BGH, Beschluss vom 21.10.2010 - Xa ZB 14/09
Fundstelle
openJur 2011, 39253
  • Rkr:
Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Einsprechenden wird der Beschluss des 19. Senats (Technischen Beschwerdesenats) des Bundespatentgerichts vom 12. August 2009 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Patentgericht zurückverwiesen.

Gründe

A. Das Patent 195 49 795 (Streitpatent) ist auf eine Teilanmeldung erteilt worden, die aus der Stammanmeldung 195 43 372 vom 21. November 1995 abgetrennt wurde. Das Streitpatent betrifft eine Winkelmesseinrichtung. Patentanspruch 1 lautet in der erteilten Fassung:

"Winkelmesseinrichtung mit einem elektrisch leitenden Gehäuse (10), das eine mit einem Deckel (23) verschließbare Öffnung (22) aufweist, wobei innerhalb des Gehäuses (10) eine Steckverbindung (8) zum elektrischen Anschluss eines Kabels (9) vorgesehen ist, die Steckverbindung (8) von der verschließbaren Öffnung (22) her zugänglich ist, und wobei das Kabel (9) eine elektrisch leitende Hülse (18) aufweist, welche mit dem Schirm des Kabels (9) elektrisch verbunden ist, dadurch gekennzeichnet, dass - das Gehäuse (10) innerhalb der Öffnung eine an die Form der Hülse (18) angepasste Passung (19) aufweist, in welcher die Hülse (18) klemmbar ist und dabei das Kabel (9) im Passungsbereich senkrecht zur Längsachse X der Winkelmesseinrichtung verläuft;

- eine Leiterplatte (6) mit elektrischen Bauelementen (7) innerhalb eines Raumes angeordnet ist, der von dem Gehäuse (10) umgeben wird, wobei das Gehäuse (10) Abdeckbereiche aufweist, welche diese elektrischen Bauelemente (7) auch bei geöffnetem Deckel (23) öffnungsseitig abdecken, wobei in diese öffnungsseitigen Abdeckbereiche die Passung (19) integriert ist."

Die Einsprechende hat geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents gehe über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen hinaus und sei nicht patentfähig. Das Patentamt hat das Streitpatent in geänderter Fassung aufrechterhalten. Auf die Beschwerde der Einsprechenden hat das Patentgericht das Streitpatent unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels in abermals geänderter Fassung aufrechterhalten (BPatGE 51, 271). Der einzige Patentanspruch lautet in dieser Fassung (Änderungen gegenüber der Fassung des erteilten Patents sind hervorgehoben):

"Winkelmesseinrichtung mit einem elektrisch leitenden Gehäuse (10), das eine mit einem Deckel (23) verschließbare Öffnung (22) aufweist, wobei innerhalb des Gehäuses (10) eine Steckverbindung (8) zum elektrischen Anschluss eines Kabels (9) vorgesehen ist, die Steckverbindung (8) von der verschließbaren Öffnung (22) her zugänglich ist, und wobei das Kabel (9) eine elektrisch leitende Hülse (18) aufweist, welche mit dem Schirm des Kabels (9) elektrisch verbunden ist, dadurch gekennzeichnet, dassdas Gehäuse (10) innerhalb der Öffnung eine an die Form der Hülse (18) angepasste, im Gehäuse angeordnete Passung (19) aufweist, in welcher die Hülse (18) klemmbar geklemmt ist und dabei das Kabel (9) im Passungsbereich senkrecht zur Längsachse X der Winkelmesseinrichtung verläuft;

eine Leiterplatte (6) mit elektrischen Bauelementen (7) innerhalb eines Raumes angeordnet ist, der von dem Gehäuse (10) umgeben wird, und sich auf der Leiterplatte (6) weiterhin ein Teil (8.1) der Steckverbindung (8) befindet, mit dem ein an dem Kabel (9) befestigtes Teil (8.2) der Steckverbindung (8) korrespondiert, wobei das Gehäuse (10) so ausgebildet ist, dass ausschließlich das eine Teil (8.1) der Steckverbindung (8) bei geöffnetem Deckel (23) des Gehäuses (10) über eine weitere Gehäuseöffnung (26) von außen zugänglich ist, während die weiteren elektrischen Bauelemente (7) auf der Leiterplatte (6) sowie die Leiterplatte (6) selbst auch in geöffnetem Zustand des Deckels (23) vom Gehäuse (10) abgedeckt sind, und wobei bei geöffnetem Deckel (23) des Gehäuses (10) ein Verbindungselement in Form einer Schraube (2) zugänglich und betätigbar ist, das durch die Welle (1) ragt und mit dem eine Verbindung zwischen der Welle (1) und einem zu messenden Körper zu realisieren ist, und wobei das Gehäuse (10) eine Hülse (20) aufweist, die die Leiterplatte (6) und die elektrischen Bauelemente (7) vor mechanischer Beschädigung schützt, wenn die Schraube (2) mit einem Werkzeug von der verschließbaren Öffnung (22) her betätigt wird, wobei das Gehäuse (10) Abdeckbereiche aufweist, welche diese elektrischen Bauelemente (7) auch bei geöffnetem Deckel (23) öffnungsseitig abdecken, wobei in diese öffnungsseitigen Abdeckbereiche die Passung (19) integriert ist."

In die Beschreibung ist folgender Zusatz aufgenommen worden:

"Folgende Merkmale stellen eine unzulässige Änderung des Anspruches 1 dar:

- 'innerhalb der Öffnung' in Merkmalsgruppe e)

sowie die Merkmalsgruppe i):

- 'wobei das Gehäuse (10) Abdeckbereiche aufweist, welche diese elektrischen Bauelemente (7) auch bei geöffnetem Deckel (23) öffnungsseitig abdecken, wobei in diese öffnungsseitigen Abdeckbereiche die Passung (19) integriert ist.'"

Mit der vom Patentgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde macht die Einsprechende geltend, das Streitpatent sei wegen unzulässiger Erweiterung zu widerrufen. Die Patentinhaberin tritt dem Rechtsmittel entgegen.

B. Die zulässige Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.

I. Das Streitpatent betrifft eine Winkelmesseinrichtung.

1. Vorrichtungen dieser Art dienen nach den Ausführungen in der Streitpatentschrift zur Messung von Drehbewegungen einer Welle. Über ein Anschlusskabel werden der Winkelmesseinrichtung eine Betriebsspannung zugeführt und die Messsignale abgenommen. Die im Stand der Technik bekannten Steckverbindungen zum Anschluss dieser Leitung haben nach den Angaben in der Streitpatentschrift den Nachteil, dass sie die Baugröße der Winkelmesseinrichtung erheblich vergrößern oder keinen axialen Anschluss ermöglichen.

Das Streitpatent betrifft vor diesem Hintergrund das technische Problem, eine Winkelmesseinrichtung zur Verfügung zu stellen, die kompakt aufgebaut und flexibel einsetzbar ist, eine sichere Schirmanbindung ermöglicht und einfach montierbar ist.

2. Zur Lösung dieses Problems schlägt das Streitpatent in der Fassung nach dem angefochtenen Beschluss eine Winkelmesseinrichtung mit folgenden Merkmalen vor:

a) Die Winkelmesseinrichtung hat ein elektrisch leitendes Gehäuse (10), das eine mit einem Deckel (23) verschließbare Öffnung (22) aufweist.

b) Innerhalb des Gehäuses (10) ist eine Steckverbindung (8) zum elektrischen Anschluss eines Kabels (9) vorgesehen.

c) Die Steckverbindung (8) ist von der verschließbaren Öffnung (22) her zugänglich.

d) Das Kabel (9) weist eine elektrisch leitende Hülse (18) auf, welche mit dem Schirm des Kabels (9) elektrisch verbunden ist.

e) Das Gehäuse (10) weist innerhalb der Öffnung eine an die Form der Hülse (18) angepasste, im Gehäuse angeordnete Passung (19) auf, in welcher die Hülse (18) geklemmt ist.

f) Das Kabel (9) verläuft im Passungsbereich senkrecht zur Längsachse X der Winkelmesseinrichtung.

g) Eine Leiterplatte (6) mit elektrischen Bauelementen (7) ist innerhalb eines Raumes angeordnet, der von dem Gehäuse (10) umgeben wird.

g1) Auf der Leiterplatte (6) befindet sich ein Teil (8.1) der Steckverbindung (8), mit dem ein an dem Kabel (9) befestigtes Teil (8.2) der Steckverbindung (8) korrespondiert.

h) Das Gehäuse (10) ist so ausgebildet, dass ausschließlich das eine Teil (8.1) der Steckverbindung (8) bei geöffnetem Deckel (23) des Gehäuses (10) über eine weitere Gehäuseöffnung (26) von außen zugänglich ist, während die weiteren elektrischen Bauelemente (7) auf der Leiterplatte (6) sowie die Leiterplatte (6) selbst auch in geöffnetem Zustand des Deckels (23) vom Gehäuse (10) abgedeckt sind.

h1) Bei geöffnetem Deckel (23) des Gehäuses (10) ist ein Verbindungselement in Form einer Schraube (2) zugänglich und betätigbar, das durch die Welle (1) ragt und mit dem eine Verbindung zwischen der Welle (1) und einem zu messenden Körper zu realisieren ist.

h2) Das Gehäuse (10) weist eine Hülse (20) auf, die die Leiterplatte (6) und die elektrischen Bauelemente (7) vor mechanischer Beschädigung schützt, wenn die Schraube (2) mit einem Werkzeug von der verschließbaren Öffnung (22) her betätigt wird.

i) Das Gehäuse (10) weist Abdeckbereiche auf, welche diese elektrischen Bauelemente (7) auch bei geöffnetem Deckel (23) öffnungsseitig abdecken.

i1) In diese öffnungsseitigen Abdeckbereiche ist die Passung (19) integriert.

II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:

Patentanspruch 1 enthalte in der erteilten Fassung Merkmale, die über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinausgingen. Der in der erteilten Fassung verwendete Begriff "Abdeckbereiche" umfasse auch Anordnungen, bei denen mehrere Bereiche des Gehäuses die Bauelemente in einer nicht näher festgelegten Weise abdeckten. In der Stammanmeldung sei lediglich eine Anordnung offenbart, bei der die elektrischen Bauelemente in einem umschlossenen Raum mit undurchbrochenen Wänden angeordnet seien. Ebenfalls nicht ursprünglich offenbart sei die Angabe, dass die im Gehäuse angebrachte Passung innerhalb der Öffnung angeordnet sei. Eine Streichung dieser Merkmale scheide aus, weil damit der Schutzbereich des Streitpatents erweitert würde. Dies führe jedoch nicht zum Widerruf des Streitpatents. Die in die Beschreibung aufgenommene Erklärung sei zulässig und ausreichend, um sicherzustellen, dass aus den unzulässigen Erweiterungen keine Rechte hergeleitet werden könnten.

III. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht Stand.

1. Zu Recht ist das Patentgericht davon ausgegangen, dass ein Merkmal, das in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht als zur Erfindung gehörend offenbart ist und dessen Streichung oder Ersetzung durch ein von der ursprünglichen Offenbarung gedecktes Merkmal zu einer Erweiterung des Schutzbereichs führen würde, im Patentanspruch verbleiben kann, wenn seine Einfügung zu einer bloßen Einschränkung des angemeldeten Gegenstands geführt hat.

a) Nach § 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG ist ein Patent grundsätzlich zu widerrufen, wenn sein Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht. Nach § 21 Abs. 2 PatG ist das Schutzrecht mit einer entsprechenden Beschränkung aufrechtzuerhalten, wenn der Widerrufsgrund nur einen Teil des Patents betrifft. Im Fall des § 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG muss der Gegenstand des Patents hierfür so eingeschränkt werden, dass er vom Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen gedeckt wird. Ist der Gegenstand des Patents gegenüber dem Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen in unzulässiger Weise verallgemeinert worden, kann die Beschränkung grundsätzlich dadurch erfolgen, dass die unzulässige Verallgemeinerung aus dem Patentanspruch gestrichen wird. Diese Möglichkeit scheidet aus, wenn die Einfügung eines in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht offenbarten Merkmals dazu geführt hat, dass der Gegenstand des Patents eingeschränkt worden ist. Eine Rückgängigmachung dieser Einschränkung würde zu einer Erweiterung des Schutzbereichs führen, die ihrerseits unzulässig ist, wie sich aus § 22 Abs. 1 PatG ergibt.

Die Große Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts hat aus der weitgehend gleichgelagerten Regelung in Art. 100 Buchst. c und Art. 138 Abs. 2 Buchst. d EPÜ die Schlussfolgerung gezogen, ein Patent dürfe in solchen Fällen nicht durch Streichung der beschränkenden Gegenstände aus den Ansprüchen geändert werden. Das Patent könne im Einspruchsverfahren aufrechterhalten werden, wenn die betreffenden Merkmale durch andere (engere) Merkmale ersetzt werden könnten, für die die Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung eine Grundlage biete (EPA, Entscheidung vom 2. Februar 1994 - G 1/93, ABl. EPA 1994, 541 = GRUR Int. 1994, 842 Rn. 13 ff. - Beschränkendes Merkmal/Advanced Semiconductor Products). Ohne eine solche Änderung könne das Patent nur dann aufrechterhalten werden, wenn durch die Aufnahme des nicht offenbarten Merkmals lediglich der Schutz für einen Teil des Gegenstands der beanspruchten Erfindung ausgeschlossen werde und dieses Merkmal keinen technischen Beitrag zum Gegenstand der beanspruchten Erfindung leiste; in diesem Fall gehe der Gegenstand des Patents nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus (aaO Rn. 16). Eine Änderung in dem zuletzt genannten Sinne (von ihr als "disclaimer" bezeichnet) sieht die Große Beschwerdekammer als zulässig an, wenn sie dazu dient, die Neuheit wiederherzustellen, indem ein Anspruch gegenüber dem Inhalt einer später veröffentlichten Patentanmeldung oder einer "zufälligen" Vorwegnahme abgegrenzt wird, oder einen Gegenstand auszuklammern, der nach Art. 52 bis 57 EPÜ als nichttechnisch ("aus nichttechnischen Gründen") vom Patentschutz ausgeschlossen ist (EPA, Entscheidung vom 8. April 2004 - G 1/03, ABl. EPA 2004, 413 = GRUR Int. 2004, 959 - Disclaimer/PPG).

Der Bundesgerichtshof hat für das Nichtigkeitsverfahren, in dem § 21 Abs. 1 und 2 PatG aufgrund der Verweisung in § 22 PatG entsprechend anzuwenden sind, entschieden, dass eine Nichtigerklärung des Patents nicht in Betracht kommt, wenn die Einfügung eines in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht offenbarten Merkmals zu einer bloßen Einschränkung des angemeldeten Gegenstands führt. In solchen Fällen sei den berechtigten Interessen der Öffentlichkeit Genüge getan, wenn das einschränkende Merkmal im Patentanspruch verbleibe und zugleich dafür Sorge getragen werde, dass im Übrigen, also was die Entstehung von Patentrechten anbelange, aus der Änderung Rechte nicht hergeleitet werden könnten (BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2000 - X ZR 184/98, GRUR 2001, 140, 142 f. - Zeittelegramm). Diese Auffassung wird in der Sache auch vom Bundespatentgericht vertreten, das es in solchen Fällen aber für erforderlich hält, die Ansprüche oder die Beschreibung um eine Erklärung ("nach Art eines Disclaimers") zu ergänzen, dass aus der unzulässigen Änderung Rechte nicht hergeleitet werden (vgl. nur BPatG, Urteil vom 18. August 1999 - 2 Ni 47/98, BPatGE 42, 57 = GRUR 2000, 302, 304 ff.; Urteil vom 21. März 2001 - 2 Ni 42/99 (EU), BPatGE 44, 123, 129 f.; Beschluss vom 17. August 2005 - 20 W (pat) 307/05, GRUR 2006, 487). Viele Stimmen in der Literatur teilen ebenfalls die Auffassung des Bundesgerichtshofs (vgl. nur Busse/Schwendy, PatG, 6. Auflage, § 21 Rn. 120; Schulte/Moufang, PatG, 8. Auflage, § 21 Rn. 69).

b) Die in der Entscheidung "Zeittelegramm" geäußerte Auffassung gilt auch für das Einspruchsverfahren nach dem Patentgesetz.

Weder aus § 21 Abs. 1 Nr. 4 noch aus § 22 Abs. 1 PatG kann abgeleitet werden, dass ein Patent stets zu widerrufen ist, wenn sein Gegenstand gegenüber dem Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen durch Aufnahme eines darin nicht offenbarten Merkmals eingeschränkt worden ist. Aus den genannten Vorschriften ergibt sich zwar, dass das Gesetz dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes gegenüber der Öffentlichkeit hohes Gewicht einräumt. Gemäß § 21 Abs. 2 PatG ist diesem Interesse aber schon dann hinreichend Rechnung getragen, wenn ein Verstoß gegen eines dieser Verbote durch entsprechende Beschränkung des Patents rückgängig gemacht wird. In der hier zu beurteilenden Situation kann dies dadurch geschehen, dass das nicht offenbarte einschränkende Merkmal im Anspruch verbleibt, bei der Prüfung der Patentfähigkeit aber jedenfalls insoweit außer Betracht zu lassen ist, als es nicht zur Stützung der Patentfähigkeit herangezogen werden darf. Schon damit ist sichergestellt, dass das Merkmal für die Bestimmung des Schutzbereichs maßgeblich bleibt, der Rechtsbestand des Patents aber nicht auf technische Anweisungen gestützt wird, die in der Anmeldung nicht als zur Erfindung gehörend offenbart sind. Eines Widerrufs des Patents bedarf es in dieser Konstellation folglich nicht.

Der Senat verkennt nicht, dass diese Lösung jedenfalls im theoretischen Ansatz nicht mit der Auffassung der Großen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts in Einklang steht und in Fällen, in denen die Einfügung des Merkmals nicht zur Patentierung eines "Aliud" geführt hat, zu abweichenden Ergebnissen führen kann. Er vermag der Auffassung der Großen Beschwerdekammer aber jedenfalls für den Anwendungsbereich von §§ 21 und 22 PatG nicht beizutreten. Die Große Beschwerdekammer hat gesehen, dass die von ihr vertretene Auffassung zu harten Folgen für den Anmelder führen kann (aaO ABl. EPA 1994, 541 = GRUR Int. 1994, 842 Rn. 13 - Beschränkendes Merkmal/Advanced Semiconductor Products). Sie sieht sich an einer abweichenden Lösung durch den verbindlichen Charakter von Art. 123 Abs. 1 und 2 EPÜ gehindert. Diesem Gesichtspunkt kommt nach Auffassung des Senats jedenfalls für das deutsche Recht keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Der Wortlaut des Patentgesetzes sieht für den Fall, dass die zur Ausräumung eines Widerrufs- oder Nichtigkeitsgrunds an sich erforderliche Streichung eines Merkmals aus dem Patentanspruch einen neuen Nichtigkeitsgrund entstehen ließe, weder in die eine noch in die andere Richtung eine ausdrückliche Regelung vor. Deshalb ist unter Rückgriff auf allgemeine Auslegungskriterien zu ermitteln, ob die unzulässige Einfügung des Merkmals gemäß § 21 Abs. 1 PatG zwingend zum vollständigen Widerruf führt oder ob den berechtigten Belangen der Öffentlichkeit nicht dadurch Genüge getan ist, dass - wie sich aus § 38 Abs. 2 PatG ergibt - aus der Änderung Rechte nicht hergeleitet werden können. Diese Frage ist aus den bereits angeführten Gründen im zuletzt genannten Sinne zu entscheiden. Auch die Große Beschwerdekammer hält die Belassung eines in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht als zur Erfindung gehörend offenbarten Merkmals unter bestimmten Voraussetzungen für zulässig. Dies bestätigt nach Auffassung des Senats, dass Art. 123 Abs. 1 und 2 EPÜ diesen Lösungsweg nicht kategorisch ausschließen.

2. Auf der Grundlage der vom Patentgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen kann die Einfügung der hier in Rede stehenden Merkmale nicht als bloße Einschränkung des angemeldeten Gegenstands angesehen werden.

a) Wie bereits dargelegt kommt der aufgezeigte Lösungsweg nur dann in Betracht, wenn die Einfügung des in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht offenbarten Merkmals eine Einschränkung des angemeldeten Gegenstands bewirkt hat. Er scheidet aus, wenn die Hinzufügung des Merkmals dazu geführt hat, dass der Patentanspruch des erteilten Patents eine andere Erfindung zum Gegenstand hat als die ursprüngliche Anmeldung, wenn das Patent also etwas schützt, das gegenüber dem der Fachwelt durch die ursprünglichen Unterlagen Offenbarten ein "Aliud" darstellt (BGH aaO GRUR 2001, 140, 141 - Zeittelegramm).

Ob es sich um eine Einschränkung im genannten Sinne oder um ein "Aliud" handelt, kann nicht allein nach formalen Kriterien entschieden werden. Insbesondere kann eine bloße Einschränkung nicht schon deshalb bejaht werden, weil alle in Betracht kommenden Ausführungsformen, die die Merkmale des Patentanspruchs in der erteilten Fassung aufweisen, formal auch unter den Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen subsumiert werden können. Entscheidend ist vielmehr, ob mit der Hinzufügung des Merkmals lediglich eine Anweisung zum technischen Handeln konkretisiert wird, die in den ursprünglich eingereichten Unterlagen als zur Erfindung gehörend offenbart ist, oder ob damit ein technischer Aspekt angesprochen wird, der aus den ursprünglich eingereichten Unterlagen weder in seiner konkreten Ausgestaltung noch auch nur in abstrakter Form als zur Erfindung gehörend zu entnehmen ist.

Diese Unterscheidung ist auch für das Einspruchsverfahren maßgeblich. Die Öffentlichkeit braucht nicht damit zu rechnen, dass etwas patentiert wird, das gegenüber dem der Fachwelt durch die ursprünglichen Unterlagen Offenbarten ein "Aliud" darstellt. Ein solcher Patentanspruch gefährdet die Rechtssicherheit für Dritte, die sich auf den Inhalt der Patentanmeldung in der eingereichten und veröffentlichten Fassung verlassen (BGH aaO GRUR 2001, 140, 141). Die Aufrechterhaltung eines mit dem Einspruch angegriffenen, sich von der Offenbarung in den ursprünglichen Unterlagen in anderer Weise als durch eine Konkretisierung unterscheidenden Patents mit der Maßgabe, dass das in Rede stehende Merkmal im Patentanspruch verbleibt, der Patentinhaber daraus aber keine Rechte herleiten kann, würde dazu führen, dass das Patent in der Fassung nach dem Einspruchsverfahren auf einen anderen Gegenstand gerichtet ist als in der erteilten Fassung. Eine solche Änderung kann nicht mehr als nach § 21 Abs. 2 PatG statthafte Beschränkung angesehen werden (vgl. schon BGH, Beschluss vom 23. Januar 1990 - X ZB 9/89, BGHZ 110, 123, 125 f. = GRUR 1990, 432, 433 - Spleißkammer).

b) Das Patentgericht hat die Frage, ob die Einfügung der beiden von ihm als nicht in den ursprünglich eingereichten Unterlagen offenbart angesehenen Merkmale zu einer Konkretisierung oder zu einer unzulässigen Abänderung des ursprünglich offenbarten Gegenstands führt, nicht ausdrücklich behandelt. Die von ihm getroffenen tatsächlichen Feststellungen lassen jedenfalls hinsichtlich des Merkmals e nicht die rechtliche Schlussfolgerung zu, dass es sich um eine bloße Konkretisierung handelt.

Das Patentgericht hat angenommen, in den ursprünglich eingereichten Unterlagen sei lediglich offenbart, dass die Passung (19), in der die Hülle (18) geklemmt ist, im Gehäuse (10) angeordnet ist, also bei geschlossenem Deckel (23) im Inneren des Gehäuses liegen muss. Weitergehende Angaben zur Lage der Passung seien der ursprünglichen Fassung der Anmeldung nicht zu entnehmen. Deshalb sei die in Merkmal e enthaltene Angabe, dass sich die Passung innerhalb der Öffnung befinde, nicht offenbart. Zwar zeige die bereits in der Stammanmeldung enthaltene Figur 2 eine innerhalb der Umfangskontur der Deckelöffnung angeordnete Passung. Der Fachmann könne dies der Anmeldung aber nicht als zur Erfindung gehörend entnehmen, weil in der ursprünglichen Beschreibung darauf an keiner Stelle Bezug genommen werde.

Aus diesen Feststellungen ergibt sich nicht, dass die Angabe "innerhalb der Öffnung" eine bloße Konkretisierung der vom Patentgericht als offenbart angesehenen Angabe "im Gehäuse" darstellt. Bei formaler Betrachtung liegt zwar eine Einschränkung vor, weil bestimmte Stellen innerhalb des Gehäuses als Anbringungsort für die Passung ausgeschlossen werden. Hieraus ergibt sich aber noch nicht, ob lediglich eine Konkretisierung der bereits in der Anmeldung offenbarten technischen Lehre erfolgt ist oder ob die Festlegung auf bestimmte Anbringungsorte innerhalb des Gehäuses eine von dieser Lehre zu unterscheidende technische Fragestellung betrifft, so dass das zusätzliche Merkmal zur Patentierung eines "Aliud" führt. Zwar spricht einiges dafür, dass die Auswahl des konkreten Anbringungsorts aus Sicht des Fachmanns weitgehend durch den in der Streitpatentschrift (dort Abs. 8) als Vorteil der erfindungsgemäßen Vorrichtung angeführten Gesichtspunkt einer einfachen Montage des Anschlusskabels bestimmt wird. Dieser Gesichtspunkt wurde aber bereits in der Stammanmeldung angeführt (D5 Sp. 1 Z. 64-67), ohne dass das Patentgericht daraus Schlussfolgerungen hinsichtlich des Offenbarungsgehalts dieser Anmeldung gezogen hat.

Angesichts dessen kann der Senat auf der Grundlage der bislang getroffenen Feststellungen nicht zu dem Ergebnis gelangen, dass es sich um eine bloße Einschränkung des angemeldeten Gegenstands handelt. Zwar kann der Senat im Rechtsbeschwerdeverfahren sowohl die Streitpatentschrift als auch die zu Grunde liegende Anmeldung selbst auslegen, weil die Auslegung Rechtserkenntnis und deshalb nicht dem Tatrichter vorbehalten ist. Wie im Revisionsverfahren (dazu BGH, Urteil vom 31. Mai 2007 - X ZR 172/04, BGHZ 172, 298 = GRUR 2007, 1059 Rn. 38 - Zerfallszeitmessgerät) wird die Auslegung jedoch auf tatsächlicher Grundlage getroffen, zu der neben den objektiven technischen Gegebenheiten auch ein bestimmtes Vorverständnis der auf dem betreffenden Gebiet tätigen Sachkundigen sowie Kenntnisse, Fertigkeiten und Erfahrungen und methodische Herangehensweise dieser Fachleute gehören, die das Verständnis des Anspruchs und der in ihm verwendeten Begriffe bestimmen oder jedenfalls beeinflussen können. Die hierzu vom Patentgericht getroffenen Feststellungen reichen im Streitfall aus den dargelegten Gründen nicht zur abschließenden Beurteilung durch den Senat aus.

c) Nach allem ist der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache gemäß § 108 Abs. 1 PatG zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Patentgericht zurückzuverweisen, dem auch die Entscheidung über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu übertragen ist.

IV. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

1. Das Patentgericht wird in der wieder eröffneten Beschwerdeinstanz zunächst zu prüfen haben, ob die Einfügung der in Rede stehenden Merkmale in den Patentanspruch zu einer Einschränkung im oben genannten Sinne oder zur Patentierung eines "Aliud" geführt hat.

a) Hinsichtlich der in Merkmal e eingefügten Anweisung, die Passung (19) innerhalb der Öffnung anzuordnen, wird hierbei insbesondere zu klären sein, welche technische Funktion dieser Festlegung zukommt und ob dieser Aspekt vom Offenbarungsgehalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen umfasst wird. In diesem Zusammenhang kann auch zu prüfen sein, ob die in Figur 2 dargestellte Ausgestaltung, die in Einklang mit Merkmal e steht, durch den in der Beschreibung der Stammanmeldung enthaltenen Hinweis, die Crimphülse (18) sei zur sicheren und einfachen Befestigung in einer Passung (19) des Gehäuses (10) geklemmt (D5 Sp. 2 Z. 65-67), bereits in den ursprünglich eingereichten Unterlagen als zur Erfindung gehörend offenbart wird.

b) Die Festlegung in Merkmal i, wonach das Gehäuse Abdeckbereiche aufweist, die die auf der Leiterplatte (6) angebrachten elektrischen Bauelemente (7) auch bei geöffnetem Deckel (23) öffnungsseitig abdecken, hat das Patentgericht in der angefochtenen Entscheidung als Verallgemeinerung des ursprünglich offenbarten Gegenstands angesehen. Diese Beurteilung ist auf der Grundlage der bisher getroffenen Tatsachenfeststellungen rechtlich nicht zu beanstanden. Sie ist allerdings kaum vereinbar mit der Annahme, die Einfügung von Merkmal i habe zu einer Einschränkung des angemeldeten Gegenstands geführt. Eine Aufrechterhaltung des Streitpatents erscheint bei dieser Ausgangslage nur dann möglich, wenn der Gegenstand des Patents durch Einfügung der Merkmale h und h2 wieder mit dem Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung in Einklang gebracht worden ist, wofür nach dem bisherigen Sach- und Streitstand einiges spricht. Dann dürfte zu prüfen sein, ob Merkmal i im Hinblick auf die Einfügung der Merkmale h und h2 gestrichen werden kann.

c) Hinsichtlich des Merkmals i1 wird zu klären sein, ob die aus den Figuren 1 und 2 ersichtliche Anordnung der Passung (19) - eventuell zusammen mit dem in der Beschreibung enthaltenen Hinweis, die Passung sei derart im Gehäuse angeordnet, dass das Anschlusskabel im Passungsbereich senkrecht zur Längsache X der Winkelmessrichtung verlaufe (D5 Sp. 3 Z. 7-10) - aus der Sicht des Fachmanns die Schlussfolgerung zulässt, dass die Integration der Passung in einen öffnungsseitigen Abdeckungsbereich zur Erfindung gehört. Sollte dies zu verneinen sein, wird auch hinsichtlich dieses Merkmals zu prüfen sein, ob seine Einfügung den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung lediglich konkretisiert oder einen zusätzlichen technischen Aspekt betrifft und deshalb zur Patentierung eines "Aliud" geführt hat.

2. Sofern diese Prüfung ergibt, dass der Patentanspruch Merkmale enthält, die in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht als zur Erfindung gehörend offenbart sind und dass diese Merkmale lediglich zu einer Einschränkung des angemeldeten Gegenstands geführt haben, ist ein Hinweis der hier in Rede stehenden Art nicht erforderlich, aber auch nicht grundsätzlich zu beanstanden.

a) Ein Zusatz dieser Art ist nicht erforderlich, um sicherzustellen, dass der Patentinhaber aus den in Rede stehenden Merkmalen Rechte nicht herleitet. Diese Rechtsfolge ergibt sich aus dem Gesetz und ist auch ohne entsprechenden Hinweis in der Patentschrift in jedem nachfolgenden Nichtigkeitsverfahren zu beachten. Der ausdrücklichen Erwähnung dieses Umstands in der Patentschrift kann deshalb keine rechtsgestaltende, sondern allenfalls klarstellende Funktion zukommen. Eine solche Klarstellung ist nach Auffassung des Senats grundsätzlich nicht geboten.

Bedarf für eine Klarstellung besteht auch nicht im Hinblick auf künftige Verletzungsverfahren. Hier gebietet der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes zu Gunsten Dritter gerade, das unzulässigerweise hinzugefügte Merkmal bei der Bestimmung des Schutzbereichs weiterhin zu berücksichtigen. Zwar ist theoretisch denkbar, dass der Patentinhaber aus einem solchen Merkmal auch in einem Verletzungsrechtsstreit Schlussfolgerungen zu seinen Gunsten ziehen könnte, etwa dergestalt, dass andere Merkmale im Hinblick auf dieses Merkmal in besonders weitem Sinne auszulegen sind. Diese Gefahr ist nach Einschätzung des Senats aus praktischer Sicht jedoch so gering, dass es auch unter diesem Aspekt grundsätzlich keines klarstellenden Hinweises in der Patentschrift bedarf.

b) Damit ist nicht schlechthin ausgeschlossen, dass der Anmelder zur Ausräumung von Bedenken Hinweise der in Rede stehenden Art in den Patentanspruch oder (im Einspruchsverfahren) in die Beschreibung aufnimmt, und zwar unabhängig davon, ob der Hinweis ein oder mehrere Merkmale betrifft. Jedenfalls regelmäßig kann ein Patent jedoch nicht allein deshalb widerrufen oder für nichtig erklärt werden, weil es einen solchen Hinweis nicht enthält.

V. Eine mündliche Verhandlung hat der Senat nicht für erforderlich gehalten (§ 107 Abs. 1 PatG).

Keukenschrijver Mühlens Bacher Hoffmann Schuster Vorinstanz:

Bundespatentgericht, Entscheidung vom 12.08.2009 - 19 W(pat) 5/08 -