VG Berlin, Beschluss vom 25.06.2004 - 34 A 62.03
Fundstelle
openJur 2012, 1720
  • Rkr:

Die Anforderung von Kosten für eine bereits durchgeführte Ersatzvornahme durch Leistungsbescheid stellt keine Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung dar. Die Klage gegen den Leistungsbescheid hat kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung.

Tenor

Es wird festgestellt, dass die Klage VG 34 A 63.03 gegen den 4. Leistungsbescheid der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung vom 16. Januar 2003 aufschiebende Wirkung hat.

Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 13.448,72 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller ist Miteigentümer des mit Grundwasserverunreinigungen belasteten Grundstücks T. in B., für das gegenüber dem Antragsteller durch bestandskräftigen Bescheid vom 8. April 1998 eine Sanierungsanordnung getroffen worden ist. In der Folgezeit ließ der Antragsteller durch die C. GmbH bzw. durch die von dieser beauftragte A. GmbH auf dem Grundstück Maßnahmen der Grundwassersanierung durchführen, die Mitte 2000 vor Abschluss der Sanierung eingestellt wurden. Mit Bescheid vom 24. November 2000 setzte der Antragsgegner daraufhin das Zwangsmittel der Ersatzvornahme fest und beauftragte in der Folgezeit die ARGUS GmbH mit der Fortführung der Grundwassersanierung. U.a. gegen den Bescheid vom 24. November 2000 richtet sich die vom Antragsteller am 6. Juli 2001 erhobene und noch anhängige Klage (VG 34 A 3.03).

Mit Leistungsbescheiden vom 1. und 6. Juni 2001 forderte der Antragsgegner den Antragsteller auf, die in der Zeit vom 2. Februar bis 28. März 2001 (1. Leistungsbescheid) bzw. 29. März bis 28. April 2001 (2. Leistungsbescheid) entstandenen Kosten der Ersatzvornahme teilweise zu erstatten. Im Hinblick auf den in beiden Leistungsbescheiden enthaltenen Hinweis, dass eine Klage gegen den Bescheid keine aufschiebende Wirkung habe, gewährte das Gericht dem Antragsteller mit Beschluss vom 16. August 2001 (VG 1 A 227.01) vorläufigen Rechtsschutz durch die Feststellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die beiden Leistungsbescheide. Der Antragsgegner ordnete daraufhin in dem 3. Leistungsbescheid vom 6. November 2001, der den Zeitraum vom 29. April bis 28. Juli 2001 betrifft, die sofortige Vollziehung an. Auch insoweit wurde dem Antragsteller vom Gericht durch Beschluss vom 25. Februar 2002 (VG 1 A 434.01) vorläufiger Rechtsschutz gewährt und die aufschiebende Wirkung der gegen den Bescheid gerichteten Klage wiederhergestellt. Alle drei Leistungsbescheide sind Gegenstand des Verfahrens VG 34 A 3.03.

Den Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildet der dem Antragsteller am 17. Januar 2003 zugestellte 4. Leistungsbescheid vom 16. Januar 2003, durch den der Antragsteller aufgefordert wird, für den Betrieb der Grundwasserreinigungsanlage in der Zeit vom 29. Juli 2001 bis zum 31. August 2002 anteilige Kosten in Höhe von 26.897,46 Euro zu erstatten. Der Bescheid enthält wiederum den Hinweis, dass er wegen § 4 Abs. 1 AGVwGO i.V.m. § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO kraft Gesetzes sofort vollziehbar sei. Gegen den Bescheid wendet sich der Kläger mit der am 17. Februar 2003 erhobenen Klage (VG 34 A 63.03) und dem gleichzeitig gestellten vorliegenden Antrag auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung der Klage.

Zur Begründung des Antrages verweist der Antragsteller auf die Ausführungen in dem Beschluss des erkennenden Gerichts vom 16. August 2001 (VG 1 A 227.01), wonach es sich bei der Anforderung von Kosten der Ersatzvornahme für vergangene Zeiträume nicht mehr um eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung handele, so dass § 4 Abs. 1 AGVwGO i.V.m. § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO insoweit keine Anwendung finde.

Der Antragsgegner tritt dem unter Hinweis auf den gegenteiligen Beschluss des OVG Berlin vom 3. März 1997 (NVwZ-RR 1999, 156) entgegen und trägt ergänzend vor, dass vom Wegfall der Erzwingungsfunktion der Kostenforderung nach Abschluss der Ersatzvornahme hier nur bedingt die Rede sein könne, weil wegen des fortbestehenden Sanierungsbedarfs die Ersatzvornahme weiterhin durchgeführt werde. Auch könne es nicht angehen, dass dem Verpflichteten durch die Feststellung der aufschiebenden Wirkung hinsichtlich der Gesamtforderung ein Zahlungsaufschub gewährt werde, so dass dieser besser stehe als derjenige, der der Sanierungsanordnung nachkomme. Zudem erschwere es die weitere Durchführung der Ersatzvornahme, wenn die öffentliche Hand sämtliche Kosten dafür bis zum Abschluss des Klageverfahrens vorstrecken müsse. Die Anforderung der Kosten diene gerade der Ermöglichung der Ersatzvornahme und sei damit Teil der Zwangsvollstreckung. Hätte die Klage aufschiebende Wirkung, würde sich im Übrigen auch die Androhung der Ersatzvornahme nur als leere Drohung darstellen.

II.

Der Antrag ist zulässig. Der Antragsteller hat insbesondere das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis für die in entsprechender Anwendung des § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO durch das Gericht zu treffende Feststellung der kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO) bestehenden aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den 4. Leistungsbescheid des Antragsgegners vom 16. Januar 2003, weil der angefochtene Bescheid den ausdrücklichen behördlichen Hinweis enthält, dass eine gegen ihn gerichtete Klage keine aufschiebende Wirkung habe.

Der Antrag ist auch begründet. Die zulässige Anfechtungsklage gegen den 4. Leistungsbescheid (VG 34 A 63.03) hat nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufschiebende Wirkung, weil hier keiner der Fälle des § 80 Abs. 2 VwGO, in denen die aufschiebende Wirkung entfällt, vorliegt.

Insbesondere liegt kein Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO vor, denn die Anforderung von Kosten der Ersatzvornahme stellt nach - soweit ersichtlich - einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum keine Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten im Sinne dieser Vorschrift dar (vgl. nur OVG Koblenz, Beschl. v. 28.07.1998, NVwZ-RR 1999, 27 sowie OVG Berlin, Beschl. v. 13.04. 1995, NVwZ-RR 1995, 575 jeweils m.w.Nachw.). Da dies auch der Antragsgegner nicht in Zweifel zieht, bedarf der Punkt vorliegend keiner weiteren Vertiefung.

Der im Hauptsacheverfahren angefochtene Leistungsbescheid unterfällt im Gegensatz zur Auffassung des Antragsgegners aber auch nicht der Vorschrift des § 187 Abs. 3 a.F./§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 Berl AGVwGO, wonach Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung getroffen werden.

Die Anforderung von Kosten für eine bereits durchgeführte Ersatzvornahme durch Leistungsbescheid stellt keine Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung dar (so auch die nahezu einhellige Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum - vgl. nur VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 16.01.1991, VBlBW 1991, 215; OVG Koblenz, Beschl. v. 28.07.1998, a.a.O.; Lemke, Verwaltungsvollstreckungsrecht des Bundes und der Länder, S. 460 f, jeweils m.w.Nachw.; a.A. nur OVG Berlin, Beschl. v. 22.02.1984, OVGE 17, 76 sowie Beschl. v. 03.03.1997, NVwZ-RR 1999, 156 m.w.Nachw. zur herrschenden Meinung).

Im Gegensatz zur Auffassung des OVG Berlin (Beschl. v. 03.03.1997, a.a.O.), das dies als rein formale Erwägung abtut, ist dabei aus Sicht der Kammer vom Wortlaut des § 4 Abs. 1 Satz 1 Berl AGVwGO und damit von dem gesetzlichen Begriff der Verwaltungsvollstreckung auszugehen. Wie dieser Begriff zu definieren ist - ob als Durchsetzung eines Verwaltungsakts unter Anwendung hoheitlichen Zwangs, als zwangsweise Durchsetzung öffentlich-rechtlicher Ansprüche durch die Verwaltung, als gesetzlich geregeltes Verfahren, in dem öffentlich-rechtliche Pflichten auch ohne gerichtlichen Vollstreckungstitel durch die Behörde selbst zwangsweise durchgesetzt werden, o.ä. (vgl. zu dieser Diskussion: Lemke, a.a.O., S. 56 m.w.Nachw.) - ist im Detail umstritten, bedarf hier jedoch keiner weiteren Erörterung. Gemeinsam ist den verschiedenen Definitionen jedenfalls die Unterscheidung zwischen einerseits dem, was zwangsweise durchgesetzt werden soll (Verwaltungsakt/Anspruch/Pflicht), und andererseits der Verwaltungsvollstreckung als behördlichem Instrument zu dessen Durchsetzung. Mithin bildet schon begrifflich das Durchzusetzende selbst keinen Teil der Verwaltungsvollstreckung, sondern liegt ihr lediglich zu Grunde.

Auf die vorliegend zu entscheidende Frage angewandt folgt aus diesen Erwägungen, dass der Leistungsbescheid - ein nach den Bestimmungen über die Vollstreckung wegen Geldforderungen (§§ 1 bis 5 VwVG) durchzusetzender Verwaltungsakt zur Konkretisierung des aus der Ersatzvornahme folgenden öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs gegenüber dem Pflichtigen - zwar Grundlage eines Verfahrens der Verwaltungsvollstreckung sein kann, selbst jedoch kein Bestandteil der Verwaltungsvollstreckung im Sinne des § 80 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 Berl AGVwGO ist (vgl. Lemke, a.a.O., S. 461 sowie OVG Berlin, Beschl. v. 13.04. 1995, a.a.O., S. 576). Dies wird bestätigt durch § 3 Abs. 2 Buchstabe a VwVG, wonach bei der Vollstreckung wegen Geldforderungen der Leistungsbescheid, durch den der Schuldner zur Leistung aufgefordert worden ist, Voraussetzung für die Einleitung der Vollstreckung - also nicht bereits ein Teil derselben - ist.

Dagegen spricht entgegen der Auffassung des OVG Berlin (Beschl. v. 22.02.1984, a.a.O., und Beschl. v. 03.03.1997, a.a.O.) aus Sicht der Kammer auch nicht, dass die Anspruchsgrundlage für die mit dem Leistungsbescheid geltend gemachte Kostenforderung in einer Norm des Vollstreckungsrechts zu finden ist, nämlich in § 10 VwVG (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.01.1976, NJW 1976, 1703), der nach § 5 Abs. 2 BerlVwVfG auch in Berlin gilt. Allerdings lässt sich unter diesem Gesichtspunkt ein Bezug des Leistungsbescheides zur Verwaltungsvollstreckung nicht in Abrede stellen. Dies allein rechtfertigt es jedoch nach Auffassung der Kammer nicht, die Kostenanforderung durch Verwaltungsakt deshalb als „integralen Bestandteil des spezifischen vollstreckungsrechtlichen Zwangsmittels ‘Ersatzvornahme’“ (OVG Berlin, Beschl. v. 03.03.1997, a.a.O.) bzw. als „unselb-ständigen Bestandteil der Ersatzvornahme“ (OVG Berlin, Beschl. v. 22.02.1984, a.a.O., S. 77) - eines Realakts(!) - und damit als zwangsläufig selbst zur Verwaltungsvollstreckung gehörig anzusehen.

Hinzukommt, dass die Verwaltungsvollstreckung per definitionem der zwangsweisen Durchsetzung der Grundverfügung, vorliegend also der Sanierungsanordnung vom 8. April 1998, dient. Ein Verwaltungsakt, der - wie ein Leistungsbescheid über die Kosten einer durchgeführten Ersatzvornahme - erst erlassen wird, nachdem die Grundverfügung bereits durchgesetzt worden ist, kann denklogisch nicht mehr zu ihrer Durchsetzung dienen (vgl. OVG NW, Beschl. v. 26.09.1983, DÖV 1984, 520). Nicht überzeugend erscheint die gegenteilige Erwägung des OVG Berlin (Beschl. v. 03.03.1997, a.a.O., S. 157), wonach die Aussicht auf einen nach der angedrohten Ersatzvornahme zu erwartenden Leistungsbescheid, der noch dazu sofort vollziehbar ist, der Zwangsmittelandrohung eine stärkere Beugewirkung verleihe. Bei dieser hypothetischen Wirkung handelt es sich nämlich allenfalls um das Nebenprodukt einer bestimmten Interpretation der Rechtslage, nicht jedoch - was aber rechtlich entscheidend sein dürfte - um eine Funktion des konkreten Leistungsbescheides. Bei dessen Erlass steht vielmehr bereits unwiderleglich fest, dass die vermutete Beugewirkung hinsichtlich der Grundverfügung im jeweiligen Einzelfall nicht eingetreten ist und durch den Leistungsbescheid auch zukünftig nicht mehr herbeigeführt werden kann.

Dies gilt auch im vorliegenden Fall. Ungeachtet des Umstandes, dass die Grundwassersanierung insgesamt noch nicht abgeschlossen und daher die Ersatzvornahme noch nicht endgültig beendet ist, bezieht sich nämlich der streitbefangene Bescheid allein auf einen in der Vergangenheit abgeschlossenen und daher vom Antragsteller rein tatsächlich nicht mehr durchführbaren Abschnitt der Ersatzvornahme, nicht jedoch auf zukünftig noch anstehende Sanierungsmaßnahmen, in die er gegebenenfalls eintreten könnte.

Für die durch die Kammer vertretene Annahme der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Leistungsbescheid spricht ferner die Erwägung, dass jene Argumentation, die zur inneren Rechtfertigung des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage gegen Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung angeführt wird, hier nicht greift (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 16.01.1991, a.a.O., S. 216). Danach soll der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung eine zügige Vollstreckung ermöglichen, nachdem bzw. weil dem Pflichtigen bereits gegen den zu vollstreckenden Grundverwaltungsakt alle - in der Regel mit aufschiebender Wirkung ausgestatteten - Rechtsbehelfe zur Verfügung gestanden haben (vgl. OVG Berlin, Beschl. v. 13.04.1995, a.a.O., S. 576). Wie vorstehend ausgeführt, kann jedoch der Leistungsbescheid nach erfolgter Ersatzvornahme von vornherein nicht mehr der zügigen Vollstreckung des ursprünglichen Grundverwaltungsakts - hier der Sanierungsanordnung - dienen, sondern ist vielmehr selbst ein Grundverwaltungsakt, der seinerseits vollstreckt werden kann und sich damit grundlegend von den Verwaltungsakten innerhalb der Verwaltungsvollstreckung (z.B. Androhung oder Festsetzung eines Zwangsmittels) unterscheidet. Es erscheint daher keineswegs systemwidrig, dem Pflichtigen insoweit wiederum die von § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO als Regelfall vorgesehene Möglichkeit der rechtlichen Überprüfung des Bescheides vor Einleitung der zu seiner Durchsetzung dienenden Vollstreckungsmaßnahmen zu geben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 20 Abs. 3, § 13 Abs. 1 GKG, wobei die Kammer die Hälfte der durch den angefochtenen Bescheid angeforderten Summe zu Grunde gelegt hat.

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