KG, Beschluss vom 12.11.2003 - (5) 1 Ss 361/03 (75/03)
Fundstelle
openJur 2012, 1456
  • Rkr:
Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 05. Juni 2003

a) im Schuldspruch dahin abgeändert, daß der Angeklagte wegen Diebstahls und wegen versuchter Nötigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt wird und

b) im Rechtsfolgenausspruch mit den dazugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2. Die weitergehende Revision wird gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an eine andere Strafkammer des Landgerichts Berlin zurückverwiesen.

Gründe

Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin hat den Angeklagten am 09. April 2003 wegen räuberischen Diebstahls in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Die Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Berlin mit dem Urteil vom 05. Juni 2003 verworfen. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat teilweise Erfolg. Im übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat zu dem Rechtsmittel und ihren der Beschlußformel entsprechenden Anträgen ausgeführt:

"Der Revision, mit der der Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts rügt, kann in dem aus den Anträgen zu Ziffer 1 und 2 ersichtlichen Umfang ein Erfolg nicht versagt bleiben.

1. Die Feststellungen belegen den Schuldspruch wegen räuberischen Diebstahls nicht. Sie weisen zwar aus, dass der Angeklagte bei einem Diebstahl auf frischer Tat betroffen Gewalt gegen den Hausdetektiv verübt hat. Sie rechtfertigen aber nicht die Annahme, der Angeklagte habe sich damit den Besitz des gestohlenen Gutes erhalten wollen (§ 252 StGB).

Zur Begründung dieser Annahme wird im Urteil ausgeführt (UA S. 10/11):

Da das Diebesgut für den Angeklagten unter Berücksichtigung seiner Lebensverhältnisse von erheblichem Wert war, sei es "lebensfremd" anzunehmen, dass der Angeklagte zu dem Zeitpunkt, als er, zur Flucht entschlossen, den Hausdetektiv, der ihn und seinen Begleiter beim Verlassen des Geschäfts auf die nichtbezahlten Waren angesprochen hatte, beiseite schubste, lediglich seine "Freiheit im Kopfe" gehabt hat. Wenn er sich – wie von ihm behauptet – keinesfalls im Besitz der Beute oder auch nur eines Teils davon habe halten wollen (UA S. 6/7), hätte er schon, als der Hausdetektiv ihn ansprach, spätestens aber, als er zur Flucht entschlossen, den Hausdetektiv beiseite schubste, das Diebesgut wegwerfen können. Bei der erheblichen Gegenwehr, die der Angeklagte anschließend leistete, als der Hausdetektiv ihn festhielt, sei davon auszugehen, dass er die entwendeten Gegenstände, soweit er sie nicht beim Gerangel verlor, nur weggeworfen habe, um beweglicher zu sein und den Hausdetektiv besser bekämpfen zu können.

Diese Erwägungen sind nicht rechtsfehlerfrei und tragen die Annahme der "Beutesicherungsabsicht" im Sinne des § 252 StGB deshalb nicht.

Bei einem auf frischer Tat entdeckten Dieb steht die Absicht, seine Identifizierung zu verhindern, erfahrungsgemäß im Vordergrund (vgl. OlG Zweibrücken, StV 1994, 545; KG, Beschluss vom 21. Dezember 1998 – (3) 1 Ss 345/98 (131/98) –). Das gilt vor allem dann, wenn der Täter – wie hier der bereits wegen Diebstahls vorbestrafte und unter Bewährung stehende Angeklagte – mit einer spürbaren Bestrafung zu rechnen hat (vgl. KG a.a.O.). In einem solchen Fall liegt es daher nicht fern, dass die Absicht des Täters, seine Identifizierung zu verhindern, nicht nur der vorherrschende, sondern möglicherweise sogar der alleinige Beweggrund der Gewaltanwendung ist (KG a.a.O.). Das gilt grundsätzlich auch dann, wenn das Diebesgut – wie hier – für den Täter von erheblichem Wert ist. Die Annahme, dass es dem Täter möglicherweise nur um seine Freiheit geht, wenn er bei dem Diebstahl auf frischer Tat betroffen Gewalt anwendet, liegt deshalb auch in einem solchen Fall nicht fern und ist somit entgegen der Ansicht des Landgerichts nicht lebensfremd. Die Möglichkeit, dass es sich so verhalten haben könnte, wäre daher auch im vorliegenden Fall näher in Betracht zu ziehen gewesen, zumal der Umstand, dass der Angeklagte "sofort" die Flucht versuchte, wobei er den Hausdetektiv beiseite schubste, als dieser ihm und seinem Komplizen entgegentrat (UA S. 5), für eine asthenische Affektreaktion des Angeklagten spricht und der festgestellte äußere Geschehensablauf keine Besonderheiten ausweist, die die Schlussfolgerung nahe legen, dass es dem Angeklagten nicht nur darum ging, sich seiner Identifizierung und einer drohenden Inhaftierung zu entziehen, sondern auch darum, sich den Besitz der gestohlenen Sachen zu erhalten.

Der vom Landgericht als belastendes Indiz gewertete Umstand, dass der Angeklagte die entwendeten – in seiner Jacke versteckten – Gegenstände nicht wegwarf, als der Hausdetektiv ihn ansprach, "spätestens aber, als der Angeklagte, zur Flucht entschlossen, den Zeugen beiseite schubste", ist kein Beweisanzeichen für eine "Beutesicherungsabsicht" des Angeklagten. Da nicht ersichtlich ist, dass es ihm ohne weiteres möglich gewesen wäre, die Beute loszuwerden, ohne sich durch den Vorgang der Entledigung in die Gefahr zu begeben, von dem Hausdetektiv ergriffen zu werden, kann allein daraus, dass der Angeklagte die Beute nicht vor – oder, wie das Tatgericht meint, spätestens bei der Gewaltanwendung – dem Beiseiteschubsen des Hausdetektivs – weggeworfen hat, nicht auf die Absicht der Beutesicherung geschlossen werden (vgl. OLG Zweibrücken JR 1991, 383, 384; StV 1994, 545, 546; KG a.a.O.).

Dafür, dass die in der Jacke des Angeklagten versteckte Beute – mehrere Packungen "Herrendüfte", also Parfümerieartikel (UA. S. 5, 6) – die Beweglichkeit des Angeklagten derart einschränkte, dass es sich aufdrängte, die gestohlenen Sachen wegzuwerfen, um leichter fliehen zu können, ergibt sich aus den Feststellungen kein Anhalt. Daher ist auch die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe die entwendeten Gegenstände, soweit er sie bei dem anschließenden heftigen Gerangel mit dem Hausdetektiv nicht verlor, nur weggeworfen, um beweglicher zu sein und den Zeugen besser bekämpfen zu können, nicht ohne weiteres nachvollziehbar. Dass sich der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt der gestohlenen Sachen als Beweismittel entledigen wollte, liegt jedenfalls mindestens ebenso nahe. Daher wäre auch diese Möglichkeit vom Landgericht zu berücksichtigen und im Urteil zu erörtern gewesen.

Die Ansicht des Landgerichts, der Angeklagte habe sich auch den Besitz der entwendeten Sachen erhalten wollen, als er, zur Flucht entschlossen, den Hausdetektiv beiseite schubste, beruht nach alledem nicht auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage, sondern stellt sich als bloße Vermutung dar, die nicht mehr als einen Verdacht zu begründen vermag.

2. Da auszuschließen ist, dass in einer neuen Hauptverhandlung noch nähere Feststellungen getroffen werden können, die die Annahme einer "Beutesicherungsabsicht" des Angeklagten tragen, kommt hier nur eine Berichtigung des Schuldspruchs durch das Revisionsgericht entsprechend § 354 Abs. 1 StPO auf der Grundlage der vorliegenden Urteilsfeststellungen in Betracht. Danach ist der Angeklagte des gemeinschaftlichen Diebstahls und der versuchten Nötigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§§ 242, 240, 223, 224 Abs. 1 Nr. 4, 22, 23, 25 Abs. 2, 52, 53 StGB) schuldig. Denn es ist rechtsfehlerfrei festgestellt, dass der Angeklagte und sein unbekannt gebliebener Begleiter aufgrund eines gemeinsam gefassten Entschlusses und in arbeitsteiliger Ausführung in der Absicht, die Waren nicht zu bezahlen, den Auslagen des Drogeriemarktes Parfümerieartikel entnahmen, und diese in der Absicht, sie nicht zu bezahlen, in ihre Jacken steckten und dass der Angeklagte, als der Hausdetektiv ihm und seinem Begleiter beim Verlassen des Geschäfts entgegentrat, aufgrund eines weiteren Entschlusses in der Absicht, seine Ergreifung zu verhindern, den Hausdetektiv beiseite schubste, wodurch der Zeuge gegen ein Regal stieß, zusammen mit seinem unbekannten Begleiter auf den Hausdetektiv einschlug und -trat, als dieser beide festhielt, und ihm im weiteren Verlauf der Auseinandersetzung auch noch mehrere Ellenbogenhiebe in die Rippen versetzte, seine Festnahme hierdurch aber dennoch nicht verhindern konnte. Eines rechtlichen Hinweises nach § 265 StPO bedarf es für die Schuldspruchänderung nicht, weil auszuschließen ist, dass sich der Angeklagte gegen diesen Schuldspruch anders, als bisher geschehen, verteidigen könnte.

3. Die Änderung des Schuldspruchs zwingt zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs und zur Zurückverweisung der Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht."

Diese Ausführungen treffen zu; der Senat schließt sich ihnen an.

Im Umfang der Aufhebung verweist er die Sache nach § 354 Abs. 2 StPO zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an eine andere Strafkammer des Landgerichts Berlin zurück.

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