KG, Urteil vom 28.07.2003 - 12 U 44/02
Fundstelle
openJur 2012, 1284
  • Rkr:
Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 15. November 2001 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin – 17 O 413/00 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Berufung ist erfolglos. Der Kläger hat den erforderlichen haftungsbegründenden Zusammenhang zwischen der Kollision seines Motorrades mit dem Pkw der Beklagten zu 1) am 29. Juni 2000 und seinem Sturz am 30. Juni 2000 nicht bewiesen, so dass die Beklagten nicht für die Folgen dieses Sturzes aufkommen müssen und das Landgericht die Klage zu Recht abgewiesen hat.

Das Vorbringen der Parteien im Berufungsrechtszug rechtfertigt es nicht, die Sache anders zu beurteilen. Insbesondere ist nicht die Einholung eines weiteren Gutachtens veranlasst.

A. Nach § 412 ZPO steht die Einholung eines weiteren Gutachtens im Ermessen des Gerichts und ist nur ausnahmsweise geboten. Allerdings darf und muss das Gericht, wenn es aus dem Gutachten trotz Ergänzung oder Anhörung des Sachverständigen keine sichere Überzeugung gewinnt, eine neue Begutachtung anordnen, wenn besonders schwierige Fragen zu lösen oder grobe Mängel des vorhandenen Gutachtens nicht zu beseitigen ist, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn das Gutachten in anderer Weise nicht aufklärbare Widersprüche enthält, wenn ein neuer Gutachter über überlegene Forschungsmittel verfügt oder wenn eine Partei substantiierte, nicht von vornherein widerlegbare Einwendungen, auch mit Hilfe eines Privatgutachters, erhebt (vgl. BGHZ 53, 245, 258; BGH NJW 1992, 1459; NJW 1996, 730; Senat, KGR 2002, 89; Urteil vom 1. Oktober 2001 – 12 U 1918/00 –; Urteil vom 21. Jan. 2002 – 12 U 5219/00 –; zusammenfassend Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 25. Auflage 2003, § 412 ZPO, Rn. 1 m.w.N.).

B. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor: Das Gutachten des Sachverständigen K vom 22. August 2001 bietet eine hinreichend zuverlässige Entscheidungsgrundlage, auf die sich das Landgericht in zutreffender Weise gestützt hat; der Senat teilt die Auffassung des Landgerichts, dass der Kläger den Ursachenzusammenhang zwischen der Kollision mit dem Beklagtenfahrzeug und dem späteren Sturz nicht bewiesen hat.

Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:

I. Unmittelbaren Beweis für die behauptete Beschädigung der Bremsanlage bei der Kollision mit dem Beklagtenfahrzeug am 29. Juni 2000 hat der Kläger nicht angeboten.

II. Im Verlauf des Rechtsstreits haben sich auch keine hinreichenden Indizien ergeben, die einen sicheren Schluss auf die Beschädigung der Bremsanlage bei der Kollision am 29. Juni 2000 zulassen.

1 a) Es steht allerdings fest, dass bei dieser Kollision die rechte Fußraste des Motorrades beschädigt worden ist. Dies haben die Beklagten ausdrücklich vorgerichtlich eingeräumt. Zu Recht beruft sich der Kläger insoweit auf das Schreiben der Beklagten zu 2) vom 10. August 2000, in dem diese darauf hinweist, nach übereinstimmenden Angaben beider Beteiligter seien die Fußraste und der Auspuff beschädigt worden. Die Beklagten haben im Prozess nicht erläutert, warum diese zeitnahe Angabe – ca. sechs Wochen nach der Kollision – nicht mehr gelten soll.

b) Diese Beschädigung – isoliert betrachtet – begründet eine Schadensersatzforderung der Klägers nicht. Der im Termin zur mündlichen Verhandlung wiederholte Hinweis des Klägers, schon wegen der Beschädigung der Fußraste und unabhängig von den Ergebnissen des Sachverständigengutachtens stehe ihm Schadensersatz zu, geht vielmehr angesichts seiner Schadensberechnung ins Leere: Er verlangt gerade nicht Ersatz zur Beseitigung dieser Beschädigung, sondern macht auf Totalschadensbasis Ersatz wegen der beim Sturz entstandenen Schäden geltend, mithin den Wiederbeschaffungswert. Einen gesondert abrechenbaren "Fußrastenschaden" hat der Kläger nicht dargelegt und beziffert.

2) Es ist nach Beweisaufnahme ferner ungewiss geblieben, wie umfangreich der "Primärschaden" an der Fußraste war, insbesondere ob dieser einen "Sekundärschaden" an der Bremsanlage verursacht hat.

a) Nach Klägerdarstellung war die Intensität der Kollision gering, bei der die Fußraste beschädigt worden ist. In der Klageschrift heißt es hierzu: "Der Anstoß des Pkws an das Motorrad führte zu kaum sichtbaren Beschädigungen, das Motorrad stürzte nicht einmal um" (Bl. 3 d.A.). Dies spricht gegen einen weitergehende Schäden an anderen Aggregaten.

Etwas anderes lässt sich nicht aus den Angaben der Beklagten zu 2) zum Zustand der Stoßstange ihres Nissan nach dem Unfall entnehmen. Sie hat ausgesagt, sie habe keinen Anstoßpunkt an der Stoßstange finden können, weil es sich "um eine alte Stoßstange handelte, die ohnehin schon Stellen hatte" (Bl. 50 d.A.). Der Zustand einer vorgeschädigten Stoßstange besagt daher nichts Hinreichendes über die Wucht des Zusammenstoßes. Schließlich hat auch der Sachverständige K die Behauptung des Klägers, es hätten erhebliche Kräfte auf die rechte Fußraste und die Halterung eingewirkt, nicht bestätigt. In seiner ergänzenden Äußerung vom 1. Oktober 2001 (dort S. 3) hat er ausgeführt, nach den vorhandenen Schäden sei "eher das Gegenteil der Fall". Am rechten Auspufftopf seien nur geringfügige Kratzer vorhanden, die kaum zu Einbeulungen geführt hätten. Ein erheblicher Anprall hätte zudem zu einem Sturz des Klägers geführt.

b) Soweit die Zeugen F R und P N Angaben zum Zustand der Fußraste gemacht haben, beruhen diese auf ihren Beobachtungen nach dem zweiten Sturz am 30. Juni 2000. Auch die von Letztgenanntem als Privatgutachter gefertigten Fotos geben diesen Zustand wieder. Es ist damit nicht sicher, dass dieser Zustand identisch war mit demjenigen nach der Kollision tags zuvor. Nachhaltige Zweifel hieran begründet die Aussage des Zeugen N, er habe an beiden Seiten des Motorrades Sturzschäden festgestellt. Da das Motorrad bei der Kollision am 29. Juni 2000 nicht umgefallen und bei dem Sturz am 30. Juni 2000 auf die linke Seite gefallen ist, könnte diese Beobachtung des Privatsachverständigen für ein drittes Schadensereignis sprechen, bei dem das Motorrad auf die rechte Seite gefallen ist. Nicht auszuschließen ist, dass Schäden an der rechten Fußraste hiermit in Zusammenhang stehen (vgl. auch die Ausführungen des Sachverständigen K auf S. 6 seines Gutachtens).

c) Die behauptete Verursachung von "Sekundärschäden" durch die Beschädigung der Fußraste hat die Beweisaufnahme nicht ergeben.

(1) Der gerichtliche Sachverständige K hat den vom Kläger behaupteten durch die leichte Beschädigung der rechten Fußraste verursachten weiteren Schaden am Bremszylinder nicht bestätigt, sondern eine Verbiegung des Halters für die Druckstange der Fußbremse als unwahrscheinlich bezeichnet und als mögliche Sturzursachen den Verzug des Rahmens oder ein Fehlverhalten des Klägers beim Bremsen genannt.

Dieses Ergebnis hat er auf mehrere Argumente gestützt.

Er hat sich auf die vom Privatsachverständigen N gefertigten Fotos des Bremspedals und der rechten vorderen Fußraste bezogen und ausgeführt, dort seien Beschädigungen, die auf einen Verzug hinwiesen, nicht erkennbar.

Er hat dargelegt, die behauptete Beschädigung hätte das Spiel des Fußbremshebels so verändert, dass dies einem Motorradfahrer sofort aufgefallen wäre.

Er hat die Feststellungen des Privatsachverständigen N, die Druckstange im Bremszylinder sei verbogen, mit dem Argument in Frage gestellt, dies sei ohne den Abbau der kompletten Fußrastenanlage nicht erkennbar.

Er hat aus dem auf den Fotos erkennbaren Zustand der Bremsscheiben geschlossen, dass die Bremsen nicht – wie bei nicht vollständiger Rückführung der Druckstange zu erwarten – leicht blockiert haben und fachkundig erläutert, bei leichter Blockade der Bremsklötze sei durch die Überhitzung eine Verfärbung zu erwarten.

Damit hat der Sachverständige den behaupteten Ursachenzusammenhang nicht bestätigt.

(2) Der Senat hält diese Ausführungen für überzeugend.

Den auf S. 2 der Berufungsbegründung gerügten "Widerspruch" enthalten die schriftlichen und mündlichen Äußerungen des Sachverständigen nicht. Er hat nicht ausgeführt, bei einer unfallbedingten Verbiegung der Fußraste wäre eine Weiterfahrt nicht möglich gewesen. Vielmehr hat er durchweg angegeben, die Weiterfahrt wäre erschwert gewesen und hätte zu einer Überhitzung der Bremsen geführt (S. 5 f. des Gutachtens vom 22. August 2001 sowie S. 3 der Ergänzung vom 1. Oktober 2001). In seiner mündlichen Befragung am 15. November 2001 hat er ergänzt, "der Effekt, dass die Bremsscheiben blockieren", wäre nicht sofort nach dem Vorfall, aber sofort nach dem ersten Abbremsen bei der Fahrt, aufgetreten. Auch diese Angabe setzt voraus, dass eine Weiterfahrt überhaupt möglich gewesen wäre.

Soweit das Landgericht auf Seite 6 des angefochtenen Urteils ausgeführt hat, nach dem ersten Abbremsen wäre nach Darstellung des Sachverständigen eine Weiterfahrt so nicht möglich gewesen, beruht dies nicht auf Äußerungen des Sachverständigen, sondern möglicherweise auf einem Missverständnis. Jedenfalls stellt dies die Richtigkeit der in sich folgerichtigen Angaben des Sachverständigen nicht in Frage.

Anlass zur Einholung eines weiteren Gutachtens besteht daher nicht: Weder steht die Fachkunde des Sachverständigen in Zweifel noch ist das Gutachten in sich widersprüchlich oder mangelhaft.

Die erstmals im Termin zur mündlichen Verhandlung am 28. Juli 2003 vom Kläger persönlich vorgetragene Behauptung, die Druckstange im Bremssystem sei durch die Kollision am 29. Juni 2000 derartig verbogen worden, dass zunächst leichteres Bremsen noch möglich gewesen sei und erst am darauffolgenden Tag bei stärkerem Bremsen die Blockade eingetreten sei, gibt gleichfalls keine Veranlassung zu weiterer Begutachtung.

Zum einen steht dieses neue Vorbringen in einem unauflösbaren Widerspruch zu dem bisherigen Vortrag zum Schadensgeschehen. In der Klageschrift hat der Kläger auf S. 4 noch dargelegt, am 30. Juni 2000 habe eine leichte Betätigung der Bremse zur Blockade beider Räder geführt.

Zum anderen wäre das neue Vorbringen, sollte es erheblich sein, jedenfalls verspätet i.S.d. § 528 ZPO a.F. und damit nicht zuzulassen, denn es stellt einen Verstoß gegen die Prozessförderungspflicht des Klägers nach § 282 Abs. 1 ZPO dar, wenn er erstmals knapp drei Jahre nach Klageeingang und nach mehrfacher Befragung eines Sachverständigen eine neue Sachdarstellung zum erlittenen Unfallschaden vorlegt; die Berücksichtigung dieses Vorbringen durch Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens würde zu einer Verzögerung des ansonsten entscheidungsreifen Rechtsstreits führen.

(3) Ein Schluss vom Zustand der Bremsanlage nach dem Sturz am 30. Juni 2000 auf ihre Funktionsfähigkeit unmittelbar vorher verbietet sich deshalb, weil der Fahrzeugrahmen sich jedenfalls auch beim Sturz verzogen hat. Damit kann die nach dem 30. Juni 2000 festgestellte Blockade der Räder auch hierauf zurückzuführen sein.

C. Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO).

D. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO.