OLG Koblenz, Beschluss vom 19.10.2022 - 10 U 603/22
Fundstelle
openJur 2022, 21438
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • nachfolgend: Az. C-672/22
Rubrum

Oberlandesgericht Koblenz

Beschluss

In dem Rechtsstreit

...

- Klägerin und Berufungsklägerin -

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte ...

gegen

...

- Beklagte und Berufungsbeklagte -

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte ...

wegen Forderung

hat der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz ... am 19.10.2022 beschlossen:

Tenor

I. Das Verfahren wird ausgesetzt.

II. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung von Art. 15 Abs. 3 S. 1 i.V.m. Art. 4 Nr. 1 und Art. 12 Abs. 5 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung, DS-GVO, ABl. EU L 119 vom 4. Mai 2016 S. 1) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist Art. 15 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Art. 12 Abs. 5 DS-GVO dahin auszulegen, dass der Verantwortliche (hier: der Versicherer) auch dann verpflichtet ist, dem Betroffenen (hier: dem Versicherungsnehmer) eine erste Kopie seiner vom Verantwortlichen verarbeiteten personenbezogenen Daten unentgeltlich zur Verfügung zu stellen, wenn der Betroffene die Kopie nicht zur Verfolgung der in Erwägungsgrund 63 Satz 1 zur DS-GVO genannten Zwecke begehrt, sich der Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten bewusst zu werden und deren Rechtmäßigkeit überprüfen zu können, sondern einen anderen - datenschutzfremden, aber legitimen - Zweck (hier: die Prüfung der Wirksamkeit von Beitragserhöhungen zur privaten Krankenversicherung) verfolgt, und dies selbst dann, wenn Angaben gefordert werden, die dem Versicherten bereits im Rahmen des Beitragserhöhungsverfahrens nach § 203 VVG brieflich mitgeteilt wurden?

2. Falls die Frage 1 bejaht wird: Gehören zu den personenbezogenen Daten im Sinne von Art. 4 Nr. 1 und Art. 15 Abs. 3 S. 1 DS-GVO die folgenden Angaben:

a) Angaben zu Beitragsanpassungen, die der Versicherer in der privaten Krankenversicherung im Verhältnis zum Versicherungsnehmer vorgenommen hat, insbesondere zum Betrag der vorgenommenen Anpassung und zu den betroffenen Versicherungstarifen und

b) der Wortlaut der Begründungen für die Beitragsanpassungen (§ 203 Abs. 5 VVG).

3. Falls die Frage 1 bejaht wird und auch Frage 2 ganz oder teilweise bejaht wird: Umfasst der Anspruch eines Versicherungsnehmers in der privaten Krankenversicherung auf Zurverfügungstellung einer Kopie der vom Versicherer verarbeiteten personenbezogenen Daten auch einen Anspruch auf Überlassung einer Kopie der Nachträge zum Versicherungsschein, die der Versicherer dem Versicherungsnehmer zur Mitteilung einer Beitragserhöhung übersendet hat, sowie der mitversendeten Anschreiben und Beiblätter oder ist er nur auf Herausgabe einer Kopie der personenbezogenen Daten des Versicherten als solche gerichtet, wobei es dem datenverarbeitenden Versicherer überlassen bleibt, in welcher Weise er dem betroffenen Versicherungsnehmer die Daten zusammenstellt?

Gründe

I.

Die Klägerin und die Beklagte streiten um die Wirksamkeit von Beitragserhöhungen in der privaten Krankenversicherung.

Die Klägerin unterhält bei der Beklagten seit 1997 eine private Kranken- und Pflegeversicherung. Nach den Versicherungsbedingungen hat die Beklagte das Recht, die Beiträge entsprechend § 203 VVG anzupassen. Voraussetzung einer wirksamen Prämienanpassung ist gemäß den Versicherungsbedingungen und § 203 Abs. 2 VVG, dass entweder die Versicherungsleistungen oder die Sterbewahrscheinlichkeit sich gegenüber der Kalkulation des Versicherers um mehr als einen festgelegten Schwellenwert (5% bzw. 10%) verändern.

Nach § 203 Abs. 5 VVG wird eine Beitragsanpassung aufgrund einer Veränderung des auslösenden Faktors erst wirksam, wenn die Anpassung selbst und die dafür maßgeblichen Gründe dem Versicherungsnehmer mitgeteilt wurden.

Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagte habe in den Jahren 2011 bis 2014 sowie 2016 bis 2018 unwirksame Beitragserhöhungen vorgenommen. Für die Jahre 2016 bis 2018 hat sie zum Wortlaut der jeweiligen Begründungsschreiben vorgetragen und auf dieser Grundlage die Feststellung der Unwirksamkeit der Beitragsanpassungen und die Rückzahlung zuviel gezahlter Beiträge gefordert. Für den Zeitraum von 2011 bis 2014 hat sie hingegen im Wege der Stufenklage (§ 254 ZPO) zunächst Auskunft über die in diesem Zeitraum vorgenommenen Beitragsanpassungen und die dazu jeweils gegebenen Begründungen verlangt und zugleich eine vorläufig unbestimmte Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit einzelner Beitragsanpassungen und auf Rückzahlung zuviel gezahlter Versicherungsbeiträge erhoben.

Das Landgericht hat die Klage im Ganzen abgewiesen. Im Rahmen des Berufungsverfahrens vor dem Oberlandesgericht Koblenz verfolgt die Klägerin ihr Anliegen weiter.

Konkret verlangt die Klägerin im Rahmen der auf der ersten Stufe erhobenen Auskunftsklage, die Beklagte zu verurteilen, ihr Auskunft zu erteilen über alle Beitragsanpassungen, die die Beklagte in dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag in den Jahren 2011, 2012, 2013 und 2014 zur Versicherungsnummer ...18 vorgenommen hat und hierzu geeignete Unterlagen zur Verfügung zu stellen, in denen mindestens die folgenden Angaben enthalten sind:

- die Höhe der Beitragserhöhungen für die Jahre 2011, 2012, 2013 und 2014 unter Benennung der jeweiligen Tarife im Versicherungsverhältnis der Klägerseite,

- die der Klägerseite zu diesem Zwecke übermittelten Informationen in Form von Anschreiben und Nachträgen zum Versicherungsschein der Jahre 2011, 2012, 2013 und 2014 sowie

- die der Klägerseite zum Zwecke der Beitragserhöhung übermittelten Begründungen sowie Beiblätter der Jahre 2011, 2012, 2013 und 2014.

II.

Der Erfolg der Berufung der Klägerin hängt, was die Beitragserhöhungen der Jahre 2011 bis 2014 betrifft, von der Auslegung des Unionsrechts ab.

Die erhobene Stufenklage ist zwar ohnehin als unzulässig zu erachten, weil die auf der ersten Stufe geforderten Auskünfte entgegen § 254 ZPO nicht nur der Bezifferung der auf der zweiten Stufe gestellten Zahlungsansprüche dienen, sondern vor allem den Zweck haben zu ermitteln, ob der Klägerin dem Grunde nach Ansprüche gegen die Beklagte zustehen (vgl. nur BGH, Urteil vom 2. März 2000, III ZR 65/99, NJW 2000, 1645; auch BGH, Urteil vom 18. April 2002, VII ZR 260/01, NJW 2002, 2925 und BGH, Urteil vom 29. März 2011, VI ZR 117/10, NJW 2011, 1815 ).

Die Unzulässigkeit der Stufenklage führt aber nur zur Abweisung der unbestimmt gestellten Feststellungsbegehren (vgl. BGH, Urteil vom 2. März 2000, III ZR 65/99, NJW 2000, 1645; OLG Dresden, ECLI:DE:OLGDRES:2022:0329:4U1905.21.00, ZD 2022, 462 Rn. 35; OLG Hamm, ECLI:DE:OLGHAM:2021:1115:20U269.21.0A, r+s 2022, 93, vgl. auch OLG Celle Urteil vom 27. Januar 2022, 8 U 219/21).

Hingegen ist der auf der ersten Stufe geltend gemachte Auskunftsanspruch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH, Urteil vom 2. März 2000 , III ZR 65/99, NJW 2000, 1645) in eine selbständige Auskunftsklage umzudeuten, die als solche zulässig ist.

1. Ob die Klage als selbständige Auskunftsklage Erfolg hat, hängt von der Beantwortung der vorgelegten Fragen zur Auslegung der DS-GVO ab, denn nach den einschlägigen Vorschriften des nationalen Rechts ist die Beklagte nicht verpflichtet, der Klägerin die begehrten Auskünfte zu erteilen bzw. die geforderten Unterlagen zur Verfügung zu stellen.

a. Der geltend gemachte Auskunftsanspruch ergibt sich nicht aus § 3 Abs. 3 Satz 1 VVG. Dies gilt unabhängig davon, dass bereits die Anspruchsvoraussetzungen nicht dargetan sind, weil die Klägerin zur Vernichtung oder dem Abhandenkommen eines Versicherungsscheines nichts vorträgt. Denn jedenfalls ist die Rechtsfolge der Vorschrift des § 3 Abs. 3 Satz 1 VVG nicht auf die von der Klägerseite begehrte Auskunftserteilung gerichtet. Mit der Neuausstellung des Versicherungsscheins hätte die Klägerseite nicht den Zweck erreicht, den ihr Auskunftsantrag verfolgt und der sich ausweislich der insbesondere begehrten Angaben darauf richtet, die Beitragserhöhungen unterlagenmäßig und in strukturierter Form neu aufbereitet zu erhalten (so auch OLG München, ECLI:OLGMUN:2021:1124:14U6205.21.0A, r+s 2022, 94 Rn. 36).

b. Ein Auskunftsanspruch aus § 3 Abs. 4 VVG kommt ebenfalls nicht in Betracht, da diese Norm sich nur auf vom Versicherungsnehmer selbst abgegebene Vertragserklärungen bezieht.

c. Der geltend gemachte Auskunftsanspruch folgt auch nicht aus den Vorschriften des BGB.

aa. Der Anspruch kann nicht aus § 810 BGB hergeleitet werden. Diese Vorschrift gibt keinen Anspruch auf Erteilung einer Auskunft oder auf Übersendung von Unterlagen. Die Übermittlung strukturiert zusammengestellter und systematisch aufbereiteter Unterlagen ist mit einem Akteneinsichtsrecht, wie es § 810 BGB gewährt, weder identisch noch ist das eine zum anderen ein wie auch immer geartetes Minus (OLG München, ECLI:OLGMUN:2021:1124:14U6205.21.0A, r+s 2022, 94 Rn. 49 f.).

bb. Auch aus §§ 666 und 675 BGB ergibt sich der Auskunftsanspruch nicht. Der Kranken- und Pflegeversicherungsvertrag ist nicht als Geschäftsbesorgungsvertrag im Sinne des § 675 BGB zu qualifizieren, so dass sich die Anwendbarkeit des § 666 BGB nicht aus § 675 BGB ergeben kann. Aus § 666 BGB folgt sich zudem keine Verpflichtung, bereits gegebene Auskünfte nach Jahren erneut zu erteilen.

cc. Aus § 242 BGB folgt ebenfalls kein Anspruch auf die Übermittlung der von der Klägerin geforderten Unterlagen und Informationen, auf die sich die Vorlagefragen beziehen. Ein Auskunftsanspruch aus § 242 BGB kann bestehen, soweit es die zwischen den Parteien bestehende Rechtsbeziehung mit sich bringt, dass die Klägerseite in entschuldbarer Weise über das Bestehen oder den Umfang eines Rechts im Ungewissen ist (vgl. BGH, Urteil vom 02.12.2015, IV ZR 28/15, NJW 2016, 708 Rn. 15). Diese Voraussetzungen sind für die begehrten Unterlagen und Informationen zu Beitragserhöhungen im Rahmen des zwischen den Parteien bestehenden Versicherungsverhältnisses nicht gegeben. Die Klägerin hat anlässlich der Beitragserhöhungen jeweils Unterlagen erhalten, aus denen sich ergab, welche Tarife angepasst werden und in welchen Fällen sich der Tarif aus anderen Gründen als einer Anpassung geändert hat. Wenn die Klägerin diese Unterlagen nicht mehr besitzt und deshalb über ihre Rechte im Ungewissen ist, hat sie sich diese Ungewissheit grundsätzlich selbst zuzuschreiben. Gründe, die den Verlust der Unterlagen entschuldigen könnten, hat die Klägerin nicht vorgetragen (vgl. OLG München, E-CLI:OLGMUN:2021:1124:14U6205.21.0A, r+s 2022, 94 Rn. 44-48; großzügiger, aber dennoch gegen einen Auskunftsanspruch OLG Köln, ECLI:DE:OLGK:2022:0513.20U295.21.00, r+s 2022, 397 Rn. 36).

dd. Schließlich folgt aus einer möglichen Pflicht der Beklagten zur Aufbewahrung von Unterlagen aus § 257 HGB - entgegen der Auffassung der Klägerin - kein allgemeines Auskunftsrecht der Klägerin. Soweit Versicherer zur Aufbewahrung von Unterlagen verpflichtet sind, verfolgt der Gesetzgeber damit nicht primär die Interessen des Versicherungsnehmers; die Aufbewahrungspflicht bezieht nicht etwa ihren Sinn allein aus dem Anliegen, dem jeweiligen Geschäftsgegner späterhin die Durchsetzung eigener Rechte ermöglichen zu sollen (vgl. OLG München, ECLI: OLGMUN:2021:1124:14U6205.21.0A, r+s 2022, 94 Rn. 52 f.)

2. Da sich der geltend gemachte Auskunftsanspruch nicht aus nationalen Rechtsvorschriften herleiten lässt, hängt der Erfolg der Berufung der Klägerin in diesem Punkt davon ab, ob sich der Anspruch aus Art. 15 Abs. 3 DS-GVO ergibt.

Der räumliche und zeitliche Anwendungsbereich der DS-GVO ist eröffnet. Es ist auch davon auszugehen, dass alle betroffenen Informationen und Unterlagen von der Beklagten in einem Dateisystem gespeichert sind, wie es Art. 2 Abs. 1 DS-GVO voraussetzt. Der Anspruch scheitert ferner nicht an der von der Beklagten erhobenen Einrede der Verjährung, denn eine Verjährung der Ansprüche aus Art. 15 DS-GVO kommt, solange die Ansprüche weiterhin bei der Beklagten gespeichert sind, nicht in Betracht, OLG Köln, ECLI:DE:OLGK:2022:0513.20U295.21.00, r+s 2022, 397 Rn. 57.

Fraglich (und Gegenstand der Vorlagefrage 2) ist hingegen, ob die von der Klägerin geforderten Angaben unter den Begriff der "personenbezogenen Daten" im Sinne von Art. 4 Nr. 1 DS-GVO fallen. Vorgreiflich ist jedoch die Frage, ob der mit der geforderten Auskunft verfolgte Zweck, die Prüfung der Wirksamkeit von Beitragserhöhungen, dem Anspruch aus Art. 15 Abs. 3 DS-GVO im Ganzen entgegensteht bzw. die Verweigerung der Auskunft nach Art. 12 Abs. 5 DS-GVO oder unter dem allgemeinen Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs rechtfertigt.

a) Zur Vorlagefrage 1

Die Frage, ob ein Anspruch nach Art. 15 Abs. 3 DS-GVO auch dann besteht, "wenn der Betroffene die Kopie nicht zur Verfolgung der in Erwägungsgrund 63 Satz 1 zur DS-GVO genannten Zwecke begehrt, sich der Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten bewusst zu werden und deren Rechtmäßigkeit überprüfen zu können, sondern einen anderen - datenschutzfremden, aber legitimen - Zweck [...] verfolgt", ist bereits Gegenstand einer Vorlage des Bundesgerichtshofs (ECLI:DE:BGH:2022:290322BVIZR1352.20.0, VersR 2022, 929 Rn. 13-19).

Nimmt man an, dass Art. 15 Abs. 3 DS-GVO einen Anspruch nur gewährt, soweit die begehrte Auskunft ersichtlich den in Erwägungsgrund 63 S. 1 zur DS-GVO genannten Zwecken dient, oder dass ein erkennbar anderen Zwecken dienendes Auskunftsverlangen gemäß Art. 12 Abs. 5 S. 2 Buchst. b) DS-GVO oder allgemein wegen Rechtsmissbrauchs zurückgewiesen werden kann, so wären Ansprüche der Klägerin nach Art. 15 Abs. 3 DS-GVO vollständig ausgeschlossen. Denn aufgrund der Verknüpfung der Auskunftsansprüche mit unbestimmten Feststellungs- und Zahlungsanträgen zur Unwirksamkeit von Beitragsanpassungen muss angenommen werden, dass die von der Klägerin begehrten Auskünfte ausschließlich dazu dienen sollen, die Wirksamkeit der Beitragsanpassungen und das Bestehen von Ansprüchen der Klägerin gegen die Beklagte zu überprüfen.

Wie in der Vorlageentscheidung des Bundesgerichtshofs ausgeführt (ECLI:DE: BGH:2022:290322BVIZR1352.20.0, VersR 2022, 929 Rn. 18), wird der Anspruch nach Art. 15 DS-GVO nach dem Wortlaut dieser Norm nicht von den Zwecken abhängig gemacht, die der Betroffene mit seinem Auskunftsbegehren verfolgt. Daraus folgt jedoch nach Auffassung des Senats nicht zwingend, dass die Zwecke, denen der Anspruch nach Art. 15 DS-GVO gemäß Erwägungsgrund 63 zur DS-GVO dienen soll, für die Bestimmung der Tragweite des Anspruchs völlig außer Betracht bleiben müssen (so aber Hütter Brungs, VersR 2022, 929, 930).

Für eine Beschränkung des Anspruchs auf Fälle, in denen das Auskunftsbegehren nicht erkennbar primär datenschutzfremden Zwecken dient, spricht nicht zuletzt die Erwägung, dass es ansonsten zu strukturellen Veränderungen der Prozessrechtsordnungen der Mitgliedsstaaten kommen könnte, die von der DS-GVO nicht bezweckt wurden. Wenn Art. 15 DS-GVO dazu genutzt werden kann, Informationen und Unterlagen zu verlangen, die in erster Linie zur Prüfung des Bestehens von Rechtsansprüchen dienen, so würde damit ein der discovery of documents des US-amerikanischen Verfahrensrechts (vgl. Federal Rules of Civil Procedure 26 und 34) und des Rechts im Vereinigten Königreich (vgl. für England und Wales Civil Procedure Rules 31 mit Practice Direction 31B) vergleichbares Instrument in das Prozessrecht aller Mitgliedsstaaten eingeführt (so ausdrücklich BeckOK DatenschutzR/Schmidt-Wudy, 41. Ed., 1.8.2022, Art. 15 Rn. 85; Riemer, DAR 2022, 127 f.; Riemer, ZD 2019, 414).

Dem deutschen Zivilprozessrecht ist ein solches Verfahren fremd. Es ist vom Beibringungsgrundsatz und vom prinzipiellen Verbot der Beweisausforschung geprägt. Das deutsche Prozessrecht gibt dem Kläger keine Hilfsmittel an die Hand, um erst die Grundlage für konkreten Tatsachenvortrag zu erlangen (vgl. nur Stein/Jonas/Thole, ZPO, 23. Auflage, 2018, § 284 Rn. 49; MünchKomm ZPO/Prütting, 6. Auflage, 2020, § 284 Rn. 79). Ungeachtet der Zivilprozessreform des Jahres 2001 kennt das deutsche Zivilprozessrecht weiterhin keine "allgemeine prozessuale Aufklärungspflicht der nicht darlegungs- und beweispflichtigen Partei" (BGH, Beschluss vom 26.10.2006, III ZB 2/06, NJW 2007, 155 Rn. 7).

Es kann nicht angenommen werden, dass es die Intention des europäischen Verordnungsgebers war, mit Art. 15 DS-GVO die Grundstrukturen des Verfahrensrechts zu verändern. Daher liegt es nahe, den Anspruch auf solche Fälle zu beschränken, in denen erkennbar die Zwecke des Erwägungsgrundes 63 S. 1 zur DS-GVO im Vordergrund stehen. Eine solche Beschränkung wird auch von zahlreichen Stimmen in Rechtsprechung und Schrifttum für richtig gehalten (z.B. OLG Hamm, ECLI:DE:OLGHAM:2021:1115.20U269.21.0A, r+s 2022, 93 Rn. 9-11; Lang, BKR 2022, 268, 270; Lembke, NJW 2020, 1841, 1845).

Für eine prinzipielle Beschränkung des Anspruchs nach Art. 15 Abs. 3 DS-GVO im vorliegenden Fall spricht zudem, dass die Klägerin Informationen und Unterlagen fordert, die ihr bereits anlässlich der jeweiligen Beitragsanpassungen übersendet wurden. Allerdings wird angenommen, dass die Übersendung von Unterlagen im Rahmen eines bestehenden Vertragsverhältnisses nicht als Erfüllung des datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruchs anzusehen ist (AG Bonn, ECLI:DE:AGBN:2020:0730.118C315.190.0A, ZD 2020, 646 Rn.17). Auch wird in Art. 12 Abs. 5 S. 2 DS-GVO erst der "Fall häufiger Wiederholung" als Regelbeispiel eines exzessiven Auskunftsantrages genannt. Dennoch könnte es gerechtfertigt sein, den Umstand, dass die Klägerin die erneute Zurverfügungstellung von Informationen und Unterlagen verlangt, die ihr bereits übermittelt wurden, mit in die Bewertung einfließen zu lassen, ob das auf Art. 15 Abs. 3 DS-GVO gestützte Begehren als rechtsmissbräuchlich im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs (z.B. EuGH, Urteil vom 28. Juli 2016 Rs. C-423/15, ECLI:EU:C:2016:604, NJW 2016, 3796 Rn. 37) oder exzessiv im Sinne von Art. 12 Abs. 5 DS-GVO anzusehen ist.

Insgesamt könnte deshalb aufgrund der Umstände des Falles ein Anspruch aus Art. 15 Abs. 3 DS-GVO zu verneinen sein.

b) Zu Vorlagefrage 2

Nur soweit Vorlagefrage 1 bejaht wird und der Anspruch der Klägerin schon aus den soeben erörterten Gründen nicht auf Art. 15 Abs. 3 DS-GVO gestützt werden kann, stellt sich die Frage, ob die von der Klägerin benannten Informationen von einem Anspruch nach Art. 15 Abs. 3 DS-GVO erfasst sein können. Dies hängt davon ab, inwieweit die begehrten Informationen als personenbezogene Daten im Sinne der DS-GVO (Art. 4 Nr. 1) zu betrachten sind. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs sind personenbezogene Daten alle Informationen, die "aufgrund ihres Inhalts, ihres Zwecks oder ihrer Auswirkungen mit einer bestimmten Person verknüpft" sind (so - noch zu Art. 2 lit. a der Richtlinie 95/46/EG - EuGH, Urteil vom 20. Dezember 2017 - Rs. C-434/16, NJW 2018, 767 Rn. 33-35; BGH, ECLI:DE:BGH:2021:150621UVIZR576.19.0, NJW 2021, 2692 Rn. 22).

Während nach der Auffassung des BGH die eigenen Schreiben des Versicherungsnehmers ihrem ganzen Inhalt nach vom Auskunftsanspruch nach Art. 15 Abs.1 DS-GVO erfasst sind, soll dies für Schreiben des Versicherers an den Versicherungsnehmer gleichfalls gelten, soweit sie Informationen über den Versicherungsnehmer nach der soeben genannten Definition enthalten (BGH, a.a.O. Rn 25). Dieselben Kriterien müssen auch für den Anspruch auf Übermittlung einer Kopie nach Art. 15 Abs. 3 DS-GVO gelten.

Es ist jedoch unklar, ob die von der Klägerin geforderten Informationen unter die genannte Definition fallen. Dabei ist wiederum zu berücksichtigen, dass eine weite Auslegung des Begriffs der personenbezogenen Daten erhebliche Auswirkungen auf die Struktur des Verfahrensrechts hat. Wenn es für die Qualifikation als personenbezogenes Datum ausreicht, dass eine Information irgendwelche Auswirkungen auf die Rechtsverhältnisse einer Person hat, können nach Art. 15 Abs. 3 DS-GVO fast beliebige Auskünfte zur Vorbereitung eines Klageverfahrens gefordert werden, was im Widerspruch zum Verbot des Ausforschungsbeweises im deutschen Zivilverfahren steht.

In seinem Urteil vom 17. Juli 2014, Rs. C-141/12 und C-372/12 (ECLI:EU:C:2014:2081, ZD 2014, 515) Rn. 46-48 hat der Gerichtshof (zur RiL 95/46/EG und zu Art. 8 GrCh) ausgeführt, dass rechtliche Erwägungen einer Behörde im Entwurf einer Verwaltungsentscheidung nicht als personenbezogene Daten anzusehen sind. Demnach darf das Kriterium der Verknüpfungen von Daten mit einer Person aufgrund ihrer Auswirkungen nicht so verstanden werden, dass alle Informationen, die sich auf die Rechtslage einer Person beziehen, schon dadurch zu personenbezogenen Daten werden.

aa. Zu Vorlagefrage 2a)

Soweit die Klägerin Angaben zu Beitragsanpassungen, die die Beklagte zwischen 2011 und 2014 vorgenommen hat, insbesondere zum Betrag der vorgenommenen Anpassung und zu den betroffenen Versicherungstarifen, fordert, handelt es sich um Informationen, die Auswirkungen auf das Versicherungsverhältnis der Klägerin haben. Nach Ansicht des OLG Köln sind alle Informationen personenbezogen, aus denen sich ergibt, "mit welchem Inhalt und zu welchen Konditionen" für eine bestimmte Person Versicherungsschutz besteht (OLG Köln, ECLI:DE: OLGK:2022:0513.20U295.21.00, r+s 2022, 397 Rn. 42). Folgt man dieser Auffassung, so kann die geforderte Auskunft über Beitragsanpassungen und die betroffenen Tarife verlangt werden.

Die Angabe zu Beitragsanpassungen beziehen sich jedoch nicht individuell auf die Klägerin, sondern auf alle Versicherten in denselben Tarifen. Insofern ließe sich auch die Auffassung vertreten, dass diesen Angaben der unmittelbare Bezug zur Klägerin fehlt und es sich deshalb nicht um personenbezogene Daten handelt. Diese Auffassung hat das OLG München vertreten, wenn es ausführt, Daten dazu, was eine Person "für den Versicherungsschutz ausgibt", seien nicht personenbezogen, weil sie nicht den "individualisierten Versicherungsschutz" beträfen, sondern nur Aufschluss darüber gäben, "welche[n] Preis die durch den Versicherungsvertrag verwirklichte Vorsorge hat" (OLG München, ECLI:OLGMUN:2021:1124:14U6205.21.0A, r+s 2022, 94 Rn. 39).

Demnach ist eine offene Frage, ob die geforderten Angaben zu Beitragserhöhungen zwischen 2011 und 2014 und den betroffenen Tarifen unter Art. 15 Abs. 1 und Abs. 3 DS-GVO fallen.

bb) Zur Vorlagefrage 2b)

Erst recht ist für die zusätzlich geforderte Information über den Wortlaut der der Klägerseite zum Zwecke der Beitragserhöhung übermittelten Begründungen fraglich, ob sie als personenbezogene Daten angesehen werden können und deshalb Gegenstand eines Auskunftsverlangens nach Art. 15 Abs. 1 und Abs. 3 DS-GVO sein können.

Allerdings hängt es nach § 203 Abs. 5 VVG vom Wortlaut der gegebenen Begründung ab, ob bzw. wann Beitragsanpassungen wirksam sind. Ob aber allein dies den Wortlaut zu einem personenbezogenen Datum macht (so wohl OLG Köln, ECLI:DE:OLGK:2022:0513.20U295.21.00, r+s 2022, 397 Rn. 43) erscheint fraglich.

Die Begründungen als solche enthalten keine Informationen, die sich speziell auf einen einzelnen Versicherungsnehmer beziehen. Vielmehr sind sie für alle Versicherungsnehmer desselben Tarifs identisch. Anders als die Angaben zur Höhe der vorgenommenen Beitragsanpassung (Vorlagefrage 2a) haben die Begründungstexte auch nur indirekte Auswirkungen auf das Versicherungsverhältnis. Die Begründungen regeln nicht unmittelbar die Höhe der Beiträge oder andere Rechte und Pflichten aus dem Versicherungsvertrag. Es kann nur eine unzureichende Begründung zur Unwirksamkeit einer Beitragsanpassung führen.

Im Hinblick auf ihre nur indirekten Auswirkungen auf die Rechtsverhältnisse der Klägerin sind die Begründungen deshalb mit den rechtlichen Erwägungen im Entwurf einer Verwaltungsentscheidung zu vergleichen, die nach dem Urteil des Gerichtshofes vom 17. Juli 2014, Rs. C-141/12 und C-372/12 (ECLI:EU:C:2014:2081, ZD 2014, 515 Rn. 45) nicht zu den personenbezogenen Daten zu rechnen sind.

Auch wenn die Angaben zu Beitragsanpassungen und betroffenen Tarifen (Vorlagefrage 2a) als personenbezogene Daten anzusehen sein sollten, bedarf es daher der Klärung, ob dasselbe auch für den Wortlaut der jeweils für die Beitragsanpassungen gegebenen Begründungen gilt.

c) Zur Vorlagefrage 3

Wenn Vorlagefrage 1 bejaht wird und zudem die in Vorlagefrage 2a und 2b genannten Informationen als personenbezogene Daten anzusehen sind, folgt daraus nicht, dass die Berufung in vollem Umfang Erfolg haben kann. Denn die Klägerin fordert nicht nur Auskunft über bestimmte Informationen, sondern zudem die Herausgabe von Kopien der jeweils übersendeten Anschreiben und der Nachträge zum Versicherungsschein sowie der dazu gehörenden Beiblätter. Ein Anspruch auf Kopien dieser Unterlagen kann nicht schon dann bejaht werden, wenn die Dokumente persönliche Daten enthalten. Er ist vielmehr davon abhängig, ob das in Art. 15 Abs. 3 DS-GVO normierte Recht auf eine Kopie personenbezogener Daten so zu verstehen ist, dass er jeweils auf eine Kopie der Dokumente gerichtet ist, in denen die Daten enthalten sind, oder nur auf eine Kopie der personenbezogenen Daten des Betroffenen als solche, wobei es dem Verpflichteten überlassen bleibt, in welcher Weise er die Daten zusammenstellt. Diese Frage ist sehr umstritten. Sie ist bereits Gegenstand einer Vorlage des Österreichischen Bundesverwaltungsgerichts (Vorlagebeschlusses vom 9. August 2021 - W211 2222613-2, E-CLI:AT:BVWG:2021:W211.2222613.2.00, Rs. C-487/21, ABl. EU C 431 vom 25. Oktober 2021 S. 8 f.) und des Vorabentscheidungsersuchens des Bundesgerichtshofs vom 29. März 2022 (ECLI:DE:BGH:2022:290322BVIZR1352.20.0, VersR 2022, 929 Rn. 36-41).

Eine extensive Auffassung will dem Art. 15 Abs. 3 DS-GVO ein Recht auf eine Kopie (oder "grafische Nachbildung") der Daten in der Form entnehmen, in der sie beim Verpflichteten vorliegen, d.h. in der so genannten "Rohfassung" (dafür OLG Köln, ECLI:DE:OLGK:2022: 0513.20U295.21.00, r+s 2022, 397 Rn. 47; OVG NRW, ECLI:DE:OVGNRW:2021 :0608:16A1582.20.0A, ZD 2022, 174 Rn. 75-105; BeckOK DatenschutzR, 41. Ed., 1.8.22, Art. 15 Rn. 85; OLG München, ECLI:DE:OLGMUEN:2021:1004.3U2906.20.0A, ZD 2022, 39 Rn. 21; Lembke/Fischels, NZA 2022, 513, 514; Engeler/Quiel, NJW 2019, 2201, 2202; Kühling/Buchner/Bäcker, DSGVO, 2. Auflage 2018, Art. 15 Rn. 39). Danach wären Unterlagen, die personenbezogene Daten enthalten, in Kopie vorzulegen.

Zur Begründung wird auf den "der DS-GVO zugrunde liegenden, weit gefassten Begriff der personenbezogenen Daten" verwiesen (OVG NRW, ECLI:DE:OVGNRW:2021:0608: 16A1582.20.0A, ZD 2022, 174 Rn. 75) sowie darauf, dass nur auf diese Weise der Anspruchsteller sich einen ungefilterten Eindruck davon verschaffen kann, wie seine Daten beim Verpflichteten gespeichert und verarbeitet werden (Kühling/Buchner/Bäcker, DSGVO, 2. Auflage 2018, Art. 15 Rn. 39).

Demgegenüber soll der Anspruch nach der restriktiveren Gegenauffassung lediglich auf eine Auflistung der von Art. 15 Abs. 1 DS-GVO aufgeführten Daten gerichtet sein, deren Form im einzelnen dem Verpflichteten überlassen ist (in diesem Sinne LAG Niedersachen, E-CLI:DE:LAGNI:2020:0609.9SA608.19.0A, NZA-RR 2020, 571 Rn. 45; Paal/Pauly, DSGVO, 3. Auflage, 2021, Art. 15 Rn. 33; Lindner, NZM 2022, 633, 639; Pauly/Mende, CCZ 2022, 28, 30). Nach dieser Auffassung ließe sich der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Kopien der Nachträge zum Versicherungsschein, der Anschreiben und Beiblätter nicht auf Art. 15 Abs. 3 DS-GVO stützen.

Für die restriktivere Ansicht spricht, dass der Gerichtshof schon in seiner bereits zitierten Entscheidung von 2014 zwischen personenbezogenen Daten einerseits und dem Text, in dem solche Daten enthalten sind, andererseits unterschieden hat: So wurde in dem Fall des Urteils vom 17. Juli 2014, Rs. C-141/12 und C-372/12, ECLI:EU:C:2014:2081, ZD 2014, 515 Rn. 45, die Entwurfsschrift einer Behördenentscheidung deutlich von den in der Schrift enthaltenen Daten unterschieden. Geht man davon aus, dass auch im Sinne der DS-GVO unter "Daten" nur bestimmte Informationen über eine Person zu verstehen sind, nicht aber die Texte oder Dokumente, in denen diese Informationen enthalten sind, so kann sich auch der Anspruch auf eine Kopie in Art. 15 Abs. 3 DS-GVO nur auf diese Informationen beziehen und nicht auf die Texte oder Dokumente, in welchen sie enthalten sind.

Für eine restriktive Auslegung spricht außerdem nochmals der Gesichtspunkt, dass eine zu weite Auslegung des Anspruchs nach Art. 15 Abs. 3 DS-GVO einen vom europäischen Verordnungsgeber nicht intendierten Eingriff in das Verfahrensrecht bedeuten würde (vgl. Paal/Pauly, DSGVO, 3. Auflage, 2021, Art. 15 Rn. 33a). So wie nach der Entscheidung vom 17. Juli 2014, Rs. C-141/12 und C-372/12, ECLI:EU:C:2014:2081, ZD 2014, 515 Rn. 46 die Richtlinie 95/46 nicht darauf gerichtet war, ein allgemeines Recht auf Zugang zu Verwaltungsdokumenten einzuführen, kann auch nicht angenommen werden, dass die DS-GVO ein allgemeines Recht auf Zugang zu Dokumenten im Besitz eines Vertragspartners und Prozessgegners gewährt. Eine extensive Auslegung des Anspruchs nach Art. 15 Abs. 3 DSGVO könnte die "Waffengleichheit im Zivilverfahren beeinträchtigen" (Brink/Joos, ZD 2019, 483, 486; Wybitul/Brams, NZA 2019, 672, 676).

Aus den genannten Gründen ist die Frage, wie weit das Recht auf eine Kopie personenbezogener Daten nach Art 15 Abs. 3 DS-GVO reicht, ungeklärt und bedarf der Entscheidung durch den Gerichtshof.