OLG Hamburg, Beschluss vom 16.01.2012 - 2 Ws 13/12
Fundstelle
openJur 2012, 417
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 614 KLs 1/11
Tenor

Auf die Beschwerde des Angeklagten S. werden der Beschluss des Landgerichts Hamburg, Große Strafkammer 14, vom 21. Dezember 2011 und der Haftbefehl des Landgerichts Hamburg vom 6. April 1987 in Verbindung mit dem Änderungsbeschluss desselben Gerichts vom 1. Juni 2007 – Az. (84) 49/85 KLs (614) – aufgehoben.

Gründe

I.

Gegen den am 20. August 1985 festgenommenen Angeklagten S. hat das Amtsgericht Hamburg am 21. August 1985 wegen dringenden Verdachtes eines gemeinschaftlichen versuchten schweren Raubes, begangen am 20. August 1985, und wegen des Haftgrundes der Fluchtgefahr Haftbefehl erlassen. Die am 10. September 1985 wegen gemeinschaftlichen versuchten schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung erhobene Anklage hat das Landgericht mit Eröffnungsbeschluss vom 19. September 1985 unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen. In der ausgesetzten ersten Hauptverhandlung vom 2. Oktober 1985 hat das Landgericht den Haftbefehl aufgehoben.

In der dritten Hauptverhandlung hat das Landgericht am 6. April 1987 beschlossen, dass gegen den Angeklagten „Haftbefehl gemäß § 230 Abs. 2 StPO wegen unentschuldigten Ausbleibens“ ergehe; außerhalb der Hauptverhandlung hat das Landgericht die „Untersuchungshaft“ (gemeint: Ungehorsams- bzw. Sicherungshaft) in Form eines die in § 114 Abs. 2 StPO geforderten Angaben enthaltenden Haftbefehls angeordnet. Auf Grund dessen hat die Staatsanwaltschaft den Angeklagten am 13. April 1987 zur Fahndung Festnahme ausgeschrieben. Mit durch zwei Richter unterschriebenem Beschluss vom 23. April 1987 hat das Landgericht das Verfahren „gemäß § 205 StPO vorläufig eingestellt“. In der Folgezeit hat die Staatsanwaltschaft mit fünfzehn Verfügungen vom 12. August 1988 bis zum 17. Mai 2006 jeweils die Verlängerung der Fahndung angeordnet. Mit Beschluss vom 1. Juni 2007 hat das Landgericht seinen Haftbefehl vom 6. April 1987 dahin geändert, dass der Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung wegen eingetretener Verjährung entfalle; der Beschluss enthält zur Neufassung des Haftbefehls eine Klammerverweisung auf Textteile des Haftbefehls vom 6. April 1987. Allein diese in der Urschrift des Änderungsbeschlusses nicht verbalisierte Neufassung des Haftbefehls ist Gegenstand einer Ausfertigung, ohne dass insoweit eine durch Richter unterzeichnete Urschrift sich bei den Akten befindet. Die Staatsanwaltschaft hat am 6. Juni 2007 die Anpassung der Fahndung an die Haftbefehlsausfertigung und am 20. April 2009 die Verlängerung der Fahndung verfügt.

Am 20. Oktober 2011 ist der Angeklagte in Frankfurt/Main verhaftet und ist ihm der „Haftbefehl des Landgerichts Hamburg vom 01.06.2007“ eröffnet worden. Nach mündlicher Haftprüfung hat das Landgericht Hamburg mit Beschluss vom 21. Dezember 2011 die Fortdauer des Vollzuges der „Untersuchungshaft“ angeordnet. Gegen diesen Beschluss richtet sich die anwaltlich mit Antrag auf Haftverschonung begründete Beschwerde des Angeklagten vom 3. Januar 2012, auf deren Verwerfung die Generalstaatsanwaltschaft angetragen hat.

II.

Die Beschwerde des Angeklagten gegen den letzten die Haftanordnung und -voll-streckung betreffenden Beschluss vom 21. Dezember 2011 ist zulässig (§§ 304 Abs. 1, 306 Abs. 1 StPO) und begründet. Der am 6. April 1987 erlassene Haftbefehl hat auch in der Fassung des Änderungsbeschlusses vom 1. Juni 2007 keinen Bestand, da die durch § 230 Abs. 2 StPO intendierte Sicherung der Anwesenheit des Angeklagten in einer künftigen Hauptverhandlung zur Fortführung des Verfahrens nicht mehr erforderlich ist.

1. Allerdings führen nicht schon formale Mängel der Haftentscheidung des Landgerichts vom 1. Juni 2007 zur Aufhebung der Haftanordnung.

Ein nach § 230 Abs. 2 StPO erlassener Haftbefehl muss grundsätzlich den Anforderungen des § 114 StPO entsprechen (vgl. Becker in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 230 Rdn. 33). Wird er nicht in der Hauptverhandlung verkündet und wird sein Inhalt nicht protokolliert, ist die Schriftform des § 114 Abs. 1 StPO zu wahren; gemäß §§ 114 Abs. 2, 34 StPO ist er allemal zu begründen. Diesen Anforderungen genügt der Änderungsbeschluss vom 1. Juni 2007 insoweit nicht, als es in dessen Formel heißt: „Der Haftbefehl lautet wie folgt: (HB Bl. 411 dA. mit angepasstem Rubrum sowie Entfallen der Worte `.. durch dieselbe Handlung ..´sowie `b) einen anderen mittels …. Gesundheit beschädigt zu haben,´)“. Den gesetzlichen Anforderungen an die Schriftlichkeit wird nicht dadurch Genüge getan, dass die Richter in ein von ihnen gefertigtes unvollständiges Schriftstück Blattzahlen bzw. Klammern einsetzen, mit denen auf in den Akten befindliche Textpassagen Bezug genommen wird; der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle ist nicht befugt, durch Einfügung der bezeichneten Aktenteile erstmals ein Schriftstück herzustellen, welches die äußere Form eines richterlichen Beschlusses hat (vgl. Larcher in Graf, StPO, § 33 Rdn. 3; siehe auch Senatsbeschlüsse vom 27. Oktober 2011, Az.: 2 Ws 121 – 122/11, und 3. November 2011, Az.: 2 Ws 42/11). Die so durch den Urkundsbeamten ergänzte Fassung der Ausfertigung weicht von der richterlich unterzeichneten Urschrift ab und verfehlt die Funktion von Beschlussausfertigungen, das Schriftstück wortgetreu und vollständig wiederzugeben (vgl. allg. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 37 Rdn. 2; speziell zu Einrückungen Larcher, a.a.O.); sie stellt sich objektiv als Falschbeurkundung dar.

Auf diesem Rechtsfehler beruhen Haftanordnung und -vollzug hier nicht. Die unzulässige Bezugnahme auf eine andere Aktenfundstelle hinweggedacht, beinhaltet der aus sich heraus verständliche restliche Text des Beschlusses vom 1. Juni 2007 die Aufrechterhaltung des Haftbefehls vom 6. April 1987 unter Wegfall des Vorwurfs der tateinheitlichen gefährlichen Körperverletzung. Eben diese Darstellung des verbliebenen Vorwurfes sowie die mit dem Haftbefehl vom 6. April 1987 übereinstimmenden Angaben zum Haftgrund enthält die Geschäftsstellen-Version eines vermeintlichen Haftbefehls vom 1. Juni 2007, die dem Angeklagten gemäß §§ 114a, 115a, 115 Abs. 3 StPO bekannt gemacht worden ist und gegen die er sich hat verteidigen können. Dabei bleibt unerheblich, dass in der Geschäftsstellen-Version unter den angewendeten Strafvorschriften weiterhin die §§ 223, 223a StPO angeführt sind, hinsichtlich derer nach dem richterlich unterzeichneten Text des Änderungsbeschlusses Verjährung eingetreten war.

2. Die Zwangsmittelanordnung mag am 6. April 1987 ihre Grundlage in § 230 Abs. 2 StPO gefunden haben. Ihr Geltungsgrund ist aber jedenfalls nach April 2007 weggefallen.

a) Das Landgericht hat durch die Anordnung der Ungehorsams- bzw. Sicherungshaft nach § 230 Abs. 2 StPO eine neue Hauptverhandlung sichern wollen. Es ist zweifelhaft, ob der in § 230 Abs. 2 StPO vorausgesetzte Ladungsungehorsam vorgelegen hat.

Der Angeklagte war in der Hauptverhandlung am 6. April 1987 ausgeblieben. Er war trotz richterlich angeordneter und ihm ausweislich des Protokolls des Amtsgerichts I Sarajevo am 26. November 1986 durch persönliche Übergabe zugestellter Ladung zur Hauptverhandlung vor dem Landgericht Hamburg am 6. April 1987 nicht erschienen.

Der Erlass eines Haftbefehls nach § 230 Abs. 2 StPO setzt eine ordnungsgemäße Ladung des Angeklagten gemäß § 216 StPO voraus (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 230 Rdn. 18). § 216 Abs. 1 StPO schreibt für die Ladung des Angeklagten die Warnung vor, dass im Falle seines unentschuldigten Ausbleibens die Verhaftung oder Vorführung erfolgen werde. Eine solche Warnung enthält das Ladungsschreiben vom 3. September 1986 hier („Wenn Sie ohne genügende Entschuldigung ausbleiben, müsste Ihre Verhaftung angeordnet werden [§ 230 Absatz 2 StPO“]). Es ist umstritten, ob die Androhung von Zwangsmitteln gegen einen – wie hier der Angeklagte – im Ausland wohnenden Angeklagten auf dem Gebiet des fremden Staates wegen Völkerrechtswidrigkeit die Ordnungsgemäßheit der Ladung entfallen lässt (bejahend u.a. OLG Köln in NStZ-RR 2006, 22; mit beachtlichen Gründen verneinend u.a. OLG Rostock in NStZ 2010, 412; verneinend bei erteiltem Hinweis, dass die Zwangsmittel lediglich im Inland vollstreckt werden können, Meyer-Goßner, a.a.O., § 216 Rdn. 4).

Ob aus dem genannten Grund es hier an einer ordnungsgemäßen Ladung fehlte und deshalb keine Erscheinenspflicht bestand bzw. das Ausbleiben (für das ein anderer Entschuldigungsgrund nicht ersichtlich ist) entschuldigt war, kann dahinstehen, weil die Ungehorsams- bzw. Sicherungshaft jedenfalls unverhältnismäßig geworden ist (dazu nachstehend lit. b)).

b) Der aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abgeleitete (vgl. BVerfGE 37, 167, 185 allgemeine Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt jegliche Anwendung staatlichen Zwanges und fordert auch im Strafverfahren Beachtung (vgl. BVerfGE 44, 353, 373; Pfeiffer/Hannich in KK-StPO, 6. Aufl., Einl. Rdn. 30).

aa) Dem entspricht zunächst die in § 230 Abs. 2 StPO geregelte Abstufung zwischen dem milderen Mittel der Vorführungsanordnung und dem bei dessen Nichteignung anwendbaren Mittel der Haftanordnung (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 230 Rdn. 19 m.w.N.). Vorliegend indes bot und bietet eine Vorführungsanordnung keine Aussicht auf Erfolg. Im April 1987 lebte der Angeklagte in Jugoslawien. Zur Zeit seiner Verhaftung im Oktober 2011 wohnte der jetzt staatenlose Angeklagte in Kanada; zu seiner dort lebenden Familie will er dem Vorbringen der Verteidigung zufolge sobald wie möglich zurückkehren.

Ferner ist dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz die entsprechende Anwendung des § 116 StPO auf Fälle der Ungehorsams- bzw. Sicherungshaft nach § 230 Abs. 2 StPO geschuldet (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 230 Rdn. 22 m.w.N.). Vorliegend reicht indes eine Haftverschonung nicht aus. Ob die angebotene Sicherheitsleistung von Euro 7.000,-- als Bedingung einer Vollstreckungsaussetzung eignet, ließe sich nur bei Abgleich mit den wirtschaftlichen Verhältnissen des in Kanada wohnenden und dort als Unternehmer tätigen Angeklagten bewerten; diesbezügliche hinreichend zuverlässige Ermittlungen versprechen in absehbarer Zeit keinen Erfolg. Geeignete Verschonungsanweisungen sind nicht ersichtlich, wie sich – auch unter Berücksichtigung des inländischen Wohnsitzes verschwägerter Angehöriger und behaupteter dortiger Wohnmöglichkeit – insbesondere aus der internationalen Reisetätigkeit des Angeklagten ergibt.

bb) In den vorgenannten einfach-rechtlichen Normierungen erschöpft sich die Reichweite des Verfassungsgrundsatzes der Verhältnismäßigkeit in Fällen der Ungehorsams- bzw. Sicherungshaft nicht. Die Haft muss geeignet und erforderlich sein, um den durch § 230 Abs. 2 StPO verfolgten Zweck zu erreichen; zudem muss das Zwangsmittel angemessen, d.h. verhältnismäßig im engeren Sinne, sein (vgl. allg. zu Haftanordnungen Hilger in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., vor § 112 Rdn. 29 m.w.N.; speziell zu § 230 StPO Becker, a.a.O., § 230 Rdn. 22 m.w.N.).

aaa) Vorliegend steht die Eignung der Haftanordnung und -vollstreckung, die Durchführung einer Hauptverhandlung in Gegenwart des Angeklagten zu sichern, nicht in Zweifel, doch ist eine solche Sicherung nicht erforderlich, weil es wegen des Verfahrenshindernisses der Vollstreckungsverjährung, deren tatsächliche Voraussetzungen hochwahrscheinlich vorliegen, einer Hauptverhandlung nicht bedarf, sondern das Verfahren im Beschlusswege fortgeführt und beendet werden kann.

Im Einzelnen:

(1) § 230 Abs. 1 StPO bestimmt, dass gegen einen ausgebliebenen Angeklagten eine Hauptverhandlung grundsätzlich nicht stattfindet. Die Voraussetzungen enumerativer Ausnahmen (hierzu siehe Meyer-Goßner, a.a.O., § 230 Rdn. 2), insbesondere nach §§ 232, 233 StPO, sind vorliegend nicht erfüllt.

Folglich droht einem Verfahren wie dem vorliegenden bei unentschuldigtem Ausbleiben eines Angeklagten ein mit dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbarer Stillstand (zur Gewährleistung einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege vgl. BVerfGE 46, 214, 222; Hofmann in Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, 11. Aufl., Art. 20 Rdn. 69), wenn nicht durch Zwangsmittel die Teilnahme des Angeklagten an der Hauptverhandlung erzwungen werden könnte. Selbst der Weg zu einer Freisprechung wäre versperrt, weil diese nur auf Grund durchgeführter Hauptverhandlung erfolgen könnte. Darin liegt begründet, dass die Zwangsmittelanordnung nach § 230 Abs. 2 StPO keinen dringenden Tatverdacht voraussetzt (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 230 Rdn. 21, Hilger, a.a.O., § 112 Rdn. 5, 6); deshalb bleibt hier das Verteidigungsvorbringen, der Geschädigte habe den Angeklagten nicht als einen der beiden Täter anerkannt, unbeachtlich, ohne dass es auf das im Ermittlungsverfahren abgelegte Teilgeständnis des Angeklagten, einer der Täter gewesen zu sein, ankommt.

An einer so gegründeten Erforderlichkeit der Teilnahme des Angeklagten in einer neuen Hauptverhandlung fehlt es, wenn eine Hauptverhandlung entbehrlich ist, weil die zu treffende verfahrensabschließende Entscheidung im Beschlußwege außerhalb der Hauptverhandlung ergehen kann. Eine solche Möglichkeit zur Verfahrenseinstellung eröffnet regelmäßig § 206a Abs. 1 StPO bei Vorliegen eines Verfahrenshindernisses, wenn es nicht ausnahmsweise der überlegenen Aufklärungsmöglichkeiten einer Hauptverhandlung und einer darauf folgenden Entscheidung im Urteilswege nach § 260 Abs. 3 StPO bedarf.

Die Frage, ob ein die Anordnung der Ungehorsams- bzw. Sicherungshaft nach § 230 Abs. 2 StPO erübrigendes Verfahrenshindernis vorliegt, beantwortet sich in tatsächlicher Hinsicht nach einem Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Haftanordnungen als vorläufigen, das künftige Verfahren sichernden Entscheidungen ist strukturell gemeinsam, dass – soweit nicht gesetzlich abweichend vorgeschrieben wie etwa bei den Eingangsvoraussetzungen des § 230 Abs. 2 StPO (unentschuldigtes Ausbleiben) – die maßgeblichen Tatsachen nicht sicher feststehen müssen (vgl. zur – hohen – Wahrscheinlichkeit eines Schuldspruches Hilger, a.a.O., § 112 Rdn. 17 m.w.N. zum Meinungsstand und Meyer-Goßner, a.a.O., § 112 Rdn. 5, sowie zur Wahrscheinlichkeit der Voraussetzungen eines Haftgrundes Hilger, a.a.O., § 112 Rdn. 25 ff.); nur für die auf der Grundlage (hoch-)wahrscheinlicher Tatsachen aufbauende Rechtsanwendung genügt ein Verdacht nicht. Daraus folgt spiegelbildlich, dass jedenfalls bei hoher Wahrscheinlichkeit von Verfahrenstatsachen, deren Vorliegen ein Verfahrenshindernis nach sich ziehen würde, im Allgemeinen für die Anordnung oder Aufrechterhaltung von Ungehorsams- bzw. Sicherungshaft kein Raum ist.

(2) Nach diesen Maßstäben bedarf es hier keiner Hauptverhandlung, weil in tatsächlicher Hinsicht der Eintritt des Verfahrenshindernisses der Verfolgungsverjährung (§ 78 Abs. 1 StGB) hochwahrscheinlich ist.

Mit Hinblick auf die Strafrahmenobergrenze von mehr als zehn Jahren Freiheitsstrafe bei versuchtem schweren Raub (§§ 249 Abs. 1, 250 Abs. 1, 38 Abs. 2 StGB) beläuft sich die Verjährungsfrist gemäß § 78 Abs. 2 Nr. 2 StGB auf zwanzig Jahre, gerechnet ab Beendigung des vorgeworfenen Verbrechens am 20. August 1985 (§ 78a StGB). Diese Frist beginnt nach jeder Unterbrechung der Verjährung neu zu laufen (§ 78c Abs. 1, Abs. 3 StGB).

Hier hat der Erlass des Haftbefehls am 6. April 1987 die Verjährung unterbrochen (§ 78c Abs. 1 Nr. 5 1.Mod. StGB; zur Erfassung auch eines Haftbefehls nach § 230 Abs. 2 StPO durch diese Vorschrift vgl. Schmid in Leipziger Kommentar, StGB, 12. Aufl., § 78c Rdn. 29). Die nächste zur Unterbrechung geeignete Verfahrenshandlung war die Aufrechterhaltung der Haftanordnung durch den landgerichtlichen Änderungsbeschluss vom 1. Juni 2007 (§ 78c Abs. 1 Nr. 5 4.Mod. StGB). Zwischen diesen Verfahrensakten liegen mehr als zwanzig Jahre; damit ist Verjährung eingetreten.

Der zeitlich dazwischen liegende Beschluss vom 23. April 1987, mit dem das Landgericht die vorläufige Einstellung des Verfahrens wegen Abwesenheit des Angeklagten gemäß § 205 StPO angeordnet hat, vermochte die Unterbrechungswirkung nach § 78c Abs. 1 Nr. 10 StGB nicht zu entfalten, weil er wegen hochwahrscheinlicher Entscheidung in einer gegen § 76 Abs. 1 GVG verstoßenden Gerichtsbesetzung nicht wirksam zustande gekommen ist. Damit konnten auch die vom 12. August 1988 bis zum 17. Mai 2006 staatsanwaltschaftlich verfügten Fahndungsverlängerungen zur Ermittlung des Aufenthaltes des Angeklagten die Verjährung nicht unterbrechen, weil ihnen nach der ausdrücklichen Normierung in § 78c Abs. 1 Nr. 10 StGB („… Anordnung des … Staatsanwalts, die nach einer solchen Einstellung des Verfahrens … ergeht“) nur derivative Bedeutung zukommt und ihre Beachtlichkeit für die Verjährungsunterbrechung die Wirksamkeit des vorherigen gerichtlichen Einstellungsbeschlusses voraussetzt (vgl. BayObLG in VRS 62, 288).

Die vorläufige Einstellung muss, wenn sie die Verjährung unterbrechen soll, förmlich erklärt sein (vgl. Schmid, a.a.O., § 78c Rdn. 34). Wird, wie hier, die Einstellungsentscheidung nach § 205 StPO durch eine Große Strafkammer außerhalb der Hauptverhandlung getroffen, muss sie in der nach § 76 Abs. 1 GVG vorgeschriebenen Besetzung ergehen (vgl. Seidl in KMR, StPO, § 205 Rdn. 25 i.V.m. § 201 Rdn. 21), also mit drei Berufsrichtern. Ergeht sie in einer hierfür gesetzlich nicht vorgesehenen Besetzung, ist der Beschluss wegen der Schwere des Fehlers nicht wirksam zustande gekommen (vgl. BGHSt 50, 267, 268f zum gleichfalls im 2. Buch, 4. Abschnitt, der Strafprozessordnung geregelten Eröffnungsbeschluss; siehe auch allg. BVerfG in NJW 1985, 788). Dabei ist der (Einstellungs-)Beschluss nicht notwendig durch alle drei mitwirkenden Richter zu unterzeichnen (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., vor § 33 Rdn. 6 m.w.N., § 207 Rdn. 11 m.w.N.), doch muss erkennbar sein, dass die Entscheidung in der gesetzlich vorgeschriebenen Besetzung mit drei Richtern getroffen worden ist (vgl. BGH in NStZ-RR 1997, 205).

Vorliegend trägt der Beschluss die Unterschriften nur des Vorsitzenden der Großen Strafkammer 14, des damaligen Vorsitzenden Richters am Landgericht B., und eines weiteren Richters, des damaligen Richters am Landgericht St.; unmittelbar angeschlossen ist die durch den Vorsitzenden unterzeichnete Verfügung, mit der die Übersendung der Akten an die Staatsanwaltschaft angeordnet wurde.

Konkrete Anhaltspunkte für die Mitwirkung eines dritten Richters an einer Beratung und an der Entscheidung fehlen. Der durch den Senat freibeweislich befragte jetzige Vorsitzende Richter am Oberlandesgericht St. hat glaubhaft erklärt, keine Erinnerung an den Vorgang zu haben. Eine weitere Aufklärung ist nach dem, wie aufgezeigt, für die Haftfrage anzuwendenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab nicht aussichtsreich. Dass der inzwischen in Ruhestand befindliche Vorsitzende Richter am Landgericht B. nach nunmehr rund vierundzwanzig Jahren neun Monaten eine zuverlässige Erinnerung haben wird, liegt eher fern. Gleiches gilt für nach dem Geschäftsverteilungsplan 1987 des Landgerichts Hamburg bestimmbare Richter, die für eine Mitwirkung als Stammmitglieder oder Vertreter in der Kammer in Betracht kommen. Hinzu tritt, dass derartige Beschlüsse über vorläufige Einstellungen erfahrungsgemäß häufig im Umlaufverfahren getroffen werden mit der Folge, dass mangels Beratung und förmlicher Abstimmung der Vorgang wenig einprägsam ist.

(3) Damit ist es hochwahrscheinlich, dass das Verfahren im Beschlusswege nach § 206a StPO außerhalb der Hauptverhandlung eingestellt werden wird. Überlegene Erkenntnismittel, die nur in einer Hauptverhandlung erlangbar wären, zeichnen sich nicht ab. Die weitere Aufklärung, ob die tatsächlichen Voraussetzungen des Verfahrenshindernisses vorliegen, erfolgt nicht im Haftverfahren, sondern wird das Landgericht in Vorbereitung seiner Hauptsacheentscheidung zu treffen haben (zur Rechtsfolge dann etwaig noch verbleibender Zweifel siehe Meinungsübersicht bei Meyer-Goßner, a.a.O., § 206a Rdn. 7 m.w.N.).

bbb) Da es nach allem schon am Verhältnismäßigkeits-Merkmal der Erforderlichkeit einer Ungehorsams- bzw. Sicherungshaft fehlt, kann dahinstehen, ob die Haftfortdauer zudem wegen Unangemessenheit unverhältnismäßig geworden ist, nachdem der Haftvollzug seit dem 20. Oktober 2011 andauert sowie, die am 28. Oktober 2011 angeordneten Ermittlungen betreffend aktuelle Zeugenanschriften zu einem wesentlichen Teil am 26. November 2011 und im Übrigen am 4. Januar 2012 abgeschlossen worden sind, aber das Landgericht bisher keinen Termin zur Hauptverhandlung bestimmt hat (zur Durchführung der Hauptverhandlung in angemessener Zeit nach gemäß § 230 Abs. 2 StPO erfolgter Verhaftung vgl. HansOLG Hamburg in MDR 1987, 78).