OLG Hamburg, Beschluss vom 24.01.2012 - 2 Ws 73/11
Tenor

Eine Kostenentscheidung nach erfolgter Rücknahme des Antrages des Anzeigenden A. K. H. e.V. auf gerichtliche Entscheidung über den Beschwerdebescheid der General-staatsanwaltschaft Hamburg vom 12. Mai 2011 ergeht nicht.

Gründe

I.

Der Antragsteller hat mit Schriftsatz seines anwaltlichen Vertreters am 17. Juni 2011 bei dem Hanseatischen Oberlandesgericht auf gerichtliche Entscheidung nach § 172 Abs. 2 StPO angetragen. Die Generalstaatsanwaltschaft hat die Verwerfung des Klagerzwingungsantrages als unzulässig beantragt. Der wegen der Geschäftslage des Senats bisher unbearbeitet gebliebene Klagerzwingungsantrag ist mit Schriftsatz des anwaltlichen Vertreters am 18. Januar 2012 zurückgenommen worden.

II.

1. Die für den Antragsteller erklärte Antragsrücknahme ist wirksam. Insbesondere bedurfte der allgemein bevollmächtigte Rechtsanwalt keiner ausdrücklichen Ermächtigung zur Antragsrücknahme nach § 302 Abs. 2 StPO, weil er nicht im Sinne dieser Vorschrift Verteidiger eines Beschuldigten, sondern anwaltlicher Vertreter eines – dem Vorbringen zufolge – Verletzten ist.

2. Eine Entscheidung über Kosten und Auslagen des Klagerzwingungsverfahrens ist hier nicht erforderlich.

a) Für das formelle Kostenrecht bestimmt § 464 Abs. 1 u. 2 StPO, dass jedes Urteil, jeder Strafbefehl und jede eine Untersuchung einstellende Entscheidung zu bestimmen hat, von wem die Kosten des Verfahrens zu tragen sind, und das Gericht in dem das Verfahren abschließenden Urteil oder Beschluss die Entscheidung darüber trifft, wer die notwendigen Auslagen trägt; hierunter fällt die Beendigung eines Klagerzwingungsverfahrens durch Antragsrücknahme nicht. In gesetzlich nicht ausdrücklich geregelten Bereichen kann das Erfordernis einer Kosten- und Auslagenentscheidung aus dem materiellen Kostenrecht folgen, wenn dieses Kosten oder Auslagen einem anderen Beteiligten auferlegt.

Materiell kostenrechtlich ist ausdrücklich gesetzlich geregelt in § 177 StPO, dass die durch das Verfahren über den Antrag veranlassten Kosten in den Fällen des § 174 StPO (Antragsverwerfung als unbegründet) und des § 176 Abs. 2 StPO (fingierte Antragsrücknahme bei nicht fristgemäßer Leistung der gerichtlich angeordneten Sicherheit) dem Antragsteller aufzuerlegen sind.

Ob in – wie hier – Fällen der vor einer Entscheidung des angerufenen Oberlandesgerichts erfolgten gewillkürten Antragsrücknahme die Kosten und Auslagen im Klagerzwingungsverfahren gleichfalls dem Antragsteller aufzuerlegen sind (so u.a. OLG Koblenz in OLGSt StPO § 172 Nr. 9; OLG Düsseldorf in GA 1983, 219; Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 177 Rdn. 1; Wohlers in SK-StPO, 4. Aufl., § 177 Rdn. 2; Graalmann-Scheerer in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 177 Rdn. 2) oder eine Kostenentscheidung stets (so u.a. KG in NStE § 177 StPO Nr. 2; OLG Celle in OLGSt StPO § 177 Nr. 3; OLG München in MDR 1983, 427 -Leitsatz-; OLG Zweibrücken in MDR 1985, 250; Pfeiffer, StPO, 5. Aufl., § 177 Rdn. 1) bzw. bei Antragsrücknahme vor Eintritt des Oberlandesgerichts in eine Begründetheitsprüfung (Schmid in KK-StPO, 6. Aufl., § 177 Rdn. 1 m.w.N.; Gieg, ebenda, § 464 Rdn. 2) unterbleibt, wird seit langem in Rechtsprechung und Schrifttum unterschiedlich bewertet. Auch die – allerdings ältere – Rechtsprechung des Hanseatischen Oberlandesgerichts ist uneinheitlich; der 2. Strafsenat hat von einer Kostenentscheidung jedenfalls dann abgesehen, wenn keine Auslagen entstanden sind (Beschluss vom 16. September 1971, Az.: 2 Ws 545/70), während der 3. Strafsenat eine Kostenentscheidung für erforderlich erachtet hat, wenn der Klagerzwingungsantrag zulässig ist und sich das Verfahren folglich in einem fortgeschrittenem Stadium befindet (Beschluss vom 15. Juni 1983, Az.: 3 Ws 53/81).

b) Nach erklärter wirksamer Antragsrücknahme sind Kosten bzw. Auslagen einem weiteren Beteiligten jedenfalls dann nicht aufzuerlegen, wenn das angerufene Oberlandesgericht – wie hier – noch nicht in die Prüfung eingetreten ist, ob der nach § 172 Abs. 2 StPO gestellte Antrag begründet ist. Folglich ergeht in solchen Fällen keine Kosten- und Auslagenentscheidung.

aa) Allein daraus, dass § 177 StPO eine ausdrückliche Regelung für Fälle der gewillkürten Antragsrücknahme nicht enthält, folgt noch keine gesetzliche Freistellung des Antragstellers von den Kosten und Auslagen des Verfahrens und somit keine Entbehrlichkeit einer Kostenentscheidung. Die Kostenvorschriften der Strafprozessordnung sind auch sonst unvollständig und einer analogen Anwendung auf rechtsähnliche Fälle zugänglich (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., vor § 464 Rdn. 2 m.w.N.). Speziell für das Klagerzwingungsverfahren fehlt eine ausdrückliche Normierung kostenrechtlicher Folgen nicht nur zur gewillkürten Antragsrücknahme, sondern auch zur Verwerfung des Antrages als unzulässig; für die letztgenannte Fallgruppe ist allgemein anerkannt, dass dem Antragsteller keine Kosten und Auslagen auferlegt werden (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 177 Rdn. 1 m.w.N.).

bb) Der systematische Vergleich spricht gegen die Auferlegung von Kosten und Auslagen.

Ein Rückgriff auf die in dem 7. Buch, 2. Abschnitt der Strafprozessordnung („Kosten des Verfahrens“) eingestellte Regelung des § 473 Abs. 1 StPO, wonach die Kosten eines zurückgenommenen oder erfolglos eingelegten Rechtsmittels denjenigen treffen, der es eingelegt hat, scheidet aus. Unabhängig davon, ob ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung über einen behördlichen Bescheid dem Rechtsmittelbegriff des § 473 Abs. 1 StPO unterfällt, geht § 177 StPO als spezielle Regelung den allgemeinen Kostenvorschriften vor. Bei Anwendbarkeit des § 473 Abs. 1 StPO (erfolgloses Rechtsmittel) hätte es für Fälle des § 174 StPO (wegen Unbegründetheit erfolgloser Antrag auf gerichtliche Entscheidung) nicht der Regelung in § 177 1.Mod. StPO bedurft.

Der in § 177 2.Mod. StPO erfasste Sachverhalt (gesetzlich fingierte Antragsrücknahme nach § 176 Abs. 2 StPO) ist zwar rechtsähnlich zur gewillkürten Antragsrücknahme, doch stellen die ihrem Wortlaut zufolge nur zwei von mehreren vorkommenden Sachverhalten erfassenden §§ 177 i.V.m. 174, 176 Abs. 2 StPO eine Ausnahmeregelung dar. Methodologisch sind Ausnahmeregelungen im Allgemeinen eng zu handhaben (vgl. BVerfGE 47, 239, 250 f m.w.N.; BGHSt 30, 168, 170). Unter anderem deshalb wird nach allgemeiner Ansicht § 177 1.Mod. StPO nicht entsprechend auf Fälle der Verwerfung eines Klagerzwingungsantrages als unzulässig angewendet. Auch unterscheidet sich die nach § 176 Abs. 2 StPO fingierte Antragsrücknahme in ihren tatsächlichen Voraussetzungen vielfach von der gewillkürten Antragsrücknahme. Das

Gericht fordert eine Sicherheitsleistung regelmäßig nur dann an, wenn es im Zuge der Begründetheitsprüfung – auch umfangreiche und komplexe (vgl. Graalmann-Scheerer, a.a.O., § 173 Rdn. 14) – Untersuchungshandlungen nach § 173 Abs. 3 StPO, etwa Sachverständigengutachten, für erforderlich erachtet. Daran fehlt es, wenn die Antragsrücknahme noch vor Eintritt des Gerichtes in die Begründetheitsprüfung erklärt wird. Für den verfahrensgegenständlichen Fall kann dahinstehen, ob bei Antragsrücknahme zu einem späteren Zeitpunkt dem allgemeinen kostenrechtlichen Verursacherprinzip (vgl. hierzu Hilger in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., vor § 464 Rdn. 15) ein solches Gewicht zukommt, dass eine Überbürdung von Kosten und Auslagen geboten ist.

Eine Differenzierung danach, ob bis zum Zeitpunkt der Antragsrücknahme Auslagen – gerichtliche oder solche des Beschuldigten (zur Erstattungspflicht des unterlegenen Antragstellers auch hinsichtlich der notwendigen Auslagen des Beschuldigten vgl. OLG Koblenz in NStZ 1990, 48 m.w.N.) – tatsächlich entstanden waren, vermengt in unzulässiger Weise die Frage des Erfordernisses einer Kostengrundentscheidung mit Fragen des so genannten Betragsverfahrens (vgl. allg. Meyer-Goßner, a.a.O., § 464 Rdn. 10).

cc) Die historische Auslegung erbringt keinen Erkenntnisgewinn. Die Gesetzesmaterialien sind unergiebig (siehe näher Rieß in OLGSt, Anm. zu § 177 StPO Nr. 3).

dd) Teleologisch gebührt der Entbehrlichkeit einer Kosten- und Auslagenentscheidung der Vorzug.

Die Interessen des Beschuldigten gebieten nicht, bei Antragsrücknahme generell dem Antragsteller u.a. die notwendigen Auslagen des Beschuldigten aufzuerlegen. Dessen Position unterscheidet sich bei Antragsrücknahme nicht entscheidend von derjenigen bei Verwerfung eines Klagerzwingungsantrages als unzulässig, für welche die Entbehrlichkeit einer Kosten- und Auslagenentscheidung allgemein anerkannt ist. Anders kann es sich verhalten, wenn nach Eintritt des Gerichtes in die Begründetheitsprüfung Untersuchungshandlungen erfolgen, zu denen besondere Verteidigungsbemühungen veranlasst sein mögen; als für den verfahrensgegenständlichen Fall unerheblich bleibt die Rechtslage nach Eintritt des Gerichtes in die Begründetheitsprüfung hier unberücksichtigt (siehe schon oben lit. bb), 3. Absatz).

An eine Antragsrücknahme nicht den Antragsteller belastende Kostenfolgen zu knüpfen, kann die Befriedigungsfunktion des Rechts fördern. Nach der Erfahrung des Senats liegen Klagerzwingungsanträgen häufig komplexe Konfliktsituationen zwischen Antragstellern und Beschuldigten zu Grunde, die parallel außergerichtlich oder zivilprozessual weiter geführt werden; solche Lagen durch eine umfassende Rücknahme aller Anträge zu klären, dient im Allgemeinen dem Rechtsfrieden. Auch ist es sachgerecht, bei Einsicht eines Antragstellers in die Aussichtslosigkeit seines Klagerzwingungsbegehrens der Rücknahmebereitschaft nicht durch eine Belastung mit Kosten und Auslagen, die bei Aufrechterhaltung des Antrages und dessen Verwerfung als unzulässig nicht entstünden, entgegenzuwirken.

Verwirft das Gericht einen Klagerzwingungsantrag als unzulässig, so wird der Antragsteller nicht mit Kosten und Auslagen belastet, obwohl er Prüfung und Entscheidung des Gerichts veranlasst hat. Das spricht zunächst dafür, unter dem Gesichtspunkt des kostenrechtlichen Veranlassungsprinzips eine Belastung mit Kosten und Auslagen erst recht nicht vorzunehmen, wenn das Gericht bis zur Antragsrücknahme noch nicht in die Prüfung der Antragszulässigkeit eingetreten war. Aus dem Vergleich mit der Verwerfung des Antrages als unzulässig herzuleiten, das Erfordernis einer Kosten- und Auslagenentscheidung hänge davon ab, ob der zurückgenommene Antrag zulässig gewesen sei, würde in einer die knappen, auf die durch das Rechtsstaatsgebot (Art. 20 Abs. 3 GG) vorgegebene zeitnahe und effektive Erledigung von Rechtsstreitigkeiten zu konzentrierenden Ressourcen die Justiz unvertretbar belastenden Weise eine inhaltliche Prüfung des Antrages allein zum Zwecke der Kosten- und Auslagenentscheidung nach sich ziehen, ohne dass eine solche Prüfung – wie etwa in § 91a Abs. 1 ZPO – gesetzlich vorgeschrieben wäre (zur Berücksichtigungsfähigkeit der knappen Ressourcen der Justiz bei der Auslegung von Verfahrensrecht vgl. BGHSt 50, 40, 54). Die aus dem genannten Grund, wenn rechtlich vertretbar, zu vermeidende Zulässigkeitsprüfung ist häufig aufwendig, etwa bei Überprüfung, ob für den nach § 173 Abs. 3 S. 1 StPO vorzutragenden Ermittlungsgang alle wesentlichen Angaben von Beschuldigten, Zeugen und

Sachverständigen (vgl. Schmid, a.a.O., § 172 Rdn. 38) in der Antragsschrift referiert sind. Deshalb hat es dabei zu bewenden, dass unabhängig von der Frage der Zulässigkeit des vor Eintritt in die Begründetheitsprüfung zurückgenommenen Klagerzwingungsantrages Kosten und Auslagen nicht aufzuerlegen sind, wodurch sich eine – durch formelles Kostenrecht ohnehin nicht vorgeschriebene – Kosten- und Auslagenentscheidung erübrigt.

c) Nach allem ist hier keine Kosten- und Auslagenentscheidung zu treffen, da die Antragsrücknahme vor Eintritt des Senats in die Prüfung der Begründetheit des Antrages auf gerichtliche Entscheidung eingegangen ist.