BPatG, Beschluss vom 15.10.2003 - 20 W (pat) 308/03
Fundstelle
openJur 2011, 114990
  • Rkr:
Tenor

Das Patent wird widerrufen.

Gründe

I.

Gegen das Patent 199 26 271 mit der Bezeichnung "Funkarmbanduhr" ist Einspruch erhoben worden. Der im Patent beanspruchte Gegenstand sei nicht neu bzw beruhe nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Außerdem gehe der Anspruch 1 über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldungsunterlagen hinaus.

Die Einsprechende beantragt, das Patent zu widerrufen.

Die Patentinhaberin beantragt, das Patent in vollem Umfang aufrechtzuerhalten, hilfsweise in der Fassung der Patentansprüche 1 und 2 gemäß Hilfsantrag 1, weiter hilfsweise in der Fassung des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 2, jeweils überreicht in der mündlichen Verhandlung.

Für den Fall, dass dem Hauptantrag nicht stattgegeben wird, erklärt die Patentinhaberin die Teilung des Patents.

Der erteilte Patentanspruch 1 lautet:

"1. Funkarmbanduhr (11)

a) mit in ihr Gehäuse (12) aufgenommener magnetischer Langwellenantenne (28), b) wobei das Gehäuse (12) zwischen seinem Uhrglas (18) und einem Boden (16) aus elektrisch nicht leitendem Material ein metallenes Mittelteil (13) aufweist, c) dem gegenüber der Antennen-Kern (29) radial in bezug auf das Gehäuse (12) zu dessen Zentrum hin versetzt ist, dadurch gekennzeichnet, d) daß ein Distanzring (20) aus elektrisch nicht leitendem Material zwischen dem Gehäuse-Mittelteil (13) und dem Antennen-Kern (29) vorgesehen ist."

Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 unterscheidet sich von dem nach Hauptantrag durch die Hinzufügung des folgenden Merkmals:

"e) und daß der Boden (16) eine Keramik- oder Glasplatte ist."

Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2 unterscheidet sich von dem nach Hilfsantrag 1 dadurch, dass noch die folgenden Merkmale hinzugefügt sind:

"f) und daß der Boden (16) aus durchsichtigem oder durchscheinendem elektrisch nicht leitendem Material besteht, g) der zum Gehäuseinnern hin eine ornamental oder informativ gestaltete Beschichtung (17) aufweist."

In den vorstehenden Anspruchszitierungen sind jeweils Gliederungsbuchstaben eingefügt worden.

Die Einsprechende stützt ihr Vorbringen auf den nachfolgenden Stand der Technik:

D1 DE 296 07 866 U1, D2 EP 0 896 262 A1, D3 EP 0 439 724 A2, D4 DE 7 232 194 U1, D5 DE 93 18 224 U1, D6 DE 3 907 794 A1, offenkundige Vorbenutzung von Funkarmbanduhren der Modellinie 4 000 der Einsprechenden, offenkundige Vorbenutzung der Funkarmbanduhr Garde ruhla FU-Date 97-97.

Nach Auffassung der Einsprechenden ist der erteilte Anspruch 1 gegenüber den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen unzulässig geändert worden. Nach den ursprünglichen Unterlagen greife nämlich der Distanzring am Uhrwerk an, nicht aber am Antennenkern. Außerdem beruhe der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 in Anbetracht des Standes der Technik nach D1 und D4 nicht auf erfinderischer Tätigkeit. In den hilfsweisen Fassungen würden dem Anspruch 1 lediglich handwerkliche Maßnahmen ohne erfinderische Bedeutung hinzugefügt.

Die Patentinhaberin vertritt die Auffassung, das Anspruchsmerkmal, dass der Distanzring zwischen dem Gehäuse-Mittelteil und dem Antennen-Kern vorgesehen ist, sei aus den ursprünglichen Unterlagen klar entnehmbar. Dort werde insbesondere deutlich, dass mit der Verwendung eines Distanzringes die Einhaltung eines bestimmten Abstandes zwischen dem Gehäuse-Mittelteil und dem Antennen-Kern erreicht werden solle. Der beanspruchte Gegenstand beruhe auch auf erfinderischer Tätigkeit. In D1 Seite 2, Zeilen 13 bis 19 seien nur kernlose Antennenspulen angesprochen. Der Fachmann erhalte dort daher keine Anhaltspunkte dafür, einen radialen Mindestabstand zwischen einem Antennen-Kern und einem metallenen Gehäuse-Mittelteil einzuhalten. Die Verwendung eines Werkringes bei der Anordnung nach D1 Figur 4 würde nach Auffassung der Patentinhaberin keine anspruchsgemäße Distanzierung des dortigen Antennen-Kerns vom Gehäuse-Mittelteil ergeben.

II.

Der - zulässige - Einspruch führt zum Widerruf des Patents. Die beanspruchte Funkarmbanduhr ist weder in der Fassung nach Hauptantrag, noch in den hilfsweisen Fassungen patentfähig.

Der für die Frage der Patentfähigkeit zu berücksichtigende Fachmann hat eine physikalische oder elektrotechnische Hochschulausbildung absolviert und verfügt über mehrjährige Entwicklererfahrungen auf dem Gebiet der Funkuhren.

Der Senat neigt dazu, die vorliegende Fassung des Anspruchsmerkmals d) entgegen der Auffassung der Einsprechenden als zulässig anzusehen. Letztlich kann diese Frage aber in Anbetracht der mangelnden Patentfähigkeit des Beanspruchten dahinstehen.

Zum Hilfsantrag 2 Die Neuheit des Gegenstandes des Anspruchs 1 mag zwar gegeben sein. Er beruht jedoch nicht auf erfinderischer Tätigkeit, weil er sich für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergab.

Aus D1 ist eine dem Oberbegriff des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 2 entsprechende Funkarmbanduhr zu entnehmen.

So ist gemäß der dortigen Figur 4 eine magnetische Langwellen-Antenne 10 in dem Uhrgehäuse aufgenommen (Merkmal a)), und der Boden 12 besteht aus einem elektrisch nicht leitenden Material, nämlich aus Kunststoff (Teil von Merkmal b)).

Aus den allgemeinen Ausführungen in D1 Seite 2, Zeilen 13 bis 19 in Verbindung mit Seite 1, Zeilen 7 bis 11, die auch auf Figur 4 zu beziehen sind, geht hervor, dass das - in Figur 4 nicht gezeigte - Gehäuse-Mittelteil (die Carrure) aus Metall bestehen kann. Für den Fachmann ist es selbstverständlich, dass das Gehäuse-Mittelteil sich zwischen dem Uhrglas und dem Boden befindet (restlicher Teil von Merkmal b)).

Auch das Anspruchsmerkmal c), gemäß dem der Antennen-Kern gegenüber dem Mittelteil radial in bezug auf das Gehäuse zu dessen Zentrum hin versetzt ist, ist dort zu entnehmen. Aus der Darstellung in der dortigen Figur 4 ist nämlich ersichtlich, dass - in radialer Richtung gesehen, dh "radial in bezug auf das Gehäuse" - der Antennen-Kern 14 näher zum Zentrum des Gehäuses hin angeordnet ist als das Mittelteil, welches der Fachmann als im Bereich der Berandung 13 des Bodens 12 ansetzend voraussetzt.

Zu dem Merkmal d) des Anspruchs 1, einen Distanzring aus elektrisch nicht leitendem Material zwischen dem Gehäuse-Mittelteil und dem Antennen-Kern vorzusehen, konnte der Fachmann gelangen, ohne erfinderische Tätigkeit aufwenden zu müssen.

Es gehörte zum allgemeinen Fachwissen, dass man Werkhalteringe, auch Werkringe genannt, verwendet, die aus Kunststoff bestehen und dazu dienen, einen verbliebenen Spalt zwischen Werk und Gehäuse auszufüllen. Ein Beispiel für einen solchen Werkring wird in D4 beschrieben.

In D1 bleibt es offen, wie das dort nur allgemein erwähnte Werk im einzelnen auszubilden und anzuordnen ist. Es lag dem Fachmann nahe, dabei den Einsatz eines - auch als Distanzring wirkenden - Werkhalteringes aus Kunststoff, dh aus elektrisch nicht leitendem Material, in Betracht zu ziehen, sei es zur Anpassung unterschiedlicher Werke an standardisierte Gehäuse oder zur zusätzlichen Stoßsicherung des Werkes. Mit dieser Maßnahme ist aber bereits das Anspruchsmerkmal d) erfüllt. Ein solchermaßen vorgesehener Distanzring befindet sich nämlich - in Gehäuse-Radialrichtung gesehen - zwischen dem Gehäuse-Mittelteil und dem Antennen-Kern.

Demgegenüber vermag der Einwand der Patentinhaberin, Merkmal c) sei in Verbindung mit dem Wort "zwischen" in Merkmal d) so zu verstehen, dass der Distanzring sich - in Gehäuse-Axialrichtung gesehen - im Bereich nicht nur des Gehäuse-Mittelteils, sondern auch des Antennen-Kerns befinden müsse und dass dies aber bei der aus D1 Figur 4 zu entnehmenden Anordnung bei Hinzufügung eines Werkhalteringes nicht der Fall sei, nicht durchzugreifen. Über die axiale Position von Mittelteil, Antennen-Kern und Distanzring relativ zueinander wird nämlich im Anspruch 1 nichts ausgesagt. Merkmal c) enthält vielmehr ausdrücklich die Bestimmung, dass die Versetzung "radial im Bezug auf das Gehäuse" zu verstehen ist, und das Wort "zwischen" im Merkmal d) schließt ein Dazwischenliegen des Distanzringes lediglich in Radialrichtung gesehen nicht aus.

Auch mit ihrem Einwand, die Verwendung eines Werkhalteringes bei D1 Figur 4 ergebe keine Distanzwirkung zwischen Mittelteil und Antennen-Kern, hat die Patentinhaberin keinen Erfolg. Im Anspruch 1 bleibt nämlich offen, an welchen Teilen der Uhr der Distanzring distanzierend angreift; der Distanzring wird statt dessen lediglich hinsichtlich seiner räumlichen Lage beschrieben, nämlich als "zwischen dem Gehäuse-Mittelteil (13) und dem Antennen-Kern (29)" befindlich.

Die weiteren Anspruchsmerkmale e), f) und g) konnte der Fachmann aufgrund seiner präsenten fachlichen Kenntnisse vorsehen, um den Erfordernissen des jeweiligen Einzelfalles gerecht zu werden, ohne dass ihm dabei erfinderische Tätigkeit abverlangt wurde.

So ist zwar in D1 als Material für den Boden Kunststoff genannt. Da es in D1 aber nur darauf ankommt, dass die mit dem Kern versehene Spule am Boden beispielsweise kraftschlüssig gehaltert werden kann (dortiger Anspruch 7), war der Fachmann bei der Auswahl des Boden-Materials frei, solange es sich um nicht leitendes Material handelt. So konnte er etwa aus Gründen des Designs und der Hautverträglichkeit ein für Armbanduhr-Böden übliches durchsichtiges Glas in Betracht ziehen (Merkmale e) und f) in jeweils einer der aufgeführten Varianten) und den Glasboden in ebenfalls üblicher Weise auf der Innenseite mit einer ornamental oder informativ gestalteten Beschichtung versehene (Merkmal g)).

Diese Merkmale sind auch technisch unabhängig von den übrigen Anspruchsmerkmalen. Ein gemäß Merkmalen e), f) und g) ausgebildeter Boden könnte nämlich bei gleicher Wirkung auch bei einer Funkarmbanduhr vorgesehen werden, die die Merkmale a) bis d) nicht aufweist. Den Merkmalen e), f) und g) ist daher auch in Kombination mit den übrigen Anspruchsmerkmalen keine erfinderische Tätigkeit zuzuerkennen.

Zum Hauptantrag und zum Hilfsantrag 1 Die Fassungen des Anspruchs 1 nach Hauptantrag und Hilfsantrag 1 unterscheiden sich von der Fassung nach Hilfsantrag 2 sachlich dadurch, dass die Merkmale e), f) und g) bzw die Merkmale f) und g) fehlen. Da somit die der Anspruchsfassung nach Hilfsantrag 2 entsprechende Funkarmbanduhr, die nach den obigen Feststellungen nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruht, als Spezialfall unter die allgemeineren Fassungen des Anspruchs 1 nach Hauptantrag und Hilfsantrag 1 fällt, beruhen auch deren Gegenstände nicht auf erfinderischer Tätigkeit.

Dr. Anders Obermayer Kalkoff Martens Pr