BGH, Beschluss vom 20.07.2022 - StB 29/22
Fundstelle
openJur 2022, 19402
  • Rkr:
Tenor

Die Beschwerde des Betroffenen         P.    gegen die Durchsuchungsanordnung des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 15. Juni 2022 (1 BGs 168/22) wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.

Der Generalbundesanwalt führt gegen die Beschuldigte und weitere Personen ein Ermittlungsverfahren; soweit es die Beschuldigte betrifft, wegen des Verdachts der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung gemäß § 129 Abs. 1, § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 2, 4 und 5, § 27 Abs. 1, §§ 52, 53 StGB. Auf seinen Antrag hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs mit Beschluss vom 7. Juni 2022 (1 BGs 129/22) die Durchsuchung der Person, der Wohnung und der Fahrzeuge der Beschuldigten zum Zwecke der Sicherstellung im Einzelnen näher bezeichneter Tat- und sonstiger Beweismittel (Bekleidungs- und Ausrüstungsgegenstände, elektronische Speichermedien, Lichtbilder und Videos sowie schriftliche Unterlagen) angeordnet. Während der Durchführung der Durchsuchung bei der Beschuldigten am 15. Juni 2022 hat er gemäß § 103 StPO die Durchsuchung auch des in der Wohnung der Beschuldigten gelegenen Zimmers des Betroffenen         P.    mündlich angeordnet. Diese Durchsuchung ist noch am selben Tag vollzogen worden, dabei sind eine Vielzahl von Gegenständen vorläufig sichergestellt worden.

Unter dem 16. Juni 2022 hat der Betroffene Beschwerde gegen die fortdauernde Durchsuchung eingelegt, die er mit Schriftsatz vom 11. Juli 2022 näher begründet hat.

Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat der Beschwerde mit Vermerk vom 27. Juni 2022 (1 BGs 183/22) nicht abgeholfen. Zugleich hat er auf Antrag des Betroffenen beschlossen (1 BGs 184/22), dass die Vollziehung des Durchsuchungsbeschlusses vom 15. Juni 2022 insoweit ausgesetzt wird, als die weitere Auswertung der vorläufig sichergestellten Gegenstände bis zu einer Entscheidung des Beschwerdegerichts einzustellen ist.

II.

Das zulässige Rechtsmittel des Betroffenen bleibt in der Sache ohne Erfolg. Die Voraussetzungen für den Erlass der Durchsuchungsanordnung gegen den Betroffenen (§§ 103, 105 StPO) waren gegeben.

1. Gegen die Beschuldigte lag ein die Durchsuchung nach § 102 StPO rechtfertigender Anfangsverdacht vor, sich in zwei Fällen an einer kriminellen Vereinigung, die auf die Begehung linksextremer Gewaltstraftaten ausgerichtet ist, als Mitglied beteiligt zu haben, davon in einem Fall in Tateinheit mit Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung.

a) Für die Zulässigkeit einer regelmäßig in einem frühen Stadium der Ermittlungen durchzuführenden Durchsuchung genügt der über bloße Vermutungen hinausreichende, auf bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte gestützte konkrete Verdacht, dass eine Straftat begangen wurde und der Verdächtige als Täter oder Teilnehmer an dieser Tat in Betracht kommt. Eines hinreichenden oder gar dringenden Tatverdachts bedarf es - unbeschadet der Frage der Verhältnismäßigkeit - nicht (st. Rspr.; vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. September 2006 - 2 BvR 1219/05, NJW 2007, 1443 Rn. 15; BGH, Beschlüsse vom 18. Dezember 2008 - StB 26/08, BGHR StPO § 102 Tatverdacht 2 Rn. 5; vom 12. August 2015 - StB 8/15, BGHR StPO § 102 Tatverdacht 3 Rn. 4).

b) Gemessen hieran lagen sachlich zureichende Gründe für die Anordnung einer Durchsuchung der Person, der Wohnung und der Fahrzeuge der Beschuldigten vor. Es bestand der Anfangsverdacht, dass sich die Beschuldigte an einer spätestens seit August 2018 in und um L.    bestehenden kriminellen Vereinigung, die sich zum Ziel gesetzt hatte, körperliche Übergriffe auf (vermeintliche) Angehörige der rechten Szene zu begehen, als Mitglied beteiligte und zudem am 7. August 2018 in W.       und am 8. Juni 2020 in L.    für die Vereinigung das Wohnumfeld und die Lebensgewohnheiten potentieller Anschlagsopfer auskundschaftete bzw. observierte. Zu einem tatsächlichen Anschlag auf das Leben und die körperliche Unversehrtheit kam es indessen in der Folgezeit nur hinsichtlich einer der beiden ausgekundschafteten Personen, des Geschädigten S.   , und zwar am 30. Oktober 2018.

Gegen vier mutmaßliche Mitglieder der kriminellen Vereinigung wird bereits seit dem 8. September 2021 die Hauptverhandlung vor dem Oberlandesgericht Dresden durchgeführt; mit zumindest einer der dort angeklagten Personen ist die Beschuldigte persönlich bekannt. Für eine gemeinsam mit dieser Angeklagten vorgenommene Ausspähung des später Geschädigten S.    am 7. August 2018 sprechen bei dieser aufgefundene Lichtbilder, die das Wohnumfeld des Opfers zeigen und zugleich Rückschlüsse auf die Aufnahmesituation dergestalt erlauben, dass die Lichtbilder aus einem Firmenfahrzeug heraus aufgenommen wurden, auf das die Beschuldigte im Rahmen ihrer Berufstätigkeit Zugriff hatte. Die durch Zeugenangaben belegte Mitwirkung an der späteren Observationsmaßnahme in L.    legt gleichermaßen sowohl die mitgliedschaftliche Beteiligung an der kriminellen Vereinigung als auch die Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil des Geschädigten S.    indiziell nahe.

Zu den Einzelheiten der den Anfangsverdacht gegen die Beschuldigte begründenden Umstände wird auf die detaillierten Ausführungen in dem Durchsuchungsbeschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 7. Juni 2022 verwiesen.

c) Die Zuständigkeit des Generalbundesanwalts und damit auch diejenige des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs war gegeben. Gegen die Annahme der besonderen Bedeutung im Sinne des § 120 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 GVG in Verbindung mit § 74a Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 GVG ist mit Blick auf die konkreten Umstände des Tatgeschehens nichts zu erinnern.

2. Es lagen auch hinreichende Tatsachen dafür vor, dass bei dem Beschwerdeführer bestimmte Beweismittel im Sinne des § 103 Abs. 1 Satz 1 StPO aufgefunden werden können.

a) Eine Ermittlungsdurchsuchung, die eine nichtverdächtige Person betrifft, setzt nach § 103 Abs. 1 Satz 1 StPO Tatsachen dahin voraus, dass sich das gesuchte Beweismittel in den zu durchsuchenden Räumen befindet. Es müssen konkrete Gründe dafür sprechen, dass der gesuchte Beweisgegenstand in den Räumlichkeiten des Unverdächtigen gefunden werden kann. Dies unterscheidet die Durchsuchung beim Unverdächtigen nach § 103 StPO von einer Durchsuchung bei einer verdächtigen Person nach § 102 StPO, bei der es bereits nach der Lebenserfahrung in gewissem Grade wahrscheinlich ist, dass Beweisgegenstände zu finden sind, die zur Prüfung des Tatverdachts beitragen können, und bei der durch die Verknüpfung des personenbezogenen Tatverdachts mit einem eher abstrakten Auffindeverdacht ein hinreichender Eingriffsanlass besteht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11. Januar 2016 - 2 BvR 1361/13, NJW 2016, 1645 Rn. 13).

Diese Voraussetzungen waren hier erfüllt. Ausweislich der bisherigen Ermittlungsergebnisse lebte der Beschwerdeführer erst seit kurzer Zeit als Untermieter in einem Zimmer der Zweiraumwohnung der Beschuldigten, ohne bislang über einen schriftlichen Mietvertrag zu verfügen oder an der dortigen Wohnanschrift amtlich gemeldet zu sein. Bei dieser Sachlage war zu erwarten, dass in dem die Beschuldigte betreffenden Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 7. Juni 2022 im Einzelnen genannte Tat- und Beweismittel in der dem Beschwerdeführer vermieteten Räumlichkeit aufgefunden werden konnten, etwa weil diese noch nicht vollständig ausgeräumt worden war. Hinzu kommt, dass die ausdrückliche Kennzeichnung der Zimmertüren mit den Namen des Betroffenen und der Beschuldigten die Verwahrung sicherstellungsrelevanter Gegenstände im Wohnbereich der jeweils anderen Person nicht fernliegend erscheinen ließ, zumal derartige Vorgehensweisen in Bezug auf andere Vereinigungsmitglieder bereits durch entsprechende Angaben eines Zeugen bekannt geworden waren.

b) Die Durchsuchung bei einer nichtverdächtigen Person setzt - anders als im Falle des § 102 StPO für die Durchsuchung beim Tatverdächtigen, bei dem eine allgemeine Aussicht genügt, irgendwelche relevanten Beweismittel zu finden - nach § 103 StPO überdies voraus, dass hinreichend individualisierte (bestimmte) Beweismittel für die aufzuklärende Straftat gesucht werden. Diese Gegenstände müssen im Durchsuchungsbeschluss so weit konkretisiert werden, dass weder bei dem Betroffenen noch bei dem die Durchsuchung vollziehenden Beamten Zweifel über die zu suchenden und zu beschlagnahmenden Gegenstände entstehen können (BGH, Beschluss vom 21. November 2001 - StB 20/01, BGHR StPO § 103 Gegenstände 2). Ausreichend ist dafür allerdings, dass die Beweismittel der Gattung nach näher bestimmt sind; nicht erforderlich ist, dass sie in allen Einzelheiten bezeichnet werden (BGH, Beschlüsse vom 15. Oktober 1999 - StB 9/99, BGHR StPO § 103 Gegenstände 1; vom 28. Juni 2018 - StB 14/18, juris Rn. 16; jeweils mwN).

Diesen Anforderungen wird der angefochtene Beschluss ebenfalls gerecht. Soweit es den Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 7. Juni 2022 betrifft, wurden sowohl die sicherzustellenden Tatmittel als auch die benannten elektronischen Kommunikationsmittel und sonstigen Unterlagen dahin konkretisiert, dass diese mit den Ausspähaktivitäten der Beschuldigten in Zusammenhang stehen mussten. Nichts Anderes kann im Ergebnis für den mündlich erlassenen Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 15. Juni 2022 gelten, der die Durchsuchung auf das Zimmer des Beschwerdeführers ausdehnte. Zwar enthielt die Anordnung keine ausdrückliche Aufzählung der gesuchten Gegenstände, nach den konkreten Umständen war sie aber zwanglos dahin zu verstehen, dass die Sicherstellung der auch in dem die Beschuldigte betreffenden Beschluss benannten Tatmittel und sonstigen Beweismittel intendiert war. Letzteres findet seine Bestätigung in dem über die mündliche Anordnung niedergelegten richterlichen Vermerk, der sich ausdrücklich zu "der Beschuldigten K.    zuzuordnenden beweisrelevanten Gegenständen" verhält.

Durch die in dem die Beschuldigte betreffenden Beschluss enthaltene Einschränkung der möglicherweise aufzufindenden Beweismittel war den durchsuchenden Beamten hinreichend deutlich aufgezeigt, worauf sie ihr Augenmerk zu richten hatten. Im Übrigen unterliegen Papiere und elektronische Speichermedien vor ihrer Beschlagnahme oder sonstigen Sicherstellung nach § 110 Abs. 1 StPO der Durchsicht durch die Staatsanwaltschaft oder von ihr beauftragter Ermittlungspersonen. Dies ermöglicht die Überprüfung, welche Schriftstücke oder Dateien als Beweismittel in Betracht kommen und deshalb sicherzustellen oder nach § 110 Abs. 3 Satz 2 StPO zu sichern sind. Um diese Durchsicht zu gewährleisten, kann auch die Mitnahme einer Gesamtheit von Daten zur Durchsicht zulässig sein (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. August 2014 - 2 BvR 969/14, NJW 2014, 3085 Rn. 44 f.; BGH, Beschluss vom 5. August 2003 - StB 7/03, BGHR StPO § 105 Abs. 1 Durchsuchung 3).

3. Auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit war gewahrt. Die Durchsuchungsanordnung gegenüber dem Betroffenen war geeignet und erforderlich, zur weiteren Aufklärung einer Beteiligung der Beschuldigten an dem Tatgeschehen beizutragen. Die Anordnung der Durchsuchung stand zudem in einem angemessenen Verhältnis zur Bedeutung und Schwere der aufzuklärenden Straftaten.

Schäfer                    Paul                    Kreicker