BGH, Urteil vom 14.10.2011 - V ZR 56/11
Fundstelle
openJur 2011, 117639
  • Rkr:
Tenor

Die Rechtsmittel der Parteien gegen das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Dresden vom 10. Februar 2011 werden zurückgewiesen.

Von den Kosten des Revisionsverfahrens tragen der Kläger 7/10 und die Beklagten 3/10.

Von Rechts wegen.

Tatbestand

Die Parteien bilden eine Wohnungseigentümergemeinschaft. Von den Miteigentumsanteilen verfügen der Kläger über 360,982/1.000, der Beklagte zu 1 über 517,761/1.000 und die Beklagten zu 2 und 3 gemeinschaftlich über 121,257/1.000.

Der Beklagte zu 1 führte ohne Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer Umbaumaßnahmen durch. Er ließ auf der Dachterrasse des Altbaus eine Mauer entfernen, ein Fenster zumauern und die gesamte Terrassenbreite durch den Einbau von vier Stahlträgern in der Dämmebene abstützen. Im Bereich der 1 Souterrain-Wohnung veranlasste er zur Schaffung eines Ausgangs die Vergrößerung eines Fensters bis zum Boden. Vor diesem Fenster ließ er eine Holzterrasse errichten.

Im Jahr 2004 nahm der Kläger den Beklagten zu 1 in einem WEG-Verfahren mit Stufenanträgen auf Auskunftserteilung über vorgenommene bauliche Veränderungen, auf Versicherung der Richtigkeit der Auskunftserteilung an Eides statt sowie auf Beseitigung der sich aus der Auskunft ergebenden baulichen Veränderung in Anspruch. Mit den Anträgen der ersten und zweiten Stufe hatte der Kläger Erfolg. Das Verfahren ist derzeit in der Beschwerdeinstanz anhängig.

Auf der Wohnungseigentümerversammlung vom 5. Mai 2009 wurden mit den Stimmen der Beklagten zu dem Tagesordnungspunkt (TOP) 2 folgende Beschlüsse gefasst:

"a) Die Gemeinschaft stimmt der Entfernung der im Dachgeschoss auf der Dachterrasse befindlichen Mauer zu ...

b) Die Gemeinschaft stimmt dem Schließen der Fenstertür durch Zumauern oder Verputzen zu, die zur Hälfte der Begehung der Terrasse dient.

c) Die Gemeinschaft stimmt der Öffnung des im Bereich der Souterrain-Wohnung befindlichen Fensters bis zum Boden und Schaffung eines Ausgangs zu.

d) Die Gemeinschaft stimmt dem Erstellen und Bauen einer Holzterrasse vor der Souterrain-Wohnung zu.

e) Die Gemeinschaft stimmt der Abstützung der gesamten Terrassenbreite vor den Wohnungen 208/209 ... durch 4 kleine Träger zu, die auf der Terrasse verlegt wurden und die Funktion des fehlenden Überzugs übernehmen, wobei diese Stahlträger innerhalb der Dämmebene liegen."

Der gegen diese Beschlüsse erhobenen Anfechtungsklage hat das Amtsgericht stattgegeben. Das Landgericht hat sie nur hinsichtlich der Beschlüsse zu c) und d) für begründet erachtet; im Übrigen hat es die Klage ab- und die 3 Berufung zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision möchte der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erreichen. Die Beklagten erstreben mit der Anschlussrevision eine vollständige Klageabweisung.

Gründe

I.

Das Berufungsgericht meint, der Beklagte zu 1 habe zulässigerweise an der Abstimmung über die Beschlüsse zu TOP 2 teilgenommen. Für das Eingreifen der einer Stimmberechtigung entgegenstehenden Regelung des § 25 Abs. 5 WEG genüge es nicht, dass eine Beschlussfassung Auswirkungen auf einen anderen Rechtstreit habe, solange sie nicht auf dessen Beendigung abziele. Die Vorschrift sehe bei Vorliegen einer Interessenkollision kein allgemeines Stimmrechtsverbot vor. Vielmehr bleibe das Stimmrecht auch bei der Verfolgung von Sonderinteressen unangetastet. Gleichwohl sei die Klage hinsichtlich der Beschlüsse zu TOP 2 c) und d) begründet, weil insoweit - anders als bei den übrigen angefochtenen Beschlüssen - die Rechte des Klägers über das in § 14 Nr. 1 WEG bestimmte Maß hinaus berührt worden seien und deshalb nach § 22 Abs. 1 WEG auch dessen Zustimmung erforderlich gewesen sei.

II.

Beiden Rechtsmitteln bleibt der Erfolg versagt.

1. Das gilt zunächst für die Revision des Klägers. Das Berufungsgericht hat die gegen die Beschlüsse zu TOP 2 a), b) und e) gerichtete Anfechtungsklage zu Recht abgewiesen.

a) Das Stimmrechtsverbot des § 25 Abs. 5 Alt. 2 WEG greift nicht ein. Dabei kann offen bleiben, ob der Anwendung der Regelung bereits entgegen steht, dass das vor der Fassung der angefochtenen Beschlüsse eingeleitete 6 WEG-Verfahren nur von dem Kläger gegen den Beklagten zu 1 angestrengt worden ist, die genannte Regelung aber zumindest ihrem Wortlaut nach ein Verfahren der "anderen", also der übrigen Wohnungseigentümer voraussetzt. Denn das Stimmrechtsverbot greift jedenfalls aus teleologischen Erwägungen nicht ein.

aa) Das Stimmrecht der Wohnungseigentümer gehört zu dem Kernbereich elementarer Mitgliedschaftsrechte (Senat, Urteil vom 10. Dezember 2010 - V ZR 60/10, NJW 2011, 679, 681). Da es ein wesentliches Mittel zur Mitgestaltung der Gemeinschaftsangelegenheiten bildet, darf es nur ausnahmsweise und lediglich unter eng begrenzten Voraussetzungen eingeschränkt werden (Senat, Beschluss vom 19. September 2002 - V ZB 30/02, BGHZ 152, 46, 57 mwN). Vor diesem Hintergrund erfasst das Stimmrechtsverbot nach § 25 Abs. 5 WEG nur bestimmte Fälle schwerwiegender Interessenkollisionen, in denen die - sonst legitime - Verfolgung auch privater Sonderinteressen bei der Willensbildung der Wohnungseigentümer nicht mehr hinnehmbar erscheint (vgl. Senat, Beschluss vom 19. September 2002, aaO, S. 57 f.).

Mit Blick auf die Regelung des § 25 Abs. 5 Alt. 2 WEG geht das gesetzgeberische Anliegen dahin zu verhindern, dass der Prozessgegner auf das Ob und Wie einer gegen ihn gerichteten Prozessführung Einfluss nehmen kann (zutreffend LG München I, NJW-RR 2011, 374, 375; LG Stuttgart, ZWE 468 f.). Denn bei einer Mitwirkung an der auf das Verfahren bezogenen Willensbildung auch auf Klägerseite bestünde die naheliegende Gefahr, dass eine sachgerechte Klärung der zur gerichtlichen Überprüfung gestellten Streitgegenstände erschwert oder gar verhindert würde, sei es, dass schon keine Klage erhoben würde, sei es, dass sachgerechte Anträge nicht gestellt würden oder der Rechtsstreit in sonstiger Weise nicht mit dem nötigen Nachdruck betrieben würde. Daher scheidet eine Beteiligung an der Abstimmung über alle Beschlussgegenstände aus, die verfahrensbezogene Maßnahmen betreffen, worunter insbesondere Beschlüsse über die Einleitung des Rechtsstreits, die Art 10 und Weise der Prozessführung und die Frage der verfahrensrechtlichen Beendigung fallen (vgl. nur LG Stuttgart, aaO; Merle in Bärmann, WEG, 11. Aufl., § 25 Rn. 134; jeweils mwN).

Da mit der Regelung des § 25 Abs. 5 Alt. 2 WEG lediglich sichergestellt werden soll, dass die prozessuale Willensbildung frei von den Interessen des Prozessgegners getroffen wird, sind von dem Stimmrechtsverbot nicht Abstimmungen betroffen über Gegenstände, die kein verfahrensrechtliches Verhalten betreffen. Angesichts des hohen Rangs, der der Mitwirkungsbefugnis der Wohnungseigentümer bei der Verwaltung des Gemeinschaftseigentums zukommt, gilt dies selbst dann, wenn die nicht auf verfahrensrechtliche Maßnahmen bezogene Beschlussfassung Auswirkungen auf den Rechtsstreit in materiellrechtlicher Hinsicht hat oder haben kann (vgl. auch BayObLG, WuM 1997, 565 f.). Dies erscheint auch deshalb sachgerecht, weil solche Beschlüsse dem bereits angestrengten Prozess nicht notwendig die materiellrechtliche Grundlage entziehen. Denn dem überstimmten Wohnungseigentümer bleibt es unbenommen, die von der Mehrheit beschlossenen Regelungen mit der Beschlussmängelklage anzugreifen. Führt die gerichtliche Überprüfung dazu, dass die Beschlüsse den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Verwaltung oder den sonstigen Vorgaben des Wohnungseigentumsgesetzes - wie etwa nach § 22 Abs. 1 i.V.m. § 14 Nr. 1 WEG - nicht genügen, tritt keine "Erledigung" des anderen Verfahrens ein. Bei dem hier zugrunde gelegten Verständnis des § 25 Abs. 5 Alt. 2 WEG steht der in der Abstimmung unterlegene Wohnungseigentümer nicht schlechter als er stünde, wenn die Wohnungseigentümer nicht nach, sondern schon vor der Einleitung des hier zwischen dem Kläger und dem Beklagten zu 1 geführten WEG-Verfahrens die baulichen Veränderungen gebilligt hätten.

bb) Auf dieser Grundlage scheitern die Beschlüsse nicht an dem Stimmrechtsverbot des § 25 Abs. 5 Alt. 2 WEG. Mit den angefochtenen Beschlüssen sollte der durch den Beklagten zu 1 in rechtswidriger Weise herbeigeführte bau-12 liche Zustand gebilligt werden. Verfahrensrechtliche Maßnahmen wurden nicht beschlossen.

b) Ob diese Billigung Bestand haben kann, hängt nach § 22 Abs. 1 WEG davon ab, ob der Kläger durch die baulichen Veränderungen in einer über das in § 14 Nr. 1 WEG bestimmte Maß hinausgehenden Weise in seinen Rechten beeinträchtigt wird. Bei der Beurteilung, ob eine Umgestaltung beeinträchtigend wirkt, kommen nur konkrete und objektive Beeinträchtigungen in Betracht. Entscheidend ist, ob sich nach der Verkehrsanschauung ein Wohnungseigentümer in der betreffenden Situation verständigerweise beeinträchtigt fühlen darf (vgl. nur Senat, Beschluss vom 19. Dezember 1991 - V ZB 27/90, BGHZ 116, 392, 396; Merle in Bärmann, aaO, § 22 Rn. 174 mwN). Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Zustimmung aller Wohnungseigentümer jedenfalls durch nachteilige Veränderungen des optischen Gesamteindrucks (vgl. Senat, Beschluss vom 19. Dezember 1991, aaO, mwN) oder durch die Möglichkeit einer intensiveren Nutzung (Senat, Beschluss vom 21. Dezember 2000 - V ZB 45/00, BGHZ 146, 241, 248, mwN) notwendig werden kann (vgl. zum Ganzen auch Merle in Bärmann, aaO, § 22 Rn. 185, 188 f. mwN). Das gilt auch bei Eingriffen in die Statik, sofern sich negative Auswirkungen auf das Gemeinschaftseigentum nicht ausschließen lassen (Merle, aaO, Rn. 181 f. mwN).

aa) Einen Verstoß gegen diese Rechtsgrundsätze lässt das Berufungsurteil nicht erkennen. Verfahrensfehler bei der Feststellung des Sachverhalts werden nicht gerügt. Auch im Übrigen sind die Würdigungen des Berufungsgerichts, bei denen dem Tatrichter ein revisionsrechtlich nur beschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zusteht (so bereits Senat, Beschluss vom 19. Dezember 1991, aaO, für das Verfahren der weiteren Beschwerde nach §§ 43, 45 Abs. 1 WEG a.F., §§ 27, 29 FGG), nicht zu beanstanden. Das gilt insbesondere, soweit das Berufungsgericht ausführt, den vorgelegten Lichtbildern sei zu entnehmen, dass die gebilligte Veränderung eines Teilbereichs der Außenfassade (Beschluss zu TOP 2 b)) weder von dem Sondereigentum des 14 Klägers noch von den im Gemeinschaftseigentum stehenden Flächen noch vom öffentlichen Straßenraum her einsehbar sei. Nach den Lichtbildern habe der Abbruch der Trennmauer auf der Dachterrasse und der Einbau der vier Stahlträger (Beschlüsse zu TOP 2 a) und e)) in den für den Kläger einsehbaren Bereichen allenfalls zu einer kaum merklichen optischen Veränderung geführt. Ein Nachteil i.S.v. § 14 Nr. 1 WEG könne auch nicht ohne weiteres aus dem Umstand hergeleitet werden, dass durch die bauliche Veränderung ein der Teilungserklärung widersprechender Zustand geschaffen worden sei (mit zutreffendem Hinweis auf Senat, Beschluss vom 21. Dezember 2000 - V ZB 45/00, BGHZ 146, 241, 247 f.). Zwar sei in die Statik des Gebäudes eingegriffen worden. Infolge des Einbaus der Stahlträger sei jedoch keine Gefahr für die konstruktive Stabilität geschaffen, sondern - wie sich aus dem überzeugenden Sachverständigengutachten ergebe - sogar eine geringfügige statische Verbesserung herbeigeführt worden.

bb) Ohne Rechtsfehler hat das Berufungsgericht schließlich das Vorbringen des Klägers, die im Zuge der baulichen Veränderung durchgeführte Wasserabführung auf der Dachterrasse sei nicht fachgerecht ausgeführt worden, mit der Begründung für unerheblich gehalten, die Beschlussanfechtung sei auf diesen Gesichtspunkt nicht innerhalb der (materiellrechtlichen) Klagebegründungsfrist nach § 46 Abs. 1 Satz 2 WEG gestützt worden (zu diesem Erfordernis Senat, Urteil vom 16. Januar 2009 - V ZR 74/08, BGHZ 179, 230, 237; Urteil vom 27. März 2009 - V ZR 196/08, NJW 2009, 2132, 2133; Klein in Bärmann, aaO, § 46 Rn. 56 mwN).

2. Die Anschlussrevision der Beklagten ist ebenfalls unbegründet. Die Auffassung des Berufungsgerichts, die Beschlüsse zu TOP 2 c) und d) hätten der Zustimmung auch des Klägers bedurft, hält der revisionsrechtlichen Überprüfung jedenfalls insoweit stand, als das Berufungsgericht die Möglichkeit einer intensiveren Nutzung bejaht und sich mit den diesbezüglichen Würdigungen innerhalb der Grenzen des dem Tatrichter zustehenden Beurteilungsspielraums 16

(dazu oben 1. b) aa)) gehalten hat. Das gilt insbesondere für die Ausführungen des Berufungsgerichts zu der im Souterrainbereich eingefügten breiten Glastür. Auch im Übrigen sind die Erwägungen des Berufungsgerichts revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

a) Ohne Erfolg rügen die Beklagten, die Annahme des Berufungsgerichts, die Nutzung der Terrassenfläche biete gegenüber der bisherigen Rasenfläche ein höheres Störpotential, beruhe auf reiner Spekulation. Dabei wird nämlich übersehen, dass das erhöhte Störpotential im Hinblick darauf, dass es sich um eine Holzterrasse handelt, offenkundig ist. Das gilt umso mehr, wenn man mit den Beklagten davon ausgeht, die Nutzung der Terrasse sei allen Wohnungseigentümern gestattet.

b) Die Auffassung der Anschlussrevision, hinsichtlich der Holzterrasse sei lediglich eine Gebrauchsregelung nach § 15 Abs. 2 WEG beschlossen worden, geht fehl. Denn als bauliche Maßnahme ist die Errichtung einer vorher noch nicht bestehenden Terrasse (jedenfalls auch) der Regelung des § 22 Abs. 1 unterworfen.

c) Soweit die Beklagen schließlich geltend machen, der Beklagte zu 1 habe dem Kläger zugesichert, dieser könne auf einer geeignet erscheinenden Teilfläche des Grundstücks ebenfalls eine vergleichbare Terrasse errichten, erschließt sich dem Senat kein rechtlicher Gesichtspunkt, unter dem dieses Vorbringen erheblich sein könnte.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 i.V.m. § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

Krüger Schmidt-Räntsch Roth Brückner Weinland Vorinstanzen:

AG Leipzig, Entscheidung vom 10.11.2009 - 150 C 3504/09 -

LG Dresden, Entscheidung vom 10.02.2011 - 2 S 541/09 - 21