KG, Beschluss vom 12.12.2003 - 25 W 173/02
Fundstelle
openJur 2012, 1479
  • Rkr:
Tenor

Auf die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der Zivilkammer 88 des Landgerichts Berlin vom 25. September 2002 hinsichtlich der Beschlussformel zu Ziffer 2. und 3. geändert:

Es wird festgestellt, dass die durch den Beschluss des Amtsgerichts Schöneberg vom ... 2002 getroffene Haftanordnung auch für den Zeitraum vom ... 2002 – ... 2002 rechtswidrig war.

Das Land Berlin hat dem Betroffenen die in den drei Rechtszügen betreffend die vorgenannte Haftanordnung zu seiner Rechtsverteidigung notwendigen entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Schöneberg hat durch Beschluss vom ... 2002 gegen den Betroffenen die Haft zur Sicherung der Abschiebung bis zum ... 2002 angeordnet. In seiner Anhörung an jenem Tage hat er angegeben, gestern (also am ... 2002) mit dem ... nach Deutschland gekommen zu sein, aber nicht angeben zu können, wo er in Deutschland angekommen sei. Zudem hat er erklärt: "Ich bin zur Polizei gegangen, um einen Asylantrag zu stellen. (...) Ich möchte einen Asylantrag stellen. Ich kann nicht lesen und schreiben, denn ich war nicht in der Schule." Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Blatt 5 d.A. Bezug genommen.

Das Landgericht hat auf die sofortige Beschwerde des Betroffenen mit Beschluss vom ... ... 2002 festgestellt, dass die Abschiebungshaft vom ... 2002 bis zum ... 2002 rechtswidrig gewesen sei. Im Übrigen hat es die sofortige Beschwerde zurückgewiesen. Die dem Betroffenen in beiden Instanzen entstandenen notwendigen Auslagen hat es dem Land Berlin nicht auferlegt.

Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, dass zugunsten des Betroffenen für die Zeit vom ... – ... 2002 ein Aufenthaltsgestattungsrecht gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG bestanden habe. Dieses entstehe mit jedem Asylgesuch im Sinne des § 13 Abs. 1 AsylVfG. Ein solches Gesuch habe der Betroffene jedenfalls in seiner Anhörung vor dem Amtsgericht Schöneberg am ... 2002 vor Erlass des Haftbeschlusses gestellt. Das Aufenthaltsgestattungsrecht sei allerdings durch die – den Asylantrag als offensichtlich unbegründet ablehnende – Entscheidung in dem Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom ... 2002 erloschen. Für die zu treffende Entscheidung sei der Sachstand zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung maßgeblich. Im Hinblick darauf (und zwar ab dem ... 2002) lägen die Voraussetzungen für eine Haftanordnung vor. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Beschluss (Bl. 164 – 171 d.A.) verwiesen.

Der Betroffene hat gegen den Beschluss des Landgerichts sofortige weitere Beschwerde insoweit eingelegt, als das Landgericht die sofortige Beschwerde hinsichtlich des Haftzeitraumes vom ... bis ... 2002 zurückgewiesen hat. Zuletzt hat der Betroffene die Feststellung der Rechtswidrigkeit für den vorgenannten Zeitraum beantragt.

II.

Durch den Ablauf des vom Landgericht festgesetzten Haftzeitraumes nach Einlegung der sofortigen weiteren Beschwerde ist eine Erledigung der Hauptsache eingetreten (vgl. BGHZ 109, 108, 110). Dem hat der Betroffene in verfahrensrechtlich gebotener Weise Rechnung getragen, als er einen Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit gestellt hat (vgl. BVerfG NJW 2002, 2456).

Der Feststellungsantrag ist begründet. Der landgerichtliche Beschluss, mit dem die sofortige Beschwerde gegen den Haftanordnungsbeschluss des Amtsgerichts betreffend den Haftzeitraum vom ... 2002 bis zum ... 2002 zurückgewiesen worden ist, erweist sich nach Ansicht des Senats als rechtsfehlerhaft (§ 27 FGG, 559 Abs. 2 ZPO). Die vom Landgericht vorgenommene Anwendung der Regelung in § 23 FGG, wonach eine Beschwerde auf neue Tatsachen und Beweise gestützt werden kann, begegnet durchgreifenden Rechtsbedenken.

Als zutreffend erweist es sich zwar, wenn davon ausgegangen worden ist, dass die Beschwerdeentscheidung nach dem Sachverhalt zu ergehen hat, wie er sich auf Grund der Ermittlungen im Beschwerdeverfahren zur Zeit des Erlasses der Beschwerdeentscheidung ergibt (BGHZ 14, 398; 25, 96). Dieser Grundsatz kann dazu führen, dass die angefochtene Verfügung vom Beschwerdegericht aufrechtzuerhalten ist, obwohl sie nach dem zur Zeit ihres Erlasses bestehenden Sachverhalt nicht berechtigt war, die maßgeblichen Tatsachen vielmehr erst im Beschwerderechtszug eingetreten sind. Das Beschwerdegericht muss sich auf den Standpunkt stellen, als ob die angefochtene Verfügung noch nicht erlassen wäre, und prüfen, ob sie nach Maßgabe des zur Zeit des Erlasses der Beschwerdeentscheidung gegebenen Sachverhalts nunmehr oder noch erlassen werden dürfte (Jansen, FGG, 2. Aufl., 1969, § 23, Rdnr. 2). Das war im Hinblick auf den hier gestellten Haftantrag nicht der Fall. Dieser war vielmehr "verbraucht".

Nach den vom Landgericht selbst getroffenen Feststellungen hat der Betroffene (jedenfalls) vor dem Amtsgericht Schöneberg am ... 2002 ein Asylgesuch vor Erlass des Haftbeschlusses gestellt.

Wie das Landgericht zutreffend ausführt, beginnt die Aufenthaltsgestattung gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG bei einem (hier vorliegenden) Erst-Asylbegehren dann, wenn der Ausländer bei der hier nicht anzunehmenden Einreise aus einem sicheren Drittstaat um Asyl nachsucht (vgl. zur Einreise aus einem sicheren Drittstaat: BGH FG Prax 2003, 143). Das Nachsuchen um Asyl ist eine dem eigentlichen Asylantrag vorgelagerte formlose Bitte um Asyl (vgl. OLG Frankfurt, EZAR 0 48 Nr. 45). Sie muss zur Erhaltung der Aufenthaltsgestattung innerhalb von zwei Wochen in einen Erst-Asylantrag umgesetzt werden (vgl. § 67 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG). Der Ausländer kann auch bei dem mit der Entscheidung über den Haftantrag befassten Richter um Asyl nachsuchen (vgl. BayObLGZ 1993, 5 ff.; OLG Frankfurt, a.a.O.). Die Aufenthaltsgestattung beginnt in diesen Fällen bereits im Zeitpunkt des Nachsuchens um Asyl (Melchior, Abschiebungshaft, 01/2001, Nr. 401 a).

Allerdings ist zu berücksichtigen, dass eine Asylantragstellung der Anordnung oder Abschiebungshaft gemäß § 14 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG nicht entgegensteht, wenn sich der Ausländer in den Fällen des § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG in Untersuchungshaft, Strafhaft, Vorbereitungshaft nach § 57 Abs. 1 AuslG, Sicherungshaft nach § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 (wegen längeren Aufenthalts als einen Monat nach unerlaubter Einreise) oder § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 - 5 AuslG befindet. Diese Rechtsfolgen greifen nur dann ein, wenn ein Betroffener erstmals ein Asylbegehren geltend macht, während er sich in einer richterlich bereits angeordneten Haft befindet und es sich dabei um eine der vorgenannten Haftarten handelt. Die Aufzählung der Haftformen in § 14 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG ist abschließend. Bringt damit ein bis dahin auf freiem Fuß befindlicher Ausländer im Polizei/Behördengewahrsam oder im Verlaufe der eine Haftentscheidung vorbereitenden richterlichen Anhörung ein Erstasylbegehren an und begründet er damit eine Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 AsylVfG, ist die Anordnung der Haft zur Sicherung der Abschiebung unzulässig (OLG Frankfurt, a.a.O.; vgl.a. Senat, FG Prax 2001, 40; Melchior, Abschiebungshaft, 01/2001, Nr. 417).

Da sich der Betroffene nicht in Haft befand und er wirksam um Asyl nachgesucht hatte, durfte nach Vorstehendem seitens des Amtsgerichts am ... 2002 keine Abschiebungshaft angeordnet werden. Der Betroffene wäre vielmehr zu entlassen, der Haftantrag wäre im Falle der Notwendigkeit seiner Bescheidung zurückzuweisen gewesen. Durch die Anordnung der Sicherungshaft wurde der Betroffene gehindert, das Asylverfahren in Freiheit zu betreiben. Die Tatsache, dass das Bundesamt den förmlichen Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat, macht die Haftanordnung nicht rechtmäßig. Erkenntnisse und Feststellungen darüber, wie sich der Aufenthalt des Betroffenen im Inland im Falle der Durchführung eines Asylverfahrens ohne Haft gestaltet hätte, sind nämlich nicht möglich (OLG Frankfurt, a.a.O.).

Die vom Landgericht getroffene Wertung, wonach das Aufenthaltsgestattungsrecht zum Zeitpunkt seiner Entscheidung erloschen sei, trägt hier nicht. Sie wäre vielmehr nur gerechtfertigt, wenn ein Fall des § 14 Abs. 4 AsylVfG vorgelegen hätte, der Haftantrag also nach der richterlichen Entscheidung gestellt worden wäre. Dann endet die Abschiebehaft mit Zustellung der Entscheidung des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, spätestens vier Wochen nach Eingang des Asylantrages, es sei denn, der Asylantrag wurde als unbeachtlich oder offensichtlich unbegründet abgelehnt (§ 14 Abs. 4 Satz 3 AsylVfG). Ein solcher Fall liegt hier aber gerade nicht vor. Würde der Ansicht des Landgerichts gefolgt, führte dies zu einer unzulässigen Verkürzung des Rechtsweges. Denn hier wäre hinsichtlich der weiteren Entwicklung ggfls. ein weiteres Haftverfahren durchzuführen gewesen, das zunächst durch die erste Instanz zu entscheiden gewesen wäre.

Hinsichtlich der Erstattung von außergerichtlichen Auslagen ist die Vorschrift des § 16 FEVG maßgeblich (BGH NJW 1996, 466, 467; Senat, KG-Report 2000, 184). Danach sind die notwendigen außergerichtlichen Auslagen eines Betroffenen dann der Gebietskörperschaft aufzuerlegen, wenn der Antrag auf Freiheitsentziehung abgelehnt wird und das Verfahren ergeben hat, dass ein begründeter Anlass zur Stellung eines Antrages auf Freiheitsentziehung nicht vorlag. Hinsichtlich der Auslagen der sofortigen und der sofortigen weiteren Beschwerde ist zu prüfen, ob der Haftanlass noch im Zeitpunkt dieser Verfahren bestanden hat (vgl. Senat, a.a.O.). Dabei ist maßgeblich, ob die Behörde nach dem ihr erkennbaren Sachverhalt objektiv begründeten Anlass zur Haftbeantragung (oder Haftverlängerung) und Aufrechterhaltung der Haftentscheidung in den Rechtsmittelverfahren hatte (Senat, a.a.O., S. 185). Das ist nach dem Sachverhalt zu beurteilen, der zur Zeit der Antragstellung für die Behörde unter Ausnutzung aller ihr nach den Umständen des Einzelfalles zumutbaren Erkenntnisquellen feststellbar gewesen ist. Hat eine Behörde solche Erkenntnisquellen nicht in einem ihr zumutbaren Umfang herangezogen, hat kein begründeter Anlass vorgelegen, ebenso, wenn der Antrag objektiv unbegründet und auch wenn ein Sachverhalt rechtlich unter Außerachtlassung von Rechtskenntnissen, deren Vorhandensein bei Verwaltungsbehörden allgemein vorausgesetzt werden kann, unzutreffend beurteilt worden ist (Senat, a.a.O.).

Unter Berücksichtigung der Ausführungen im angefochtenen Beschluss bestand seitens des Antragstellers schon am ... 2002 kein objektiver Anlass zur Haftbeantragung. Gleiches gilt nach Vorstehendem auch für Haftentscheidung in den Rechtsmittelverfahren.