BGH, Urteil vom 16.06.2004 - IV ZR 201/03
Fundstelle
openJur 2012, 56348
  • Rkr:
Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Kammergerichts vom 13. Juni 2003 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als es wegen eines Betrages in Höhe von 1.890,25 € zu seinem Nachteil erkannt hat.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

Tatbestand

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Versicherungsleistungen aus einer Erweiterten Haushaltversicherung in Anspruch.

Die Beklagte ist Rechtsnachfolgerin der D. V. -AG, welche in die bei der Staatlichen Versicherung der ehemaligen DDR bestehenden Verträge eingetreten war. Der Kläger hatte im März 1988 bei der Staatlichen Versicherung der DDR eine Erweiterte Haushaltversicherung genommen, der ausweislich des Versicherungsscheins nebenden Bestimmungen des Zivilgesetzbuches der DDR (ZGB) die Allgemeinen Bedingungen für die Erweiterte Haushaltversicherung (ABEH)

zugrunde gelegt wurden. Die ABEH lauten auszugsweise wie folgt:

"§ 1

(1) Versichert sind:

a) sämtliche zum Haushalt des Versicherungsnehmers und der Versicherten gehörenden Sachen, Bargeld und Gutscheine bis zu insgesamt 2.000 M, Wertpapiere, Schmuckgegenstände, Edelmetalle, Sparbücher, Schecks (außer Reiseschecks) sowie Sammlungen. ...

§4 Versicherungsschutz besteht nicht für:

...

c) die außer Gebrauch befindlichen Schmuckgegenstände und Edelmetalle, deren Gesamtwert 5.000 M oder deren Einzelwert 3.000 M übersteigt, sowie Wertpapiere, Sparbücher, Schecks, Briefmarkenund Münzsammlungen gegen Schäden durch Einbruchdiebstahl, wenn sich diese Sachen nicht in verschlossenen und gegen die Wegnahme gesicherten Behältnissen befinden oder in einem zusätzlich verschlossenen Raum innerhalb der Wohnung aufbewahrt werden; ..."

Am 9. Februar 2001 wurde in das Einfamilienhaus des Klägerseingebrochen. Ihm wurden u.a. eine Münzsammlung im Wert von 4.597 DM und Schmuck im Wert von 14.832 DM entwendet. Ein Teil des Schmuckes im Gesamtwert von 3.885 DM -darunter ein Ring mit Koralle im Wert von 389 DM - war in einem Kästchen auf dem Nachttisch abgelegt. Den weiteren Schmuck im Werte von 10.947 DM hatte der Kläger ebenso wie die Münzen in einem Kleiderschrank verwahrt, in dessen Tür der Schlüssel steckte. Nachdem sie auf die entwendeten Münzen einen Vorschuß in Höhe von 1.303 DM gezahlt hatte, berief sich die Beklagte auf Leistungsfreiheit nach § 4c ABEH.

Das Landgericht hat der auf Zahlung von 18.126 DM (9.267,68 €) gerichteten Klage in Höhe von 7.582 DM (3.876,62 €) nebst Zinsen stattgegeben. Der im Kästchen auf dem Nachttisch befindliche Schmuck im Werte von 3.885 DM (1.986,37 €) sei nicht außer Gebrauch gewesen. Die weitere Leistungspflicht der Beklagten sei nach § 4c ABEH und unter Berücksichtigung des bereits gezahlten Vorschusses auf 3.697 DM (1.890,25 €) beschränkt.

Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht dem Kläger lediglich 1.787,48 € nebst Zinsen zugesprochen (1.986,37 € abzüglich des Wertes des Korallenringes, der wieder aufgefunden worden ist). Mit der Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils, soweit der Klage in Höhe weiterer 1.890,25 € stattgegeben worden ist.

Gründe

Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Dem Kläger stehe dem Grunde nach aus dem Versicherungsvertrag ein Entschädigungsanspruch zu, der sich gemäß Art. 232 § 1 EGBGB nach dem Recht der ehemaligen DDR und damit nach den §§ 248 Abs. 1, 263 Abs. 1 ZGB richte. Die Versicherungsleistung könne dem Kläger aber nicht in der begehrten Höhe zugesprochen werden. Die außer Gebrauch befindlichen Schmuckstücke, die der Kläger im Kleiderschrank verwahrt habe, seien nicht bedingungsgemäß unter Verschluß gehalten worden. Dabei könne es dahinstehen, ob § 4c ABEH als Risikoausschluß oder als verhüllte Obliegenheit anzusehen sei. Jedenfalls könne dem Landgericht nicht darin gefolgt werden, daß die Beklagte Versicherungsleistungen bis zu 5.000 DM zu erbringen habe. Die Klausel sei nicht dahin auszulegen, daß der Versicherungsschutz für ein Einzelstück im Wert von über 3.000 DM bei ungesicherter Verwahrung gänzlich entfalle, hingegen für mehrere Schmuckgegenstände im Gesamtwert von über 5.000 DM lediglich auf diesen Wert als Entschädigungsgrenze beschränkt sei. Zwar könnten mehrere Schmuckoder Edelmetallsachen im Gesamtwert von über 5.000 DM teils gesichert, teils ungesichert untergebracht werden. Ersichtlich werde in § 4c ABEH aber auf eine Zusammenfassung der Gegenstände zu einer Werteinheit abgestellt, die dem parallel geregelten Fall eines einzelnen Schmuckstücks im Wert von über 3.000 DM gleichgestellt sein solle. Der Versicherer erwarte in beiden Fällen, daß wegen des hohen Wertes -des einzelnen Schmuckstücks oder mehrerer Schmuckstücke in ihrer Gesamtheit -die in § 4c ABEH festgelegten Sicherheitsanforderungen eingehalten würden.

II. Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.

1. Das Berufungsgericht ist richtig davon ausgegangen, daß sich der Anspruch des Klägers aus dem bereits im Jahre 1988 abgeschlossenen Versicherungsvertrag nach dem Recht der ehemaligen DDR richtet und sich hier aus den §§ 248 Abs. 1, 263 Abs. 1 ZGB ergibt. Denn gemäß Art. 232 § 1 EGBGB ist für ein Schuldverhältnis, das vor dem Wirksamwerden des Beitritts entstanden ist, das bisherige für das in Art. 3 des Einigungsvertrages genannte Gebiet geltende Recht maßgebend. Das gilt auch für Versicherungsverträge (Senatsurteil vom 15. November 1995 -IV ZR 159/94 -VersR 1996, 227 unter II 1 a; BT-Drucks. 11/7817 S. 38).

2. Das Berufungsgericht hat weiter die Bestimmung des § 4c ABEH zutreffend ausgelegt.

a) Es kann dahinstehen, ob die ABEH in der ehemaligen DDR als Rechtsvorschriften erlassen worden sind und unverändert als solche fortbestehen oder ob es sich dabei um Allgemeine Versicherungsbedingungen handelt, die aufgrund rechtsgeschäftlicher Einbeziehung den Inhalt des zwischen den Parteien bestehenden Versicherungsvertrages festlegen. Denn ihre Auslegung ergibt in keinem Fall, daß die Beklagte für außer Gebrauch befindliche, ungesichert verwahrte Schmuckstücke eine Entschädigung bis zu einem Höchstbetrag von 5.000 DM zu leisten hat. Auch die für Allgemeine Versicherungsbedingungen geltenden Auslegungsmaßstäbe führen zu keinem anderen Ergebnis.

b) Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie sie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer bei aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muß; dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit - auch - auf seine Interessen an (BGHZ 84, 268, 272; 123, 83, 85 und ständig).

Ein solcher Versicherungsnehmer entnimmt § 1 ABEH, daß sämtliche zu seinem Haushalt gehörenden Sachen versichert sind einschließlich der Schmuckgegenstände. Eine weitere Durchsicht der Versicherungsbedingungen ergibt für ihn jedoch, daß der zunächst generell und umfassend zugesagte Versicherungsschutz nicht uneingeschränkt gelten soll. Der Versicherer hat in § 4c ABEH besondere Voraussetzungen formuliert, von denen der Versicherungsschutz für die dort näher aufgeführten Gegenstände abhängt. Für Schmuck, der außer Gebrauch befindlich ist und dessen Gesamtwert 5.000 DM oder dessen Einzelwert 3.000 DM übersteigt, besteht Versicherungsschutz nur, wenn er sich in einem verschlossenen und gegen Wegnahme gesicherten Behältnis befindet oder in einem zusätzlich verschlossenen Raum innerhalb der Wohnung aufbewahrt wird.

Ein um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer wird diese Klausel nicht dahin interpretieren, daß der Versicherer für nicht unter Verschluß gehaltene Schmuckstücke im Versicherungsfall stets bis zu einem Höchstbetrag von 5.000 DM Entschädigung zu leisten hat. Er wird die Bestimmung vielmehr so auffassen, daß der Versicherer für ungesichert untergebrachte Schmuckstücke nicht einstehen will, wenn die angegebenen Wertgrenzen überschritten sind, er als Versicherungsnehmer also nur dann vollen Versicherungsschutz genießt, wenn der außer Gebrauch befindliche Schmuck einen Wert unter 5.000 DM hat und sich darunter kein Einzelstück mit einem Wert von mehr als 3.000 DM befindet. Der Versicherungsnehmer wird sich in diesem Zusammenhang den Sinn und Zweck der Klausel vor dem Hintergrund vor Augen rufen, daß sich mit steigendem Wert des Schmucks der Diebstahlsanreiz und damit das Risiko des Eintritts des Versicherungsfalles erhöht. Dem will der Versicherer für den Versicherungsnehmer erkennbar dadurch begegnen, daß zum Haushalt gehörender, außer Gebrauch befindlicher Schmuck im Einzelwert von mehr als 3.000 DM oder im Gesamtwert von mehr als 5.000 DM durch die in § 4c ABEH genannten Maßnahmen gegen Wegnahme zu schützen ist. Bei Überschreiten der Wertgrenzen ist der außer Gebrauch befindliche Schmuck daher in seiner Gesamtheit zu sichern, um den Versicherungsschutz zu erhalten, und nicht lediglich mit demjenigen Teil, der über die Wertgrenze von 5.000 DM hinausgeht, während für die wertmäßig darunterliegenden Schmuckgegenstände unverändert Versicherungsschutz gegeben ist (a.A. Knappmann in Prölss/Martin, VVG 26. Aufl. § 4 Haushaltversicherung Rdn 1). Letzteres läge aus Sicht des Versicherungsnehmers schon deshalb fern, weil anderenfalls für ein ungesichert verwahrtes Schmuckstück im Wert von mehr als 3.000 DM der Versicherungsschutz davon abhinge, ob es das einzige außer Gebrauch befindliche Schmuckstück des Versicherungsnehmers ist -dann bestünde keine Leistungspflicht des Versicherers -oder Teil einer Gesamtheit, von dem lediglich die Schmuckgegenstände, die den 5.000 DM übersteigenden Wert ausmachen, in Verwahrung zu nehmen wären, während der Versicherer bis zur Wertgrenze Leistungen zu erbringen hätte.

3. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kommt es jedoch auf die rechtliche Einordnung des § 4c ABEH als objektive Risikobeschränkung oder als Obliegenheit an. Denn handelt es sich um eine Risikobeschränkung, so hängt der Versicherungsschutz allein von den objektiven Voraussetzungen ab, die in der betreffenden Klausel bestimmt sind, ohne daß zusätzlich auf ein Verschulden des Versicherungsnehmers abzustellen wäre. Begründet die Klausel hingegen eine Obliegenheit, so führt ihre objektive Verletzung nach dem -hier maßgeblichen -Recht der DDR nur dann zur Leistungsfreiheit des Versicherers, wenn den Versicherungsnehmer zugleich ein Verschulden trifft.

a) Für die Abgrenzung von Obliegenheitsverletzung und Risikobeschränkung sind nicht allein Wortlaut und Stellung der betreffenden Klausel innerhalb des Bedingungswerkes maßgeblich. Entscheidend ist vielmehr ihr materieller Gehalt. Es kommt darauf an, ob sie die individualisierende Beschreibung eines bestimmten Wagnisses enthält, für das der Versicherer keinen Versicherungsschutz gewähren will, oder ob sie in erster Linie ein bestimmtes Verhalten des Versicherungsnehmers fordert, von dem es abhängt, ob er einen zugesagten Versicherungsschutz behält oder ob er ihn verliert. Wird von vornherein nur ausschnittsweise Deckung gewährt, handelt es sich um eine Risikobeschränkung. Wird hingegen ein gegebener Versicherungsschutz wegen nachlässigen Verhaltens des Versicherungsnehmers wieder entzogen, liegt eine Obliegenheit vor (Senatsurteile vom 24. Mai 2000 -IV ZR 186/99 -VersR 2000, 969 unter 1 a; vom 14. Dezember 1994 -IV ZR 3/94 -VersR 1995, 328 unter II 2 a und ständig); in diesem Fall steht ein bestimmtes Verhalten im Vordergrund, das nicht hinter objektiven Voraussetzungen, wie etwa den Versicherungsort oder den Zustand der versicherten Sache, zurücktritt (Römer, in: Römer/Langheid, VVG 2. Aufl. § 6 Rdn. 7).

b) Danach enthält § 4c ABEH eine Obliegenheit.

Seine Fassung ("Versicherungsschutz besteht nicht für ...") deutet zwar zunächst auf eine Risikobegrenzung. Dem materiellen Gehalt der Klausel entspricht dies jedoch nicht. Der Versicherungsschutz erleidet allein dadurch Einschränkungen, daß der Versicherungsnehmer die außer Gebrauch befindlichen Schmuckstücke nicht in der Art und Weise sichert, wie sie in der Klausel beschrieben ist. Damit wird ihm ein bestimmtes Handeln abverlangt, durch das er sich den Versicherungsschutz erhält (vgl. Senatsurteil vom 3. Juli 1985 -IVa ZR 4/84 -VersR 1985, 854 f.). Die in der Klausel aufgeführten Maßnahmen sind geeignet, das versicherte Risiko entscheidend zu mindern. Wenn außer Gebrauch befindlicher Schmuck bestimmte Wertgrenzen überschreitet, entspricht es dem Verhalten eines umsichtigen Versicherungsnehmers, ihn -in seiner Gesamtheit -unter Verschluß zu nehmen. Das rechtfertigt es, die Klausel als Obliegenheit zu verstehen. Ihr Zweck besteht darin, den Versicherungsnehmer zur Einhaltung der festgelegten Sicherheitsanforderungen anzuhalten. Der Versicherungsschutz wird von einem Zustand abhängig gemacht, den der Versicherungsnehmer durch sein Verhalten beeinflussen kann (vgl. BGHZ 51, 356, 360; Kommentar zum ZGB, hrsg. vom Ministerium der Justiz der DDR, 2. Aufl. § 255 Anm. 1.1 "Verhaltenspflichten"; vgl. ferner Senatsurteile vom 21. Mai 1986 -IVa ZR 132/84 -VersR 1986, 781 f.; vom 3. Juli 1985 aaO; vom 18. Dezember 1980 -IVa ZR 34/80 -VersR 1981, 186 unter II 3; vom 13. Dezember 1978 -IV ZR 177/77 -VersR 1979, 343 f.; vom 31. Januar 1975 -IV ZR 126/73 -VersR 1975, 269 f.; vom 20. Juni 1973 -IV ZR 52/72 -VersR 1973, 1010 unter II). Dieses gefahrvermindernde Verhalten des Versicherungsnehmers steht im Vordergrund und tritt nicht hinter objektive Voraussetzungen -wie den Versicherungsort -zurück. Käme es allein auf den Versicherungsort an, müßte sich das Erfordernis einer sicheren Verwahrung folgerichtig auch auf vorübergehend nicht am Körper getragene, aber gleichwohl noch als in Gebrauch befindlich anzusehende Schmuckstücke erstrecken; das aber wird dem Versicherungsnehmer gerade nicht angesonnen.

4. Der Kläger hat gegen die ihm durch § 4c ABEH auferlegte Obliegenheit objektiv verstoßen, indem er außer Gebrauch befindliche Schmuckgegenstände im Gesamtwert von 10.947 DM in einem Kleiderschrank aufbewahrte, dessen Schlüssel im Türschloß steckte. Das Berufungsgericht hat jedoch übersehen, daß nach § 255 Abs. 1 Satz 1 ZGB und § 12 Abs. 2 Satz 1 ABEH der Versicherer nur dann berechtigt ist, die Versicherungsleistung teilweise oder ganz zu versagen, wenn der Versicherungsnehmer seine Pflichten vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt hat und die Pflichtverletzung für den Schaden oder die Erhöhung seines Umfangs ursächlich war. Zu diesen Pflichtverletzungen gehört die Verletzung von Obliegenheiten (vgl. Voit in Prölss/Martin, aaO § 12 HaushVers(Haftpfl) Rdn. 1; Kommentar zum ZGB aaO § 255 Anm. 1.1). Es ist dabei Aufgabe des Versicherers, neben den objektiven auch die subjektiven Voraussetzungen seiner Leistungsfreiheit in vollem Umfang darzulegen und ggf. zu beweisen (Voit, aaO Rdn. 10).

Die dazu erforderlichen Feststellungen wird das Berufungsgericht nachzuholen haben. Zuvor ist den Parteien Gelegenheit zu geben, zu den angeführten Gesichtspunkten ergänzend vorzutragen.

Terno Dr. Schlichting Seiffert Wendt Dr. Kessal-Wulf