BGH, Beschluss vom 27.10.2011 - VII ZB 126/09
Fundstelle
openJur 2011, 117685
  • Rkr:
Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin, soweit sie sich gegen die Zurückweisung des Antrags auf Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens zu I A und B richtet, und die Anschlussrechtsbeschwerde der Antragsgegnerin zu 1 gegen den Beschluss des 21. Zivilsenats des Kammergerichts vom 17. November 2009 werden zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin als unzulässig verworfen.

Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Gegenstandswert: 3.500.000 €

Gründe

I.

Die Antragstellerin wendet sich dagegen, dass ihr Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens teilweise zurückgewiesen wurde, während die Antragsgegnerin zu 1 mit der Anschlussrechtsbeschwerde die vollständige Zurückweisung des Antrags erreichen möchte. 1 Die Rechtsvorgängerin der Antragstellerin (im Folgenden nur: Antragstellerin) erwarb mit notariellem Vertrag vom 6. Oktober 1998 von der W. GmbH mehrere mit Wohngebäuden bebaute Grundstücke. Gleichzeitig verpflichtete sich die W. GmbH gegenüber der Erwerberin zur Modernisierung der Gebäude. Hierzu schloss die W. GmbH mit der Antragsgegnerin zu 1 einen Generalübernehmervertrag. Als Sicherheit für die Erfüllung der Gewährleistungsansprüche übernahm die Antragsgegnerin zu 2 gegenüber der W. GmbH eine selbstschuldnerische Bürgschaft. Die W. GmbH trat die Ansprüche aus dem Bürgschaftsvertrag an die Antragstellerin ab.

Nach Abschluss der Arbeiten machte die W. GmbH Mängel geltend und beantragte vor dem Landgericht S. gegen die Antragsgegnerin zu 1 die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens. Die Antragstellerin trat in diesem Verfahren auf der Seite der W. GmbH als Nebenintervenientin bei. Das Landgericht S. hat mit Beschluss vom 28. Juli 2006 die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens über die Mängelbehauptungen der W. GmbH angeordnet. Durch Vereinbarung vom 19. Juni 2008 trat die W. GmbH ihre Gewährleistungs- und Schadensersatzansprüche gegen die Antragsgegnerin zu 1 an die Antragstellerin ab.

Im vorliegenden selbständigen Beweisverfahren begehrt die Antragstellerin mit den Behauptungen zu I A und B die Feststellung von Zuständen, die sachlich bereits Gegenstand des selbständigen Beweisverfahrens beim Landgericht S. sind, und mit den weiteren Behauptungen zu I C die Feststellung weiterer Zustände und mit den Anträgen zu II bis III die Feststellung ihrer Mangelhaftigkeit, der Ursachen, der Mängelbeseitigungsmaßnahmen und der erforderlichen Kosten gegen die Antragsgegnerinnen zu 1 und 2 vor dem Landgericht B. 2 Dieses hat den Antrag insgesamt zurückgewiesen. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin hat das Beschwerdegericht diesen Beschluss in Bezug auf die Antragsgegnerin zu 2 insgesamt und in Bezug auf die Antragsgegnerin zu 1 insoweit aufgehoben, als die Anträge zu I bis III hinsichtlich der Beweisbehauptungen zu I C zurückgewiesen worden sind, die noch nicht Gegenstand des selbständigen Beweisverfahrens vor dem Landgericht S. waren. Im Übrigen hat es die sofortige Beschwerde zurückgewiesen. Im Umfang der Aufhebung hat das Beschwerdegericht die erforderlichen Anordnungen zur Beweiserhebung dem Landgericht B. übertragen.

Hiergegen richten sich die vom Beschwerdegericht im Umfang der Zurückweisung der sofortigen Beschwerde zugelassene Rechtsbeschwerde der Antragstellerin und die Anschlussrechtsbeschwerde der Antragsgegnerin zu 1.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist teilweise unbegründet, teilweise unzulässig und die Anschlussrechtsbeschwerde ist nicht begründet.

1. Das Beschwerdegericht meint, der Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens vor dem Landgericht B. stehe das bereits anhängige Beweisverfahren vor dem Landgericht S. entgegen, soweit die Beweisbehauptungen und Beweisthemen identisch seien, also die Zustände und Mängel gemäß den Beweisbehauptungen zu I A und B beträfen, und sie sich gegen die Antragsgegnerin zu 1 richteten, die auch Antragsgegnerin im Verfahren vor dem Landgericht S. sei.

§ 485 Abs. 3 ZPO verbiete ab dem Zeitpunkt der Anordnung der Beweiserhebung im ersten Beweisverfahren die doppelte Begutachtung, weil aus pro-5 zessökonomischen Gründen eine doppelte Kostenbelastung und widerstreitende Gutachten vermieden werden sollten. Nur die Unzulänglichkeit eines bereits erstellten Gutachtens ermögliche nach dem für anwendbar erklärten § 412 ZPO eine neue Begutachtung.

Dem stehe nicht entgegen, dass die Partei des Antragstellers in den beiden Beweisverfahren nicht identisch sei. Die Antragstellerin habe die Möglichkeit, das Beweisergebnis vor dem Landgericht S. in einem von ihr geführten Hauptsacheverfahren nach § 493 ZPO zu benutzen, obwohl sie nicht Antragsteller des dortigen Verfahrens sei. Dies ergebe sich aus der Abtretung der Gewährleistungsansprüche an sie nach der Anhängigkeit des selbständigen Beweisverfahrens in S. und den analog anzuwendenden §§ 265, 325 ZPO.

Soweit die Antragstellerin Beweiserhebungen beantrage, die nicht Gegenstand des Beweisverfahrens vor dem Landgericht S. seien (Beweisthemen I C), und soweit sich die Beweisbehauptungen gegen die dort nicht beteiligte Antragsgegnerin zu 2 richteten, sei der Antrag zulässig. Die Antragstellerin könne insoweit nicht darauf verwiesen werden, als Nebenintervenientin ergänzende Beweisfragen in das Verfahren vor dem Landgericht S. einzuführen.

2. Das hält der rechtlichen Nachprüfung stand.

a) Zutreffend geht das Beschwerdegericht davon aus, dass die Antragstellerin im Umfang der Zurückweisung ihrer sofortigen Beschwerde kein schützenswertes rechtliches Interesse an der Durchführung eines weiteren selbständigen Beweisverfahrens vor dem Landgericht B. hat, § 485 Abs. 2 und 3 ZPO. Der Zessionar einer Forderung, zu deren anspruchsbegründenden Tatsachen der Zedent vor der Abtretung ein selbständiges Beweisverfahren eingeleitet hatte, ist gehindert, zu den gleichen Tatsachen ein weiteres selbständiges Beweisverfahren gegen denselben Antragsgegner einzuleiten. Das ergibt sich aus 10 einer entsprechenden Anwendung der §§ 265, 325 ZPO i.V.m. § 485 Abs. 3 ZPO.

aa) Nach § 485 Abs. 3 ZPO ist der vom Antragsteller erneut gestellte Antrag auf Durchführung eines weiteren selbständigen Beweisverfahrens gegen den gleichen Antragsgegner unzulässig, wenn über den gleichen Beweisgegenstand bereits ein anderes Beweisverfahren am gleichen oder an einem anderen Gericht anhängig ist (OLG Köln, VersR 1992, 1152; OLG Hamm, BauR 1988, 762 = ZfBR 1987, 202; Weise, Selbständiges Beweisverfahren im Baurecht, 2. Aufl., § 2 Rn. 237, 240; Thomas/Putzo, ZPO, 32. Aufl., § 485 Rn. 1; MünchKommZPO/Schreiber, 3. Aufl., § 485 Rn. 13). Die gesetzgeberische Intention ist, die doppelte Anhängigkeit von Beweisverfahren mit dem gleichen Beweisthema und die mehrfache Begutachtung durch verschiedene Sachverständige zu unterbinden. Damit sollen verschiedene Sachverständigengutachten mit divergierenden Ergebnissen vermieden werden. Gleichzeitig dient die Vorschrift der Entlastung der Gerichte und der Prozessökonomie (BT-Drucksache 11/3621 und 11/8283, S. 47).

bb) Gleiches gilt, wenn statt des bisherigen Antragstellers der Zessionar der während der Anhängigkeit des selbständigen Beweisverfahrens abgetretenen Forderung einen erneuten Antrag auf Durchführung eines weiteren selbständigen Beweisverfahrens zum gleichen Beweisthema stellt. Das folgt aus dem auf das selbständige Beweisverfahren entsprechend anwendbaren Regelungskonzept der §§ 265, 325 ZPO.

(1) Nach § 265 Abs. 1 ZPO schließt die Rechtshängigkeit eines Anspruchs seine Abtretung nicht aus. Nach Absatz 2 hat die Abtretung keinen Einfluss auf den Prozess, dieser wird vom Zedent fortgeführt, falls nicht der Zessionar ihn mit Zustimmung des Gegners übernimmt. 14 Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass die Abtretung den Verlust der Sachlegitimation zur Folge hat, so dass ohne diese gesetzliche Regelung die Klage als unbegründet abzuweisen wäre. Der Gegner müsste damit rechnen, vom Zessionar erneut verklagt zu werden. § 265 ZPO soll dies verhindern, um den Prozessgegner, der die Veränderung der materiellen Rechtslage nicht beeinflussen kann, nicht um die bisherigen Prozessergebnisse zu bringen, etwa ein ihm günstiges Beweisergebnis oder die finanzielle Sicherheit der Prozesskostenerstattung bei geringerer Zahlungsfähigkeit des Rechtsnachfolgers. Die Vorschrift schützt auch den Veräußerer und allgemein das wechselseitige Interesse der Parteien daran, den Prozess mit der Partei zu Ende zu führen, mit der er begonnen wurde und dient der Prozessökonomie (MünchKommZPO/Becker-Eberhard, 3. Aufl., § 265 Rn. 1 ff. m.w.N.).

(2) Diese Rechtsgedanken sind auf das selbständige Beweisverfahren entsprechend anwendbar. Auch in diesem Verfahren hat der Antragsgegner ein berechtigtes Interesse daran, das einmal begonnene Verfahren mit einem im Hauptsacheprozess verwertbaren Beweisergebnis zu Ende zu führen. Ohne die entsprechende Anwendung der oben geschilderten Grundsätze würde dem Zedenten mit der Abtretung für die weitere Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens regelmäßig das rechtliche Interesse an der Beweiserhebung fehlen und sein Antrag würde unzulässig. Der Antragsgegner könnte einem erneuten Beweisverfahren zu den gleichen Beweisfragen seitens des Zessionars ausgesetzt sein. Einen Parteiwechsel kann er nicht erzwingen.

Deshalb ist es geboten, dass der Zedent das Beweisverfahren gegen den Antragsgegner nach Abtretung des zugrunde liegenden Anspruchs grundsätzlich weiterführt, falls der Zessionar dieses nicht mit Zustimmung des Gegners übernimmt. 17

(3) Dem Zessionar ist auf dieser Grundlage und unter Berücksichtigung des Verbots der Mehrfachbegutachtung nach § 485 Abs. 3 ZPO versagt, die gleichen Beweisfragen erneut gegen den gleichen Gegner anhängig zu machen. Er kann dafür kein schutzwürdiges eigenes Interesse geltend machen:

Der Zessionar kann das Ergebnis des vom Zedent geführten selbständigen Beweisverfahrens in einem etwaigen Hauptsacheverfahren als Kläger gegen den Antragsgegner als Beklagten verwerten, wenn die Abtretung nach Anhängigkeit erfolgte, § 493 ZPO (KG, MDR 1981, 940; OLG Düsseldorf, MDR 1985, 1032; Weise, aaO, § 7 Rn. 640; Kleine-Möller/Praun/Merl, Handbuch des privaten Baurechts, 3. Aufl., § 16 Rn. 319; Wieczorek/Schütze/Ahrens, ZPO, 3. Aufl., § 493 Rn. 8). Das folgt aus dem auch auf das selbständige Beweisverfahren anwendbaren Rechtsgedanken des § 325 ZPO. Danach wirkt ein rechtskräftiges Urteil auch für und gegen die Personen, die nach dem Eintritt der Rechtshängigkeit Rechtsnachfolger der Parteien geworden sind. Daraus folgt, dass ein Gläubiger die prozessualen Wirkungen eines mit dem Schuldner geführten Rechtsstreits nicht durch eine spätere Abtretung der rechtshängigen Forderung zunichtemachen kann, was mit der Regelung in § 265 Abs. 2 ZPO korrespondiert, wonach eine nach Rechtshängigkeit erfolgte Abtretung der Klageforderung grundsätzlich keinen Einfluss auf den Prozess hat. Es erscheint geboten, diese prozessualen Regelungen auf die Fortsetzung des selbständigen Beweisverfahrens und auf die Verwertbarkeit des gewonnenen Ergebnisses entsprechend anzuwenden, wenn ein Beteiligter dieses Verfahrens seine Forderung erst nach Anhängigkeit des Beweisverfahrens oder sogar nach dessen Abschluss abgetreten hat (KG, MDR 1981, 940; OLG Frankfurt, MDR 1984, 238; Wieczorek/Schütze/Ahrens, aaO, Rn. 8). Auf diese Weise wird vermieden, dass der Gläubiger sich einem ihm etwa nachteiligen Ergebnis des Beweisverfahrens dadurch entzieht, dass er den nachfolgenden Hauptsacherechtsstreit nicht selbst einleitet, sondern durch einen Zessionar führen lässt. Zudem wäre 20 nicht einsehbar, dass der Antragsgegner sich nicht an dem Ergebnis des gegen ihn durch den Zedenten geführten Beweisverfahrens festhalten lassen muss, wenn er vom Zessionar verklagt wird. Ein solches Ergebnis wäre nicht interessengerecht. Der Antragsgegner würde allein dadurch einen Prozessvorteil erlangen, dass das im selbständigen Beweisverfahren eingeholte Sachverständigengutachten nur deswegen nicht verwertbar wäre, weil der Antragsteller dieses Verfahrens während oder nach Durchführung dieses Beweisverfahrens seine Ansprüche abgetreten hat.

cc) Soweit im vorliegenden selbständigen Beweisverfahren die Begutachtung von Mängeln beantragt wird, die bereits Gegenstand des selbständigen Beweisverfahrens vor dem Landgericht S. sind (Beweisanträge I A und B), ist dieses in Richtung der (identischen) Antragsgegnerin zu 1 daher nicht zulässig.

b) Die Anschlussrechtsbeschwerde der Antragsgegnerin zu 1 ist ebenfalls unbegründet. Soweit die von der Antragstellerin zur sachverständigen Begutachtung beantragten Beweistatsachen noch nicht Gegenstand des ersten Beweisverfahrens vor dem Landgericht S. waren, hat sie an der Durchführung dieses weiteren Beweisverfahrens ein rechtliches Interesse.

Sie muss sich nicht darauf verweisen lassen, im Verfahren vor dem Landgericht S. als Nebenintervenientin ergänzende Beweistatsachen vortragen und die Beweiserhebung hierüber beantragen zu können (vgl. Wieczorek/ Schütze/Ahrens, aaO, vor § 485 Rn. 20). Das dortige selbständige Beweisverfahren wird von der W. GmbH entsprechend der Regelung in § 265 Abs. 2 ZPO als Antragstellerin fortgeführt. Ein Nebenintervenient kann, muss aber nicht im dortigen Verfahren tätig werden, es steht ihm grundsätzlich frei, ein eigenes Beweisverfahren zu beantragen. Daran kann er ein schützenswertes Interesse 22 haben, um die Verjährung der ihm abgetretenen Forderung wegen eines anderen Mangels ohne weiteres zu hemmen.

Das rechtliche Interesse der Antragstellerin nach § 485 Abs. 2 ZPO an dem neuen selbständigen Beweisverfahren entfällt auch nicht deshalb, wie die Anschlussrechtsbeschwerde meint, weil die Antragsgegnerin zu 1 sich auf die Einrede der Verjährung der zugrunde liegenden Gewährleistungsansprüche beruft. Die Erfolgsaussichten eines künftigen Hauptsacheprozesses sind grundsätzlich für die Zulässigkeit eines selbständigen Beweisverfahrens nicht entscheidend. Der Hauptsacheanspruch ist daher nicht auf Schlüssigkeit zu prüfen. Allenfalls wenn ein Rechtsverhältnis, ein möglicher Prozessgegner oder ein Anspruch nicht ersichtlich ist, kann das rechtliche Interesse nach § 485 Abs. 2 ZPO verneint werden. Dabei kann es sich jedoch nur um völlig eindeutige Fälle handeln, in denen evident ist, dass der behauptete Anspruch keinesfalls bestehen kann (BGH, Beschluss vom 16. September 2004 - III ZB 33/04, BauR 2004, 1975 = NZBau 2005, 45 = ZfBR 2005, 54). Eine ganz offensichtliche Aussichtslosigkeit des Rechtsschutzbegehrens, zu dessen Vorbereitung das hier in Rede stehende selbständige Beweisverfahren dienen soll, kann hier nicht festgestellt werden. Die Frage der Verjährung und der verschiedenen möglichen Hemmungstatbestände, ihrer tatsächlichen Voraussetzungen und ihrer Dauer kann nicht ohne eingehende Sachprüfung unter Berücksichtigung des streitigen wechselseitigen Tatsachenvortrags beider Parteien beantwortet werden.

3. Soweit sich die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin auch gegen die Zurückweisung der Anträge zu II A und B sowie III A und B richtet, ist sie mangels Begründung als unzulässig zu verwerfen, § 575 Abs. 2 Satz 1, § 577 Abs. 1 ZPO.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1, § 92 Abs. 1 ZPO.

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