OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10.06.2022 - 15 B 1573/21
Fundstelle
openJur 2022, 16974
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 17 L 180/21
Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.196,76 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den im Beschwerdeverfahren sinngemäß weiterverfolgten Antrag des Antragstellers,

die aufschiebende Wirkung der Klage 17 K 238/21 gegen die Bescheide der Antragsgegnerin vom 30. Juni 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Dezember 2020 anzuordnen,

zu Recht abgelehnt. Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, führen nicht zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung.

In entsprechender Anwendung des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO kommt die Aussetzung bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten nur in Betracht, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit im Sinne von § 80 Abs. 4 Satz 3 Alt. 1 VwGO rechtfertigen die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nur dann, wenn bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage ein Erfolg des Rechtsmittelführers im Hauptsacheverfahren wahrscheinlicher als sein Unterliegen ist. Mit dem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben bezweckt der Gesetzgeber die Sicherstellung des stetigen Zuflusses von Finanzmitteln für die öffentlichen Haushalte, aus deren Aufkommen die Gegenleistung für die umstrittene Abgabe im Zeitpunkt ihrer Geltendmachung regelmäßig bereits erbracht oder alsbald zu erbringen ist. Er hat damit für diesen Bereich das öffentliche Interesse an einem Sofortvollzug generell höher bewertet als das private Interesse an einer vorläufigen Befreiung von der Leistungspflicht. Dieser gesetzgeberischen Wertung entspricht es, dass Abgaben im Zweifel zunächst zu erbringen sind und das Risiko, im Ergebnis möglicherweise zu Unrecht in Vorleistung treten zu müssen, den Zahlungspflichtigen trifft. Unzumutbare, mit dem Gebot der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes nicht vereinbare Erschwernisse ergeben sich dadurch nicht. Durch eine vorläufige, zu Unrecht erbrachte Zahlung eintretende wirtschaftliche Nachteile werden durch die Rückzahlung der Abgabe weitestgehend ausgeglichen; es werden somit keine irreparablen Verhältnisse geschaffen. Ist im Einzelfall dennoch eine unbillige Härte zu erwarten, bietet § 80 Abs. 4 Satz 3 Alt. 2 VwGO die Möglichkeit, die Vollziehung auszusetzen. Im Aussetzungsverfahren richtet sich die Intensität der gerichtlichen Prüfung des Streitstoffs nach den Gegebenheiten des vorläufigen Rechtsschutzes. Deshalb können weder aufwendige Tatsachenfeststellungen getroffen werden noch sind schwierige Rechtsfragen abschließend zu klären.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 15. August 2019- 15 B 884/19 -, juris Rn. 4 f., vom 16. Juli 2018- 15 B 616/18 -, juris Rn. 6 f., und vom 15. Januar 2018 - 15 B 1489/17 -, juris Rn. 8 f., m. w. N.

Ausgehend von diesen Maßgaben ergibt sich aus dem Beschwerdevorbringen nicht, dass die Rechtmäßigkeit der streitbefangenen Beitragsbescheide ernstlich zweifelhaft ist.

Der mit der Beschwerde in den Vordergrund gestellte Einwand des Antragstellers, das Verwaltungsgericht habe seiner Annahme einer beitragsfähigen Erneuerung des Kanals zu Unrecht zugrunde gelegt, dass hier von einer Haltbarkeitsdauer des statisch selbsttragenden Inliners von 50 Jahren auszugehen sei, greift nicht durch.

Die nachmalige Herstellung einer Teileinrichtung der Straße liegt vor, wenn die Teileinrichtung, die in Folge bestimmungsgemäßer Nutzung nach Ablauf der üblichen Nutzungszeit trotz ordnungsgemäßer Unterhaltung und Instandsetzung verschlissen ist, erneuert wird.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 29. Januar 2002 - 15 A 2128/00 -, juris Rn. 11, m. w. N.

Die Erneuerung setzt voraus, dass die Teileinrichtung in einen Zustand versetzt wird, der mit ihrem ursprünglichen Zustand im Wesentlichen vergleichbar ist.

Vgl. Dietzel/Kallerhoff, Das Straßenbaubeitragsrecht nach § 8 des Kommunalabgabengesetzes Nordrhein-Westfalen, 8. Auflage 2013, Rn. 72, 94, m. w. N.

Dabei kann der Senat offenlassen, inwieweit eine im Einzelfall vergleichbare, d. h. an der alten Teileinrichtung zu messende Lebensdauer für die Frage der Erneuerung von Bedeutung ist. Denn im vorliegenden Fall ist in tatsächlicher Hinsicht nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht davon ausgegangen ist, der verbaute Inliner werde voraussichtlich eine technische Lebensdauer von 50 Jahren erreichen, die der Haltbarkeit eines in Betonbauweise erstellten Kanals im Wesentlichen gleichkommt.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 2. April 2014 - 15 A 571/11 -, juris Rn. 53, und Urteil vom 29. Januar 2002 - 15 A 2128/00 -, juris Rn. 13, m. w. N.

Mit einer solchen Haltbarkeitserwartung geht die Baumaßnahme auch offensichtlich über eine bloße Instandsetzung hinaus.

Nach den vorliegenden Erkenntnissen erscheint die vom Verwaltungsgericht angenommene Haltbarkeitsdauer des Inliners von 50 Jahren realistisch. Sie deckt sich mit den fachlichen Erfahrungen, die in dem Bericht "Untersuchung der Lebensdauer von Schlauchlinern - Ergebnisse der Literaturrecherche" des Kompetenzzentrums Wasser Berlin vom 25. September 2017 eingehend dargestellt worden sind.

https://publications.kompetenzwasser.de/pdf/Wicke-2017-1030.pdf (zuletzt abgerufen am 10. Juni 2022); siehe dort S. 11 ff.

Vorbehaltlich der Fortentwicklung der Erkenntnislage ist hiernach bei fachgerechter Ausführung im Regelfall eine technische Lebensdauer des Inliners von (mindestens) 50 Jahren zu erwarten. Dabei kommt es nicht darauf an, inwieweit das Rohr, in welches der Inliner eingezogen wird, zu dessen Haltbarkeit beiträgt. Denn das formgebende Rohr ist Bestandteil der erneuerten Teileinrichtung. Die - ohnehin nicht praxisrelevante - Frage, welche Lebensdauer der selbsttragende Inliner für sich betrachtet voraussichtlich hätte, stellt sich daher nicht.

Die vom Antragsteller vorgelegten "Kurzbeschreibungen" des Sachverständigen H. vom 8. Oktober 2021 und 21. April 2022 führen mit Blick auf die anzunehmende Haltbarkeitsdauer des erneuerten Kanals zu keiner anderen Würdigung. Seine Ausführungen dazu, dass es, wie in dem Bericht des Kompetenzzentrums beschrieben, "diverse Schwachstellen beim Inliner-Verfahren" gebe und dass "diese möglichen Schwachstellen [...] an der Kölnstraße in großer Zahl vorhanden (Hausanschluss etc.)" seien, geben nichts Konkretes und Substantielles dafür her, dass die Haltbarbarkeit des Inliners im vorliegenden Fall aufgrund solcher "Schwachstellen" reduziert ist. Entsprechendes gilt auch für die Einwendungen des Sachverständigen, der "Grundwassereinfluss" könne sich negativ auf die Lebensdauer auswirken und die durchgeführte TV-Befahrung sei "kein Indikator für die Langlebigkeit [...] des verbauten Inliners".

Soweit der Antragsteller in seiner Beschwerdebegründung auf "mehrere Bürgerbriefe mit verbindlichem Gehalt, ausweislich welchen eine Beitragserhebung ausgeschlossen worden war", verweist, mag dahinstehen, ob er sich insoweit in einer den Darlegungsanforderungen aus § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO genügenden Weise mit den Gründen des angegriffenen Beschlusses auseinandersetzt. Denn die in Rede stehenden Bürgerbriefe aus April 2012 bzw. Juli 2013 sind jedenfalls deshalb keine rechtsverbindlichen Zusicherungen der Antragsgegnerin, von einer Beitragserhebung abzusehen, weil sie der Schriftform nicht genügen.

Gemäß § 38 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW bedarf eine von der zuständigen Behörde erteilte Zusage, einen bestimmten Verwaltungsakt später zu erlassen oder zu unterlassen (Zusicherung), zu ihrer Wirksamkeit der schriftlichen Form. Die förmlichen Anforderungen an die Schriftform der Zusicherung ergeben sich aus der (entsprechenden) Anwendung von § 37 Abs. 3 VwVfG NRW.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. Juni 2020 - 1 WB 1.20 -, juris Rn. 20, und Urteil vom 25. Januar 1995- 11 C 29.93 -, juris Rn. 21; Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 38 Rn. 58, m. w. N.

Eine formwirksame Zusicherung muss mithin die Unterschrift oder die Namenswiedergabe des Behördenleiters, seines Vertreters oder seines Beauftragten enthalten (vgl. § 37 Abs. 3 Satz 1 VwVfG NRW). Daran fehlt es hier. Die beiden angesprochenen Bürgerbriefe enthalten nach Aktenlage bzw. nach den unbestrittenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts keine Unterschrift oder Namenswiedergabe des Urhebers, sondern sind lediglich mit der Formulierung "Mit freundlichen Grüßen - Ihre Stadt C. " unterzeichnet.

Soweit der Antragsteller einwendet, das Verwaltungsgericht habe den Grundsatz auf ein faires Verfahren und rechtliches Gehör verletzt, weil es einen gebotenen rechtlichen Hinweis unterlassen habe, vermag er hiermit im Beschwerdeverfahren nach § 146 Abs. 4 VwGO von vornherein nicht durchzudringen. Diese das Rechtsmittel der Beschwerde eröffnende Regelung kennt - anders als die Vorschriften über Berufung und Revision - kein vorgeschaltetes Zulassungsverfahren (mehr), sondern ermöglicht in den von § 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO gezogenen Grenzen eine umfassende, nicht z. B. von der erfolgreichen Rüge eines Verfahrensfehlers abhängige Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung durch das Oberverwaltungsgericht als zweite Tatsacheninstanz.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 9. April 2021 - 6 B 2032/20 -, juris Rn. 2 f., und vom 22. August 2018 - 1 B 1024/18 -, juris Rn. 9 f., jeweils m. w. N.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 3 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).