KG, Urteil vom 13.10.2003 - 12 U 104/03
Fundstelle
openJur 2012, 1408
  • Rkr:
Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das am 27. Februar 2003 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin – 32 O 441/02 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

(aus Wohnungswirtschaft und Mietrecht WuM)

B. I. 2) c) Das Landgericht (Berlin) hat seiner Minderungsberechnung zutreffend die vereinbarte Bruttomiete zugrundegelegt. Der Senat vermag der zur Berufungsbegründung vorgetragenen Ansicht der Klägerin nicht zu folgen, es käme hierfür auf die Netto-Miete an, sondern schließt sich der Auffassung an, dass es für die Minderung des Mietzinses nach §536 Abs. 1 Satz 2BGB grundsätzlich auf die Bruttomiete ankommt, also auf die Summe aus Nettomiete und Nebenkosten (ebenso - zum alten Mietrecht - OLG Hamm NJWE-MietR 1996, 80; OLG Düsseldorf WM 1994, 324; OLG Frankfurt WM 1986, 19; vgl. zur bisherigen, nach neuem Recht nicht weiterverfolgten Rechtsprechung des Senats GE 2001, 1670 (= GuT 2002, 77)).

(1) Auf welcher Grundlage eine Mietminderung zu berechnen ist, ist umstritten. Als Ausgangspunkt für die Herabsetzung der Miete kommen die Nettomiete (Mietzins ohne Nebenkosten), die Bruttomiete (Mietzins mit allen Nebenkosten) oder die Bruttokaltmiete (Mietzins mit allen Nebenkosten ohne Heizkosten) in Betracht; sofern Nebenkosten in eine Mietminderung einbezogen werden, ergibt sich das weitere Problem, ob dies gleichmäßig geschehen soll oder ob eine Berücksichtigung nur der Nebenkosten geboten ist, die vom minderungsbegründenden Mangel betroffen sind. In Rechtsprechung und Literatur werden hierzu vielfältige Ansichten vertreten (vgl. die Übersicht mit zahlreichen Rechtsprechungsnachweisen bei v. Staudinger/Emmerich, BGB, Neubearbeitung 2003, §536 BGB, Rn.55).

(2) Dem Wortlaut des Gesetzes ist zu der Frage, auf welcher Grundlage eine Mietminderung zu berechnen ist, nichts zu entnehmen. In §536 Abs. 1 Satz 2BGB ist lediglich von "Miete" die Rede. Diese Formulierung besagt für die Frage nichts, ob bei der Minderung die Nettokaltmiete (Miete ohne Nebenkosten), die Bruttomiete (Miete einschließlich Nebenkosten) oder eine andere Berechnungsgrundlage heranzuziehen ist.

(3) Gleichfalls unergiebig ist insoweit die Gesetzgebungsgeschichte zu §536 Abs. 1 BGB in der hier geltenden Fassung. Der Rechtsausschuss des Bundestages, der der Norm die jetzt geltende Fassung gegeben hat, hat entgegen ersten Plänen ausdrücklich von einer Legaldefinition der Miete abgesehen und damit die Lösung des Problems der Rechtspraxis überlassen (vgl. Sternel, WM 2002, 244, 246 m.w.N.).

(4) Entscheidend für eine Berechnung der Mietminderung auf Basis der Bruttomiete, also unter Einbeziehung sämtlicher Nebenkosten, sprechen jedoch die Gesetzessystematik, der Zweck der Norm sowie Aspekte der Praktikabilität.

Aus §536 Abs. 1 Satz 1 BGB ergibt sich, dass der Mieter von der Entrichtung der Miete vollständig befreit ist, solange die Tauglichkeit der Mietsache zum vertragsgemäßen Gebrauch infolge eines Mangels aufgehoben ist. Dies ist eindeutig: In diesem Fall muss der Mieter solange nichts zahlen, wie die Gebrauchstauglichkeit fehlt; auch Nebenkosten schuldet er nicht (vgl. Blank/ Börstinghaus, Neues Mietrecht, §536 BGB, Rn.5). Im Hinblick darauf lässt sich nicht überzeugend begründen, dass bei einer Minderung der Tauglichkeit, also bei ihrer nur teilweisen Aufhebung, die Nebenkosten entweder ganz oder teilweise unverändert weiter zu zahlen sein sollen. Gegenüber dem vollständigen Wegfall der Tauglichkeit zum vertragsgemäßen Gebrauch handelt es sich nicht um ein aliud, sondern nur um ein wesensgleiches minus. Beide Fälle sind in derselben Norm in unmittelbarem Zusammenhang geregelt (§536 Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB); in beiden Fällen hat der Gesetzgeber das Wort "Miete" gewählt. Das spricht dafür, sie auch einheitlich zu interpretieren, und zwar im Sinne der Bruttomiete.

Dasselbe Wort "Miete" findet sich ferner unter demselben amtlichen "Untertitel 1. Allgemeine Vorschriften für Mietverhältnisse" in §543 Abs.2 Nr.3 BGB, der das Recht des Vermieters zur außerordentlichen fristlosen Kündigung des Mietverhältnisses wegen Zahlungsverzuges des Mieters regelt. Nach zutreffender Ansicht (als h.M. bezeichnet bei Palandt/Weidenkaff, BGB, 63. Aufl. 2003, §543 BGB, Rn.23 m.w.N.) können Rückstände der Mietzahlung mit Einschluss der laufenden Nebenkosten und Vorauszahlungen für Heiz- und Warmwasserkosten eine derartige Kündigung rechtfertigen. Es spricht - auch unter dem Gesichtspunkt der Einheit der Rechtsordnung - nichts dafür, die Nebenkosten unterschiedlich zu berücksichtigen, je nachdem, ob Mieter oder Vermieter ihren Leistungspflichten unzureichend nachkommen (vgl. auch Gellwitzki, WM 1999, 10, 15 zur Rechtslage nach altem Mietrecht). Auch dieses rechtfertigt es, bei der Mietminderung auf die Bruttomiete abzustellen.

Dasselbe Ergebnis gebietet der Zweck des §536 Abs. 1 Satz 2BGB. Durch die Mietminderung soll das von den Vertragsparteien festgelegte Äquivalenzverhältnis zwischen der Leistung des Vermieters - der Bereitstellung einer im Vertragssinn nutzbaren Mietsache - und der Leistung des Mieters - der Mietzahlung - bei einer Störung auf Vermieterseite wieder hergestellt werden. Für eine reduzierte Vermieterleistung soll der Mieter auch nur reduziert leisten müssen.

Bei dieser Äquivalenzbetrachtung lässt sich die Nettomiete für Räume nicht sinnvoll von den Nebenkosten trennen. Der Mieter von Räumen zahlt Miete, um diese Räume im Rahmen des vertraglich gestatteten Gebrauchs entsprechend ihrer Ausstattung und technischen Möglichkeiten zu nutzen. Die an den Vermieter zu zahlenden Nebenkosten (etwa für Heizung, Wasser, Müllabfuhr, Straßenreinigung) dienen diesem Zweck: Sie ermöglichen oder erleichtern die Raumnutzung. Ohne die gleichzeitige Bereitstellung der Räume wäre die Zahlung von Nebenkosten für den Mieter zwecklos (vgl. die bereits erörterte Vorschrift des §536 Abs. 1 Satz 1 BGB). Damit bewirkt eine beschränkte Nutzungsmöglichkeit, dass auch die auf volle Funktionsfähigkeit der Räume gerichteten Nebenkostenzahlungen ihren Zweck nicht voll erreichen können, sondern ihn in dem Maße verfehlen, wie die Nutzungsfähigkeit der Räume eingeschränkt ist. Entsprechend sind sie bei der Mietminderung zu berücksichtigen.

Dem lässt sich nicht mit Erfolg entgegenhalten, die Nebenkosten seien als eine Art "Durchlaufpositionen" beim Vermieter zu begreifen, die letztlich voll dem Mieter zugute kämen. Sie kommen nämlich regelmäßig auch dem Vermieter zugute - mit den Heizkosten etwa werden typischerweise auch Instandhaltungsarbeiten an der Heizungsanlage finanziert, die dem Vermieter gehört, und die auf die Mieter umgelegten Reinigungsarbeiten bewirken neben der Gewährleistung des geschuldeten Mietgebrauchs auch eine Pflege und den Erhalt des Vermietereigentums. Es ist nicht verständlich, warum der Mieter solche Zahlungen ungeschmälert weiter leisten soll, wenn der Vermieter nur unvollständig leistet.

Der Senat hält auch eine nach einzelnen Nebenkostenpositionen differenzierende Sichtweise bei der Minderung nicht für überzeugend.

Zum einen sind - wie bereits dargelegt - immer sämtliche Aufwendungen für die Raumnutzung im Sinne einer teilweisen Zweckverfehlung von einem Mangel der Räume betroffen. Zum anderen wäre - wollte man dies anders sehen - eine konsequente Differenzierung zwischen einzelnen, vom Mangel der Mietsache "betroffenen" Nebenkostenpositionen hochgradig unpraktikabel, weil es dem Mieter einen kaum zu leistenden Darlegungs- und Berechnungsaufwand zur Rechtfertigung der begehrten Minderung auferlegen würde. Er müsste nicht nur erläutern, warum welche Nebenkostenposition betroffen wäre (im vorliegenden Fall wäre unter Berücksichtigung der umlegungsfähigen Kostenarten nach §3 Nr.3.3 des Mietvertrages etwa an die von den Wassereinbrüchen - möglicherweise - betroffenen Positionen Nr.2 (Kanalgebühren, Entwässerung), Nr.6 (Straßenreinigungsgebühren) oder Nr.19 (Fassadenbeleuchtung, Fassadenreinigung) zu denken). Es obläge ihm konsequenterweise auch, für jede dieser Positionen je nach Betroffenheitsgrad eine gesonderte Minderungsquote zu benennen und daraus unter Einbeziehung der anteilig herabgesetzten Nettokaltmiete eine "Gesamtminderung" zu errechnen. Die mit Auseinandersetzungen der Prozessparteien über derartige Fragen verbundene Belastung der gerichtlichen Durchsetzung von Mietminderungen liegt für jeden Mietrechtspraktiker auf der Hand; auch das Gebot des effektiven Rechtsschutzes hindert den Senat daran, dieser Auffassung zu folgen.

(5) Hiernach hat das Landgericht zutreffend die Bruttomiete in Höhe von 587,99 EUR zugrundegelegt (486,18 EUR Netto-Kaltmiete+101,81 EUR Betriebskostenvorschuss, darin enthalten nach §3 Nr.3.3 des Mietvertrages auch Kosten für die Zusatzheizung der BEWAG für den Gewerbebereich) und hieraus eine 10%ige Minderung in Höhe von 58,80 EUR für die Monate Juni bis August 2001 und Oktober 2001 und eine 20 %ige Minderung in Höhe von 117,60 EUR von November 2001 bis Juni 2002 errechnet, insgesamt also einen Betrag in Höhe von 1176,00 EUR (vgl. S.9 der Entscheidungsgründe).