VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 06.04.1992 - 1 S 3142/91
Fundstelle
openJur 2013, 8152
  • Rkr:

1. Für die Klage auf Zulassung eines Bürgerbegehrens entfällt trotz Vollendung und Indienststellung der angegriffenen Einrichtung das Rechtsschutzbedürfnis jedenfalls dann nicht, wenn nach dem Sinn des Bürgerbegehrens die vorgesehene Nutzung des zu errichtenden Gebäudes verhindert werden soll.

2. Der Beschluß des Gemeinderats über die Bereitstellung eines gemeindeeigenen Grundstücks für die Errichtung einer in der Trägerschaft des Landes stehenden und im Namen des Landes betriebenen Einrichtung (hier Übergangswohnheim für Aus- und Übersiedler) ist nicht bürgerentscheidsfähig.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Verpflichtung der Beklagten, ein von ihm mitunterzeichnetes Bürgerbegehren für zulässig zu erklären.

Vorausgegangen war folgender am 1. Februar 1990 in öffentlicher Sitzung gefaßter Beschluß des Gemeinderats der Beklagten:

"1. Das Grundstück Flst.-Nr. 3498/4 im Bereich des Bebauungsplanes"St. A I" für die Erstellungeines Übergangswohnheimes für Aus- und Übersiedlereinem Bauträger zur Verfügung zu stellen, wobei dasGebäude nach der Wohnheimnutzung für Aus- und Übersiedlerin Miet- oder Eigentumswohnungen umzunutzen ist.2. Das Wohnheim ist entsprechend den Festsetzungen desBebauungsplanes zu errichten; dabei ist auf eine guteäußerliche Gestaltung zu achten."Am 28. Februar 1990 wurde beim Bürgermeisteramt der Beklagten von der Interessengemeinschaft "Bürgerbegehren Übergangswohnheim" ein gegen den Gemeinderatsbeschluß vom 1. Februar 1990 gerichteter Antrag auf Durchführung eines Bürgerentscheids (Bürgerbegehren) eingereicht. Zur Begründung wurde ausgeführt, daß die Wohnraumbeschaffung für Aus- und Übersiedler vernünftig und sozial verträglich für alle gelöst werden müsse.

In seiner Sitzung vom 22. März 1990 beschloß der Gemeinderat der Beklagten, das Bürgerbegehren als unzulässig zurückzuweisen. Dies wurde den Vertretern der Interessengemeinschaft mit Bescheid der Beklagten vom 11. April 1990 mitgeteilt. Der hiergegen vom Kläger eingelegte Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid des Landratsamtes A -Kreis vom 5. November 1990 zurückgewiesen. Sowohl die Beklagte als auch die Widerspruchsbehörde begründeten ihre Entscheidungen damit, daß der dem Bürgerbegehren zugrunde liegende Antrag nicht Gegenstand eines Bürgerentscheides sein könne, da er keine wichtige Gemeindeangelegenheit betreffe.

Am 3. Dezember 1990 hat der Kläger Klage erhoben und beantragt, den Beschluß des Gemeinderats der Beklagten vom 22. März 1990 und den Widerspruchsbescheid des Landratsamts A -Kreis vom 5. November 1990 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, das Bürgerbegehren für zulässig zu erklären. Er hat geltend gemacht, bei der Zurverfügungstellung eines gemeindeeigenen Grundstückes zur Errichtung eines Übergangswohnheimes für Aussiedler handele es sich um eine wichtige Gemeindeangelegenheit, die Gegenstand eines Bürgerbegehrens sein könne. Im übrigen sei der angegriffene Beschluß des Gemeinderats vom 22. März 1990 rechtswidrig zustandegekommen, weil eine befangene Gemeinderätin mitgewirkt habe.

Durch Urteil vom 17. Oktober 1991 hat das Verwaltungsgericht Sigmaringen die Klage - entsprechend dem Antrag der Beklagten - abgewiesen. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt, die Klage sei bereits unzulässig, da ein schutzwürdiges Interesse des Klägers an der gerichtlichen Entscheidung nicht mehr bestehe. Die Inanspruchnahme des Gerichts erweise sich als unnütz, nachdem das Gebäude fertiggestellt und in Dienst gestellt sei.

Gegen das ihm am 9. November 1991 zugestellte Urteil hat der Kläger am 6. Dezember 1991 Berufung eingelegt, zu deren Begründung er ergänzend vorträgt: Für die Klage fehle es nicht an dem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis; denn das sinngemäß auf die Aufhebung des Gemeinderatsbeschlusses der Beklagten vom 1. Februar 1990 gerichteten Bürgerbegehren ginge deshalb nicht ins Leere, weil im Falle eines positiven Bürgerentscheids der Bürgermeister der Beklagten wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage verpflichtet sei, sowohl das Verpflichtungs- als auch das Verfügungsgeschäft in Ansehung des Grundstückes rückgängig zu machen. Sein zulässiges Verpflichtungsbegehren sei auch begründet. Da die Beklagte sich Einflußmöglichkeiten zur Gewährleistung der von ihr gewollten Zweckbestimmung gesichert habe, habe sie sich an der sozialen Aufgabe des Landes erklärtermaßen beteiligt und diese somit (teilweise) zu ihrer eigenen gemacht. Durch die Leistung des Beitrages zu dieser Aufgabenerfüllung diene die Einrichtung auch den Einwohnern der Beklagten. Selbst wenn das beantragte Bürgerbegehren unzulässig sein sollte, so sei der bekämpfte Gemeinderatsbeschluß jedenfalls deshalb aufzuheben, weil er infolge der Befangenheit einer Gemeinderätin rechtswidrig zustandegekommen sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 17. Oktober 1991 zu ändern, den Bescheid der Beklagten vom 11.4.1990 und den Widerspruchsbescheid des Landratsamts A -Kreis vom 5.11.1990 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, das beantragte Bürgerbegehren für zulässig zu erklären, sowie die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Verpflichtungsbegehren jedenfalls für unbegründet.

Wegen der Einzelheiten des Vortrags und des Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die dem Senat vorliegenden einschlägigen Akten der Beklagten und des Landratsamts A Kreis sowie die Gerichtsakten verwiesen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet; denn das Verwaltungsgericht hat die Verpflichtungsklage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

Das angefochtene Urteil ist entgegen der Auffassung des Klägers nicht unter Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs zustandegekommen. Zu Unrecht rügt er, das Verwaltungsgericht habe seiner Entscheidung Informationen zugrunde gelegt, die ihm nicht zugänglich gemacht worden seien. Der insoweit vom Kläger angesprochene Sachverhalt, daß die Beklagte als Mitgesellschafterin der K baugesellschaft mbH einen Gesellschaftsanteil von 5.000,-- DM halte, ist einem Zeitungsausschnitt der Schwäbischen Zeitung vom 21. April 1990 zu entnehmen, der in den dem Kläger zugänglichen Behördenakten des Landratsamtes (S. 29) enthalten ist. Der Kläger hatte vor der mündlichen Verhandlung ausreichend Gelegenheit, die vorgelegten Akten einzusehen. Abgesehen davon wäre eine etwaige Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör im Sinne des § 108 Abs. 2 VwGO geheilt, da der Kläger im Berufungsverfahren Gelegenheit zur Stellungnahme hatte.

Das Verwaltungsgericht hat der vom Kläger erhobenen Verpflichtungsklage zu Recht nicht stattgegeben.

Allerdings kann entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht davon ausgegangen werden, daß dem Kläger das für die Verpflichtungsklage erforderliche Rechtsschutzinteresse fehlt. Zwar wird von einem schutzwürdigen Interesse des Klägers an der gerichtlichen Entscheidung dann nicht mehr gesprochen werden können, wenn die Inanspruchnahme des Gerichts sich als unnütz erweist (vgl. BVerwGE 42, 116, 118; Kopp, VwGO, 8. Aufl., Vorbem. § 40 RdNr. 30 m.w.N.). Davon kann jedoch im vorliegenden Fall nicht ausgegangen werden.

Zwar ist der Verkauf des Grundstücks entsprechend dem Gemeinderatsbeschluß vom 1. Februar 1990 bereits vollzogen worden; auch ist das Mehrfamilienwohnhaus zur vorübergehenden Unterbringung von Aus- und Übersiedlern bereits errichtet und wird seit Ende 1991 entsprechend genutzt.

Trotz Vollendung und Indienststellung der angegriffenen Einrichtung entfällt das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage auf Zulassung eines Bürgerbegehrens jedenfalls dann nicht, wenn nach dem Sinn des Bürgerbegehrens die vorgesehene Nutzung des zu errichtenden Gebäudes verhindert werden soll. Dies ist vorliegend der Fall. Sinn des Bürgerbegehrens ist nicht die Verhinderung der Errichtung eines Wohngebäudes auf dem betreffenden Gemeindegrundstück überhaupt, sondern lediglich dessen Nutzung als Aussiedlerwohnheim. Dies ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit aus dem Vorspann der Unterschriftenlisten, in welchem die Schaffung von Wohnraum für Aussiedler zwar grundsätzlich befürwortet wird, aber gegen den vorgesehenen Standort vorgegangen werden soll. Wie aus dem Gemeinderatsbeschluß vom 1. Februar 1990 ersichtlich ist, sollte das Gebäude so errichtet werden, daß es nach seiner vorübergehenden Nutzung als Wohnheim in Miet- oder Eigentumswohnungen umgenutzt werden kann. Daher wäre ein im jetzigen Zeitpunkt gefaßter, insoweit mit dem Bürgerbegehren korrespondierender Gemeinderatsbeschluß auf Aufhebung der Bereitstellung des städtischen Grundstücks zum Zwecke der Errichtung eines Übergangswohnheimes für Aus- und Übersiedler auch jetzt noch rechtlich zulässig. Dabei wäre der bereits vollzogene notarielle Grundstückskaufvertrag kein rechtliches Hindernis. Zwar wird ein erfolgreicher Bürgerentscheid unmittelbar nichts an der vertraglichen Bindung ändern können - seine Wirkung geht inhaltlich nicht über die des Gemeinderatsbeschlusses hinaus -, doch würde der Bürgermeister der Beklagten verpflichtet sein, im Rahmen des rechtlich Möglichen den Versuch zu unternehmen, den Willen der Bürger hinsichtlich der Nutzung des Gebäudes unter Inanspruchnahme der Einflußmöglichkeiten auf die K gesellschaft mbH, deren Mitgesellschafterin die Beklagte ist, durchzusetzen.

Das Bürgerbegehren erweist sich auch nicht deshalb als unnütz, weil die vom Kläger bekämpfte Nutzung des Gebäudes zugunsten der K baugesellschaft mbH durch die ihr erteilte Baugenehmigung bestandskräftig gestattet ist. Zwar wurde die Baugenehmigung zur "Erstellung eines Mehrfamilienhauses zur vorübergehenden Unterbringung von Aussiedlern" beantragt und dementsprechend auch erteilt, gleichwohl ist hierin weder eine Gestattung lediglich dieser eingeschränkten Nutzung noch eine besondere Zweckbindung enthalten. Ein erfolgreicher Bürgerentscheid könnte damit letztlich zu einer Nutzung des Mehrfamilienhauses zu "normalen" Wohnzwecken führen, ohne daß dies mit dem geltenden Bauplanungsrecht in Widerspruch stünde.

Die zulässige Klage ist jedoch nicht begründet. Der Antrag des Klägers, unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 11.4.1990 und des Widerspruchsbescheides des Landratsamtes A Kreis vom 5. November 1990 die Beklagte zu verpflichten, das beantragte Bürgerbegehren für zulässig zu erklären, muß ohne Erfolg bleiben.

Maßgebend für die Beurteilung der Zulässigkeit des Bürgerbegehrens ist § 21 GemO in der derzeit gültigen Fassung vom 3. Oktober 1983. In formeller Hinsicht muß das Bürgerbegehren danach die zur Entscheidung zu bringende Frage, eine Begründung sowie einen nach den gesetzlichen Bestimmungen durchführbaren Vorschlag für die Deckung der Kosten der verlangten Maßnahme enthalten (§ 21 Abs. 3 S. 4 GemO). Diesen Anforderungen entspricht entgegen den vom Verwaltungsgericht geäußerten Bedenken das vom Kläger unterzeichnete Bürgerbegehren. Die zur Entscheidung zu bringende Frage läßt sich dem Antrag mit hinreichender Eindeutigkeit entnehmen. Daß der Antrag bereits eine mit "ja" oder "nein" zu beantwortende Frage formuliert, ist, wie der Senat in seinem Urteil vom 25. Oktober 1976 (ESVGH 27, 73, 75) dargelegt hat, nicht erforderlich. Maßgebend für die Auslegung ist der objektive Erklärungsinhalt, wie er in der Formulierung und Begründung des Antrags zum Ausdruck gebracht und von den Unterzeichnern verstanden werden konnte und mußte (Senatsurt. v. 28.3.1988 - 1 S 1493/87 -, EKBW GemO § 21 E 16, S. 4). Aus dem an den Gemeinderat gerichteten Schreiben vom 27. Februar 1990 ergibt sich unter Heranziehung des Vorspanns der Unterschriftenliste mit einer für die Beteiligten ausreichenden Deutlichkeit, daß sich die 936 Unterzeichner, vertreten unter anderem durch den Kläger, nicht gegen die Schaffung von Wohnraum für Aus- und Übersiedler an sich wenden, sondern lediglich den Standort auf dem Flurstück Nr. 3498/4 für "sozial" unverträglich halten. Deswegen soll der Gemeinderatsbeschluß vom 1. Februar 1990 "rückgängig" gemacht, das heißt durch einen positiven Bürgerentscheid aufgehoben werden. Dafür, daß sich die Mitglieder der Interessengemeinschaft "Bürgerbegehren Übergangswohnheim" das Schreiben vom 27. Februar 1990 nicht zurechnen lassen wollten, ergeben sich keine Anhaltspunkte.

Das Bürgerbegehren muß entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts auch nicht schon deshalb als unzulässig angesehen werden, weil die Frage Alternativen enthält, die sich gegenseitig ausschließen (vgl. hierzu Kunze/Bronner/Katz, Gemeindeordnung Baden-Württemberg, 4. Aufl. 1984, § 21 RdNr. 21). Der Alternativvorschlag zum Standort des Übergangswohnheims im Vorspann zur Unterschriftenliste sollte ersichtlich lediglich eine Anregung für den Gemeinderat darstellen für den Fall, daß eine Errichtung auf dem Grundstück Flst.-Nr. 3498/4 nicht erfolgen würde, aber nicht Gegenstand des Bürgerentscheids sein. Dieser sollte nur die Verhinderung der Nutzung des betreffenden Grundstücks für ein Aussiedlerwohnheim zum Inhalt haben. Auf welche Weise die Beklagte bei einem positiven Bürgerentscheid ihre ablehnende Haltung durchsetzen soll, bedarf keiner Konkretisierung in der Fragestellung. Vielmehr ist es Sache des Bürgermeisters, die erforderlichen rechtlichen und praktischen Konsequenzen aus dem Votum zu ziehen und dieses in die Tat umzusetzen (vgl. §§ 21 Abs. 7 S. 1, 43 Abs. 1 GemO).

Die Begründung des Antrags ist ausreichend. Ein Vorschlag für die Deckung der Kosten ist entbehrlich, da durch den Antrag auf Aufhebung des Gemeinderatsbeschlusses vom 1. Februar 1990, das heißt die Ablehnung des Verkaufs des fraglichen Grundstückes, keine Kosten entstehen. Auch die vom Gesetz geforderte Mindestzahl von Unterzeichnern ist erreicht (§ 21 Abs. 3 S. 5 GemO). Das Bürgerbegehren ist auch schriftlich und innerhalb der gesetzlichen Frist von vier Wochen nach Bekanntgabe des Gemeinderatsbeschlusses vom 1. Februar 1990, gegen den es sich richtet, eingereicht worden (§ 21 Abs. 3 S. 3 GemO). Schließlich ist innerhalb der letzten drei Jahre kein Bürgerentscheid über die Angelegenheit durchgeführt worden, welche das Bürgerbegehren zum Gegenstand hatte (§ 21 Abs. 3 S. 2 GemO).

Der Senat teilt jedoch die vom Verwaltungsgericht in seinen Hilfserwägungen angedeutete Auffassung, daß die mit dem Bürgerbegehren angesprochene Frage der Verhinderung der Nutzung des gemeindeeigenen Grundstücks durch Errichtung und Unterhaltung eines Übergangswohnheimes für Aus- und Übersiedler nicht Gegenstand eines Bürgerentscheides sein kann. Denn es handelt sich hierbei nicht um eine wichtige Gemeindeangelegenheit (§ 21 Abs. 3 S. 1 GemO i.V.m. § 21 Abs. 1 GemO). Als wichtige Gemeindeangelegenheit, die der Entscheidung der Bürgerschaft unterstellt werden kann (vgl. hierzu Senatsurt. v. 28.3.1988, EKBW Gemeindeordnung § 21 E 16 S. 5 f.), kommt hier nur die in § 21 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 GemO genannte Errichtung einer öffentlichen Einrichtung, die der Gesamtheit der Einwohner zu dienen bestimmt ist, in Betracht. Denn dem Kläger und den anderen Unterzeichnern des Bürgerbegehrens geht es erkennbar in erster Linie darum, die Errichtung des Gebäudes im Hinblick auf die Nutzung als Wohnheim für Aus- und Übersiedler zu verhindern. Die Frage der zivilrechtlichen Veräußerung des Grundstücks kann hingegen nicht zulässiger Inhalt eines Bürgerbegehrens sein (vgl. Senatsurt. v. 28.3.1988, aaO.). Die mit dem erstrebten Bürgerbegehren allein angesprochene Frage der Nutzung des Gebäudes kann jedoch deshalb nicht Gegenstand eines Bürgerentscheides sein, weil die Errichtung dieses Heimes nicht der Erfüllung einer für die Gemeinde sich aus § 10 GemO ergebenden Verpflichtung dient.

Öffentliche Einrichtungen (§ 21 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 GemO) sind die von den Gemeinden im Rahmen ihres Wirkungskreises geschaffenen Einrichtungen, die dem wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Wohl der Einwohner dienen und von allen Einwohnern nach gleichen Grundsätzen benutzt werden können (§§ 10 Abs. 2, 1 Abs. 2 und § 2 Abs. 1 GemO). Für die Zuordnung der Einrichtung zur Gemeinde ist es zwar ausreichend, daß diese gemeinsam mit anderen Gebietskörperschaften Träger der Einrichtung ist und ein wirkungsvolles Mitentscheidungsrecht besitzt, das durch das Votum der Bürger festgelegt werden kann (vgl. Urteile des Senats vom 23.9.1980 - 1 S 3895/78 -, VBlBW 1981, 157 und vom 28.3.1988, aaO.), ganz gleich, ob der Träger ein öffentlich-rechtlicher Zweckverband oder eine privatrechtlich organisierte Kapitalgesellschaft ist (Kunze/Bronner/Katz, § 21 RdNr. 4). Es kann auch offenbleiben, ob ein Übergangswohnheim für Aus- und Übersiedler überhaupt als der Gesamtheit der Einwohner zu dienende öffentliche Einrichtung (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 GemO) angesehen werden kann. Jedenfalls stellt die Einrichtung des Übergangswohnheims schon deshalb keine wichtige Gemeindeangelegenheit dar, weil die Gemeinde das Wohnheim nicht betreibt, die Unterbringung von Aussiedlern im vorliegenden Fall keine Aufgabe der beklagten Gemeinde darstellt und rechtliche Einflußmöglichkeiten der Beklagten nicht gegeben sind.

Die Aufnahme und die vorläufige Unterbringung von Aussiedlern (vgl. § 1 Nr. 1 des Gesetzes über die Eingliederung von Aussiedlern und Übersiedlern vom 4.12.1989, GBl. S. 497 (EglG)) obliegen den Eingliederungsbehörden des Landes (§ 2 Abs. 1 EglG). Darüber hinaus stehen die Einrichtungen für die vorläufige Unterbringung (Übergangswohnheime und Ausweichunterkünfte) in der Trägerschaft des Landes (§ 4 Abs. 1 Satz 1 EglG). Eine Übernahme der Trägerschaft durch Gemeinden, die nicht zugleich Stadtkreise sind, ist nicht möglich (§ 4 Abs. 1 Satz 3 EglG). Gesetzliche Bestimmungen, wonach den Gemeinden Beteiligungs- oder Mitspracherechte zustehen, sind nicht ersichtlich. Allein der Umstand, daß die Gemeinde Mitgesellschafterin der Bauträgergesellschaft mbH., die jetzt als Vermieterin auftritt, ist, rechtfertigt es nicht, das in der Trägerschaft des Landes stehende und von der unteren Eingliederungsbehörde betriebene Übergangswohnheim (§ 4 Abs. 1 und 2 EglG) als öffentliche Einrichtung der Beklagten anzusehen. Zwar hat sich die Beklagte in tatsächlicher Hinsicht der Aufgabe der Unterbringung von Aussiedlern zusammen mit dem Land angenommen, indem sie das gemeindeeigene Grundstück zur Errichtung eines Übergangswohnheimes zur Verfügung gestellt hat und darüber hinaus Mitgesellschafterin der (späteren) Grundstückseigentümerin und Bauträgerin und damit der Vermieterin des Gebäudes geworden ist. Dies verschafft ihr jedoch keinen rechtlichen Einfluß auf die Aufgabenerfüllung. Diese bleibt vielmehr allein beim Land. Eine freiwillige (Mit)-Übernahme der Aufgabenerfüllung durch die Gemeinde scheitert an den ausdrücklichen Bestimmungen des EglG, die die betreffenden Aufgaben allein und ausschließlich dem Land zuweisen. Der Umstand, daß das Land bei seiner Aufgabenerfüllung auf sächliche Mittel angewiesen ist, verschafft Dritten auch dann keinen rechtlichen Einfluß auf die Aufgabenerfüllung, wenn diese durch Rechtsgeschäft an der Bereitstellung der sachlichen Mittel beteiligt sind, mögen diese Maßnahmen auch in tatsächlicher Hinsicht Einfluß nehmen (vgl. Senatsurteil vom 28.3.1988, aaO.). Der Beschluß des Gemeinderats über die Verfügungstellung eines gemeindeeigenen Grundstücks für die Errichtung einer in der Trägerschaft des Landes stehenden und von der zuständigen Eingliederungsbehörde im Namen des Landes betriebenen Einrichtung ist danach nicht bürgerentscheidsfähig.

Der im Hinblick auf die Befangenheit der Gemeinderätin geltend gemachte Mangel verfahrensrechtlicher Art vermag die auf Zulassung des Bürgerbegehrens gerichtete Verpflichtungsklage nicht zu begründen. Zwar ist der Gemeinderatsbeschluß vom 22.3.1990 rechtswidrig, weil dieser Beschluß unter Mitwirkung einer befangenen (§ 18 Abs. 1 1. Altern. GemO) und damit ausgeschlossenen Gemeinderätin zustandegekommen ist (§ 18 Abs. 6 GemO). Denn die in der Anwesenheitsliste der Niederschrift über die Verhandlungen des Gemeinderats vom 22.3.1990 unter Nr. 10 aufgeführte ist Eigentümerin eines im Baugebiet nördlich des Bauvorhabens gelegenen Grundstückes. Bei ihr als baurechtlicher Nachbarin des Bauvorhabens besteht die Möglichkeit eines unmittelbaren Vor- bzw. Nachteils, da sie aufgrund der Beziehung zum Gegenstand der Beratung oder Entscheidung tatsächlich ein materielles oder ideelles Sonderinteresse hat, das von der Beratung oder Beschlußfassung gezielt getroffen wird bzw. das zu einer Interessenkollision führen kann und die Besorgnis rechtfertigt, die genannte Person würde nicht mehr uneigennützig und nur zum Wohl der Gemeinde handeln. Der sonach rechtswidrig zustandegekommene Gemeinderatsbeschluß führt jedoch nicht zur Aufhebung des Gemeinderatsbeschlusses bzw. zur Aufhebung des diesen Beschluß bekanntgebenden Verwaltungsakts und des hierzu ergangenen Widerspruchsbescheids. Da in § 18 GemO keine abschließenden Regelungen über die Folgen eines rechtswidrig zustandegekommenen Gemeinderatsbeschlusses enthalten sind, ist hier die einschlägige Regelung des Landesverwaltungsverfahrensgesetzes über die Folgen von Verfahrens- und Formfehlern heranzuziehen (§ 46 LVwVfG). Danach kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren zustandegekommen ist, wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können. Abgesehen davon, daß im vorliegenden Fall bei dem konkreten Abstimmungsergebnis der Verstoß gegen die Befangenheitsvorschrift schlechthin nicht kausal für die Entscheidung war, ist der Fehler auch deshalb unerheblich, weil die Entscheidung - wie oben ausgeführt - aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden ist (vgl. hierzu Kopp, VwVfG, 5. Aufl., RdNrn. 19 und 21 zur gleichlautenden bundesrechtlichen Regelung).