Durch eine COVID-19 Impfung hätte (im Zeitraum Dezember 2021) eine Corona-infizierte Person eine Absonderung (welche nach der baden-württembergischen Corona-VO Absonderung vom 30.10.2021 bereits aufgrund der bloßen Infektion zu erfolgen hatte) nicht im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG vermeiden können.
Der Bescheid des Regierungspräsidiums Freiburg vom 21.02.2022 wird aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin Entschädigungsleistungen nach § 56 Infektionsschutzgesetz für XX für die Zeit vom 14.12.2021 bis zum 24.12.2021 i.H.v. 742,68 EUR zu gewähren.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Berufung wird zugelassen.
Die Klägerin begehrt die Erstattung einer an ihren Arbeitnehmer XX gezahlten Verdienstausfallentschädigung in Folge einer behördlichen Absonderungsanordnung nach dem Infektionsschutzgesetz.
Die Klägerin ist ein Personaldienstleistungsunternehmen. Sie betreibt unter anderem in Freiburg eine Niederlassung, über welche sie den Mitarbeiter XX beschäftigte.
Der Mitarbeiter X wurde im Dezember 2021 durch PCR-Test positiv auf das Corona-Virus (SARS-CoV-2) getestet. Die Stadt X bestätigte dem Mitarbeiter mit Schreiben vom 16.12.2021, dass gemäß der Corona-Verordnung Absonderung eine Pflicht zur Absonderung vom 09.12.2021 bis zum 24.12.2021 vorgelegen habe.
Die Klägerin zahlte an den Mitarbeiter in der Zeit der Absonderung den Verdienstausfall nach § 56 Abs. 5 Satz 1 IfSG in Höhe von 476,39 EUR sowie für den Mitarbeiter Beiträge zur Sozialversicherung in Höhe von insgesamt 266,47 EUR.
Mit Online-Antrag vom 31.01.2022 beantragte die Klägerin bei dem Regierungspräsidium Freiburg die Erstattung des Verdienstausfalls und der entrichteten Sozialversicherungsbeiträge für diesen Arbeitnehmer nach § 56 IfSG für den Zeitraum vom 09.12.2021 bis zum 24.12.2021 in Höhe von 742,86 EUR. Dazu erklärte sie, dass vom 09.12.2021 bis zum 13.12.2021 fünf Krankheitstage vorgelegen hätten. Im Feld des Antragsvordrucks zum "Impfstatus" gab sie an: "Nein", unter "Möglichkeit der vollständigen Impfung" erklärte sie: "Ja".
Mit Bescheid vom 21.02.2022 lehnte das Regierungspräsidium Freiburg die Gewährung von Entschädigung ab. Es führte aus: Gemäß § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG erhalte keine Entschädigung nach § 56 Abs. 1 i. V. m. Abs. 5 und § 57 IfSG, wer durch Inanspruchnahme einer Schutzimpfung, die gesetzlich vorgeschrieben ist oder im Bereich des gewöhnlichen Aufenthalts des Betroffenen öffentlich empfohlen wurde, die Absonderung hätte vermeiden können. Jedenfalls seit dem 15.09.2021 bestehe in Baden-Württemberg eine nachweisbare ausreichende Immunisierungsmöglichkeit für alle Erwachsenen durch die Inanspruchnahme einer Schutzimpfung. Dem liege zugrunde, dass für jede impfwillige Person ab Mitte Juli 2021, zuzüglich eines Zeitraums von acht Wochen für die Durchführung von Erst- und Zweitimpfung sowie einer Wartezeit, ausreichend Impfstoffe verfügbar gewesen seien.
Die Klägerin hat am 08.03.2022 Klage erhoben. Sie führt aus: § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG sehe einen Entschädigungsausschluss dann vor, wenn durch die Inanspruchnahme der empfohlenen Impfung das Verbot in der Ausübung der Tätigkeit hätte verhindert werden können. Dies bedeute, dass der Anspruchsausschluss nur Anwendung fände, wenn eine Absonderung gegenüber einer vollständig geimpften Person nicht erlassen worden wäre. § 3 Abs. 2 der Corona-Verordnung Absonderung vom 13.12.2021 habe jedoch hinsichtlich der Absonderungspflicht gerade keinen Unterschied zwischen geimpften und ungeimpften Personen gemacht. Eine Impfung könne eine Infektion mit dem Corona-Virus nicht verhindern. Darauf werde auch auf einer FAQ-Seite der Bundesregierung hingewiesen. Es bestehe auch keine Impfpflicht. Soweit der Beklagte in der Klageerwiderung darauf abstelle, dass § 56 IfSG im Rahmen der Einführung des Masernschutzgesetzes neu gefasst worden sei, sei zu beachten, dass eine Masernimpfung eine weitere Infektion nahezu vollkommen verhindere. Dies sei bei dem Corona-Virus gerade nicht der Fall. Die Annahme eines Mitverschuldens führe zu einer gesetzlich nicht vorgesehenen Impfpflicht "durch die Hintertür". Der Mitarbeiter sei an fünf Tagen der Quarantäne arbeitsunfähig gemeldet gewesen. Diese Tage seien von dem Entschädigungsantrag auch nicht umfasst worden. Es sei nicht nachvollziehbar, dass der Beklagte im Klageverfahren fordere, einen Nachweis über die Symptomatik des betroffenen Mitarbeiters im gesamten Quarantänezeitraum zu erbringen. Sie sei als Arbeitgeberin fachlich nicht in der Lage, einzuschätzen, ob ein Mitarbeiter arbeitsunfähig erkrankt sei und sei daher auf einen ärztlichen Nachweis angewiesen. Nachträglich sei festgestellt worden, dass der Arbeitnehmer gar keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt und daher zu Unrecht Lohnfortzahlung erhalten habe. Mit Blick darauf, dass ein Arbeitgeber nach der gesetzlichen Regelung für die Entschädigung in Vorleistung gehen müsse, sei eine Auslegung zu Lasten der Arbeitgeber nicht angezeigt.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid des Regierungspräsidiums Freiburg vom 21.02.2022 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihr Entschädigungsleistungen nach § 56 IfSG für XX für die Zeit vom 14.12.2021 bis zum 24.12.2021 i.H.v. 742,86 EUR zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er führt aus: Für den Zeitraum vom 09.12.2021 bis zum 13.12.2021 bestehe schon deshalb kein Anspruch auf Entschädigung, weil § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG einen Ursachenzusammenhang zwischen behördlicher Absonderungsanordnung und dem Ausfall voraussetze. In dem benannten Zeitraum sei der Arbeitnehmer aber arbeitsunfähig erkrankt gewesen, weshalb die Absonderung nicht kausal für einen etwaigen Verdienstunfall gewesen sei. Die Klägerin sei gehalten, durch Vorlage einer Negativbescheinigung der Krankenkasse glaubhaft zu machen, dass der betroffene Mitarbeiter während des übrigen Zeitraums nicht arbeitsunfähig gewesen sei. Der Absonderungszeitraum sei mit 16 Tagen auffällig lang; dies sei häufig der Fall, wenn eine länger anhaltende Symptomatik gegeben sei. Hilfsweise bestehe der geltend gemachte Anspruch auch deswegen nicht, weil der Mitarbeiter "Kranker" im Sinne des § 2 Nr. 4 IfSG gewesen sei. Kranke seien nach der Leitidee des Entschädigungsanspruchs nicht anspruchsberechtigt. Weiter hilfsweise greife jedenfalls der Ausschlussgrund des § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG. Der Mitarbeiter hätte im Sinne der Norm eine Absonderung durch eine Impfung vermeiden können. Zwar habe die Corona-Verordnung Absonderung eine Absonderungspflicht unabhängig vom Impfstatus vorgesehen. Es könne jedoch nicht pauschal davon ausgegangen werden, dass der betroffene Arbeitnehmer auch bei einer vollständigen Immunisierung (überhaupt) positiv getestet worden wäre. Die Gesundheitsminister der Länder hätten sich am 22.09.2021 darauf geeinigt, dass die Ausschlussregelung im Rahmen des Entschädigungsverfahrens in Bezug auf das SARS-CoV-2 Virus spätestens ab dem 01.11.2021 Anwendung finden solle. Das Land Baden-Württemberg habe entschieden, die Ausschlussregelung in diesem Zusammenhang schon ab dem 15.09.2021 anzuwenden. Dem liege die Tatsache zugrunde, dass seit diesem Zeitpunkt eine nachweisbare ausreichende Immunisierungsmöglichkeit für jede erwachsene Person durch die Inanspruchnahme einer Schutzimpfung bestanden habe. Ab Mitte Juli 2021 habe es für jede erwachsene Person ausreichend Impfstoff gegeben, hinzu komme eine Zeit für die Durchführung der Zweitimpfung zuzüglich einer Wartezeit. Eine öffentliche Empfehlung der Impfung bestehe mit der Veröffentlichung der Impfempfehlung der STIKO im Epidemiologischen Bulletin des RKI aus dem Januar 2021. Kernstück der Ausschlussregelung des § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG sei der Maßstab der Vermeidbarkeit. Eine 100-prozentige Wirksamkeit könne nicht als Maßstab zugrunde gelegt werden, da Impfungen generell nicht zu 100 % wirksam seien. Dabei sei auch zu beachten, dass § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG mit dem Masernschutzgesetz eingefügt worden sei. Gerade auch die Masernimpfung schütze nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vor einer Infektion. Es genüge daher bereits eine überwiegende Wahrscheinlichkeit zur Bejahung des Ausschlusses. Der Maßstab der Vermeidbarkeit müsse dahingehend ausgelegt werden, dass durch eine Schutzimpfung nicht nur geimpfte Personen vor einer Erkrankung und schweren Krankheitsverläufen geschützt würden, sondern ebenfalls die Weiterverbreitung der Krankheit in der Bevölkerung und daraus folgend die Überlastung des Gesundheitssystems sowie der kritischen Infrastruktur verhindert werde. Weiter verfolge die Schutzimpfung das Ziel, die Bevölkerung vor einer Hospitalisierung sowie einer Behandlung auf der Intensivstation und vor dem Tod durch einen schweren Krankheitsfall zu schützen. Maßstab der Vermeidbarkeit sei daher nicht, dass eine Absonderung durch eine Impfung mit 100 %iger Wahrscheinlichkeit hätte vermieden werden können, sondern vielmehr, dass neben der Vermeidung einer Absonderung die benannten Ziele des Bevölkerungsschutzes erreicht würden. Dem entspreche die Definition der Schutzimpfung im Sinne des § 2 Nr. 9 IfSG, die nur auf die Gabe eines Impfstoffes mit dem Ziel, vor einer übertragbaren Krankheit zu schützen, abhebe. Auch die Gesetzesbegründung spreche dafür, an den Maßstab der Vermeidbarkeit keine hohen Anforderungen zu stellen und eine überwiegende Wahrscheinlichkeit, jedenfalls aber eine hohe Wahrscheinlichkeit, ausreichen zu lassen. Diesem Maßstab der Vermeidbarkeit werde die zum Zeitpunkt der Absonderung geschätzte Impfeffektivität gerecht. Nach den Feststellungen des wöchentlichen Lageberichts des Robert Koch-Instituts vom 09.12.2021, vom 16.12.2021 und vom 23.12.2021 habe die Effektivität der Impfstoffe für die Kalenderwochen 45-50 des Jahres 2021 in der Altersgruppe 12 bis 17 Jahre bei 89 % bzw. 88 % gelegen, in der Altersgruppe 18 bis 59 Jahren bei etwa 67 % bis 69 % und in der Altersgruppe ≥ 60 Jahre bei etwa 68 % bis 71 %. Zu berücksichtigen sei weiterhin, dass die geschätzte Impfeffektivität bezüglich Hospitalisierungen für den Zeitraum ab Kalenderwoche 49 herausragend gewesen sei. Dies habe zum Erreichen eines der obersten Ziele im Rahmen des Pandemieplans geführt, nämlich der Entlastung des Gesundheitswesens. Sollte die Bundesregierung diese Rechtsfrage anders bewerten, sei dies unerheblich. Es handele sich lediglich um eine Rechtsansicht, der keine Bindungswirkung zukomme. Der Vollzug des Infektionsschutzgesetzes obliege nach § 54 IfSG den Ländern. Hilfsweise lasse sich aus der Begründung zur Einführung des Ausschlussgrundes des § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG der allgemeine Rechtsgedanke entnehmen, dass diejenige Person, die das schädigende Ereignis in vorwerfbarer Weise verursacht habe, nicht auf Kosten der Allgemeinheit eine Entschädigung erhalten solle, wenn diese Person in der Ausübung ihrer bisherigen Erwerbstätigkeit einem Verbot unterliege. Dem gesetzgeberischen Willen sei daher zu entnehmen, dass es für die Anwendbarkeit des Ausschlussgrundes auf eine Unterlassung der Schutzimpfung in vorwerfbarer Weise ankomme. Ein solches Unterlassen liege vor, wenn die Schutzimpfung öffentlich empfohlen werde, eine ausreichende Impfmöglichkeit bestanden habe und diese nicht wahrgenommen worden sei. Der Sinn und Zweck des § 56 IfSG werde ad absurdum geführt, wenn derjenige, der nicht bereit gewesen sei, die Allgemeinheit durch Inanspruchnahme einer öffentlich empfohlenen Impfung zu schützen, eine Billigkeitsentschädigung von eben jener Allgemeinheit erhalten würde. Daneben lasse sich der Begründung zu § 48 Bundesseuchenschutzgesetz, der Vorgängernorm des heutigen § 56 IfSG, entnehmen, dass der Gesetzgeber die von einem Berufsverbot Betroffenen mit Entschädigungsleistungen habe versorgen wollen, da sie vom Schicksal in ähnlicher Weise betroffen seien wie Kranke. Dem liege die grundsätzliche Einordnung zugrunde, dass der in § 56 IfSG aufgeführte Personenkreis als "Störer" im polizeirechtlichen Sinne einzuordnen sei. Dies habe zur Folge, dass dieser nach der erfolgten Gefahrenabwehr auf der Sekundärebene keinen Anspruch auf Entschädigung habe. Da der Gesetzgeber den Personenkreis aber in ähnlicher Weise wie Kranke betroffen gesehen habe, habe er sich zur Schaffung einer Billigkeitsentschädigung entschieden. Wenn aber davon auszugehen sei, dass die Eigenschaft als Störer in vorwerfbarer Weise hingenommen worden sei, so gehe die Wertung fehl, dass diese Arbeitnehmer sodann einem Kranken näher stünden als dem gewöhnlichen polizeirechtlichen Störer. Darüber hinaus werde auch die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall nach § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz nur dann gezahlt, wenn die Krankheit ohne Verschulden des Arbeitnehmers eingetreten sei. Weiter hilfsweise müsse der Anspruch jedenfalls in Anwendung des § 254 BGB analog wegen Mitverschuldens auf Null reduziert werden.
Dem Gericht liegt die Akte des Regierungspräsidiums Freiburg (ein Band) vor.
A. Die Klage ist als Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO statthaft und auch sonst zulässig.
B. Die Klage ist auch begründet. Der Ablehnungsbescheid des Regierungspräsidiums Freiburg vom 21.02.2022 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Sie hat einen Anspruch auf die beantragte Entschädigung (§ 113 Abs. 5 VwGO).
I. Rechtsgrundlage für den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch ist § 56 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 5 Satz 3 sowie § 57 Abs. 1 Satz 1, 3 und 4 Halbsatz 2, Abs. 2 Satz 2 IfSG in der im Zeitraum der Absonderung ab dem 14.12.2021 maßgeblichen Fassung des Gesetzes vom 10.12.2021 (zur maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Rahmen des § 56 IfSG vgl. Urteil der Kammer vom 17.05.2021 - 10 K 368/21 -, juris Rn. 17 m.w.N.; Eckart/Kruse, in: BeckOK Infektionsschutzrecht, 15. Ed., Stand 10.01.2023, IfSG § 56 Rn. 20a).
Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin ihren Antrag ausdrücklich nur auf § 56 IfSG bezogen hat. Denn § 57 IfSG knüpft an die Regelung des § 56 Abs. 1 IfSG an und sieht in Abhängigkeit von dem Vorliegen der Entschädigungsvoraussetzungen nach dieser Norm die Erstattung von durch den Arbeitgeber entrichteten Sozialversicherungsbeiträgen vor.
Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG erhält, wer auf Grund des Infektionsschutzgesetzes als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern im Sinne von § 31 Satz 2 IfSG Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird und dadurch einen Verdienstausfall erleidet, eine Entschädigung in Geld. Das Gleiche gilt für Personen, die nach § 30 IfSG, auch in Verbindung mit § 32 IfSG, abgesondert werden oder sich auf Grund einer nach § 36 Abs. 8 Satz 1 Nr. 1 IfSG erlassenen Rechtsverordnung absondern (§ 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG). Bei Arbeitnehmern hat der Arbeitgeber für die Dauer des Arbeitsverhältnisses, längstens für sechs Wochen, die Entschädigung für die zuständige Behörde auszuzahlen. Die ausgezahlten Beträge werden dem Arbeitgeber auf Antrag von der zuständigen Behörde erstattet (§ 56 Abs. 5 Satz 1 und 3 IfSG). Dies gilt nach § 57 Abs. 1 Satz 4, Abs. 2 Satz 2 IfSG u.a. auch für die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung, zur gesetzlichen Krankenversicherung, zur sozialen Pflegeversicherung und zur Arbeitslosenversicherung, wenn der Arbeitgeber für die zuständige Behörde die Entschädigung auszahlt.
II. Vorliegend war der Mitarbeiter der Klägerin unstreitig nach § 3 Corona-Verordnung Absonderung vom 10.01.2021 in der ab dem 30.10.2021 geltenden Fassung bzw. in der Fassung vom 14.12.2021 für den Zeitraum vom 09.12.2021 bis zum 24.12.2021 abgesondert im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG.
Er war im maßgeblichen Zeitraum auch bei der Klägerin beschäftigt. Diese hat ihm eine Verdienstausfallentschädigung in Höhe von 476,39 EUR (netto) ausgezahlt sowie für ihn Beiträge zur Sozialversicherung in Höhe von insgesamt 266,47 EUR entrichtet.
III. Der geltend gemachte Anspruch ist nicht – wie der Beklagte jedenfalls noch in der Klagebegründung geltend gemacht hat – aufgrund einer zur Arbeitsunfähigkeit führenden Erkrankung des betroffenen Arbeitnehmers ausgeschlossen. Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSG in der hier maßgeblichen Fassung (s.o.) erhält eine Entschädigung, wer einer Absonderung unterliegt und "dadurch" einen Verdienstausfall erleidet. Es ist unstreitig, dass danach arbeitsunfähige Personen nicht anspruchsberechtigt sind (vgl. nur Eckart/Kruse, in: BeckOK Infektionsschutzrecht, 15. Ed., Stand 10.01.2023, IfSG § 56 Rn. 27 f.), weil nicht die Absonderung den Verdienstausfall begründet bzw. aufgrund von Entgeltersatzleistungen schon gar kein Verdienstausfall vorliegt.
Vorliegend war der Mitarbeiter der Klägerin jedoch zur Überzeugung des Gerichts im maßgeblichen Antragszeitraum vom 14.12.2021 bis zum 24.12.2021 nicht arbeitsunfähig erkrankt. Nach dem Vortrag der Klägerin hatte sich der betroffene Mitarbeiter bei ihr (nur) für fünf Tage, vom 09.12.2021 bis zum 13.12.2021, arbeitsunfähig gemeldet. Dem entsprechen die Angaben des in der mündlichen Verhandlung als Zeugen vernommenen Arbeitnehmers. Dieser hat dort – zusammengefasst – ausgeführt, er habe in der ersten Woche seiner Erkrankung starke Symptome, insbesondere Fieber, gehabt und sei bettlägerig gewesen. Er habe deshalb auch eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung von seiner Ärztin erhalten. Welchen Zeitraum diese genau betroffen habe, wisse er nicht mehr. Allerdings sei er in der zweiten Woche im Wesentlichen deshalb nicht zur Arbeit gegangen, weil er niemanden habe anstecken wollen.
Das Gericht ist danach davon überzeugt, dass der betroffene Mitarbeiter (nur) im Zeitraum vom 09.12.2021 bis zum 13.12.2021 arbeitsunfähig war; diesen Zeitraum hat die Klägerin allerdings nicht zum Gegenstand des Entschädigungsantrags gemacht. Im maßgeblichen Antragszeitraum vom 14.12.2021 bis zum 24.12.2021 ist die Arbeitsfähigkeit des Mitarbeiters nach dessen glaubhaften Angaben in der mündlichen Verhandlung zur Überzeugung des Gerichts erwiesen. Es gelang ihm, nachvollziehbar von seinen zunächst starken Beschwerden zu berichten; anschaulich schilderte er dabei seine Beeinträchtigungen, insbesondere seine Schmerzen am ganzen Körper, das Fieber sowie die Tatsache, dass er zu Beginn der Erkrankung gezwungen war, im Bett zu verbleiben. Er konnte zudem hinreichend detailreich erläutern, dass er nach den ersten Tagen seiner Erkrankung in der zweiten Woche eine Verbesserung verspürt und sich nur deshalb nicht zur Arbeit begeben hat, weil er abgesondert war und niemanden anstecken wollte. Anhaltspunkte dafür, dass diese insgesamt glaubhaften Aussagen des Zeugen nicht zutreffen sollten, bestehen nicht.
IV. Der Entschädigungsanspruch ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Mitarbeiter im Antragszeitraum an COVID-19 (nicht arbeitsunfähig) erkrankt (dazu unter 1.) bzw. nicht geimpft (dazu unter 2.) war.
1. Die Erkrankung des Mitarbeiters an COVID-19 – soweit sie, wie hier, im maßgeblichen Antragszeitraum keine Arbeitsunfähigkeit begründet hat – steht einer Entschädigung nicht entgegen. Soweit der Beklagte sich insoweit auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (Urt. v. 31.01.1972 - III ZR 209/67 -, juris) beruft, wonach "kranken" (d.h. auch nicht arbeitsunfähig erkrankten) Personen die Entschädigung gemäß § 49 Bundesseuchengesetz nach dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte der Norm nicht zustehe, gilt dies für § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG in der hier maßgeblichen Fassung gerade nicht (mehr). Mit dem Gesetz zur Fortgeltung der die epidemische Lage von nationaler Tragweite betreffenden Regelungen vom 29.03.2021 (BGBl. I 370, "EpLaFoG") hat der Gesetzgeber die Konzeption von § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG grundlegend geändert. Seitdem können nach dieser Norm sämtliche Personen anspruchsberechtigt sein, unabhängig von ihrer infektionsschutzrechtlichen Einordnung. Folglich sind seitdem neben Ausscheidern, Ansteckungs- oder Krankheitsverdächtigen auch Kranke erfasst, wie die Ausschussempfehlung zum Entwurf des EpLaFoG ausdrücklich ausführt (BT-Drs. 19/27291, 61; vgl. dazu auch Gerhardt, in: IfSG, 6. Aufl. 2022, § 56 Rn. 12).
2. Gemäß § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG erhält eine Entschädigung nach den Sätzen 1 und 2 unter anderem nicht, wer durch Inanspruchnahme einer Schutzimpfung oder anderen Maßnahme der spezifischen Prophylaxe, die gesetzlich vorgeschrieben ist oder im Bereich des gewöhnlichen Aufenthaltsorts des Betroffenen öffentlich empfohlen wurde, ein Verbot in der Ausübung seiner bisherigen Tätigkeit oder eine Absonderung hätte vermeiden können.
a) Eine öffentliche Empfehlung im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG für eine COVID-19-Impfung lag im maßgeblichen Zeitraum der Absonderung vor. Nach § 20 Abs. 3 IfSG sollen die obersten Landesgesundheitsbehörden öffentliche Empfehlungen für Schutzimpfungen oder andere Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe auf der Grundlage der jeweiligen Empfehlungen der Ständigen Impfkommission aussprechen. In Baden-Württemberg werden in diesem Sinne Schutzimpfungen empfohlen, wenn sie von der Ständigen Impfkommission am Robert Koch - Institut empfohlen und im Epidemiologischen Bulletin des Robert Koch - Instituts veröffentlich werden (Bekanntmachung des Sozialministeriums über öffentlich empfohlene Schutzimpfungen vom 06.05.2015 – GABl. v. 24.06.2015). Dies ist hinsichtlich der Impfung gegen COVID-19 in der Ausgabe 2/2021 des Epidemiologischen Bulletins vom 14.01.2021 erfolgt.
b) Der Kläger hätte eine Absonderung durch eine COVID-Impfung im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG jedoch nicht vermeiden können.
aa) Dies gilt (unmittelbar) mit Blick auf den Wortlaut der im damaligen Zeitraum gültigen Corona-Verordnung Absonderung (in der ab dem 30.10.2021 geltenden bzw. in der Fassung vom 14.12.2021) deswegen, weil diese Verordnung eine Absonderungspflicht unterschiedslos für geimpfte und für ungeimpfte infizierte Personen vorsah (vgl. dazu auch VG Aachen, Gerichtsbescheid vom 19.09.2022 - 7 K 1360/22 -, juris Rn. 24; VG Berlin, Urt. v. 16.11.2022 - 32 K 109/22 -, juris Rn. 32 zur jeweiligen landesrechtlichen Regelung). Eine Unterscheidung nahm die Corona-Verordnung Absonderung in der Fassung vom 14.12.2021 allein für nahe Haushaltsangehörige und enge Kontaktpersonen vor, bei denen eine Absonderung der betroffenen Personen bei einer Impfung für den Regelfall nicht angeordnet war (§ 4 Abs. 1 Corona-Verordnung Absonderung).
bb) Der Kläger hätte eine Absonderung im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG auch nicht deswegen durch die Vornahme einer Impfung verhindern können, weil die Impfung wiederum eine Infektion verhindert hätte. Dabei ist deshalb (mittelbar) auf die Verhinderung einer Infektion (und nicht etwa einer symptomatischen Erkrankung) abzustellen, weil die Corona-Verordnung Absonderung die Absonderung selbst von dem Vorliegen eines positiven PCR- oder Schnelltests abhängig machte bzw. bei Krankheitsverdächtigen von der Anordnung oder Durchführung eines PCR-Tests (§ 1 Nr. 5, § 3 Abs. 1 und 2 Corona-Verordnung Absonderung in der ab 30.10.2021 geltenden Fassung bzw. in der Fassung vom 14.12.2021). Beide Testverfahren dienen dazu, eine Infektion mit dem Coronavirus nachzuweisen (vgl. nur https://www.bundesgesundheitsministerium.de/coronavirus/nationale-teststrategie/faq-covid-19-tests.html., zuletzt abgerufen am 22.02.2023).
Allerdings kann – weil Impfungen praktisch nie zu 100 % wirksam sind (vgl. Deutscher Bundestag, Wissenschaftlicher Dienst, WD 3 – 3000 – 164/21 und WD 9 – 3000 – 081/21, S. 9 m.w.N.) – insoweit nicht auf einen "Verhinderungsmaßstab" von 100 % abgestellt werden. Dies gilt umso mehr, als dass die Ausschlussregelung des § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG im Rahmen des Masernschutzgesetzes eingeführt worden ist und dabei zum Ziel hatte, den Anreiz, sich impfen zu lassen, zu erhöhen (BT-Drs. 19/15164, S. 58). Auch die Masernimpfung führt jedoch nicht zu einem absoluten (Infektions-)Schutz, vielmehr wird von einem Erkrankungsschutz von 98-99% nach der zweiten Impfung ausgegangen (vgl. RKI, Masernimpfung: Wirksamkeit, Sicherheit und Kontraindikationen, Stand: 04.06.2020).
Der Wortlaut der Norm ("durch Inanspruchnahme einer Schutzimpfung....hätte vermeiden können") sieht aber eine Quasi-Kausalität von Impfung und Absonderungsvermeidung vor. Dies ergibt sich auch aus der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 19/15164, S. 58), wonach das schädigende Ereignis (Tätigkeitsverbot, Absonderung) in vorwerfbarer Weise "verursacht" worden sein muss. Vor diesem Hintergrund kommt ein Anspruchsausschluss nach § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG erst dann in Betracht, wenn davon auszugehen ist, dass eine Impfung eine Infektion mit weit überwiegender Wahrscheinlichkeit (so Sangs, in: Sangs/Eibenstein, IfSG, 1. Aufl. 2022, § 56 Rn. 63) oder gar mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (so Kümper, in: Kießling, IfSG, 3. Aufl. 2022, § 56 Rn. 28; Eckart/Kruse, in: BeckOK Infektionsschutzrecht, 15. Ed., Stand 10.01.2023, IfSG § 56 Rn. 39 f.; Bundesministerium für Gesundheit, Ansprüche auf Ersatz des Verdienstausfalls für Arbeitnehmer und Selbständige, Fragen und Antworten zu den Entschädigungsansprüchen nach § 56 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG), 25.06.2021, abgedruckt in Deutscher Bundestag, Wissenschaftlicher Dienst, WD 3 – 3000 – 164/21 und WD 9 – 3000 – 081/21, S. 9) ausgeschlossen hätte.
Die (Quasi-) Kausalität wird nicht bereits durch die Nichtbefolgung der Impfempfehlung hergestellt (so aber Meßling, in: Schlegel/Meßling/Bockholdt, COVID-19 – Corona-Gesetzgebung – Gesundheit und Soziales – 2. Aufl. 2022, § 19 Rn. 14 ff m.w.N. zur Literatur). Dem steht bereits der klare Wortlaut der Norm entgegen. In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, dass der Gesetzgeber von der ursprünglich vorgesehenen Regelung, den Anspruchsausschluss unmittelbar mit dem Nachweis einer Impfung zu verknüpfen (vgl. BT-Drs. 19/13452, S. 50 und BT-Drs. 19/15164, S. 58), Abstand genommen hat. Dieser Auslegung steht auch nicht die Tatsache entgegen, dass in der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 19/15164, S. 58) die Einführung des Ausschlusstatbestands vor dem Hintergrund der Regelung des § 20 Abs. 9 bis 12 IfSG als "folgerichtig und geradezu zwingend" angesehen wurde (vgl. dazu aber Meßling, in: Schlegel/Meßling/Bockholdt, COVID-19 – Corona-Gesetzgebung – Gesundheit und Soziales – 2. Aufl. 2022, § 19 Rn. 16). Zwar weist die Gesetzesbegründung darauf hin, dass, wenn derjenige, der wegen fehlenden Impfschutzes mit Blick auf § 20 Abs. 9 bis 12 IfSG eine Tätigkeit nicht ausüben darf und dafür keine Entschädigung erhält, auch derjenige, der "an einer solchen Krankheit" erkrankt, keine Entschädigung erhalten dürfe (BT-Drs. 19/15164, S. 58). Dieser Gesetzeszweck wird aber durch das Erfordernis einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit der Absonderungsverhinderung (s.o.) ebenfalls erfüllt. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass das Tätigkeitsverbot nach § 20 Abs. 9 bis 12 IfSG allein in Zusammenhang mit einer nicht erfolgten Masernimpfung steht, die jedoch gerade eine besonders ausgeprägte Impfeffektivität aufweist (s.o.); im Übrigen kommt eine Entschädigung für die Fälle des § 20 Abs. 9 bis 12 IfSG auch bereits deshalb nach § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG nicht in Betracht, weil der Betroffene in diesen Fällen wegen der fehlenden Schutzimpfung nicht beschäftigt werden darf (so auch Sangs, in: Sangs/Eibenstein, IfSG, 1. Aufl. 2022, § 56 Rn. 33).
Die von dem Beklagten aufgeführten, für die Inanspruchnahme einer Impfung sprechenden weiteren Belange (Vermeidung der Weiterverbreitung der Krankheit und der Überlastung des Gesundheitssystems, Schutz der kritischen Infrastruktur), können als Fernziele einen Anspruchsausschluss für Corona-Ungeimpfte nicht begründen; dies ist weder durch den Wortlaut noch durch Sinn und Zweck der Norm erfasst.
cc) Dass die Corona-Impfung jedenfalls mit weit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine Infektion verhindert hätte, ist nicht der Fall. Vor diesem Hintergrund kann offenbleiben, ob – was mit Blick auf den Wortlaut des § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG jedenfalls nicht ausgeschlossen erscheint – der Ausschlusstatbestand nicht sogar eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit dafür fordert, dass der oder die Ungeimpfte im Fall einer Impfung nicht abgesondert worden wäre (s.o.; dazu Kümper, in: Kießling, IfSG, 3. Aufl. 2022, § 56 Rn. 28; Eckart/Kruse, in: BeckOK Infektionsschutzrecht, 15. Ed., Stand 10.01.2023, IfSG § 56 Rn. 39 f.; Bundesministerium für Gesundheit, Ansprüche auf Ersatz des Verdienstausfalls für Arbeitnehmer und Selbständige, Fragen und Antworten zu den Entschädigungsansprüchen nach § 56 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG), 25.06.2021, abgedruckt in Deutscher Bundestag, Wissenschaftlicher Dienst, WD 3 – 3000 – 164/21 und WD 9 – 3000 – 081/21, S. 9).
Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist dabei der Zeitraum der Absonderung (s.o.). In diesem Zeitraum war in der Bundesrepublik die sogenannte Delta-Variante vorherrschend (vgl. RKI, wöchentlicher COVID-19-Lagebericht vom 09.12.2021, S. 3).
Das RKI gibt in seinem wöchentlichen COVID-19-Lagebericht vom 09.12.2021 (S. 23) zur Frage der Impfeffektivität an: Die nach der Farrington-Methode geschätzte Impfeffektivität gegenüber einer symptomatischen COVID-19-Erkrankung habe für die vergangenen vier Wochen in der Altersgruppe 12 bis 17 Jahre bei 89 %, in der Altersgruppe 18-59 Jahren bei etwa 68 % und in der Altersgruppe ≥ 60 Jahre bei 68 % gelegen. Im Lagebericht vom 16.12.2021 (S. 24) gibt das RKI die Impfeffektivität mit 89 % (Altersgruppe 12-17 Jahre), 69 % (Altersgruppe 18-59 Jahre) und 71 % (Altersgruppe ≥ 60 Jahre) an, im Lagebericht vom 23.12.2021 (S. 26) mit 88 %, 67 % und 69 % für diese Altersgruppen.
Die für die hier maßgebliche mittlere Altersgruppe ermittelten Werte genügen nicht, um von einer weit überwiegenden Wahrscheinlichkeit der Verhinderung einer Infektion auszugehen (so im Ergebnis auch Sangs, in: Sangs/Eibenstein, IfSG, 1. Aufl. 2022, § 56 Rn. 63; Bundesministerium für Gesundheit, Ansprüche auf Ersatz des Verdienstausfalls für Arbeitnehmer und Selbständige, Fragen und Antworten zu den Entschädigungsansprüchen nach § 56 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG), 25.06.2021, abgedruckt in Deutscher Bundestag, Wissenschaftlicher Dienst, WD 3 – 3000 – 164/21 und WD 9 – 3000 – 081/21, S. 9).
Dabei ist zudem zu beachten, dass die oben dargestellten Werte zur Impfeffektivität nach der vom RKI angewandten Screening-Methode nach Farrington geschätzt werden durch eine Gegenüberstellung der COVID-19-Inzidenzen in der ungeimpften Bevölkerung mit denen in der geimpften Bevölkerung, jeweils unter Berücksichtigung der symptomatischen und der hospitalisierten COVID-19-Fälle (RKI, wöchentlicher COVID-19-Lagebericht vom 09.12.2021, S. 20 und 23). Auch bei der Bewertung der Impfdurchbrüche wird als Impfdurchbruch ein COVID-19 Fall mit klinischer Symptomatik verstanden (vgl. RKI, wöchentlicher COVID-19-Lagebericht vom 09.12.2021, S. 22). Damit werden aber asymptomatische Infektionen nicht erfasst (die Impfeffektivität bezieht sich daher auf die Frage der Erkrankungsverhinderung, nicht der Infektionsverhinderung, vgl. RKI, wöchentlicher COVID-19-Lagebericht vom 09.12.2021, S. 23). Für den Fall der Absonderung bzw. einer daraufhin beantragten Entschädigung sind aber (auch) asymptomatische Fälle von Relevanz, weil die Absonderung an einen positiven Corona-Test (PCR-Test oder Schnelltest) bzw. bei Krankheitsverdächtigen an die Anordnung/Durchführung eines PCR-Tests anknüpft. Ein positiver Corona-Test (und in der Folge eine Absonderung) kann aber auch dann gegeben sein, wenn keine erkennbaren COVID-Symptome vorliegen; dabei ist ebenfalls zu beachten, dass im maßgeblichen Absonderungszeitraum eine weitgehende Testpflicht in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens unabhängig von Krankheitssymptomen bestand (vgl. nur Corona-Verordnung Kita i.d.F. v. 04.10.2021).
Sind nach alledem dem Anteil der Impfdurchbrüche noch die asymptomatischen Infektionen hinzuzurechnen, dürfte sich der hier von dem Beklagten in Ansatz gebrachte Wert zur Impfeffektivität von 67 % (mit Blick auf eine Infektionsverhinderung) um weitere Prozentpunkte verringern. Von einer zumindest weit überwiegenden Wahrscheinlichkeit kann damit nicht ausgegangen werden.
Auch nachträglich haben sich keine Erkenntnisse (zu der Sach- und Rechtslage im Zeitraum der Absonderung) ergeben, die eine abweichende Bewertung rechtfertigten. Da ab der Kalenderwoche 1 des Jahres 2022 bereits die Omikron-Variante überwog (RKI, wöchentlicher COVID-19-Lagebericht vom 13.01.2022), bei welcher sich die Impfeffektivität abweichend darstellt (RKI, FAQ COVID-19 Wirksamkeit, Stand: 07.02.2023), können aus der weiteren Entwicklung keine abweichenden Feststellungen getroffen werden. Soweit das Robert Koch-Institut unter dem 18.03.2022 zur Frage der Infektionsverhinderung ausführt, dass Infektionen bei Geimpften deutlich weniger vorkommen (FAQ v. 18.03.2022, GAS 73), rechtfertigt diese zahlenmäßig nicht unterlegte Aussage ebenfalls kein anderes Ergebnis, zumal sie den wissenschaftlichen Stand der Erkenntnis aus dem März des Jahres 2022 und damit zur
Omikron-Variante abbilden dürfte. Dies gilt auch für die von dem Beklagten in der mündlichen Verhandlung in Ansatz gebrachten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (Beschl. v. 27.04.2022 - 1 BvR 2649/21 -, juris Rn. 238) und des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Beschl. v. 07.07.2022 - 1 WB 2.22 -, juris Rn. 101). Darin wird zwar auf einen relevanten – wenn auch mit der Zeit abnehmenden – Schutz vor einer Infektion abgestellt, der aber zahlenmäßig nicht weiter ausgeführt wird und sich zudem zur Omikron-Variante verhält.
c) Der Anspruch ist auch nicht in Anwendung der allgemeinen Grundsätze des Mitverschuldens (vgl. § 254 Abs.1 BGB) ausgeschlossen. Dabei kann offenbleiben, inwieweit dieser allgemeine Rechtsgrundsatz überhaupt außerhalb der Fälle des § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG Anwendung finden kann (vgl. dazu Eckart/Kruse, in: BeckOK Infektionsschutzrecht, 15. Ed., Stand 10.01.2023, IfSG § 56 Rn. 41 ff. m.w.N.). Denn jedenfalls wenn – wie vorliegend – die Frage der Auswirkung der Inanspruchnahme einer Schutzimpfung auf den Entschädigungsanspruch gesetzlich ausdrücklich geregelt, d.h. von der Erfüllung bestimmter Tatbestandsvoraussetzungen abhängig ist, ist für einen Rückgriff auf allgemeine Rechtsgrundsätze kein Raum.
d) Soweit der Beklagte allgemein auf den Gedanken der Vorwerfbarkeit bzw. auf den polizeirechtlichen Störerbegriff abhebt, greift dies ebenfalls nicht durch. Auch in diesem Zusammenhang ist zum einen erheblich, dass der Gesetzgeber die Frage des Anspruchsausschlusses in Zusammenhang mit der Inanspruchnahme einer Schutzimpfung ausdrücklich und insoweit abschließend geregelt hat, so dass kein Raum ist für eine weitergehende Einschränkung des gesetzlichen Entschädigungsanspruchs. Zudem ist auch hier zu beachten, dass nach der Corona-Verordnung Absonderung keine Unterscheidung zwischen geimpften und ungeimpften Personen (soweit sie infiziert oder krankheitsverdächtig sind) gemacht wird und auch nicht unterschieden wird zwischen symptombehafteten und symptomfreien Infizierten. Allein die Infektion ist Anknüpfungspunkt der Absonderung; sie wird jedoch von der Impfung gerade nicht mit weit überwiegender Wahrscheinlichkeit verhindert (s.o.). Der Verzicht auf eine Impfung ist daher mit Blick auf die Absonderung nicht als "vorwerfbar" anzusehen.
V. Hinsichtlich der rechnerischen Höhe des Entschädigungsbetrages bestehen keine rechtlichen Bedenken; auch der Beklagte hat hiergegen keine Einwände erhoben.
VI. Die Berufung ist mit Blick auf § 124 Abs. 2 Nr. 3, § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, denn die sich in einer Vielzahl von Fällen stellende Frage nach der Auslegung des § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG bei nicht erfolgter (COVID-19)-Schutzimpfung ist bislang nicht obergerichtlich geklärt.
Beschluss
Der Streitwert für das Verfahren wird gemäß § 52 Abs. 3 GKG endgültig auf 742,86 EUR festgesetzt.