BGH, Beschluss vom 06.10.2011 - V ZB 188/11
Fundstelle
openJur 2011, 117637
  • Rkr:
Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Neuruppin vom 5. August 2011 wird auf Kosten des Betroffenen zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Gründe

I.

Der Betroffene, ein vietnamesischer Staatsbürger, reiste im März 2009 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sein Asylantrag wurde im Juni 2009 bestandskräftig abgelehnt. Aufgrund dieser Entscheidung ist der Betroffene vollziehbar ausreisepflichtig. Dieser Pflicht ist er nicht nachgekommen. Seit Juli 2010 war der Aufenthalt des Betroffenen unbekannt. Seine letzte bekannte Wohnanschrift war in Prenzlau.

Der Betroffene verfügt über keine Identitätspapiere. Die Beschaffung eines Passes scheiterte, weil die zuständigen Behörden die Ausstellung von Heimreisedokumenten wegen offensichtlich unvollständiger oder unrichtiger Angaben des Betroffenen verweigerten. 1 Er wurde am 25. Juli 2011 in Oranienburg durch die Polizei festgenommen. An demselben Tag hat das Amtsgericht auf Antrag der beteiligten Behörde gegen den Betroffenen die Haft zur Sicherung der Abschiebung für die Dauer von drei Monaten angeordnet. Auf die Beschwerde hat das Landgericht mit Beschluss vom 5. August 2011 festgestellt, dass die Anordnung der Sicherungshaft durch das Amtsgericht den Betroffenen bis zum 1. August 2011 in seinen Rechten verletzt hat; im Übrigen hat es die Beschwerde zurückgewiesen.

Mit der Rechtsbeschwerde will der Betroffene unter Aufhebung der Beschwerdeentscheidung, soweit er durch sie beschwert ist, die Aufhebung der Haftanordnung erreichen. Zugleich hat er die vorläufige Aussetzung des Vollzugs der aufrechterhaltenen Haft im Wege der einstweiligen Anordnung beantragt. Diesen Antrag hat der Senat mit Beschluss vom 25. August 2011 zurückgewiesen.

II.

Nach Ansicht des Beschwerdegerichts war die Haftanordnung rechtswidrig, weil das Amtsgericht den Betroffenen nicht über seine Rechte nach Art. 36 Abs. 1 Buchst. b WÜK belehrt hat. Jedoch hätten die formellen und materiellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungshaft im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung vorgelegen. Die Staatsanwaltschaft habe der Abschiebung des Betroffenen zugestimmt; er sei über seine Rechte nach dem Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen (WÜK) belehrt worden; es liege der Haftgrund des § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG vor; der Betroffene sei vollziehbar ausreisepflichtig und seiner Ausreisepflicht nicht nachgekommen, sondern seit Juli 2010 untergetaucht; zudem habe er in der Anhörung vor 3 dem Beschwerdegericht erklärt, nicht freiwillig ausreisen zu wollen. Es sei zu erwarten, dass der Betroffene nach seiner Teilnahme an einer Vorführungsrunde zur Feststellung seiner Identität zwischen dem 13. und 20. September 2011 sowie unter Berücksichtigung der Regelungen in dem mit der Republik Vietnam vereinbarten Rückübernahmeabkommen mit einem Sammelflug am 18. Oktober 2011 abgeschoben werden könne.

III.

Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.

1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig (§ 71 FamFG).

2. Die Rechtsbeschwerde ist jedoch unbegründet.

a) Die Beteiligte zu 2 ist die für die Stellung des Haftantrags zuständige Verwaltungsbehörde (vgl. § 1 Ausländer- und Asyl-Zuständigkeitsverordnung - AAZV des Landes Brandenburg). Zudem bleibt diejenige Ausländerbehörde, die für den dem Asylbewerber zugewiesenen Aufenthaltsort zuständig ist, für diesen auch dann zuständig, wenn der Ausländer sich unerlaubt aus ihrem Bezirk entfernt, um sich einer angedrohten Abschiebung zu entziehen (Senat, Beschluss vom 18. März 2010 - V ZB 194/09, FGPrax 2010, 156, 157 Rn. 13).

b) Die Rüge des Betroffenen, das Beschwerdegericht habe die Haftanordnung nicht aufrechterhalten dürfen, weil das notwendige Einvernehmen der Staatsanwaltschaft nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG erstmals in dem Beschwerdeverfahren vorgelegen habe, bleibt ohne Erfolg.

aa) Zutreffend ist, dass in dem Haftantrag nach § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 FamFG dargelegt werden muss, dass die zuständige(n) Staatsanwaltschaft(en) 6 allgemein oder im Einzelfall ihr Einvernehmen mit der Abschiebung nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG erklärt hat (haben), wenn sich aus dem Antrag selbst oder den ihm beigefügten Unterlagen ohne weiteres ergibt, dass ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen den Betroffenen anhängig ist; das Fehlen entsprechender Ausführungen ist dann schon ein Begründungsmangel, der zur Unzulässigkeit des Antrags führt (s. nur Senat, Beschluss vom 20. Januar 2011 - V ZB 226/10 Rn. 9, juris). Ob der Umstand, dass in dem Haftantrag ausgeführt ist, das erforderliche Einvernehmen müsse noch eingeholt werden, die Unzulässigkeit zur Folge hat oder der Haftantrag in diesen Fällen unbegründet ist, bedarf keiner abschließenden Entscheidung. Denn im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung lag das Einvernehmen der zuständigen Staatsanwaltschaft vor.

bb) Unerheblich ist, dass nach der Rechtsprechung des Senats die mit der Inhaftierung aufgrund eines unzulässigen Haftantrags einhergehende Verletzung des Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG in der Beschwerdeinstanz nicht rückwirkend geheilt werden kann (Senat, Beschluss vom 3. Mai 2011 - V ZA 10/11 Rn. 11, juris; Beschluss vom 7. April 2011 - V ZB 133/10 Rn. 7, juris; Beschluss vom 21. Oktober 2010 - V ZB 96/10 Rn. 14, juris; Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, FGPrax 2010, 210, 211 Rn. 19). Liegt nämlich im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft(en) vor, kann das dazu führen, dass insoweit erstmals ein zulässiger Haftantrag vorhanden ist (vgl. Senat, Beschluss vom 3. Mai 2011 - V ZA 10/11 Rn. 11, juris; Beschluss vom 27. April 2011 - V ZB 71/11 Rn. 10, juris; Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, InfAuslR 2010, 359, 360). Das ist dann der Fall, wenn die den Haftantrag stellende Behörde die Antragsbegründung um die Darlegungen zu dem vorliegenden Einvernehmen ergänzt und der Betroffene hierzu in einer Anhörung vor dem Beschwerdegericht Stellung nehmen kann (vgl. Senat, Beschluss vom 3. Mai 2011 - V ZA 10/11 Rn. 11, juris; Beschluss vom 27. April 2011 - V ZB 71/11 Rn. 10, juris; Beschluss vom 21. Oktober 2010 - V ZB 96/10 12 Rn. 13, juris; Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, InfAuslR 2010, 359, 360). Ab diesem Zeitpunkt fehlt es jedenfalls im Hinblick auf das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft(en) nicht mehr an einem zulässigen - und insoweit begründeten - Antrag auf Anordnung der Sicherungshaft.

So ist es hier. Das Beschwerdegericht hat den Betroffenen am 1. August 2011 im Beisein seines Verfahrensbevollmächtigten und eines Dolmetschers persönlich angehört. Der dabei ebenfalls anwesende Vertreter der beteiligten Behörde hat laut Protokoll über den Anhörungstermin Ablichtungen der staatsanwaltschaftlichen Zustimmungen zu der Abschiebung überreicht. Diese befinden sich auch in den Ausländerakten.

c) Die von dem Beschwerdegericht vorgenommene Belehrung des Betroffenen nach Art. 36 Abs. 1 Buchst. b des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen vom 24. April 1963 (BGBl. 1969 II S. 1585 - Wiener Konsularübereinkommen, WÜK), dessen Vertragsstaat Vietnam ist (BGBl. II 1994, 308), reicht für das Aufrechterhalten der Haft aus. Zwar hat der Senat bereits entschieden, dass das Recht auf konsularische Hilfe nur dann effektiv in Anspruch genommen werden kann, wenn die Vertretung des jeweiligen Heimatlandes, wie in Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 1 WÜK vorgeschrieben, unverzüglich von der Inhaftierung unterrichtet wird (Senat, Beschluss vom 6. Mai 2010 - V ZB 223/09, FGPrax 2010, 212 Rn. 17 aE), so dass eine Heilung nicht in Betracht kommt, wenn etwa die Botschaft in dem späteren Verlauf des Verfahrens Kenntnis von der Inhaftierung eines Staatsangehörigen erhält (Senat, Beschluss vom 12. Mai 2011 - V ZB 23/11 Rn. 10, juris; Beschluss vom 18. November 2010 - V ZB 165/10, InfAuslR 2011, 119, 120 Rn. 7). Es ist hier aber weder über eine rückwirkende Heilung des Verfahrensfehlers noch über eine zufällige Kenntnis der Vertretung des Heimatstaates von der Inhaftierung zu entscheiden. Es geht vielmehr allein um die Rechtmäßigkeit der Beschwer-13 deentscheidung, mit der die Haft für die Zukunft aufrechterhalten worden ist. Sie ist rechtlich nicht zu beanstanden. Denn der Betroffene ist während seiner Anhörung belehrt worden und war nunmehr in der Lage zu entscheiden, ob er konsularische Hilfe in Anspruch nehmen möchte. Damit ist dem Sinn und Zweck des Art. 36 WÜK ab diesem Zeitpunkt Rechnung getragen.

d) Die nach § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG von dem Beschwerdegericht angestellte Prognose ist rechtlich nicht zu beanstanden. Nach dieser Vorschrift darf Sicherungshaft nur angeordnet werden, wenn die Sachverhaltsermittlung und -bewertung ergibt, dass entweder eine Abschiebung innerhalb der nächsten drei Monate prognostiziert oder eine zuverlässige Prognose zunächst nicht getroffen werden kann (Senat, Beschluss vom 10. Juni 2010 - V ZB 204/09, NVwZ 2010, 1172 Rn. 14 mwN). Das Beschwerdegericht hat festgestellt, dass unter Berücksichtigung der Vorführungsrunde im September 2011 sowie der Regelung über das Listenverfahren in dem Protokoll zu dem deutschvietnamesischen Rückübernahmeabkommen vom 21. Juli 1995 die Abschiebung des Betroffenen am 18. Oktober 2011 und somit innerhalb des verbleibenden Haftzeitraums erfolgen kann. Eine etwaige mit diesen Erwägungen verbleibende Ungewissheit geht bei der - wie hier - erstmaligen Anordnung der Haft für drei Monate zu Lasten des Betroffenen (Senat, Beschluss vom 19. Mai 2011 - V ZB 122/11 Rn. 14, juris; BVerfG, NJW 2009, 2659 f. Rn. 19).

e) Die Beteiligte zu 2 hat auch das Beschleunigungsgebot (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) beachtet. Dass die Vorführungsrunde erst im September 2011 stattfinden konnte, ist der Behörde nicht zuzurechnen, weil sie auf die Bearbeitung der Verfahren durch die beteiligten ausländischen Behörden keinen Einfluss hat und der Ausländerbehörde dortige Verzögerungen nicht zuzurechnen sind (Senat, Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZA 2/10 Rn. 16, juris). 15 f) Ob und in welchem Umfang das amtsgerichtliche Verfahren an Mängeln leidet, bedarf keiner Entscheidung. Die entsprechenden Rügen in der Beschwerdebegründung gehen ins Leere. Das Beschwerdegericht hat nämlich festgestellt, dass die Haftanordnung rechtswidrig war und den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat. Damit hat es im Wege der Auslegung des Rechtsschutzinteresses des Betroffenen über den aufgrund der Vollstreckung bis zum 1. August 2011 erledigten Teil der amtsgerichtlichen Haftanordnung nach § 62 Abs. 1 FamFG entschieden. Dass das Beschwerdegericht daneben die Haftanordnung für diesen Zeitraum nicht (auch) ausdrücklich aufgehoben hat, ist unschädlich. Die konkludente Aufhebung ergibt sich aus dem Tenor im Zusammenhang mit den Gründen seiner Entscheidung.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2 und § 430 FamFG, Art. 5 Abs. 5 EMRK analog, § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO.

Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 128c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 KostO.

Krüger Lemke Schmidt-Räntsch Stresemann Czub Vorinstanzen:

AG Oranienburg, Entscheidung vom 25.07.2011 - 43c XIV 3/11 -

LG Neuruppin, Entscheidung vom 05.08.2011 - 5 T 154/11 -