OLG Köln, Urteil vom 19.12.1986 - 6 U 141/86
Fundstelle
openJur 2012, 132764
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 81 0 51/86
Tenor

Auf die Berufung des Antragsgegners wird das am 10. Juni 1986 verkündete Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Köln - 81 O 51/86 - abgeändert.

Die einstweilige Verfügung vom 10. April 1986 wird aufgehoben und der auf ihren Erlaß gerichtete Antrag zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Antragstellerin.

Gründe

Die Antragstellerin erwirkte unter dem 10. April 1986 eine Unterlassungsverfügung gegen den Antragsgegner, die diesem untersagte, "...im geschäftlichen Verkehr...folgende Erklärungen ..." abzugeben:-Es folgten sodann das Rundschreiben des Antragsgegners vom 03.04.1984 als Seite 2 und 3 dieser Beschlußverfügung. Seite 4 und 5 waren die Anlagen zu diesem Rundschreiben, während Seite 6 die Kostenentscheidung, den Streitwert, das Datum der Verfügung und die Unterschrift enthielten -.

Dem Antragsgegner wurde am 14. April 1986 ein Exemplar der Beschlußverfügung im Parteibetrieb zugestellt, das die Seite 2 des Rundschreibens vom 03.04.1986 nicht enthielt. Sein Verfahrensbevollmächtigter erster Instanz hatte die Gerichtsakten dann vom 15.4.1986 bis 2.5.1986 zur Einsichtnahme in seiner Kanzlei. In der Verhandlung vor dem Landgericht hat der Antragsgegner Mängel der Zustellung nicht gerügt. Auf die seiner Ansicht nach mangelhafte Zustellung stützt der Antragsgegner nunmehr seine Berufung gegen das landgerichtliche Urteil,

das die einstweilige Verfügung vom 10.April 1986 bestätigt hat.

Die Antragstellerin tritt der Berufung mit dem Antrag auf Zurückweisung entgegen.

Die formell unbedenkliche Berufung ist auch sachlich begründet.

Die Beschlußverfügung des Landgerichts Köln vom 10. April 1986 ist - ohne Rücksicht auf ihre sachliche Rechtfertigung aufzuheben (§§ 927, 936 ZPO), weil die Antragstellerin die Vollziehungsfrist nicht gewahrt hat. Nach §§ 929 Abs. 2, 936 ZPO sind einstweilige Verfügungen innerhalb eines Monats seit ihrer Verkündung zuzustellen, andernfalls sie derAufhebung gemäß § 927 ZPO unterliegen.

Die am 14.04.1986 vom Gerichtsvollzieher innerhalb der Monatsfrist des § 929 Abs.2 ZPO vorgenommene Zustellung war unwirksam, weil die Seite 2 des mit der Verfügung verbotenen Rundschreibens des Antragsgegners vom 03.04.1986, das wesentlicher inhaltlicher Bestandteil der Beschlußverfügung ist, nicht zugestellt wurde.

Nach fast einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Literatur erfordert die Vollziehung einer Beschlußverfügung auf Unterlassung die Zustellung einer Ausfertigung durch den Antragsteller an den Antragsgegner (vgl. OLG Köln WRP 1979, 819; OLG Frankfurt OLGZ 1982, 346 f. m. N.; Baumbach-Hartmann, ZPO, § 929 Anm. 2 B m. N. - einschränkend OLG Hamburg WRP 1980, 341).

Dabei ist grundsätzlich die gerichtliche Entscheidung in der ergangenen Form Gegenstand der Zustellung (Mellulis, Wettbewerbsrechtliche Prozeßpraxis,1985, Seite 51 m. N.). An einer solchen Zustellung im Parteibetrieb fehlt es vorliegend, da dem Antragsgegner keine vollständige Ausfertigung der Beschlußverfügung übermittelt und ihm deren Inhalt inhaltlich nicht einwandfrei bekanntgegeben worden ist (vgl. Pastor, Der Wettbewerbsprozeß, Seite 439; OLG Frankfurt WRP 1974, 346; OLG Koblenz WRP 1983, 40 f. = GRUR 1982, 571/572). Die notwendige Vollziehung bezieht sich auf die vollständige gerichtliche Entscheidung. Da das gerichtliche Erkenntnis zur Beschreibung des Verbots und des Umfangs der Unterlassungsverpflichtung ausdrücklich das Rundschreiben des Antragsgegners vom 03.04.1986 vollständig in den Unterlassungstenor einbezogen, es zu dessen Bestandteil gemacht hat, war eine Zustellung auch der Seite 2 des Rundschreibens geboten. Aus dem ihm zugestellten Exemplar der Beschlußverfügung erlangte der Antragsgegner keine zuverlässige Kenntnis darüber, was er zu unterlassen hatte. Die Zustellung auch von Seite 2 war entscheidend für Inhalt und Umfang der einstweiligen Verfügung, zumal sich der Verfügungsantrag vom 9.10.1986 auf Behauptungen in diesem Rundschreiben bezogen hatte, die die Passagen des letzten Absatzes auf Seite 1 und des ersten Absatzes auf Seite 2 betrafen.

Ob etwas anderes gilt, wenn das gerichtliche Gebot gleichwohl aus sich heraus verständlich ist, fier seine Auslegung keine Zweifel bestehen und offenkundig ist, daß der Gläubiger von diesem Unterlassungsgebot zur vorläufigen Sicherung Gebrauch macht und er alles in seiner Macht Stehende getan hat, um eine wirksame Zustellung zustandezubringen (vgl. OLG Düsseldorf GRUR 1984, 78 m. N.), kann hier dahinstehen. Der Antragsgegner konnte nämlich der unvollständigen Zustellung nicht mit der erforderlichen Klarheit entnehmen, daß ihm auch Behauptungen auf der 2. Seite seines - ihm an sich bekannten - Rundschreibens untersagt worden waren. Er konnte insbesondere annehmen, daß die Antragstellerin entweder die 2. Seite seines Rundschreibens bewußt wegen seiner dort wiedergegebenen Erklärungen nicht dem Gericht mitvorgelegt oder daß das Gericht dem Unterlassungsbegehren nur teilweise entsprochen hatte.

Bei dieser Sachlage erscheint es auch nicht gerechtfertigt, die innerhalb der Vollziehungsfrist durchgeführte unvollständige Zustellung als ausreichende teilweise Vollziehung anzusehen. Zwar hat die Antragstellerin durch die Zustellung des (unvollständigen) Beschlusses für den Antragsgegner bekundet, daß sie auf der Verfolgung des vom Gericht erlassenen Verbots bestehe und hiermit von der einstweiligen Verfügung Gebrauch mache. Dem Sinn und Zweck der Vollziehungsfrist ist damit jedoch nicht hinreichend Rechnung getragen. Die Beschlußverfügung vom 10.04.1986 läßt nach ihrem Inhalt und Zweck eine teilweise Vollziehung nicht zu. Eine solche war von der Antragstellerin auch nicht gewollt.

Eine Heilung des Zustellungsmangels scheidet aus.

Nach § 187 Satz 1 ZPO kann eine nicht nachweisbar formgerechte oder eine unwirksame Zustellung in dem Zeitpunkt als bewirkt angesehen werden, in dem das zuzustellende Schriftstück dem Beteiligten zugegangen ist, an den dem Gesetz

gemäß die Zustellung gerichtet werden konnte. Mit der wohl überwiegenden Meinung hält der Senat eine Anwendung des § 187 Abs. 1 ZPO grundsätzlich auch auf Mängel, die die Vollziehung einer einstweiligen Verfügung betreffen, für möglich (OLG Köln WRP 1980, 226; OLG München MDR 1986, 944 - jeweils m.N.; Spätgens in Handbuch des Wettbewerbsrechts § 86, Rdnr. 20 und Fußnote 37 m. N.).

Die Art und Weise, in der im vorliegenden Fall der Antragsgegner möglicherweise durch seinen Prozeßbevollmächtigten Kenntnis von dem Inhalt der Beschlußverfügung erlangt hat, reicht für eine derartige Heilung nicht aus. § 187 Abs. 1 ZPO ist Ausdruck des allgemeinen Grundsatzes der Heilung durch Zweckerreichung (BGH NJW 1978, 426). Die Voraussetzung für eine Heilung des Zustellungsmangels mit der Folge, daß die Zustellung als bewirkt angesehen werden kann, ist somit erst gegeben, wenn der Zweck der verletzten Verfahrensnorm auf andere Weise dennoch eingetreten ist (OLG Hamm WRP 1979, 325; OLG Frankfurt WRP 1979, 799/800; OLG München WRP 1983, 46; Baumgärtel, ZZP 1969, Seite 89 ff. 113). Mag der Antragsgegner durch seinen Anwalt auch innerhalb der Vollziehungsfrist zuverlässige Kenntnis vom Inhalt der Beschlußverfügung erlangt haben, eine Heilung des Zustellungsmangels ist damit jedenfalls nicht eingetreten. Der Begriff des "Zugangs" im Sinne von § 187 ZPO erfordert nämlich zumindest, daß das zuzustellende Schriftstück auf irgendeine Weise - wenn auch nur vorübergehend - in den Besitz des Zustellungsempfängers gelangt ist. Das ist im Streitfall nicht dargetan oder erkennbar.

Eine anderweitige Kenntnisnahme ohne Besitzerlangung - hier ggfs.- eine Unterrichtung über den Inhalt der Beschlußverfügung durch den Anwalt nach Akteneinsicht - genügt insoweit nicht (vgl. BGHZ 70, 387; OLG Nurnberg MDR 1982, 238; Stephan in Zöller, ZPO, 14. Aufl. § 187 Rdnr. 5 - jeweils m. N.). Der Zustellungsadressat selbst - nicht eine Ersatzperson - muß durch Übergabe (§ 170 ZPO) das Schriftstück in seinen Herrschaftsbereich bekommen haben ( BHG, Der Betrieb 1981, 368; Stephan in Zöller, ZPO 14. Aufl. § 187 Rdnr. 6 m. N.).

Erfolglos bleibt schließlich auch der Einwand der Antragstellerin, der Antragsgegner habe durch rügelose Einlassung vor dem Landgericht auf die Wahrung der Vollziehungsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO verzichtet (§ 295 ZPO).

Durch die Fristversäumung ist die erlassene einstweilige Verfügung - ohne die Möglichkeit einer Heilung oder eines Verzichts durch den Antragsgegner - endgültig wirkungslos geworden. Bei der versäumten Frist handelt es sich nämlich um zwingendes Recht, das die Wirkungen eines Staatshoheitsaktes begrenzt (OLG Koblenz GRUR 1981, 92 m.N.). Es ist daher der Parteidisposition entzogen und kann mangels entsprechender gesetzlicher Bestimmungen auch weder verlängert, noch abgekürzt werden - § 224 Abs. 2 ZPO - (allgemeine Ansicht: RG 1951, 155/157;

OLG Koblenz GRUR 1981, 91 f.; OLG Düsseldorf GRUR 1984, 385; OLG Hamm Anwaltsblatt 1986, 35 f.; Baumbach-Hartmann, ZPO, 45. Aufl., § 929 Anm. 2 - jeweils m.N.).

Da die Antragstellerin die Vollziehungsfrist der §§ 929 Abs. 2, 936 ZPO versäumt hat, muß die einstweilige Verfügung - ohne Rücksicht auf deren sachliche Begründung - aus formellen Gründen als von Anfang an unberechtigt angesehen, der Antrag auf ihren Erlaß nunmehr also zurückgewiesen werden(OLG Köln WRP 1979, 817; Pastor, Der Wettbewerbsprozeß, 3. Aufl., Seite 366).

Der Antragstellerin sind gemäß § 91 Abs. 1 ZPO auch die Kosten des gesamten Verfahrens aufzuerlegen (vgl. OLG Koblenz GRUR 1981, 91/93 m.N.).

Das Urteil ist mit der Verkündung rechtskräftig (§ 545 Abs. 2 ZPO).