AG Pirna, Urteil vom 19.09.2022 - 212 Ds 378 Js 111/22
Fundstelle
openJur 2022, 18934
  • Rkr:
Rubrum

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Strafverfahren gegen

...

Verteidiger:

...

wegen Volksverhetzung

hat das Amtsgericht Pirna - Strafrichter -

aufgrund der öffentlichen Hauptverhandlung vom 19.09.2022, an der teilgenommen haben

Richterin am Amtsgericht ... als Strafrichterin

Staatsanwalt ... als Vertreter der Staatsanwaltschaft

Rechtsanwältin ... als Verteidigerin

JBesch. ... als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

für Recht erkannt:

Tenor

1.

Der Angeklagte wird freigesprochen.

2.

Die Kosten des Verfahrens und notwendigen Auslagen des Angeklagten werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe

I.

Mit der Anklageschrift der Generalstaatsanwaltschaft Dresden vom 09.08.2022 wurde dem Angeklagten folgender Sachverhalt zur Last gelegt:

"Am 27. April 2021 um 21:42 Uhr postete der Angeklagte als Nutzer des Facebook-Kontos ..., vermutlich von seiner Wohnanschrift ... aus, das Bild eines Davidsterns, welcher in seiner Ausgestaltung dem sogenannten "Judenstern" entsprach, den die Juden im Dritten Reich ab 1941 bis zum Kriegsende als Zwangskennzeichen tragen mussten, wobei das im Zwangskennzeichen verwendete Wort "Jude" gegen das Wort "Ungeimpft" mit dem Zusatz "und vogelfrei" ausgetauscht worden war.

Der Angeklagte nahm dabei billigend in Kauf, dass die weltweit von Nutzern der Plattform Facebook einsehbare Veröffentlichung geeignet war, die während der Herrschaft des Nationalsozialismus durchgeführte Verfolgung von Juden und deren Tötung in Konzentrationslagern zu verharmlosen und die Gewaltbereitschaft ebenfalls impfkritischer Besucher seines Facebook-Profils zu schüren."

II.

Der Angeklagte hat sich dahingehend eingelassen, dass er Nutzer des Facebook-Accounts ist und auf seiner Profilseite vom 27.05.2021 bis 10.12.2021 das Bild eines Davidsterns, in dem "Ungeimpft und vogelfrei" stand. Ihm war dabei bekannt, dass die Juden den Davidstern mit der Aufschrift "Jude" im 3. Reich von 1941 bis zum Kriegsende als Zwangskennzeichen tragen mussten und dadurch bewusst von dem Rest der Gesellschaft ausgegrenzt worden sind. Deshalb habe er den Davidstern ausgewählt, weil er sich - wie damals die Juden - aufgrund seiner Ungeimpftheit sich ausgegrenzt gefühlt habe. Das sei dabei nicht nur ein Gefühl gewesen, sondern ganz konkret auch im Alltag geschehen. Im Netz seien die Ungeimpften sogar als "Mörder" bezeichnet worden, was ihn sehr getroffen habe. Den Davidstern habe er als Profilbild rausgenommen, nachdem ihm einer geschrieben habe, dass er ihn angezeigt habe.

In der Hauptverhandlung wurde die bei Facebook unter dem Konto Bilder in Augenschein genommen.

III.

Der Angeklagte war aus tatsächlichen Gründen freizusprechen.

Der Tatbestand der Volksverhetzung gemäß § 130 Abs.3 StGB ist nicht erfüllt. Bestraft wird nur der, wer eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 6 Abs. 1 VStGB bezeichneten Art in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich oder in einer Versammlung billigt, leugnet oder verharmlost.

Vorliegend kam nur die Tatbestandsvariante der Verharmlosung in Betracht. In dieser muss die Eignung der Außerung zur Störung des öffentlichen Friedens eigens festgestellt werden. Der Angeklagte wollte das den Juden unter NS-Herrschaft zugefügte Unrecht gerade nicht bagatellisieren. Mit dem von ihm auf seiner Facebookseite eingestellten Bild wollte er darauf aufmerksam machen, dass er sich als "Ungeimpfter" genauso ausgegrenzt von der Gesellschaft fühlt, wie im dritten Reich die jüdische Bevölkerung. Dass dies geschmacklos ist, steht dabei außer Frage, weil ein offenkundiges geringeres empfundenes Unrecht auf Seiten des Angeklagten mit einem festgestellten gravierenden Unrecht der jüdischen Bevölkerung gleichgesetzt wird. Die Norm ist auf die Bewahrung des öffentlichen Friedens gerichtet. Schon nach dem Wortlaut der Norm muss die Darstellung (Äußerung) geeignet sein, den öffentlichen Frieden zu stören. Dabei sind die an die Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens zustellen den Anforderungen im Zusammenhang mit dem verfassungsrechtlich garantierten Grundrecht der Meinungsfreiheit auszulegen. Klar ist, das Grenzen der Meinungsfreiheit nicht schon dadurch überschritten werden, wenn eine breite Meinung in der Bevölkerung die Darstellung als unangemessen und geschmacklos empfindet. In der Gesamtbetrachtung der Außerungen des Angeklagten war ersichtlich, das es ihm darauf ankam, mit der provokanten Veröffentlichung des Posts seine eigene Meinung - das er als Ungeimpfter ebenso wie die Juden während der Zeit des Nationalsozialismus diskriminiert wird - kundzutun und er eine inhaltliche Auseinandersetzung - ob zustimmend oder ablehnend - mit anderen Usern erzielen wollte. Dabei erfolgten von seiner Seite keine Aufforderungen, sich dieser vermeintlichen Ausgrenzung und Diskriminierung zu widersetzen. Es erfolgten auch keine Aufforderungen zu Rechtsbrüchen bzw. sich auf andere Weise mit unfriedlichen Mittel gegen den Staat zu wehren. Ihm kam es allein auf eine Diskussion an und nicht auf die Verbreitung von Hass oder der Spaltung der Gesellschaft. Meinungsäußerungen zur Störung des öffentlichen Friedens sind, wenn sie über die Überzeugungsbildung hinaus mittelbar auf Realwirkung angelegt sind und etwa in Form von Appellen zum Rechtsbruch, aggressive Emotionalisierung oder durch Herabsetzung von Hemmschwellen rechtsgutgefährdender Folgen unmittelbar auslösen können (siehe OLG Saarbrücken, Urteil vom 08.03.2021, Aktenzeichen: Ss 72/2020, Juris, Rand-Nr. 21 m.w.N.).

Allein der Umstand, dass der Angeklagte den Judenstern verwendete, um seine Kritik am Umgang mit Ungeimpften zu üben und dabei sein vermeintliches eigenes Leid durch geschmacklose und nicht nachvollziehbare Vergleiche zu dramatisieren, ist noch nicht geeignet zur Störung des öffentlichen Friedens.

Dabei verkennt das Gericht nicht, dass die Strafbarkeit der Verwendung den Davidstern mit "Ungeimpft" in der Vergangenheit kontrovers diskutiert wurde und auch eine abweichende Rechtsauffassung vertretbar ist. Unter Berücksichtigung des konkreten Falls gelangte das Gericht zu der Überzeugung, dass beim Angeklagten der Tatbestand der Volksverhetzung nicht vorliegt. Dementsprechend war er freizusprechen.

III.

(Kosten)

Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO.

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