VerfGH des Landes Berlin, Beschluss vom 12.07.1994 - 94/93
Fundstelle
openJur 2012, 729
  • Rkr:
Gründe

I.

Der im Jahre 1961 geborene Beschwerdeführer ist vietnamesischer Staatsangehöriger. Er ist verheiratet und Vater eines sechsjährigen Kindes. Seine Ehefrau und sein Kind leben in Vietnam und werden von ihm finanziell unterstützt.

Der Beschwerdeführer reiste im Oktober 1988 in die seinerzeitige Deutsche Demokratische Republik (DDR) zur Arbeitsaufnahme ein und erhielt aufgrund des Abkommens zwischen der Regierung der DDR und der Regierung der Sozialistischen Republik Vietnam vom 11. April 1980 über die zeitweilige Beschäftigung und Qualifizierung vietnamesischer Werktätiger in Betrieben der DDR eine Aufenthaltsgenehmigung. Diese Aufenthaltsgenehmigung übertrug das Landeseinwohneramt Berlin in eine bis zum 17. November 1993 befristete Aufenthaltsbewilligung.

Mit Urteil vom 6. Oktober 1992 verurteilte das Amtsgericht Tiergarten den Beschwerdeführer wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts verkaufte der Beschwerdeführer in der Zeit vom 26. Oktober 1990 bis zum 25. September 1991 in fünf Fällen unversteuerte und unverzollte Zigaretten. Bei den jeweiligen Überprüfungen hatte er noch insgesamt 4.045 Zigaretten bei sich, deren hinterzogener Abgabenwert insgesamt 886,10 DM betrug.

Mit Bescheid vom 17. Februar 1993 lehnte das Landeseinwohneramt Berlin einen Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung ab, wies den Beschwerdeführer unter Anordnung der sofortigen Vollziehung aus und drohte ihm die Abschiebung nach Vietnam oder in einen anderen Staat an, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rücknahme verpflichtet sei, sofern er nicht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Bescheids freiwillig ausgereist sei. Zur Begründung führte das Landeseinwohneramt aus, der Beschwerdeführer habe über einen längeren Zeitraum hinweg einen umfangreichen Handel mit unverzollten und unversteuerten Zigaretten betrieben und damit gegen Abgabegesetze verstoßen. Sein Verhalten zeige, daß er nicht gewillt sei, die zum Schutz der Allgemeinheit erlassenen Gesetze zu beachten, so daß zu befürchten sei, daß er unter Ausnutzung der aufschiebenden Wirkung von Rechtsbehelfen gegen diesen Bescheid die rechtswidrige Handelstätigkeit fortsetzen werde. Im übrigen habe die Ausweisung den Zweck, andere Ausländer vor vergleichbarem rechtswidrigen Verhalten abzuschrecken. Gegen diesen Bescheid hat der Beschwerdeführer Widerspruch erhoben, über den noch nicht entschieden worden ist.

Seinen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat das Verwaltungsgericht Berlin durch Beschluß vom 14. Juni 1993 mit der Begründung abgelehnt, der Antragsteller habe nicht nur vereinzelt oder geringfügig gegen Rechtsvorschriften verstoßen und damit einen Ausweisungsgrund gemäß §§ 45 Abs. 1, 46 Nr. 2 AuslG gesetzt. Das Landeseinwohneramt habe die Ausweisung zulässigerweise mit generalpräventiven Erwägungen begründet. Die gegen diesen Beschluß erhobene Beschwerde hat das Oberverwaltungsgericht Berlin durch Beschluß vom 14. Juni 1993 im wesentlichen aus den Gründen des angefochtenen verwaltungsgerichtlichen Beschlusses zurückgewiesen. Ergänzend hat das Oberverwaltungsgericht dargelegt: Die Ausweisung sei ermessensfehlerfrei selbständig tragend auf generalpräventive Gründe gestützt. Dem massenhaften illegalen gewerbsmäßigen Zigarettenschmuggel mit seiner Begleitkriminalität könne nur wirksam durch eine kontinuierliche Ausweisungspraxis begegnet werden, von der auch Kleinhändler von Schmuggelgut nicht ausgenommen seien.

Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer, der Bescheid des Landeseinwohneramtes sowie die beiden diesen Bescheid im einstweiligen Rechtsschutzverfahren bestätigenden Beschlüsse des Verwaltungs- und des Oberverwaltungsgerichts verletzten Art. 11 VvB in Verbindung mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip. Er macht im wesentlichen geltend:

Die Verfassungsbeschwerde sei schon vor Abschluß des Hauptsacheverfahrens zulässig. Da ihm die Abschiebung drohe, könne das Hauptsacheverfahren der verfassungsrechtlichen Beschwer nicht abhelfen, vielmehr sei zu befürchten, daß die Grundrechtsverletzung bereits jetzt eintrete.

Die angegriffene Ausweisung verletze ihn in seinem Grundrecht aus Art. 11 VvB. Dies folge schon daraus, daß die Ausweisungsverfügung auf § 45 Abs. 1 AuslG gestützt sei, der seinerseits wegen Verstoßes gegen das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot nichtig und deshalb als Rechtsgrundlage untauglich sei. § 45 Abs. 1 AuslG nenne nämlich die Voraussetzungen, unter denen eine Ausweisung erfolgen könne, derart ungenau, daß kein Ausländer mit der erforderlichen Bestimmtheit erkennen könne, wann er mit dieser schwersten ausländerrechtlichen Maßnahme zu rechnen habe.

Sowohl der angegriffene Bescheid des Landeseinwohneramtes als auch die ihn im vorläufigen Verfahren bestätigenden Entscheidungen des Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichts beruhten im übrigen auf einer fehlerhaften Auslegung der §§ 45, 46 Nr. 2 und 47 AuslG. Die Ausländerbehörde und ihr folgend die Verwaltungsgerichte hätten verkannt, daß der Handel mit unverzollten und unversteuerten Zigaretten nicht zum Bereich der schweren oder mittleren Kriminalität gehöre. § 46 Nr. 2 AuslG scheide damit als Rechtsgrundlage aus; bei dieser Sachlage sei ein Rückgriff auf § 45 AuslG ausgeschlossen.

Zumindest verletzten die Ausweisungsentscheidung und die in Rede stehenden gerichtlichen Entscheidungen das verfassungsrechtlich verbürgte Verhältnismäßigkeitsprinzip. Obwohl § 45 Abs. 1 AuslG die Ausweisung in das Ermessen der Behörde stelle, habe diese im vorliegenden Fall von ihrem Ermessen keinen ordnungsgemäßen Gebrauch gemacht. Vielmehr habe die Ausländerbehörde zur Verfolgung generalpräventiver Zwecke ganz schematisch in jedem Fall des Handels mit unversteuerten und unverzollten Zigaretten die Ausweisung verfügt, ohne der persönlichen, sozialen und wirtschaftlichen Situation eines einzelnen Vertragsarbeitnehmers zur Zeit der Straftaten Rechnung zu tragen. In diesem Zusammenhang sei insbesondere zu berücksichtigen, daß es sich bei den ihm - dem Beschwerdeführer - und mehreren seiner Landsleute vorgeworfenen Straftaten um solche aus der "Wendezeit" der staatlichen Vereinigung Deutschlands handele, in bezug auf die ihnen seinerzeit das Unrechtsbewußtsein gefehlt habe. Bei einer solchen Situation könne eine Ausweisung nicht schematisch auf generalpräventive Erwägungen gestützt werden. Auch enthalte die Ausweisungsentscheidung keine Ermessenserwägungen zur Geeignetheit und Erforderlichkeit der Ausweisung, obwohl die Behörde dazu verpflichtet gewesen wäre. Ausländerbehörde, Verwaltungs- und Oberverwaltungsgericht hätten ferner nicht hinreichend beachtet, daß die Ausweisung der betroffenen vietnamesischen Vertragsarbeitnehmer nicht zu einer Eindämmung des Handels mit unverzollten und unversteuerten Zigaretten führen könne, weil dieser Personenkreis lediglich während des Zeitraums der staatlichen Vereinigung Deutschlands illegal mit Zigaretten gehandelt habe, nunmehr aber der illegale Zigarettenhandel ausschließlich von vietnamesischen Asylbewerbern betrieben werde, die im Hinblick auf ihren besonderen Schutz als Asylsuchende wegen dieser Delikte weder ausgewiesen noch abgeschoben werden könnten. Überdies fehle es an der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, weil der An- und Verkauf von unversteuerten und unverzollten Zigaretten völlig außer Verhältnis zu der für ihn - den Beschwerdeführer - existenzvernichtenden Ausweisung nach einem mehrjährigen rechtmäßigen Aufenthalt in Deutschland stehe.

Das Landeseinwohneramt Berlin und die Senatsverwaltung für Inneres haben gemäß § 53 VerfGHG Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.

II.

Die Verfassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.

1. a) Nach § 49 Abs. 1 VerfGHG kann jedermann mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt des Landes Berlin in einem seiner in der Verfassung von Berlin enthaltenen Rechte verletzt zu sein, die Verfassungsbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof erheben. Soweit, wie hier, Gegenstand der Verfassungsbeschwerde die Anwendung von Bundesrecht ist, besteht die Prüfungskompetenz des Verfassungsgerichtshofs in den Grenzen der Art. 142, 31 GG allein mit Blick auf solche Grundrechte der Verfassung von Berlin, die mit vom Grundgesetz verbürgten Grundrechten übereinstimmen (st. Rspr., u. a. Beschluß vom 2. Dezember 1993 - VerfGH 89/93 - NJW 1994, 437).

Vor diesem Hintergrund beruft sich der Antragsteller zu Recht auf Art. 11 VvB. Dieses Grundrecht gewährleistet neben der Berufsfreiheit (vgl. Beschluß vom 10. November 1993 - VerfGH 78/93 -) die freie Wahl des Wohnsitzes als ausdrücklich genannten Unterfall einer umfassend zu verstehenden Freizügigkeit. Das damit von der Berliner Verfassung verbürgte Grundrecht schützt der Sache nach - positiv - namentlich das Recht des freien Zuges, und zwar - dem räumlichen Anwendungsbereich dieser landesrechtlichen Bestimmung entsprechend - des freien Zuges in den Grenzen des Landes Berlin, d. h. das Recht, ungehindert durch die Staatsgewalt sowohl von einem Berliner Bezirk in den anderen zu ziehen, als auch innerhalb dieser Bezirke nach eigener Wahl Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen. Überdies begründet dieses Grundrecht sozusagen als Kehrseite der positiven Freizügigkeit das Recht, nicht ziehen zu müssen, das Recht, innerhalb Berlins dort zu bleiben, wo man ist (sog. negative Freizügigkeit). Geschützt wird in diesem Rahmen das Recht, den gegenwärtigen Lebenskreis beizubehalten (vgl. ebenso zu Art. 11 GG im einzelnen Randelzhofer, Bonner Kommentar, Art. 11 Rdnr. 55 ff., siehe dazu auch Dürig in Maunz/Dürig, GG, Art. 11 Rdnr. 39, und Kunig in von Münch/Kunig, GG, Art. 11 Rdnr. 18 m. w. N.), also beispielsweise einen bestimmten Berliner Bezirk nicht gegen seinen Willen verlassen zu müssen. Ohne Belang ist in diesem Zusammenhang, ob insoweit (auch) ein Zwang zum Ziehenmüssen über die Grenzen Berlins oder gar über die Grenzen der Bundesrepublik hinaus in Rede steht. Denn ein solcher Zwang berührt denknotwendig das von Art. 11 VvB geschützte Recht auf Beibehaltung des gegenwärtigen Lebenskreises, d. h. das Recht, in dem Berliner Bezirk zu bleiben, in dem man Aufenthalt und Wohnsitz genommen hat. Mit diesem Inhalt deckt sich (zwar nicht der räumliche, aber doch) der sachliche Schutzbereich des Art. 11 Vv8 im wesentlichen mit demjenigen des Art. 11 Abs. 1 GG. Allerdings beschränkt sich Art. 11 VvB abweichend von Art. 11 Abs. 1 GG nicht auf den Schutz von Deutschen i. S. des Art. 116 GG, sondern enthält ein Menschenrecht (Schwan in: Pfennig/Neumann, Verfassung von Berlin , 2. Aufl., Art. 11 Rdnr. 2; Landsberg/Goetz, Verfassung von Berlin, Art. 11 Anm. 1). Insoweit muß er sich jedoch einfügen in die bundesstaatliche Ordnung. Denn das aufgrund des Art. 73 Abs. 3 bzw. des Art. 74 Nr. 4 i. V.m. Art. 72 Abs. 1 GG bundesrechtlich geordnete Ein- und Auswanderungsrecht bzw. das Aufenthalts- und Niederlassungsrecht der Ausländer steht wegen Art. 31 GG der Inanspruchnahme eines landesrechtlichen Freizügigkeitsschutzes für Ausländer weitgehend entgegen. In welchem Umfang dies zutrifft, ergibt sich nicht schon aus den dem Bund vom Grundgesetz in dem hier in Rede stehenden Bereich verliehenen Gesetzgebungskompetenzen. Maßgebend ist vielmehr, ob und ggf. wieweit der einfache (Bundes-)Gesetzgeber von dieser Kompetenz in einer Art und Weise Gebrauch gemacht hat, die die Fortgeltung des einschlägigen Landesgrundrechts ausschließt (vgl. Jutzi, DÖV 1983, 836 <839>), d. h. dieses Grundrecht - ungeachtet des Art. 142 GG - gemäß Art. 31 GG "bricht".

Das Gesetz über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern im Bundesgebiet (Ausländergesetz) - AuslG vom 9. Juli 1990 (BGBl. I S. 1354, 1356) ist nicht so auszulegen, daß die Verbürgung der Freizügigkeit für Ausländer durch die Verfassung von Berlin schlechthin ausgeschlossen ist. Nach überwiegender Meinung in der Literatur und insbesondere der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts können sich Ausländer, die sich in der Bundesrepublik aufhalten, neben den durch das Ausländergesetz selbst geschaffenen subjektiven Rechten auf die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG berufen und so im Ergebnis einen Anspruch auf die Einhaltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bei Entscheidungen haben, die ihre Aufenthaltsrechte betreffen (vgl. dazu z. B. Hailbronner, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR. VI, § 131 Rdnr. 45; Kunig, in: von Münch/Kunig, Grundgesetzkommentar, Band I, 4. Aufl., Art. 11 Rdnr. 9; BVerfGE 35, 382 <399>; 38, 52 <57>; 50, 166 <175>; anders etwa Erichsen, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. 6, 1989, § 152 Rdnr. 47 ff.). Angesichts dessen bedürfte es konkreter Anhaltspunkte, um annehmen zu dürfen, das Ausländergesetz ziele (auch) darauf ab, den Ausländern einen landesverfassungsrechtlichen Grundrechtsschutz zu nehmen, der ihnen bundesrechtlich zusteht, nämlich den Mindeststandard des Art. 2 Abs. 1 GG. Derartige Anhaltspunkte sind indes nicht ersichtlich. Das drängt die Annahme auf, in diesem Umfang, d. h. hinsichtlich des Anspruchs auf Einhaltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, bestehe mit der Folge eine Identität des Ausländern durch Art. 2 Abs. 1 GG und durch Art. 11 VvB gewährleisteten Grundrechtsschutzes, daß Art. 11 VvB insoweit als Prüfungsmaßstab in landesverfassungsrechtlichen Verfassungsbeschwerdeverfahren erhalten bleibt. Art. 11 VvB vermittelt - mit anderen Worten - in solchen Verfahren eine Grundlage für die Überprüfung ausländerrechtlicher Entscheidungen auf die Einhaltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit.

Insoweit ist die Entscheidung mit fünf zu vier Stimmen ergangen.

b) Der Rechtsweg ist i. S. des § 49 Abs. 2 Satz 1 VerfGHG jedenfalls insoweit erschöpft, als es um die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Ausweisungsbescheides und die Ablehnung vorläufigen Rechtsschutzes durch das Verwaltungs- und das Oberverwaltungsgericht geht. Diese Entscheidungen enthalten für den Beschwerdeführer eine selbständige Beschwer, die sich nicht mit derjenigen deckt, die Gegenstand des Hauptsacheverfahrens ist. Das trifft regelmäßig zu, wenn - wie hier - die Verletzung von Grundrechten namentlich durch Entscheidungen im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gerügt wird (vgl. zum inhaltsgleichen § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG BVerfGE 59, 63 <84>; 65, 227, <233>; 77, 381, <401 f.>; 80, 40, <45>). In derartigen Fällen verlangt § 49 Abs. 2 Satz 1 VerfGHG im Ergebnis nur, daß der Rechtsweg des Eilverfahrens erschöpft ist.

Die vom Beschwerdeführer behauptete Grundrechtsverletzung kann durch das Widerspruchs- und ein sich ggf. anschließendes verwaltungsgerichtliches Hauptsacheverfahren nicht rechtzeitig ausgeräumt werden. Denn aufgrund der sofort vollziehbaren Ausweisungsentscheidung und der Abschiebungsandrohung darf die Ausländerbehörde die gemäß § 42 Abs. 1 und Abs. 2 AuslG vollziehbare Ausreisepflicht des Beschwerdeführers alsbald durchsetzen. Dem steht nicht entgegen, daß derzeit eine Abschiebung gegen den Willen des Beschwerdeführers nach Vietnam ausgeschlossen erscheint, weil die vietnamesischen Auslandsvertretungen keine Einreisevisa erteilen. Nach den Mitteilungen des Landeseinwohneramts Berlin und der Senatsverwaltung für Inneres wird gegenwärtig zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Republik Vietnam über eine Rückreiseberechtigung in Deutschland lebender (abzuschiebender) Vertragsarbeitnehmer verhandelt. Mit einem Vertragsabschluß ist vor einer Beendigung des möglicherweise mehrere Jahre dauernden Hauptsacheverfahrens zu rechnen; eine Abschiebung des Beschwerdeführers mit ihren schwerwiegenden Folgen für die Rechtsverteidigung im Hauptsacheverfahren und eine soziale Wiedereingliederung im Erfolgsfall ist deshalb nicht auszuschließen. Bei dieser Sachlage ist dem Beschwerdeführer eine Verweisung auf die Durchführung des Widerspruchs- und des verwaltungsgerichtlichen Hauptsacheverfahrens nicht zuzumuten.

c) Dem Beschwerdeführer fehlt nicht etwa deswegen das Rechtsschutzbedürfnis für seine Verfassungsbeschwerde, weil unabhängig von der angegriffenen Ausweisungsverfügung die befristete Aufenthaltsbewilligung inzwischen durch Fristablauf unwirksam geworden ist. Gemäß § 3 Abs. 1 AuslG bedürfen Ausländer zur Einreise und zum Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland einer Aufenthaltsgenehmigung. Läuft diese ab, sind sie verpflichtet, unverzüglich auszureisen (§ 42 Abs. 1 AuslG) und können notfalls abgeschoben werden (§§ 49 ff. AuslG). Der Beschwerdeführer bedarf deshalb für einen weiteren Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland einer neuen oder verlängerten Aufenthaltsgenehmigung, die er im vorliegenden Verfahren nicht erhalten kann. Dennoch besteht sein Rechtsschutzbedürfnis an der begehrten Entscheidung schon deshalb, weil seine Rechtsstellung im Verfahren über die Neuerteilung oder die Verlängerung einer Aufenthaltsgenehmigung durch die ihm drohende Abschiebung unmittelbar verschlechtert würde. Denn nach § 8 Abs. 2 Satz 1 AuslG darf einem Ausländer, der abgeschoben worden ist, keine Aufenthaltsgenehmigung erteilt werden. Der Beschwerdeführer hat daher gerade auch im Hinblick auf die Erteilung der Aufenthaltsgenehmigung ein Rechtsschutzinteresse daran, daß die nach seiner Ansicht verfassungswidrige Abschiebung, die ihm droht, unterbleibt, damit sein Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren nicht durch seine Entfernung aus der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt wird (vgl. dazu BVerfGE 35, 382 <388 f.>).

d) Es kann dahinstehen, ob die Verfassungsbeschwerde zulässigerweise auch gegen die Ausweisungsverfügung selbst vor Durchführung des Widerspruchsverfahrens und Erschöpfung des Rechtswegs vor den Verwaltungsgerichten im Hauptsacheverfahren gerichtet werden durfte. Denn jedenfalls ist die Verfassungsbeschwerde (auch) insoweit unbegründet.

2. Die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene, unter Anordnung der sofortigen Vollziehung ergangene Ausweisungsverfügung verletzt den Beschwerdeführer ebensowenig in seinen Grundrechten aus Art. 11 VvB wie die die Rechtmäßigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung bestätigenden Eilentscheidungen der Verwaltungsgerichte.

a) Die Rüge des Beschwerdeführers, die angegriffenen, auf § 45 Abs. 1 AuslG gestützten Entscheidungen verletzten ihn schon deshalb in seinem Grundrecht aus Art. 11 VvB, weil diese Vorschrift nichtig sei, ist unbegründet.

Der Verfassungsgerichtshof ist befugt, bei der Überprüfung der auf Bundesrecht beruhenden Entscheidungen der Berliner Verwaltungsbehörden und Gerichte am Maßstab der mit den Grundrechten des Grundgesetzes inhaltsgleichen Grundrechte der Verfassung von Berlin inzident die Übereinstimmung des entscheidungserheblichen Bundesrechts mit dem Bundesverfassungsrecht zu überprüfen. Er ist wie jedes andere Gericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG verpflichtet, ein für seine Entscheidung erhebliches Bundesgesetz auf dessen Bundesverfassungsmäßigkeit hin zu überprüfen und dann, wenn er dieses für bundesverfassungswidrig hält, sein Verfahren auszusetzen und das Gesetz dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorzulegen (vgl. Beschluß vom 23. Dezember 1992 - VerfGH 38/92 - NJW 1993, 513). Ein solcher Fall ist hier jedoch nicht gegeben; § 45 Abs. 1 AuslG verstößt nicht gegen Bundesverfassungsrecht.

aa) Ein Verstoß gegen das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot liegt nicht vor. Das Rechtsstaatsprinzip verlangt, daß die Voraussetzungen der Ausweisung hinreichend bestimmt geregelt sind. Das ist in den §§ 45 bis 48 AuslG geschehen. § 45 Abs. 1 AuslG darf nicht isoliert betrachtet werden. Denn er regelt in sachlicher Übereinstimmung mit seinem Vorgänger, dem § 10 Abs. 1 Nr. 11 AuslG 1965, lediglich den Grundtatbestand der Ermessensausweisung bei einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder sonstiger erheblicher Interessen der Bundesrepublik Deutschland und wird durch die in § 46 AuslG aufgeführten Regelbeispiele ergänzt (BT-Drucks. 11/6321, S. 49 ff.). Darüber hinaus enthält das Ausweisungsrecht des Ausländergesetzes vom 9. Juli 1990 gegenüber dem früheren Rechtszustand, der in § 10 Abs. 1 AuslG 1965 nur einen einheitlichen Ausweisungstatbestand mit verschiedenen Regelbeispielen kannte, neben dem Grundtatbestand des § 45 Abs. 1 und den Regelbeispielen in § 47 AuslG einerseits eine erweiterte Eingriffsmöglichkeit für die Ausländerbehörde (zwingend vorgeschriebene bzw. Regelausweisung) sowie in § 48 AuslG andererseits eine gesetzliche Normierung des besonderen Ausweisungsschutzes bestimmter Ausländergruppen, der über die allgemein bei einer Ausweisungsentscheidung zu beachtenden Interessen jedes Ausländers nach § 45 Abs. 2 AuslG hinausgeht. Damit ist gegenüber dem früheren Rechtszustand, den das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung für verfassungsrechtlich unbedenklich gehalten hat (vgl. hierzu BVerfGE 35, 382 <400 f.>; 50, 166 <173 f.>; 51, 386, <398 f.>), eine Klarstellung der gesetzlichen Ausweisungstatbestände verbunden mit einem erhöhten Ausweisungsschutz integrierter Ausländer eingetreten (vgl. hierzu BVerwG, Beschluß vom 30. Dezember 1993 - 1 B 185/93 - Abdruck S. 5 f.). Berücksichtigt man weiterhin, daß der Gesetzgeber mit § 45 Abs. 1 und den Regelbeispielen des § 46 AuslG an die bisherigen Regelbeispiele und die Generalklausel des § 10 Abs. 1 Nr. 11 AuslG 1965 angeknüpft hat, so kann zur Konkretisierung der einzelnen Ausweisungsvorschriften auf die bisherige Rechtsprechung, insbesondere des Bundesverwaltungsgerichts, zur Auslegung der Ausweisungsnormen zurückgegriffen werden. Damit ist für den einzelnen wie für die Verwaltungsbehörde das erforderliche Maß an Rechtssicherheit und Bestimmtheit erreicht (in diesem Sinne GK-AuslR § 45 AuslG Rdnr. 134 ff.; Kloesel/Christ/Häußer, Deutsches Ausländerrecht, 3. Aufl., § 45 Rdnr. 31; a.A. Heldmann, Ausländergesetz 1991, § 45 Rdnr. 2 f.; Huber, InfAuslR 1990, 41 f.; Rittstieg, InfAuslR 1990, 221 <222>).

bb) Zu Unrecht glaubt der Beschwerdeführer, eine Verfassungswidrigkeit des § 45 Abs. 1 AuslG daraus herleiten zu können, daß die Norm in ihrem Tatbestand für eine Ausweisung allein an einen objektiven Gesetzesverstoß anknüpft und ein Verschulden nicht berücksichtigt. Ein Verstoß gegen die in Art. 1 Abs. 1 GG grundgesetzlich geschützte Menschenwürde liegt insoweit nicht vor. § 45 Abs. 1 AuslG ist keine Strafvorschrift, sondern eine Norm des Ordnungsrechts; er soll keine Sanktion für vorangegangenes Handeln anordnen, sondern Gefährdungen oder Störungen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung beseitigen. Das aber setzt keinen schuldhaften Rechtsverstoß voraus. Überdies übersieht der Beschwerdeführer, daß die Fassung des § 46 Nr. 2 AuslG zu der Annahme zwingt, eine Ausweisung aufgrund einer Ordnungswidrigkeit oder Straftat dürfe nur erfolgen, wenn der Täter schuldhaft gehandelt hat; insoweit reicht der bloße Verstoß gegen den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeits- oder Strafnorm gerade nicht aus. Damit ist in Fällen der vorliegenden Art ausgeschlossen, daß der Staat einen Ausländer bei seiner Ausweisung gemäß § 45 Abs. 1 AuslG zum bloßen Objekt seines Handelns macht.

cc) § 45 Abs. 1 AuslG ist auch nicht wegen eines Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 2 MRK nichtig. Die Europäische Menschenrechtskonvention ist in der Bundesrepublik Deutschland dem einfachen Bundesrecht zuzuordnen und besitzt keinen Verfassungsrang (vgl. in diesem Zusammenhang auch Beschluß vom 16. Dezember 1993 - VerfGH 51/93 -). Im übrigen ist zwar die Ausweisung wegen einer Straftat schon vor einer strafgerichtlichen Verurteilung möglich. Doch verstößt § 45 Abs. 1 AuslG damit nicht gegen die Unschuldsvermutung, die nach dem Grundgesetz Teil des Rechtsstaatsprinzips ist und von dort in die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG einfließt. Denn die Unschuldsvermutung als verfassungsrechtliches Prinzip soll sicherstellen, daß keine Strafe ohne Schuld verhängt werden darf und der Strafanspruch des Staates in einem justizförmig geordneten Verfahren durchzusetzen ist, das eine wirksame Sicherung der Grundrechte des Beschuldigten gewährleistet (vgl. hierzu BVerfGE 74, 358 <370 f.>). Die Ausweisung eines Ausländers ist indes nicht als Sanktion einer Straftat zu verstehen; sie ist auch nicht Bestandteil eines Strafverfahrens, sondern als Maßnahme dem Ordnungsrecht zuzurechnen. Aus diesem Grunde unterliegt sie nicht den formellen und materiellen Anforderungen der Unschuldsvermutung an die Schuldfeststellung im Strafverfahren.

b) Die angegriffene, sofort vollziehbare Ausweisung und die verwaltungsgerichtlichen Eilentscheidungen verletzen den Beschwerdeführer nicht in seinem aus Art. 11 VvB abzuleitenden verfassungsrechtlichen Anspruch auf Einhaltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit.

Der Gesetzgeber hat selbst für den Fall des Vorliegens der Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 45 Abs. 1, 46 AuslG eine Ausweisung nicht zwingend vorgeschrieben, er hat sie vielmehr in das durch § 45 Abs. 2 AuslG geleitete Ermessen der Ausländerbehörde gestellt. Dadurch ist dieser genügend Raum gelassen, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung zu tragen. Sie hat bei der Anwendung der Tatbestände der §§ 45 und 46 AuslG nach Maßgabe der jeweiligen Umstände das durch die betreffende Vorschrift geschützte öffentliche Interesse abzuwägen gegen die privaten Belange des betroffenen Ausländers, d. h. etwa gegen die Folgen der Ausweisung für dessen wirtschaftliche, berufliche und persönliche Existenz. Ohne Belang ist in diesem Zusammenhang, ob das von ihr gefundene und durch die Fachgerichte bestätigte Ergebnis in allen Einzelheiten der durch das einfache Recht bestimmten Rechtslage entspricht und ob dieses Ergebnis mehr oder weniger zu überzeugen vermag. Denn der Verfassungsgerichtshof ist keine zusätzliche gerichtliche Instanz; er ist vielmehr gegenüber den Entscheidungen der Fachgerichte in seinem Prüfungsmaßstab auf die Feststellung von Verfassungsverstößen beschränkt. Maßgebend ist dementsprechend allein, ob bei der Anwendung des einfachen Rechts im Einzelfall ein verfassungsrechtlich verbürgtes Recht - hier aus Art. 11 VvB - grundlegend verkannt worden ist (st. Rspr., vgl. zuletzt Beschluß vom 17. März 1994 - VerfGH 24/94 -), d. h. ob das vom Fachgericht gefundene Ergebnis - hier - im Lichte des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes als schlechthin unhaltbar zu qualifizieren ist.

Unter dem Blickwinkel des Verfassungsrechts stellt es keinen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dar, eine Ausweisung nach §§ 45 und 46 AuslG auf eine vorsätzliche Straftat zu stützen, um andere Ausländer vor vergleichbaren Straftaten abzuschrecken. Die Ausweisungstatbestände des Ausländergesetzes bezwecken jedenfalls auch, Ausländer, die im Bundesgebiet leben, zu veranlassen die in diesen Tatbeständen genannten Belange der Bundesrepublik Deutschland nicht zu beeinträchtigen, insbesondere keine Straftaten zu begehen (vgl. hierzu u. a. GK-AuslR, § 45 Rdnr. 463). Ein Ausländer, der sich trotz der Ausweisungsandrohung in den §§ 45 ff. AuslG von der Begehung einer Straftat nicht abhalten läßt, setzt selbst die Voraussetzung für seine Ausweisungsverfügung. Er gibt durch sein Verhalten die Veranlassung für eine generalpräventive Maßnahme (vgl. BVerwG, Beschluß vom 30. Dezember 1993 - BVerwG 1 B 165/93 - Abdruck S. 3 f.). Wenn als Folge seines Handelns die im Gesetz angedrohte Ausweisung angeordnet wird, um andere Ausländer von der Begehung von Straftaten abzuhalten, ist dies eine geeignete und erforderliche Maßnahme, um die Beachtung der Ausweisungstatbestände gegenüber allen in Deutschland lebenden Ausländern durchzusetzen und die generalpräventive Wirkung dieser Normen auch für die Zukunft zu sichern.

Einzuräumen ist, daß ein generalpräventives Motiv nicht zu einer (Über-) Reaktion führen darf, durch die der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zwischen Mittel und Zweck verletzt wird. Die Beachtung dieses Verfassungsgrundsatzes erfordert eine Gesamtwürdigung und Abwägung aller Umstände des Einzelfalls. Doch hindert dieser Grundsatz die Ausländerbehörde nicht daran, sich in einem Fall wie dem vorliegenden, der sich rechtlich von Fällen der Ausweisung anderer vietnamesischer Vertragsarbeitnehmer wegen des Handels mit unverzollten und unversteuerten Zigaretten weder hinsichtlich der Tatbegehung und des Unrechtsgehaltes der Straftaten noch hinsichtlich der persönlichen, sozialen und wirtschaftlichen Situation der betroffenen Ausländer - insbesondere ihres Alters, ihres Familienstandes, ihrer Aufenthaltszeiten und ihres Aufenthaltsstatus - wesentlich unterscheidet, auf eine kontinuierliche, generalpräventiv motivierte Ausweisungspraxis zu beziehen. Darin liegt keine verfassungsrechtlich unzulässige, schematische und dem Einzelfall nicht gerecht werdende Verwaltungspraxis. Da nach den Ermittlungen der Ausländerbehörde der Handel mit unverzollten und unversteuerten Zigaretten unter wesentlicher Beteiligung ausländischer Staatsangehöriger stattfindet, zu bedeutsamen Einnahmeverlusten des Staates und überdies zu einer erheblichen und schwerwiegenden Begleitkriminalität gerade unter einigen beteiligten ausländischen Tätern geführt hat, ist es verfassungsrechtlich unbedenklich, strafgerichtliche Verurteilungen wegen Steuerhehlerei bzw. von Betroffenen zugegebene Verstöße gegen Abgabevorschriften grundsätzlich zum Anlaß generalpräventiv motivierter Ausweisungen zu nehmen, sofern der betroffene Ausländer keine verfassungsrechtlich beachtlichen schützenswerten Belange geltend machen kann.

Im vorliegenden Fall sind die Ausländerbehörde und die Verwaltungsgerichte in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, daß beachtliche Interessen des Beschwerdeführers der von der Behörde getroffenen Entscheidung nicht entgegenstehen. Der Beschwerdeführer war von vornherein nur zu einem zeitlich befristeten Aufenthalt zu Arbeits- bzw. Fortbildungszwecken in die DDR eingereist, und er hat sowohl von der DDR als auch von der Bundesrepublik Deutschland nur für diesen begrenzten Zeitraum und diesen Zweck eine Aufenthaltsgenehmigung in Form einer Aufenthaltsbewilligung erhalten. Aus diesem Grunde hat sein knapp fünfjähriger rechtmäßiger Aufenthalt nicht zu einer verfassungsrechtlich beachtlichen verfestigten Aufenthaltsposition geführt. Hinzu kommt, daß die Familie des Beschwerdeführers in Vietnam lebt, so daß familiäre Gründe keine Bindungen an die Bundesrepublik Deutschland erzeugen, die im Rahmen des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips zugunsten des Beschwerdeführers Beachtung finden müßten.

c) Die grundrechtliche Gewährleistung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Rahmen des Art. 11 VvB verlangt unter dem Gesichtspunkt eines Grundrechtsschutzes die Gewährung eines angemessenen und effektiven Rechtsschutzes gegen Rechtsverletzungen durch die öffentliche Gewalt; sie begründet - mit anderen Worten - besondere verfahrensrechtliche Anforderungen. Ihnen wird namentlich bei irreparablen Maßnahmen nur genügt, wenn sichergestellt ist, daß die Rechtmäßigkeit dieser Maßnahme überprüft ist, bevor die Verwaltung sie durchführt. Die nach § 80 Abs. 1 VwGO für den Regelfall vorgeschriebene aufschiebende Wirkung von Widerspruch und verwaltungsgerichtlicher Anfechtungsklage ist eine adäquate bundesrechtliche Ausprägung dieser verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie, die sich nicht nur aus Art. 19 Abs. 4 GG ableiten läßt, sondern jedem Freiheitsgrundrecht und damit auch Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 11 VvB immanent ist. Mit Blick auf die hier in Rede stehende sofortige Vollziehung eines Verwaltungsakts bedeutet dies, daß eine entsprechende Anordnung grundsätzlich ein besonderes öffentliches Interesse erfordert, d. h. ein öffentliches Interesse, das über jenes hinausgeht, das den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt. Dieses öffentliche Interesse muß um so gewichtiger sein, je schwerwiegender die dem Betroffenen auferlegte Belastung ist und je mehr die Maßnahme der Verwaltung Unabänderliches bewirkt (vgl. in diesem Zusammenhang BVerfGE 35, 382 <402>). Auch unter dem damit angesprochenen Blickwinkel sind die Entscheidung der Ausländerbehörde und die diese Entscheidung bestätigenden Beschlüsse des Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichts verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Die Behörde hat die Anordnung der sofortigen Vollziehung im vorliegenden Fall u.a. auf spezialpräventive Gründe gestützt. Sie hat ausgeführt, der Beschwerdeführer habe mehrfach mit unverzollten und unversteuerten Zigaretten gehandelt, so daß zu befürchten sei, er werde unter Ausnutzung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen den Ausweisungsbescheid seine rechtswidrige Handelstätigkeit fortsetzen. Das begegnet auf der Grundlage der zuvor dargelegten verfassungsrechtlichen Grundsätze unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls (von vornherein beschränktes und inzwischen erloschenes Aufenthaltsrecht des Beschwerdeführers, Aufenthalt seiner Familie in Vietnam und besondere Bedeutung der begangenen Straftaten für die öffentliche Sicherheit und Ordnung) keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

Im Ergebnis entsprechendes gilt, soweit die Ausländerbehörde und vor allem die Verwaltungsgerichte die Anordnung der sofortigen Vollziehung auch als durch generalpräventive Gründe gerechtfertigt angesehen haben. Es widerspricht nicht dem aus dem Grundrechtsschutz abgeleiteten verfassungsrechtlichen Gebot effektiven Rechtsschutzes, eine Ausweisung, die aus Anlaß einer vorsätzlich begangenen Straftat angeordnet wird, um andere Ausländer vor vergleichbarem Verhalten abzuschrecken, durch eine entsprechende generalpräventiv motivierte Anordnung der sofortigen Vollziehung unmittelbar durchsetzbar zu machen. Denn es ist nicht zu verkennen, daß die Abschreckungswirkung einer Ausweisung voraussetzt, daß sie möglichst bald nach der ausländerbehördlichen Ausweisungsentscheidung zur tatsächlichen Aufenthaltsbeendigung führt, und zwar selbst dann, wenn von dem betroffenen Ausländer eine Wiederholung des Rechtsverstoßes nicht droht. Kann eine solche ausländerbehördliche Verfolgung hingegen erst nach Eintritt der Bestandskraft mehrere Jahre nach ihrem Erlaß durchgesetzt werden, geht von ihr eine allenfalls eingeschränkte abschreckende Wirkung auf andere Ausländer aus, zumal die Ausländerbehörde vor einer Abschiebung zwischenzeitlich eingetretene Abschiebungshindernisse berücksichtigen muß (vgl. hierzu § 50 AuslG).

Dem damit in Zusammenhang stehenden Einwand des Beschwerdeführers, zwischen Straftat bzw. strafrechtlichem Urteil und Ausweisungsverfügung sei so viel Zeit vergangen, daß er darauf habe vertrauen dürfen, seine Tat werde ausschließlich strafrechtlich geahndet, kommt verfassungsrechtlich keine Bedeutung zu. Denn schon zur Bildung eines insoweit beachtlichen Vertrauens hätte es eines darauf gerichteten Verhaltens der Ausländerbehörde bedurft. Daran fehlt es hier schon deswegen, weil die Ausländerbehörde dem Beschwerdeführer keinerlei Anlaß zu einer entsprechenden Vertrauensbildung gegeben hat, sondern im Gegenteil durch ihre Weigerung, die Aufenthaltsgenehmigung zu verlängern, den Aufenthaltsstatus bis zur Ausweisungsentscheidung bewußt in der Schwebe gehalten hat. Im übrigen schafft ein Zeitraum von 17 Monaten zwischen Straftat und Ausweisung einerseits und vier Monaten zwischen Verurteilung und Ausweisung andererseits keine Grundlage für verfassungsrechtliche Bedenken an der Eignung der Ausweisung zur Abschreckung anderer Ausländer oder an einem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung. Solche ergeben sich schließlich auch nicht aus der Tatsache, daß der Beschwerdeführer zur Zeit gegen seinen Willen nicht nach Vietnam abgeschoben werden kann. Denn zum einen führt dieser Zustand fur ihn mit Blick auf Art. 11 VvB zu keiner Beschwer, weil er sich (vorläufig) weiterhin in Deutschland aufhalten darf. Zum anderen beseitigt das durch die vietnamesischen Behörden verursachte Abschiebungshindernis nicht das besondere öffentliche Interesse an einer sofortigen Beendigung des Aufenthalts des Beschwerdeführers in Deutschland, auch wenn dieses erst nach Abschluß eines Rücknahmeabkommens zwischen Deutschland und Vietnam zur zwangsweisen Durchsetzung der Ausreiseverpflichtung des Beschwerdeführers führen kann.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 33 f. VerfGHG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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