AG Neumünster, Urteil vom 18.11.2022 - 39 C 305/22
Fundstelle
openJur 2022, 22808
  • Rkr:
Tatbestand

Die Klägerin wirft dem beklagten Fitnessstudio eine gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz verstoßende Benachteiligung ihrer Person vor, für die sie eine Entschädigungszahlung verlangt.

Am 14.06.2021 wurde die Klägerin, eine Sinteza, in dem von der Beklagten betriebenen Fitnessstudio vorstellig und wollte sich dort als Mitglied anmelden. Sie stellte sich einer Mitarbeiterin mit ihrem Familiennamen "...", der in N. als ein Familienname deutscher Sinti verbreitet und bekannt ist, vor und teilte ihr Anliegen mit. Die Mitarbeiterin bat sie, auf einen Trainer zu warten. Als schließlich ein Trainer erschien, erklärte dieser ihr, er habe wegen ihrer Aufnahme zunächst Rücksprache halten müssen. Leider sei die Aufnahme nicht möglich, denn die aktuelle Coronaverordnung erlaube nur eine begrenzte Mitgliederzahl. Die Klägerin verließ das Studio zunächst und erkundigte sich unmittelbar danach telefonisch bei mehreren anderen Fitnessstudios, ob sie dort aufgenommen werden könne. Weil diese ihr allesamt Aufnahmebereitschaft signalisierten und auf ihre Nachfrage mitteilten, dass die aktuelle Corona-Landesverordnung keine Obergrenze für Mitglieder in Fitnessstudios aufstelle, begab sie sich abermals in die Räumlichkeiten der Beklagten. Sie verwies auf die ihr durch die anderen Fitnessstudios erteilte Auskunft und darauf, dass sie vollständig gegen COVID19 geimpft sei, ein Gehalt beziehe und entsprechende Nachweise bei sich führe. Gleichwohl verblieb der Mitarbeiter der Beklagten bei der Auskunft, ihre Aufnahme sei nicht möglich; er könne insoweit nur weitergeben, was ihm der Chef gesagt habe. Im selben Zeitraum warb die Beklagte auf Plakaten, in der Presse und im Internet intensiv für ein dreiwöchiges kostenloses Probetraining (Anl. K 4, K 5, Bl. 9-13).

Nachdem die Klägerin kurz nach der Begebenheit im Fitnessstudio der Beklagten erfahren hatte, dass diese in der Vergangenheit bereits Verwandte, die ihren Familiennamen tragen, als Mitglieder abgelehnt hatte, wandte sie sich an den Antidiskriminierungsverband Schleswig-Holstein (advsh) e.V. . Auf dessen Empfehlung bat sie den Geschäftsführer ... der Beklagten nach kurzer Schilderung ihrer Ablehnung schriftlich um Stellungnahme zu ihrem Aufnahmeantrag; auf den Inhalt des Schreibens vom 21.06.2021 (Anl. K 2, Bl. 7) wird Bezug genommen. Außerdem bat sie zwei Freundinnen, um Aufnahme im Fitnessstudio der Beklagten nachzusuchen; beiden wurde die Aufnahme am 21.06.2021 und am 30.07.2021 ohne jede Einschränkung angeboten. Die Klägerin aber erhielt unter dem 25.06.2021 die Antwort der Beklagten dahin, dass diese wegen der pandemiebedingten Einschränkung ihrer Trainingskapazitäten derzeit nur Haushaltsangehörige ihrer Mitglieder als Neumitglieder aufnehme. Auch auf den Inhalt des Schreibens der Beklagten vom 25.06.2021 (Anl. K 3, Bl. 8) wird verwiesen.

Schließlich ließ die Klägerin den Geschäftsführer ... der Beklagten durch den Antidiskriminierungsverband unter dem 15.07.2021 direkt anschreiben, ihn mit dem Vorwurf der Diskriminierung aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit konfrontieren und Unterlassungs- sowie Entschädigungsansprüche geltend machen. Der Geschäftsführer wies den Vorwurf der Diskriminierung mit Schreiben vom 21.07.2021 zurück. Er verwies wiederum auf die pandemiebedingten Einschränkungen und die damit verbundenen Schwierigkeiten, allen Mitgliedern und Interessenten angemessene Trainingsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen. Mit dem Angebot des kostenfreien Probetrainings wolle die Beklagte derzeit keine Neumitglieder werben. Auf den Inhalt beider Schreiben (Anl. K 6, Bl. 14, und Anl. K 7, Bl. 16) wird wiederum Bezug genommen. So wandte sich die Klägerin schließlich an ihre Prozessbevollmächtigten, die die Forderungen mit außergerichtlichem Schreiben vom 31.01.2022 (Anl. K 8, Bl. 17) erneuerten und die Entschädigungsforderung auf 1.000,00 € bezifferten. Hierfür fielen der Klägerin außergerichtliche Kosten in Höhe von 159,94 € an, deren Erstattung die Prozessbevollmächtigten ebenfalls verlangten. Die Beklagte ließ die Forderungen mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 10.02.2022 abermals zurückweisen. Der Klägerin sei keineswegs mitgeteilt worden, dass nur eine bestimmte Anzahl an Mitgliedern aufgenommen werden könne; lediglich alle zur Verfügung stehende Trainingstermine seien bereits ausgebucht gewesen (Anl. K 11, Bl. 23).

Die Klägerin behauptet, die Beklagte habe es allein aufgrund ihrer durch den Familiennamen erkennbaren Zugehörigkeit zur Minderheit der Sinti abgelehnt, sie als Mitglied in ihrem Fitnessstudio aufzunehmen. Sie ist der Meinung, als Entschädigung für die Benachteiligung sei ein Betrag von 1.000,00 € angemessen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.02.2022 zu zahlen und

die Beklagte zu verurteilen, an sie außergerichtliche Kosten in Höhe von 159,94 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.02.2022 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie behauptet, die Zurückweisung der Klägerin sei allein den pandemiebedingten Einschränkungen geschuldet gewesen. Angesichts der ausgebuchten Termine sei es nicht möglich gewesen, der Klägerin einen zeitnahen Trainingstermin anzubieten. Dass die Beklagte keine unzulässige Benachteiligung vornehme, ergebe sich bereits daraus, dass sich unter ihren Mitgliedern - dies ist unstreitig - Angehörige verschiedenster Nationalitäten und Minderheiten, unter anderem auch Sinti, befänden.

Die von der Klägerin beantragte Durchführung eines Schlichtungsverfahrens hat der zuständige Schiedsmann abgelehnt (Anl. K 13, Bl. 30).

Gründe

Die Klage ist nach der Erfolglosigkeit des Schlichtungsantrags zulässig, und sie hat auch in der Sache in vollem Umfang Erfolg. Die Klägerin kann von der Beklagten eine Entschädigung in der geltend gemachten Höhe nebst Nebenforderungen verlangen.

Der Entschädigungsanspruch ergibt sich aus §§ 21 Abs. 2, 19 Abs. 2, 2 Abs. 1 Nr. 8 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG). Nach §§ 19 Abs. 2, 2 Abs. 1 Nr. 8 AGG ist es unter anderem unzulässig, Personen in Bezug auf den Zugang zu Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, aufgrund ihrer ethnischen Herkunft zu benachteiligen. Ist eine hiernach unzulässige Benachteiligung erfolgt, so kann der Benachteiligte gemäß § 21 Abs. 2 AGG den Ersatz des ihm hierdurch entstandenen Schadens verlangen; wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann er eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Diese Anspruchsvoraussetzungen liegen im Streitfall vor. Die Beklagte ist ein Unternehmen, das im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 8 AGG der Öffentlichkeit Güter und Dienstleistungen anbietet, und unter Zugrundelegung des unstreitigen Sachverhaltes bestehen keine vernünftigen Zweifel daran, dass der Klägerin der Zugang hierzu allein aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit verwehrt worden ist.

Das Gericht legt die Schilderung der Klägerin, sie habe sich am 21.06.2021 im Fitnessstudio der Beklagten als Mitglied anmelden wollen, als unstreitig zugrunde, nachdem der Geschäftsführer ... der Beklagten in der mündlichen Verhandlung geäußert hat, keine Kenntnis über den Gesprächsverlauf und die Handhabung der betreffenden Angelegenheit durch die Mitarbeiter zu haben. Das Bestreiten mit Nichtwissen ist insoweit unbeachtlich, weil der seinerzeitige Gesprächsgang - auch - der Wahrnehmung der Beschäftigten der Beklagten unterlag (vgl. hierzu Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kap. 11 Rn. 19 m.w.N.). Im Übrigen ergibt sich aber auch aus dem - freundlich, sachlich und nicht konfrontativ gehaltenen - Schreiben der Klägerin vom 21.06.2021 (Anl. K 2, K 3) unmissverständlich, dass es ihr sogleich um eine Mitgliedschaft und nicht - dem schriftsätzlichen Vortrag der Beklagten entsprechend - um ein Probetraining ging. Hätten die für die Beklagte handelnden Personen von den Mitarbeitern die Information erhalten, die Klägerin habe nicht wegen einer Mitgliedschaft nachgefragt, sondern sei nur wegen eines Probetrainings vorstellig geworden, so wäre es zwingend zu erwarten gewesen, dass die Beklagte hierauf in ihrem Antwortschreiben an die Klägerin eingeht. Die Beklagte hätte ihr mitteilen können, dass eine Mitgliedschaft möglich sei, sie aber derzeit mit Engpässen bei den Trainingskapazitäten zu rechnen habe. Stattdessen hat sie - ebenfalls unmissverständlich - mitgeteilt, derzeit nur Familienmitglieder und Lebenspartner ihrer Stammmitglieder als Neumitglieder aufzunehmen, und auch in ihrem Antwortschreiben an den Antidiskriminierungsverband daran festgehalten, "deshalb ... nicht jeden aufnehmen" zu können (Anl. K 7, Bl. 16).

Die persönliche Anhörung des Geschäftsführers ... der Beklagten hat ergeben, dass diese Begründung vorgeschoben war. Seine Ausführungen über die Beschränkung der Trainingskapazitäten und die Schwierigkeiten der Beklagten, zahlenden Mitgliedern adäquate Trainingsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen, vermögen die Ablehnung der Klägerin vor dem Hintergrund, dass die Beklagte zeitgleich intensive Werbung betrieb und - unstreitig - zwei Freundinnen der Klägerin die Aufnahme unkompliziert anbot, nicht plausibel zu erklären. Dass es sich nach der Darstellung der Beklagten bei dem Angebot des kostenlosen Probetrainings nicht um Mitgliederwerbung gehandelt haben soll, ist abwegig. Und schließlich hat der Geschäftsführer ... der Beklagten eingeräumt, dass die Akquise neuer Mitglieder für die Beklagte dringend erforderlich gewesen sei, nachdem die pandemiebedingten Einschränkungen sie zahlreiche Mitglieder gekostet habe. Auch vor diesem Hintergrund hätte, die Unmöglichkeit ihrer Aufnahme zum damaligen Zeitpunkt unterstellt, nichts näher gelegen, als die Klägerin möglichst als Interessentin zu "halten" und auf einen späteren Zeitpunkt zu vertrösten, statt ihr viel Erfolg bei der Suche eines passenden Fitnessstudios zu wünschen.

Eine sonstige plausible Erklärung für die Ablehnung der Klägerin hat die Beklagte nicht abgegeben, noch ist eine andere Erklärung als eine unzulässige Benachteiligung ersichtlich. Wenn der Nachname "..." den Mitarbeitern der Beklagten bekannt war, wofür in N. eine erhebliche Wahrscheinlichkeit spricht, so stand die ethnische Zugehörigkeit der Klägerin zur Minderheit der Sinti für die Mitarbeiter zumindest stark zu vermuten. Hinzu kommt, dass - ebenfalls unstreitig - bereits in der Vergangenheit, auch ohne Pandemie, Verwandte der Klägerin gleichen Nachnamens durch die Beklagte abgelehnt worden sind. Mangels einer anderen auch nur ansatzweise einleuchtenden Begründung der Beklagten steht es aufgrund aller vorbeschriebenen Indizien zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Beklagte die Aufnahme der Klägerin in ihr Fitnessstudio allein deswegen abgelehnt hat, weil es sich bei ihr um eine Sinteza handelt. Dieser Überzeugung steht es nicht entgegen, dass sich unter den Mitgliedern der Beklagten Angehörige verschiedener Nationalitäten und Minderheiten und unter anderem auch Sinti befinden sollen. Soweit die Beklagte auf die Mitgliedschaft von Angehörigen anderer Minderheiten verweist, ist dies unbeachtlich, denn es besagt nichts über eine mögliche Voreingenommenheit gegenüber Sinti. Und dass sich unter den Mitgliedern der Beklagten auch Sinti befinden, ist zwar unstreitig, allerdings nur insoweit, als es nach dem streitgegenständlichen Vorfall und dem Schriftwechsel der Parteien begründete Mitgliedschaften betrifft. Auch solche erst vor Kurzem begründete Mitgliedschaften sprechen nicht gegen eine unzulässige Benachteiligung der Klägerin zum in Rede stehenden Zeitpunkt; vielmehr kann es sich bei der Aufnahme von Sinti in jüngerer Zeit um eine Änderung der Praxis der Beklagten als Reaktion auf die Vorwürfe und Forderungen der Klägerin und des Antidiskriminierungsverbandes handeln. Der Vortrag der Beklagten, bei ihr trainierten bereits seit mindestens fünf Jahren auch Sinti, ist demgegenüber streitig geblieben und nicht hinreichend substantiiert, um eine Benachteiligung der Klägerin aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit zu widerlegen. So hat die Beklagte - die Richtigkeit ihres diesbezüglichen Vortrages unterstellt - etwa nicht dargelegt, dass und warum die ethnische Zugehörigkeit dieser Mitglieder ihr bei Begründung der Mitgliedschaft überhaupt bekannt gewesen wäre.

Aufgrund der unzulässigen Benachteiligung hat die Klägerin aus § 21 Abs. 2 AGG einen Zahlungsanspruch in der geltend gemachten Höhe. Die Verletzung ihres Achtungsanspruchs begründet einen Anspruch auf eine Entschädigung, die sowohl dem Ausmaß der Kränkung als auch der gesellschaftlichen Stellung des beklagten Unternehmens und dem Verschulden der Handelnden Rechnung trägt. Insoweit ist der in Rede stehende Sachverhalt mit dem Sachverhalt, der der von der Beklagten angeführten Entscheidung des Amtsgerichts Bremen (Urt. v. 20.02.2011, Az. 25 C 0278/10 - zitiert nach juris) zugrunde lag, nicht vergleichbar. Dort handelte es sich um eine Abweisung durch den Türsteher einer Diskothek für die Dauer eines Abends, während die Benachteiligung im in Rede stehenden Streitfall fortwirkte und auch im Nachhinein durch die verantwortlich handelnden Vertreter der Beklagten fortgeführt wurde. Um die Genugtuungsfunktion und den ebenfalls mit dem Entschädigungsanspruch verfolgten Präventionszweck hinsichtlich weiterer Benachteiligungen zu erfüllen, muss die Zahlung für beide Seiten spürbar sein; die von der Klägerin erhobene Forderung erscheint vor diesem Hintergrund moderat und jedenfalls nicht überhöht (vgl. zu Zweck und Bemessungskriterien des Entschädigungsanspruchs Armbrüster in: Erman BGB, 16. Aufl. 2020, § 21 AGG Rn. 12).

Neben dem Hauptanspruch hat die Klägerin aus denselben Vorschriften Anspruch auf Erstattung ihrer vorgerichtlichen Kosten. Diese stellen als Kosten zweckentsprechender Rechtsverfolgungsmaßnahmen einen Teil des ihr durch die Benachteiligung entstandenen Schadens dar; ihre Berechnung ist nicht zu beanstanden.

Der Zinsanspruch auf Haupt- und Nebenforderung ergibt sich aus §§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB. Durch die Zurückweisung der Forderung seitens der Beklagten mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 10.02.2022 ist die Beklagte in Verzug geraten, der die Zinszahlungspflicht auslöst.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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