OLG München, Beschluss vom 01.08.2022 - 25 U 1865/21
Fundstelle
openJur 2022, 15519
  • Rkr:
Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 06.04.2021, Az. 10 O 1137/20 Ver, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.

2. Hierzu besteht Geiegenheit zur Steiiungnahme binnen zwei Wochen nach Zusteiiung dieses Beschiusses.

Gründe

Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Bekiagten zur Versicherung der Kiägerin im Basistarif der privaten Krankenversicherung.

Die im Dezember 1941 in Deutschiand geborene Kiägerin war deutsche Staatsangehörige und von 1960 bis 1977 in Deutschiand gesetziich krankenversichert, im Jahr 1977 wanderte sie in die Vereinigten Staaten aus, wo sie nicht berufstätig war. Im Jahr 2002 nahm sie die USamerikanische Staatsangehörigkeit an und verlor die deutsche. Die Klägerin kehrte im Jahr 2018 nach Deutschland zurück und lebt seitdem in der Wohnung ihrer Tochter. Seit der Rückkehr ist die USamerikanische Krankenversicherung beendet. Die Klägerin hat eine bis 20. August 2022 befristete Aufenthaltserlaubnis (Anlage K 6); zur Tragung der Kosten für den Lebensunterhalt hat sich ihr Schwiegersohn verpflichtet (Anlage K 7). Im Jahr 2019 lehnten der beklagte private Krankenversicherer die Aufnahme der Klägerin in den Basistarif und die frühere Krankenkasse der Klägerin deren Aufnahme in die gesetzliche Krankenversicherung ab.

Die Klägerin hat von der Beklagten verlangt, ihr eine Krankenversicherung im Basistarif nach § 152 VAG zu gewähren. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.

II.

Die zulässige Berufung der Klägerin hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Zutreffend hat das Landgericht die Klage abgewiesen.

1. Das Landgericht, dessen Entscheidung in r+s 2021, 463 abgedruckt ist, hat ausgeführt, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Aufnahme in den Basistarif gemäß § 193 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 WG. § 152 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VAG. Zwar sei die Klägerin nicht versicherungspflichtig in der gesetzlichen Krankenversicherung. Dennoch bestehe kein Kontrahierungszwang der Beklagten, weil die Klägerin jedenfalls nicht den privaten Krankenversicherungen zuzuordnen sei.

Die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung gemäß § 3 Nr. 2 SGB IV. § 5 Abs. 1 Nr. 13 lit. a SGB V gelte für US-Amerikaner - wie die Klägerin - nach § 5 Abs. 11 Satz 1 SGB V nur, wenn sie eine Niederlassungserlaubnis oder eine Aufenthaltserlaubnis mit einer Befristung auf mehr als zwölf Monate nach dem Aufenthaltsgesetz besitzen und für die Erteilung dieser Aufenthaltstitel keine Verpflichtung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG besteht. Eine Versicherungspflicht der Klägerin liege somit lediglich deshalb nicht vor, weil für sie die Verpflichtung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dieser Vorschrift bestehe und von ihrem Schwiegersohn eine entsprechende Zusicherung vorliege.

Ein Kontrahierungszwang gemäß § 193 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 WG komme nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (BGH, Urteil vom 16. Juli 2014 - IV ZR 55/14, NJW 2014, 3516 Rn. 14 f) nur in Betracht, wenn eine Person grundsätzlich dem Bereich der privaten Krankenversicherung zuzuordnen sei. Eine solche Zuordnung der Klägerin gelinge nicht, weil sie bisher nicht privat krankenversichert gewesen sei und auch nicht zu dem den privaten Krankenversicherungen zugeordneten Personenkreis gehöre. Das Landgericht mache sich das Auslegungsergebnis der Landgerichte Köln (VersR 2017, 282) und Düsseldorf (Urteil vom 19. Februar 2020 -9 O 190/19, Juris) zu eigen, die auf der angeführten Entscheidung des Bundesgerichtshofs beruhten. Diese Auslegung widerspreche weder einer mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2, Art. 6, 20 GG noch dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Juni 2009 (1 BvR 706/08, BVerfGE 123, 186). Die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts im Urteil vom 18. April 2013 (10 C 10/12, BVerwGE 146, 198 Rn. 16) seien durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 16. Juli 2014 (aaO) überholt.

2. Die angefochtene Entscheidung beruht weder auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) noch rechtfertigen nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO).

a) Gemäß § 193 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 WG ist der Versicherer verpflichtet, allen Personen mit Wohnsitz in Deutschland Versicherung im Basistarif nach § 152 VAG zu gewähren, die nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherungspflichtig sind, nicht mit Wechselmöglichkeit freiwillig gesetzlich versichert sind, keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz haben und nicht Empfänger laufender Sozialleistungen (im Sinne von § 193 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 und 4 WG) sind, und die nicht bereits eine private Krankheitskostenversicherung vereinbart haben, die der Versicherungspflicht nach § 193 Abs. 3 WG genügt.

Versicherungspflichtig in der gesetzlichen Krankenversicherung sind - soweit hiervon Interesse - Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben (§ 3 Nr. 2 SGB IV) sowie keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall haben und zuletzt gesetzlich krankenversichert waren (§ 5 Abs. 1 Nr. 13 lit. a SGB V). Gemäß § 5 Abs. 11 Satz 1 SGB V erfasst diese Versicherungspflicht "außereuropäische" Ausländer nur, wenn sie eine Niederlassungserlaubnis oder eine Aufenthaltserlaubnis mit einer Befristung auf mehr als zwölf Monate nach dem Aufenthaltsgesetz besitzen und für die Erteilung dieser Aufenthaltstitel keine Verpflichtung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG besteht.

Nach dieser Vorschrift setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraus, dass der Lebensunterhalt gesichert ist. Gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ist der Lebensunterhalt eines Ausländers gesichert, wenn er ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Wer sich der Ausländerbehörde oder einer Auslandsvertretung gegenüber verpflichtet hat, die Kosten für den Lebensunterhalt eines Ausländers zu tragen, hat gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1 AufenthG sämtliche öffentlichen Mittel zu erstatten, die für den Lebensunterhalt des Ausländers einschließlich der Versorgung im Krankheitsfalle und bei Pflegebedürftigkeit aufgewendet werden, auch soweit die Aufwendungen auf einem gesetzlichen Anspruch des Ausländers beruhen. Gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII ist Ausländern, die sich im Inland tatsächlich aufhalten, Hilfe bei Krankheit nach der Vorschrift des § 48 SGB XII zu leisten.

b) Die seit 1. Januar 2009 geltende Pflicht zum Abschluss und zur Aufrechterhaltung einer Krankheitskostenversicherung bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen (§ 193 Abs. 3 WG), mit welcher der Anspruch auf Abschluss eines Vertrags im Basistarif gemäß § 193 Abs. 5 WG korrespondiert, besteht für alle Personen, die weder gesetzlich krankenversichert sind noch einem dritten Sicherungssystem angehören (vgl. BVerfGE 123, 186 Rn. 14). Mit der Einführung der privaten Versicherungspflicht und des Kontrahierungszwangs wollte der Gesetzgeber keinen Vorrang dieses Instituts gegenüber dem dritten Sicherungssystem schaffen, zu dem auch die Absicherung im Krankheitsfall durch die aufenthaltsrechtliche Verpflichtung zur Sicherung des Lebensunterhalts gehört.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs soll eine Regelung über die Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers für die Krankenbehandlung - wie § 5 Abs. 8a SGB V - und den dadurch bedingten Ausschluss der gesetzlichen Krankenversicherungspflicht in § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V nicht zugleich einen Anspruch auf Aufnahme in den Basistarif der privaten Krankenversicherung nach § 193 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 in Verbindung mit Abs. 3 Satz 2 WG schaffen. Die zuständigen Sozialämter dürfen sich nicht ihrer eigenen Verpflichtung aus § 48 SGB Xil in Verbindung mit § 264 SGB V entziehen, indem sie Soziaihiifeempfänger auf den Basistarif der privaten Krankenversicherung verweisen. Eine Versicherung im Basistarif kommt vieimehr nur dann in Betracht, wenn die Person grundsätziich dem Bereich der privaten Krankenversicherung zuzuordnen ist. Eine derartige Zuordnung zu dem System der privaten Krankenversicherung besteht nicht bei einer Person, die bisher nicht privat krankenversichert war und auch nicht zu dem Kreis der Personen gehört, die im Übrigen in den Bereich der privaten Krankenversicherung faiien wie Beamte, Seibständige oder abhängig Beschäftigte unter Überschreitung der Einkommensgrenze (vgi. BGH, Urteii vom 16. Juii 2014 - iV ZR 55/14, NJW 2014, 3516 Rn. 13-15 mwN).

Im Bericht des Ausschusses für Gesundheit des Deutschen Bundestags vom 1. Februar 2007 heißt es, Versicherungsunternehmen müssten einen Versicherungsvertrag mit jeder dem Bereich der privaten Krankenversicherung zuzuordnenden Person abschließen. Wie in der gesetzlichen Krankenversicherung seien Einwohner, die eine andere Absicherung im Krankheitsfall haben, nicht verpflichtet, einen Vertrag bei einem privaten Versicherungsunternehmen abzuschließen. So seien unter anderem Personen von der Verpflichtung ausgeschlossen, die vorrangig Leistungen des Sozialhilfeträgers erhielten (BT-Drucks. 16/4247, S. 67). Auch aus der sonstigen Gesetzesbegründung (vgl. Gesetzentwurf, BT-Drucks. 16/3100, S. 29; Bericht, BT-Drucks. 16/4247, S. 95) ergibt sich nicht, dass durch die Regelung über die Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers für die Krankenbehandlung in § 5 Abs. 8a SGB V und den dadurch bedingten Ausschluss der gesetzlichen Krankenversicherungspflicht in § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V zugleich ein Anspruch auf Aufnahme in den Basistarif der privaten Krankenversicherung nach § 193 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 in Verbindung mit Abs. 3 Satz 2 WG geschaffen werden sollte (vgl. BGH, Urteil vom 16. Juli 2014, aaO Rn. 12 f mwN).

Dies gilt in gleicher Weise für die Regelung des § 5 Abs. 11 Satz 1 SGB V, welche die Versicherungspflicht nach Abs. 1 Nr. 13 ausschließt, wenn eine Verpflichtung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG besteht. Bei der Schaffung von § 5 Abs. 11 Satz 1 SGB V ging der Gesetzgeber davon aus, dass die Personen, für die eine Verpflichtung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG besteht, über eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall verfügen, weil (gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG) der Lebensunterhalt eines Ausländers nur dann gesichert ist, wenn er ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann (vgl. BT-Drucks. 16/3100, S. 95; vgl. auch BSG, Breith 2014, 292, Juris Rn. 29). § 5 Abs. 11 Satz 1 SGB V ist dementsprechend systematisch nicht als Abgrenzungsregel zur (Versicherungspflicht in der) privaten Krankenversicherung zu verstehen, sondern zur aufenthaltsrechtlichen Verpflichtung zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes (LG Köln. VersR 2017, 282).

c) Nach diesen Maßstäben hat die Klägerin keinen Anspruch auf Aufnahme in den Basistarif, weil sie nicht dem Bereich der privaten Krankenversicherung zuzuordnen ist. Die Klägerin war in Deutschland bisher nicht privat krankenversichert und gehört auch nicht zu dem Kreis der Personen, die im Übrigen in den Bereich der privaten Krankenversicherung fallen.

Als in Deutschland zuletzt gesetzlich Krankenversicherte wäre die Klägerin an sich gesetzlich versicherungspflichtig gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 13 lit. a SGB V. Die gesetzliche Versicherungspflicht besteht lediglich deshalb nicht, weil § 5 Abs. 11 Satz 1 SGB V das negative Tatbestandsmerkmal enthält, dass für den Ausländer keine Verpflichtung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG bestehen darf (vgl. auch BGH, Urteil vom 16. Juli 2014 - IV ZR 55/14, NJW 2014, 3516 Rn. 11 zu § 5 Abs. 1 Nr. 13 lit. b SGB V). Die Absicherung der Klägerin über die Verpflichtung ihres Schwiegersohns gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1 AufenthG (in Verbindung mit dem Anspruch auf Hilfe bei Krankheit gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1, § 48 SGB XII) schließtwie oben ausgeführt - nicht nur die gesetzliche Versicherungspflicht aus, sondern auch die private.

d) An diesem Ergebnis vermögen die Einwände der Klägerin in der Berufungsbegründung vom 25. Mai 2021 (BI. 87/94 d. A.) und im Schriftsatz vom 21. Juli 2022 (BI. 96 d. A.) nichts zu ändern. Die Klägerin meint, das angefochtene Urteil verletze insbesondere § 193 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 WG, den Schutz der Familie aus Art. 6 Abs. 1 GG, das Sozialstaatsprinzip gemäß Art. 2 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG sowie Art. 3 Abs. 1 GG (Berufungsbegründung, S. 1, 8). Das trifft nicht zu.

aa) Die Klägerin führt aus, das Landgericht habe den nach dem Gesetzeswortlaut gegebenen Anspruch der Klägerin durch die zusätzliche Voraussetzung eingeschränkt, die Klägerin müsse grundsätzlich dem Bereich der privaten Krankenversicherung zuzuordnen sein. Von dem Fall, in dem der Bundesgerichtshof diese Voraussetzung aufgestellt habe, unterscheide sich der Streitfall aber dadurch, dass die Klägerin hier keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall gehabt habe (vgl. Berufungsbegründung, S. 2 f).

In dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall bezog die Klägerin zunächst Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und erhielt dann Sozialhilfe (vgl. BGH, Urteil vom 16. Juli 2014 - IV ZR 55/14, VersR 2014, 989 Rn. 1). Im Streitfall besteht die Absicherung der Klägerin im Krankheitsfall in der Verpflichtung ihres Schwiegersohns gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1 AufenthG in Verbindung mit dem Anspruch auf Hilfe bei Krankheit gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1, § 48 SGB XII (s.o. unter c).

bb) Die Klägerin meint, folge man dem Landgericht, gebe es neben der "dritten Säule" der Sozialhilfe auch noch eine "vierte Säule" aus derzeitigem Einkommen und Vermögen, was aber nicht dem Willen des Gesetzgebers entspreche. Einkommen und Vermögen befreiten nicht von der Krankenversicherungspflicht (vgl. Berufungsbegründung, S. 3 f). Weder das Landgericht noch der Senat sehen aber die Absicherung der Klägerin im Krankheitsfall in ihrem Einkommen und Vermögen.

cc) Ebenfalls ohne Erfolg muss das Argument bleiben, das Landgericht verkenne, dass die Klägerin in Deutschland kein Aufenthaltsrecht habe, wenn sie weder gesetzlich noch privat krankenversichert sei (aaO S. 4 f, 7; vgl. auch Schriftsatz vom 21. Juli 2022).

Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraus, dass der Lebensunterhalt gesichert ist, wozu gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ein ausreichender Krankenversicherungsschutz gehört. Daraus kann aber nicht im Umkehrschluss gefolgert werden, dass ein Ausländer, der die Erteilung beziehungsweise Verlängerung eines Aufenthaltstitels begehrt, Anspruch auf den dafür erforderlichen Krankenversicherungsschutz hätte, um die Erteilungsvoraussetzungen erst zu schaffen. Nur ergänzend ist deshalb darauf hinzuweisen, dass die Verpflichtungserklärung gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1 AufenthG auch die Versorgung im Krankheitsfall umfasst.

dd) Die Klägerin meint, es fehle an tatsächlichen Feststellungen für die Annahme des Landgerichts, eine Erweiterung des Kontrahierungszwangs auf Ausländer belaste die Versichertengemeinschaft mit einem verfassungswidrigen Sonderopfer (vgl. Berufungsbegründung, S. 5 f). Dies kann dahinstehen (vgl. aber BVerfGE 123, 186 Rn. 170: "dem relativ kleinen Kreis bisherunversicherter Personen"), weil es auf eine Überlastung des Basistarifs nicht entscheidungserheblich ankommt.

ee) Soweit die Klägerin meint, die Annahme des Landgerichts diskriminiere Ausländer und verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG (vgl. Berufungsbegründung, S. 6), trifft dies nicht zu. Eine Ungleichbehandlung wie die in § 5 Abs. 11 Satz 1 SGB V angelegte ist durch Sachgründe des Sozialversicherungssystems gerechtfertigt.

ff) Die Klägerin rügt, das Landgericht berücksichtige nicht erkennbar Grundrechte der Beklagten, möglicherweise aber Grundrechte von nicht am Rechtsstreit beteiligten Dritten, wenn es auf die Versichertengemeinschaft der privat Krankenversicherten als Grundrechtsträger abstelle (vgl. Berufungsbegründung, S. 6 f)- Grundrechte nicht am Rechtsstreit beteiiigter Dritter können zwar nicht ais individueiie Rechte, aber ais im Wege der Abwägung zu berücksichtigendes Prinzip in die Prüfung einbezogen werden (vgi. BVerfGE 152, 216 Rn. 107, 110; BGH, Urteii vom 27. Juli 2020 - VI ZR 405/18, BGHZ 226, 285 Rn. 33, 36; vom 3. Mai 2022 - VI ZR 832/20, ZIP 2022,1147 Rn. 25, 28). Darüber ist das Landgericht nicht hinausgegangen, wenn es ausgeführt hat, die Versichertengemeinschaft der privat Krankenversicherten müsste die Zusatzkosten tragen, die durch den gesetzlich gedeckelten Basistarif für die Versicherung entstehen würden (vgl. Urteil des Landgerichts, S. 9). Wie schon dargestellt (s.o. unter dd) kann dahinstehen, ob die Tragung der Zusatzkosten einem verfassungswidrigen Sonderopfer gleichkäme.

gg) Weiter rügt die Klägerin, eine Abwägung mit ihren Grundrechten im Sinne einer praktischen Konkordanz habe das Landgericht unterlassen (vgl. Berufungsbegründung, S. 7). Die von der Klägerin angeführten verfassungsrechtlichen Positionen aus Art. 2 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG sowie aus Art. 6 Abs. 1 GG hat das Landgericht berücksichtigt (vgl. Urteil, S. 9 Abs. 2). Unabhängig davon gebietet das Verfassungsrecht keine andere Auslegung von § 193 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 WG.

Dem im Rahmen von Art. 6 Abs. 1 GG geschützten Recht der Klägerin auf familiäres Zusammenleben mit ihrer Tochter in Deutschland (vgl. Berufungsbegründung, S. 7) tragen die aufenthaltsrechtlichen Vorschriften Rechnung und muss deren Anwendung durch die zuständige Behörde Rechnung tragen. Soweit danach die Sicherung des Lebensunterhalts der Klägerin auch unter Berücksichtigung des familiären Verhältnisses zur Tochter Voraussetzung für den Aufenthalt der Klägerin in Deutschland ist, muss es dabei sein Bewenden haben.

Aus dem Grundrecht auf Schutz der Familie und aus dem Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes ergibt sich ebenso wenig wie aus dem einfachen Recht, dass zur Sicherung des Lebensunterhalts der Klägerin der beklagte private Krankenversicherer diese im Basistarif versichern müsste. Darin liegt auch keine gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßende Ausländerdiskriminierung (s.o. unter ee).

3. Die Voraussetzungen gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Nr. 3 ZPO liegen vor; eine Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO ist nicht geboten. Insbesondere besteht nicht der Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO) wegen Divergenz zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. April 2013 (10 C 10/12, BVerwGE 146, 198).

a) Eine Divergenz iiegt vor, wenn in einer Entscheidung ein abstrakter Rechtssatz aufgesteiit wird, der von einem in einer Entscheidung eines höheren oder gieichgeordneten Gerichts aufgesteiiten und die Vergieichsentscheidung tragenden Rechtssatz abweicht, und wenn die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht (BGH, Beschiuss vom 27. März 2003 - VZR 291/02, BGHZ 154, 288, 292 f; BeckOK-ZPO/Kessai-Wuif, 2022, § 543 Rn. 26).

b) Zwar hat das Bundesverwaitungsgericht ausgeführt, die Kiägerin habe nach Begründung ihres Wohnsitzes in Deutschiand gegen jedes zugelassene private Krankenversicherungsunternehmen einen Anspruch auf Abschluss eines privaten Krankenversicherungsvertrags im Basistarif. Der gesetzlich angeordnete Kontrahierungszwang und die Versicherungspflicht erfassten auch Ausländer und enthielten - anders als § 5 Abs. 11 SGB V - keine aufenthaltsrechtlichen Voraussetzungen wie etwa den Besitz eines qualifizierten Aufenthaltstitels (BVerwGE 146, 198 Rn. 16). Auch hat das Bundesverwaltungsgericht die Aufhebung des Berufungsurteils unter anderem damit begründet, dass ein Anspruch auf Abschluss einer privaten Krankenversicherung im Basistarif bestehe (vgl. BVen/vG, aaO Rn. 10, 20, 23). Jedoch begründen diese Ausführungen keine Divergenz, weil sie nicht die identische Rechtsfrage betreffen wie im Streitfall.

Dieselbe Rechtsfrage liegt immer dann vor, wenn wegen der Gleichheit des Rechtsproblems die Entscheidung ohne Rücksicht auf die Verschiedenheit der Fälle oder der anwendbaren Vorschriften nur einheitlich ergehen kann (BVerfG, NStZ 1993, 90, 91; wistra 2009, 307, 309; MünchKomm-StPO/Cierniak/Pohlit, § 132 GVG Rn. 11). Ein Rechtssatz, den ein Revisionsgericht zur Beurteilung des ihm unterbreiteten Falles aufgestellt hat, gilt für andere Fälle nur, wenn diese der entschiedenen Sache in den wesentlichen Beziehungen gleichkommen (BVerfG, NStZ 1993, 90, 91), das heißt wenn die Sachverhalte lediglich nicht rechtserhebliche Unterschiede aufweisen (BGH, Beschluss vom 24. April 1986 - 2 StR 565/85, BGHSt 34, 71, 76). Eine Entscheidung des Revisionsgerichts kann nur eine Antwort auf den zu entscheidenden Fall geben; dieser bestimmt auch da, wo es dem Revisionsgericht nicht gelingt, sich in seiner Ausdrucksweise auf ihn zu beschränken, die Tragweite der Entscheidung für künftige Fälle (BVerfG, NStZ 1993, 90, 91; BGH, aaO mwN; MünchKomm-StPO/Cierniak/Pohlit, aaO; vgl. zur Fallbezogenheit eingehend Miebach, Der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, S. 130 ff).

Anders als in dem vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall, in dem hierzu nichts festgestellt ist, war die Klägerin im Streitfall zunächst deutsche Staatsangehörige und in Deutschland gesetzlich krankenversichert, bevor sie später mit dem Erwerb einer "außereuropäischen" Staatsangehörigkeit die deutsche verlor. Dieser Unterschied ist rechtserheblich, weil die zuletzt bestehende gesetzliche Krankenversicherung die grundsätzliche gesetzliche Versicherungs pflicht der Klägerin gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 13 lit. a SGB V - und damit ihre Zuordnung zum System der gesetzlichen Krankenversicherung - zur Folge hat, die jedoch nach § 5 Abs. 11 Satz 1 SGB V durch den zwischenzeitlich eingetretenen Wechsel der Staatsangehörigkeit ausgeschlossen wird. Anders als im Fall des Bundesverwaltungsgerichts, in dem um die Erteilung eines Visums gestritten wurde, hält sich die Klägerin zudem im Inland tatsächlich auf mit der Folge, dass die Vorschriften über Hilfe bei Krankheit für Ausländerinnen und Ausländer (§ 23 Abs. 1 Satz 1, § 48 SGB XII) Anwendung finden.

4. Es wird erwogen, den Berufungsstreitwert auf 30.909,48 € festzusetzen.

5. Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).