung eines Verstoßes gegen die Betriebspflicht lautende – Antragsformulierung der Rechtslage entsprach; auf die in der Rechtsprechung im Zusammenhang mit der Vollstreckung einer auf Einhaltung der Betriebspflicht gerichteten einstweiligen Verfügung vertretenen unterschiedlichen Auffassungen zur Unzulässigkeit eines hierauf gerichteten Antrags (vgl. einerseits OLG Naumburg, Beschl. v. 2. 1. 1996, 2 W 14/97, OLG Report Naumburg 1999, 312 – unzulässig -, andererseits OLG Celle, Beschl. v. 2. 1. 1996, 2 W 80/95, OLG Report Celle 1996, 176; KG, Urt. v. 17. 7. 2003, 22 U 149/03, KG Report Berlin 2003, 315; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 21. 10. 2003, I – 10 W 64/03, GuT 2004, 17: zulässig) kommt es daher hier nicht an.

b) Jedoch durfte die einstweilige Verfügung nicht erlassen werden, weil die Klägerin einen Verfügungsgrund i. S. d. § 940 ZPO nicht glaubhaft gemacht hat.

Zu berücksichtigen ist nämlich, dass die Stattgabe des Antrags zur Erfüllung des Anspruchs der Klägerin führt und damit die Hauptsache vorwegnimmt. Insoweit ist der Erlass einer einstweiligen Verfügung ausnahmsweise dann gerechtfertigt, wenn der Antragsteller darlegt und glaubhaft macht, dass er so dringend auf die sofortige Erfüllung seines Leistungsanspruchs angewiesen ist und sonst so erhebliche Nachteile erleiden würde, dass ihm ein Zuwarten oder eine Verweisung auf die spätere Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen nach Wegfall des ursprünglichen Erfüllungsanspruchs nicht zumutbar ist (vgl. OLG Düsseldorf – Kartellsenat – Urt. v. 8. 8. 2001, U (Kart) 20/01, RdE 2002, 21; juris Rechtsprechung Nr.KORE501692002.; Zöller/Vollkommer, ZPO, 23. Aufl., § 940 Rn. 6 m. w. N.). Hierfür hat die Klägerin nachprüfbare Umstände nicht vorgetragen. Der Vortrag der Klägerin auf S. 5 der Antragsschrift, S. 4 des Schriftsatzes vom 19. 2. 2004 und S. 3 der Berufungsbegründung vom 19. 7. 2004 erschöpft sich in Vermutungen und Hypothesen, wenn wegen der beabsichtigten Geschäftseinstellung der Beklagten auf die Möglichkeit der Nachahmung durch andere Mieter, die Hervorrufung eines „Dominoeffektes“ und die mögliche Schließung des Einkaufszentrums verwiesen wird. Der Hinweis auf die Beeinträchtigung des Gesamtcharakters des Einkaufszentrums, das von der Vielfalt seiner Angebote an Waren- und Dienstleistungen „lebt“, reicht allein nicht aus, um das dringende Interesse am Erlass der einstweiligen Verfügung zu rechtfertigen. Denn anders, als in dem vom 22. Zivilsenat des KG entschiedenen Fall (Urt. v. 17. 7. 2003, 22 U 149/03, KG Report Berlin 2003, 315), in dem potentielle Mietinteressenten wegen des bereits vorhandenen Leerstandes von Geschäftsräumen von einer Anmietung Abstand genommen hatten, trägt die Klägerin hier nur Befürchtungen über mögliche Folgen der Betriebseinstellung durch die Beklagte vor. Auch der Hinweis des Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung darauf, dass ein vorsätzlicher Vertragsverstoß vorliege, rechtfertigt keine andere Betrachtungsweise: auch der Käufer, der z. B. den Kaufpreis nicht oder nicht vollständig begleicht, handelt in Bezug auf seine Vertragsverpflichtung vorsätzlich, ohne dass deshalb zugleich die Erfüllung der restlichen Kaufpreisforderung durch eine einstweilige Verfügung gerechtfertigt wäre.

Soweit der Klägervertreter auf die Möglichkeit des Erlasses einstweiliger Verfügungen wegen befürchteter Wettbewerbsverstöße im Rahmen arbeitsrechtlicher Vertragsverhältnisse hinweist, kann die dortige Interessenlage nicht auf den vorliegenden Sachverhalt übertragen werden. Der Arbeitnehmer hat sich aufgrund seines Arbeitsverhältnisses für die Interessen des Arbeitgebers und das Gedeihen des Betriebes, dem er angehört, einzusetzen und alles zu unterlassen, was dem Arbeitgeber oder Betrieb abträglich sein könnte. Mit einer solchen Treuepflicht ist die im Mietvertrag vereinbarte Betriebspflicht nicht vergleichbar. Der Mieter erzielt sein Einkommen und seinen Lebensunterhalt eben nicht durch die Mitarbeit im Betrieb des Vermieters, sondern durch eigenes Tätigwerden; insoweit besteht zum Vermieter keine „Treuepflicht“, deren Verletzung sofort durch den Erlass einer einstweiligen Verfügung geahndet werden müsste.

Für die Entscheidung kommt es somit nicht mehr darauf an, ob tatsächlich eine Erledigung i. S. d. § 91 a ZPO dadurch eingetreten ist, dass die Beklagte ihren Betrieb eingestellt hat: insoweit ist der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch gerade nicht erfüllt worden, so dass eine Klageänderung (Wiedereröffnung des Betriebes) wohl näher gelegen hätte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 I ZPO; die über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Ziff. 10, 711 ZPO.

Der Senat hält die Zulassung der Revision nach § 543 II Nr. 2 ZPO für erforderlich, um die Einheitlichkeit der Rechtsprechung in Bezug auf das Vorliegen eines Verfügungsgrundes nach § 940 ZPO wegen des Verstoßes gegen die Betriebspflicht in Einkaufszentren zu gewährleisten.