BPatG, Urteil vom 10.02.2010 - 5 Ni 33/09
Fundstelle
openJur 2011, 111107
  • Rkr:
Tenor

I. Das europäische Patent 1 243 107 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 14. November 2000 unter Inanspruchnahme der Priorität der deutschen Patentanmeldung 199 61 345.1 vom 17. Dezember 1999 angemeldeten, mit Wirkung auch für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 243 107 (Streitpatent), das ein Verfahren zur Übertragung von elektronischen Postnachrichten betrifft und vom Deutschen Patentund Markenamt unter dem Aktenzeichen 500 12 940.1 geführt wird.

Das Patent umfasst 12 Patentansprüche, von denen Patentanspruch 1 in der Verfahrenssprache Deutsch folgenden Wortlaut hat:

"1. Verfahren zur Übertragung von elektronischen Postnachrichten (1) unter Verwendung eines SMS-Kurznachrichtendienstes, wobei mit einer Kurznachricht (5) des SMS-Kurznachrichtendienstes in einem ersten Kommunikationsnetz (100) eine elektronische Postnachricht (1) sowie Adressund/oder Identifikationsdaten für die Übertragung der elektronischen Postnachricht (1) in einem zweiten Kommunikationsnetz (200) übertragen werden, wobei mit der Kurznachricht (5) eine Benutzerdatenkopfinformation (11) mit einer Signalisierung des Vorhandenseins mehrerer Datenfelder (20, 25, 30, 35) übertragen wird, die die Adressund/oder Identifikationsdaten umfassen, wobei eine zweite Kopfinformation (12) mit der Kurznachricht (5) übertragen wird, die auf das Vorhandensein der Benutzerdatenkopfinformation (11) hinweist, dadurch gekennzeichnet, dass die mehreren Datenfelder (20, 25, 30, 35) innerhalb eines Datenteils (50) der Kurznachricht (5) außerhalb der Benutzerdatenkopfinformation (11) und der zweiten Kopfinformation (12) übertragen werden und dass die Signalisierung des Vorhandenseins der mehreren Datenfelder (20, 25, 30, 35) mittels eines Identifikators in der Benutzerdatenkopfinformation erfolgt, indem der Identifikator einen Wert angibt, der gemäß einer Zuordnungstabelle einer RFC-822 Adressierung zugeordnet ist, nach der die Adressund/oder Identifikationsdaten im Datenteil (50) vorliegen."

Wegen der Patentansprüche 2 bis 12 wird auf die Patentschrift Bezug genommen.

Mit ihrer Nichtigkeitsklage macht die Klägerin geltend, der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gehe über den Inhalt der beim Deutschen Patentund Markenamt als PCT-Anmeldeamt ursprünglich eingereichten Anmeldung hinaus.

Dort sei eine Signalisierung des Vorhandenseins eines oder mehrerer Datenfelder offenbart, während der erteilte Anspruch 1 als Merkmal "mehrere Datenfelder" aufweise.

Der Gegenstand des Streitpatents sei weiterhin gegenüber dem Stand der Technik nicht patentfähig. Er sei nicht neu, beruhe aber jedenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Zum Stand der Technik sowie zu Parallelverfahren verweist sie auf die folgenden Druckschriften/Anlagen:

-ANLAGE K4 Fachbuch A. S. Tanenbaum: "Computer Networks", Prentice-Hall International, 3. Auflage, 1996, S. 483 -486, 650 -652, genannt TANEN-

BAUM,

-ANLAGE K5 Standard 3G TS 23.040 Version 3.2.0, Oktober 1999, genannt SMS-STANDARD,

-ANLAGE K5a ETSI: Draft prETS 300 536, August 1995, Second Edition (GSM 03.40 version 4.11.0),

-ANLAGE K5b Change Request 97P 398, Nov. 1997

-ANLAGE K5c Meeting Report ETSI SMG4, Bonn 24.-28.11.1997

-ANLAGE K5d Change Request 97P 480, Nov. 1997

-ANLAGE K6 Change Request T299 - 1068, 23. November 1999, genannt CHANGE RE-

QUEST,

-ANLAGE K7 Email von Dr. Gunnar Schmidt an den Reflektor der Technical Specification Group Terminals (TSG T) Working Group (WG) 2, Subworking Group (SWG) 3 der ETSI vom 10. Dezember 1999, genannt REFLECTOR-

EMAIL,

-ANLAGE K7a Emailkette im Reflektor der Technical Specification Group Terminals, Working Group 2, Subworking Group (SWG) 3 der ETSI vom 10.-17.12.1999

-ANLAGE K7b Draft TSG-T WG 2#1 Report, V0.0.3, Feb. 1999, S. 1-4 -ANLAGE K7c T2#5/SMG4 Report, V1.0 Sept. 1999, S. 1, 2, 19 -ANLAGE K7d T2#3 Report, V1.0, Juni 1999, S. 1, 2, 35 -ANLAGE K7e T2#4/SMG4 Report, V1.0, Sept. 1999, S. 1, 2, 29, 38, 39

-ANLAGE K8a T2#7/SMG4 Report, V1.0, Febr. 2000,

-ANLAGE K8b ETSI-Richtlinie zu Rechten des Geistigen Eigentums, ETSI IPR Policy, Auszug aus den ETSI Rules of Procedure vom 22. November 2000, und -ANLAGE K8c ETSI DIRECTIVES, Dez. 1997, Inhaltsverz., S. 38-42 -ANLAGE K9 WO 99/52247 A2, genannt SENDIT. -ANLAGE K11 ETSI GSM 03.48 Version 1.3.0 (Nov. 1997), SIM Toolkit Secure Messaging -ANLAGE K11a ETSI GSM Tdoc SMG9 (97)315, Version 1.2.0, Nov. 1997

-ANLAGE K12 Standard for the format of ARPA INTERNET TEXT MESSAGES, August 13, 1982, revised by David H. Crocker -ANLAGE K13 DE 199 59 528 A1

-ANLAGE K14 Schriftsatz Hengeler Müller v. 27.3.2009, LG Mannheim 7 O 41/08

-ANLAGE K15 Schriftsatz Hengeler Müller v. 12.11.2009, LG Mannheim 7 O 41/08

-ANLAGE K16 LG Mannheim, Aussetzungsbeschluss vom 16. November 2009 -7 O 41/08.

Die Klägerin stellt den Antrag, das europäische Patent 1 243 107 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie tritt den Ausführungen der Klägerin in allen Punkten entgegen und hält den Gegenstand des Streitpatents für patentfähig.

Gründe

Die Klage, mit der die in Artikel II § 6 Absatz 1 Nrn. 1 und 3 IntPatÜG, Artikel 138 Absatz 1 lit a) und c) EPÜ i. V. m. Artikel 56 EPÜ vorgesehenen Nichtigkeitsgründe der unzulässigen Änderung sowie der fehlenden Patentfähigkeit geltend gemacht werden, ist in vollem Umfang begründet. Dabei kann offenbleiben, ob der Gegenstand des Streitpatents über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht, da er jedenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

I.

1. Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zur Übertragung von elektronischen Postnachrichten unter Verwendung des so genannten SMS (Short Message Service)Kurznachrichten-Dienstes. Wie in der Streitpatentschrift zutreffend angegeben, ist in einem nach dem GSM-Standard (Global System for Mobile Communications) ausgebildeten Mobilfunksystem sowohl der SMS-Kurznachrichtendienst wie auch die Übertragung von elektronischen Postnachrichten (lnternet-E-Mails) unter Verwendung dieses Dienstes bekannt und standardisiert. Gemäß den einschlägigen Standards werden mit einer SMS-Kurznachricht in einem Telekommunikationsnetz eine Internet-E-Mail (elektronische Postnachricht) sowie Adressund ldentifikationsdaten für die Übertragung der Internet-E-Mail im Internet übertragen. Hierzu muss beim Versenden ein so genannter Signalisierungseintrag PID (Protocol Identifier) in einer Kopfinformation der SMS-Kurznachricht entsprechend eingestellt werden, um auf die mit der Kurznachricht übertragene Internet-E-Mail hinzuweisen. Der Datenteil der SMS-Kurznachricht beginnt dabei mit der Zieladresse für die Internet-E-Mail. Beim Empfangen von lnternet-E-Mails über den SMS-Kurznachrichtendienst ist die Zieladresse von einer Netzwerkeinheit durch die Quelladresse des Absenders ersetzt worden. Die Trennung zwischen Zieloder Quelladresse der Internet-E-Mail und der eigentlichen Internet-E-Mail in der SMS-Kurznachricht ist einfach ein Leerzeichen. Optional unterstützt der Standard gemäß dem Stand der Technik die Angabe von mehreren Zieladressen, die durch Kommata getrennt werden müssen, sowie die Datenfelder "Subject" zur Angabe des Titels der Internet-E-Mail und "Real Name" zur Angabe des eigentlichen Namens des Absenders. Als Trennungszeichen zwischen diesen Datenfeldern ist dabei vorgesehen, das Datenfeld "Subject" in Klammern zu setzen oder durch zwei vorangestellte Sonderzeichen, wie beispielsweise "##" zu kennzeichnen. Das Datenfeld "Real Name" wird ebenfalls durch ein Sonderzeichen, beispielsweise "#" gekennzeichnet.

Die Streitpatentschrift, vgl. die Absätze [0002], [0004], [0005] und die Beschreibung der Ausführungsbeispiele, Spalte 3, Zeile 40 bis Spalte 13, Zeile 4, verweist zu den bekannten Verfahren insbesondere auf die diesen Verfahren zugrunde liegenden Standards und mit diesen zusammenhängende Veröffentlichungen -"SMS-E-Mail Parameter", T2(99) -1068, Change Request to 23.040, 23. November 1999 (Anlage K6, "CHANGE RE-

QUEST"),

-"Technical realization of the Short Message Service (SMS);

Pointto-Point (PP)", GSM 03.40 V7.1.0 (1998-11),

-3G TS 23.040 Version 3.2.0, Oktober 1999 (Anlage K5, "SMS-

STANDARD") und -"Standard for the Format of ARPA Internet Text Messages", IETF, RFC 822 (Anlage K12).

Zu den Vorteilen des erfindungsgemäßen Verfahrens zur Übertragung von elektronischen Postnachrichten mit den Merkmalen des Patentanspruchs 1 wird in der Streitpatentschrift ausgeführt, dass mit der Kurznachricht eine erste Kopfinformation mit einer Signalisierung mindestens eines Datenfeldes übertragen wird, das die Adressund/oder Identifikationsdaten umfasst, dass weiter eine zweite Kopfinformation mit der Kurznachricht übertragen wird, die auf das Vorhandensein der ersten Kopfinformation hinweist, und dass das mindestens eine Datenfeld innerhalb eines Datenteils der Kurznachricht außerhalb jeder Kopfinformation übertragen wird. Auf diese Weise kann ein erster Diensteanbieter eines ersten Kommunikationsnetzes in Abhängigkeit einer Auswertung der zweiten Kopfinformation die Kurznachricht an einen zweiten Diensteanbieter eines zweiten Kommunikationsnetzes weiterleiten, der dann anhand der ersten Kopfinformation eine Auswertung der Kurznachricht zur Extraktion der elektronischen Postnachricht aus der Kurznachricht und zur Weiterleitung der elektronischen Postnachricht über das zweite Kommunikationsnetz vornehmen kann. Es ist somit nicht erforderlich, dass der erste Diensteanbieter des ersten Kommunikationsnetzes gleichzeitig Diensteanbieter des zweiten Kommunikationsnetzes ist. Außerdem kann mittels der ersten Kopfinformation auf eine spezielle Form der Adressierung der elektronischen Postnachricht hingewiesen werden, die bei der Extraktion der elektronischen Postnachricht durch den zweiten Diensteanbieter berücksichtigt werden kann. Die Form der Adressierung lässt sich somit flexibel wählen. Voraussetzung ist lediglich, dass der zweite Diensteanbieter die jeweils angegebene Form der Adressierung der elektronischen Postnachricht kennt und diese für die Extraktion und Weiterleitung der elektronischen Postnachricht auswerten kann.

Patentanspruch 1 des Streitpatents schlägt dazu ein Verfahren zur Übertragung von elektronischen Postnachrichten mit folgenden Merkmalen vor:

1.

Verfahren zur Übertragung von elektronischen Postnachrichten (1) unter Verwendung eines SMS-Kurznachrichtendienstes, wobei 2.

mit einer Kurznachricht (5) des SMS-Kurznachrichtendienstes in einem ersten Kommunikationsnetz (100) eine elektronische Postnachricht (1) sowie Adressund/oder Identifikationsdaten für die Übertragung der elektronischen Postnachricht (1) in einem zweiten Kommunikationsnetz (200) übertragen werden, wobei 3.

mit der Kurznachricht (5) eine Benutzerdatenkopfinformation (11) mit einer Signalisierung des Vorhandenseins mehrerer Datenfelder (20, 25, 30, 35) übertragen wird, die die Adressund/oder Identifikationsdaten umfassen, wobei 4.

eine zweite Kopfinformation (12) mit der Kurznachricht (5) übertragen wird, die auf das Vorhandensein der Benutzerdatenkopfinformation (11) hinweist;

5.

die mehreren Datenfelder (20, 25, 30, 35) werden innerhalb eines Datenteils (50) der Kurznachricht (5) außerhalb der Benutzerdatenkopfinformation (11) und der zweiten Kopfinformation (12) übertragen;

6.

die Signalisierung des Vorhandenseins der mehreren Datenfelder (20, 25, 30, 35) erfolgt mittels eines Identifikators in der Benutzerdatenkopfinformation, indem der Identifikator einen Wert angibt, der gemäß einer Zuordnungstabelle einer RFC-822 Adressierung zugeordnet ist, nach der die Adressund/oder Identifikationsdaten im Datenteil (50) vorliegen.

2.

Der Senat erachtet als maßgeblichen Fachmann einen Diplomingenieur der Fachrichtung Nachrichtentechnik mit Erfahrung auf den Gebieten der Mobilfunkkommunikation und der elektronischen Datennetze (insbesondere Internet) und umfassenden Kenntnissen der dabei zum Einsatz gelangenden Datenstrukturen und deren Standardisierung.

3.

Entsprechend dem Verständnis dieses Fachmanns -insbesondere dokumentiert durch den in der Streitpatentschrift angezogenen Stand der Technik -legt der Senat den Patentanspruch 1 und die mit dem beanspruchten Verfahren verwendete Datenstruktur der elektronischen Kurznachricht wie in der folgenden Darstellung gezeigt aus:

Diese Datenstruktur ist insbesondere dadurch gekennzeichnet, dass -mehrere -Datenfelder innerhalb eines Datenteils der (SMS-) Kurznachricht und damit außerhalb der Benutzerdatenkopfinformation (User Data Header -UDH) und der zweiten Kopfinformation (SMS-Header) übertragen werden (Merkmal 5 des Patentanspruchs 1) und dass die Signalisierung des Vorhandenseins der mehreren Datenfelder mittels eines Identifikators in der Benutzerdatenkopfinformation erfolgt, indem dieser Identifikator einen Wert angibt, der gemäß einer Zuordnungstabelle einer RFC-822-Adressierung zugeordnet ist, nach der Adressund/oder Identifikationsdaten für die Übertragung einer elektronischen Postnachricht in einem zweiten Kommunikationsnetz im Datenteil der SMS-Kurznachricht vorliegen (Merkmal 6).

II.

1. Der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, da er dem Fachmann durch den Stand der Technik gemäß dem SMS-Standard 3G TS 23.040 Version 3.2.0, Oktober 1999 (K5, "SMS-STAND-ARD") in Verbindung mit seinem Fachwissen und Fachkönnen nahegelegt wurde.

Aus dem vorgenannten Standard 3G TS 23.040 Version 3.2.0, Oktober 1999 (K5, "SMS-STANDARD"), vgl. die S. 21 bis 23, Kapitel 3.8 und die dazu gehörigen Unterkapitel, ist ein Verfahren zur Übertragung von elektronischen Postnachrichten (Internet Electronic Mails, Internet-E-mails, Emails) unter Verwendung eines SMS-Kurznachrichtendienstes als bekannt entnehmbar (Merkmal 1 des Patentanspruchs 1). Mit dem bekannten Verfahren werden -entsprechend Merkmal 2 -mit einer Kurznachricht des SMS-Kurznachrichtendienstes (SMS-Nachricht) in einem ersten Kommunikationsnetz (Mobilfunknetz) eine elektronische Postnachricht sowie Adressund/oder Identifikationsdaten für die Übertragung der elektronischen Postnachricht in einem zweiten Kommunikationsnetz (Internet) übertragen, vgl. insbesondere S. 21, Kapitel 3.8, 1. Absatz und Spiegelstriche.

Gemäß dem Standard K5 enthält eine SMS-Nachricht einen SMS-Header, der Daten enthält, die Eigenschaften der SMS-Nachricht signalisieren oder der Wegleitung der SMS-Nachricht oder anderen Steueraufgaben dienen. Beispielsweise hat der SMS-Nachrichtentyp "SMS-Submit", der den Aufbau einer von einer Mobilstation zu einem Switching Center zu übertragenden SMS-Nachricht definiert, einen SMS-Header, der bis zu 20 sog. (Daten-) Oktette enthält. Auf diesen SMS-Header folgt der Nutzdatenteil der SMS-Nachricht, welcher bis zu 140 (Daten-) Oktette enthalten kann, vgl. K5, S. 40 bis 50, Kapitel 9.2.2.2, die Datenfelder des SMS-Headers sind dort u. a. mit TP-MR, TP-DA, TP-PID, TP-DCS, TP-VP und TP-UDL bezeichnet, der Nutzdatenteil wird mit TP-UD bezeichnet. Die in den Merkmalen 4 und 5 des Anspruchs 1 des Streitpatents geforderte zweite Kopfinformation liest der Fachmann auf den SMS-Header gemäß dem Standard K5.

Als eine fakultative Erweiterung spezifiziert K5 auf den S. 61 bis 71 in Kapitel 9.2.3.24 und den zugehörigen Unterkapiteln einen so genannten User Data Header (UDH), um weitere Steuerinformationen übertragen zu können, bspw. Steuerinformationen, die eine Verkettung von SMS-Nachrichten anzeigen, um die vorgenannte Längenbeschränkung von SMS-Nachrichten von 160 Oktetten zu überwinden. Der User Data Header ist nicht im eigentlichen SMS-Header angeordnet, sondern im Nutzdatenteil der SMS. Der User Data Header kann ein oder mehrere sog. Informationselemente enthalten, die jeweils durch einen Informationselement-Identifikator (Information Element Identifier -IEI) charakterisiert werden. Auf S. 64 der K5, sind tabellarisch verschiedene vordefinierte Belegungen dieses Informationselement-Identifikators angegeben. Die mit Merkmal 3 des Patentanspruchs 1 geforderte Benutzerdatenkopfinformation, die das Vorhandensein mehrerer Datenfelder signalisiert, wobei letztere Adressund/oder Identifikationsdaten umfassen, identifiziert der Fachmann als Teil eines User Data Header, wie in dem Standard K5 definiert.

Da der User Data Header fakultativ ist, ist im -eigentlichen -SMS-Header (zweite Kopfinformation nach Anspruch 1) ein Indikator vorgesehen, nämlich der User Data Header Indicator (UDHI). Dieser zeigt, wenn er mit dem Wert "1" belegt ist, an, dass im Nutzdatenteil der SMS-Nachricht ein User Data Header vorhanden ist, anderenfalls ist er mit "0" belegt und zeigt dadurch an, dass kein User Data Header vorhanden ist (vgl. K5, S. 40 bis 44, Kapital 9.2.2.2, und S. 61, Kapitel 9.2.3.23). Somit weist der SMS-Header (die zweite Kopfinformation nach Anspruch 1) mittels des User Data Header Indicator auf das Vorhandensein der Benutzerdatenkopfinformation hin (Merkmal 4).

Mit dem TP-Protocol-Identifier (TP-PID) zeigt der SMS-Standard gemäß K5 Möglichkeiten auf, im SMS-Header verschiedene Dienste oder Anwendungen zu signalisieren, mit denen die betreffende SMS in einem funktionellen Zusammenhang steht, so z. B. die Signalisierung von Telefax, Sprachkonvertierung, Internet Electronic Mail (elektronische Postnachricht), etc., vgl. Zweckbestimmung und Belegung des TP-PID, gemäß K5, S. 13, Kap. 3.2.3, und S. 52 bis 54, Kap. 9.2.3.9. Die Einbettung von elektronischen Postnachrichten (Emails) in SMS-Kurznachrichten definiert der Standard K5 auf den S. 21 bis 23 in Kapitel 3.8 und den dazu gehörigen Unterkapiteln. Demnach wird eine Email einschließlich verschiedener Datenfelder des Email-Headers standardgemäß im Nutzdatenteil der SMS eingefügt. Übersteigt die Länge der Email diejenige, die mit einer einzelnen SMS übertragen werden kann, werden mehrere SMS-Nachrichten verkettet (concatenated, S. 21, Kapitel 3.8 i. V. m. S. 22, Kapitel 3.8.3). Die wenigen gemäß Standard K5 unterstützten Datenfelder des Email-Headers, wie Senderadresse, Empfängeradresse, Betreffzeile, etc., sind fakultativ. Bei einer von einem Mobiltelefon mittels SMS gesendeten Email (MO SMS) muss zumindest die Empfängeradresse vorhanden sein, vgl. K5, S. 21 bis 22, Kapitel 3.8.1 und 3.8.2. Nach der RFC 822-Spezifikation ist der Email-Header vom Nachrichtenteil (Body) der Email durch eine Leerzeile getrennt (vgl. K4, S. 651, 1. Absatz, "blank line"). Analog dazu ist im SMS-Standard K5 die Absenderbzw. Empfängeradresse vom Email-Body durch ein Leerzeichen getrennt (<space>, S. 21, Kapitel 3.8.1). Sofern andere Teile eines Email-Headers, z. B. eine Betreffzeile vorhanden sind, erfolgt die Trennung zwischen diesen und der Adresszeile sowie der eigentlichen Nachricht durch eingeschobene Sonderzeichen, wie bspw. die Zeichen # und ## (S. 22, Kapitel 3.8.2). Gemäß dem Standard K5 werden somit die (mehreren) Datenfelder des EmailHeaders innerhalb des eigentlichen Nutzdatenteils der SMS-Nachricht übertragen und somit außerhalb des User Data Headers und auch außerhalb des eigentlichen SMS-Headers. Die Signalisierung des Vorhandenenseins einer Email und damit auch des Vorhandenseins eines oder mehrerer Datenfelder eines Email-Headers gemäß RFC 822 in einer SMS-Nachricht erfolgt standardgemäß im SMS-Header mit dem bereits oben genannten TP-PID-Parameter, dem zu diesem Zweck der Wert "10010" zugewiesen wird, vgl. K5, S. 52, Kapitel 9.2.3.9, Tabelle am Ende der Seite. Die Adressund/oder Identifikationsdaten des Email-Headers befinden sich dabei, wie oben bereits ausgeführt, im Nutzdatenteil der SMS-Nachricht, somit außerhalb von SMS-Header und User Data Header.

Die solcherart mit dem Standard K5 definierte Übertragung von elektronischen Postnachrichten unter Verwendung eines SMS-Kurznachrichtendienstes weist ersichtlich Nachteile auf, indem nur ein Teil der möglichen Felder eines Email-Headers und damit der Adressund/oder Identifikationsdaten der elektronischen Postnachricht bei der Übertragung unterstützt wird, nämlich die Felder "Absenderadresse" (fromaddress), "Empfängeradresse" (toaddress), "Betreff" (subject) und "echter Absendername" (realname), vgl. K5, S. 21 bis 22. Ausdrücklich nicht unterstützt wird das Feld "Kopieempfänger" (cc), K5 , S. 21, Kapitel 3.8, 4. Spiegelstrich. Daneben sind gemäß dem Standard RFC 822 für das Format von Internet-Emails weitere Email-Header-Felder vorgesehen, bspw. "bcc:", "date:", "replyto:", "messageid:" u. a., die von den durch den Standard K5 gegebenen Datenstrukturen ebenfalls nicht unterstützt werden, vgl. K12, S. 18 und K4, S. 651 bis 652.

Die vorgenannten Nachteile veranlassen den Fachmann, die durch den Standard K5 gegebenen Verfahren zur Übertragung von elektronischen Postnachrichten unter Verwendung eines SMS-Kurznachrichtendienstes und die dabei Verwendung findenden Datenstrukturen der Kurznachrichten dahingehend zu verbessern, dass eine Übertragung der elektronischen Postnachrichten mit möglichst allen Email-Header-Feldern ermöglicht wird.

Anregungen zu Verbesserungen entnimmt der Fachmann bereits dem Standard K5. So sind auf S. 64 des Standards K5 verschiedene Belegungen des Informationselement-Identifikator (IEI)-Parameters aufgeführt für die Verwendung im User Data Header. Hierbei sieht der Standard K5 zwei Mechanismen zur Verknüpfung von IEI und zugehörigen Daten vor, die parallel verwendet werden können. Nach einer ersten Möglichkeit befinden sich die Daten, auf die der IEI-Parameter verweist, im User Data Header selbst, wie beispielsweise in Figur 9.2.3.24 (c) auf S. 63 der K5 aufgezeigt ist. Nach einer zweiten Möglichkeit, beispielsweise bei den auf einen so genannten SIM Toolkit Security Header verweisenden Belegungen 70 bis 7F, sind keine diesbezüglichen Daten im User Data Header vorhanden. Hier verweist der IEI-Parameter vielmehr darauf, dass ein SIM Toolkit Security Header am Anfang des eigentlichen Nutzdatenteils der SMS-Nachricht, also außerhalb des User Data Headers vorliegt, vgl. K5, S. 69 -70, Kapitel 9.2.3.24.7. Für die SMS-Kurznachricht ergibt sich für den vorstehend geschilderten Fall der Übertragung eines SIM Toolkit die folgende Datenstruktur:

Die solcherart gegebene Datenstruktur einer SMS-Kurznachricht für die Übertragung eines SIM Toolkit bietet sich dem Fachmann an, um die gemäß dem Standard K5 gegebenen Unzulänglichkeiten bei der Übertragung von elektronischen Kurznachrichten mittels SMS-Kurznachrichten zu vermeiden, indem er die für die Übertragung des SIM Toolkit bekannte Datenstruktur mit den für die Übertragung elektronischer Postnachrichten anfallenden Dateninhalten ausfüllt. Da der Fachmann die grundsätzliche Gleichartigkeit der Datenstrukturen für eine SIM-ToolkitÜbertragung und eine EmailÜbertragung erkennt (jeweils sollen Nutzdaten und auf diese verweisende Header übertragen werden), liegt es dem Fachmann nahe, die für den Security Header vorgesehenen Datenfelder, die per definitionem außerhalb des SMS-Header und des User Data Header im darauf folgenden Datenteil übertragen werden, für die mehreren Datenfelder zu nutzen, die die Adressund/oder Identifikationsdaten für die Übertragung der elektronischen Kurznachricht beinhalten. So gelangt er zu einem Verfahren, bei dem die mehreren Datenfelder innerhalb eines Datenteils der Kurznachricht und außerhalb der Benutzerdatenkopfinformation und der zweiten Kopfinformation übertragen werden (Merkmal 5 des Patentanspruchs 1). Zur Signalisierung des Vorhandenseins der mehreren Datenfelder nutzt der Fachmann analog zu dem auf den Security Header verweisenden Identifikator einen der nach der Tabelle auf S. 64 des Standards K5 für zukünftige Verwendungen freigegebenen Identifikatoren, der im vorliegenden Falle des Verweises auf eine elektronische Postnachricht einer RFC-822 Adressierung zugeordnet ist, nach der die Adressund/oder Identifikationsdaten im Datenteil vorliegen (Merkmal 6).

Damit ist der Fachmann, ohne erfinderisch tätig zu werden, zum Gegenstand des Patentanspruchs 1 gelangt.

Die Beklagte hat eingewendet, dass die für eine Übertragung eines SIM Toolkit vorgesehene Datenstruktur der SMS-Kurznachricht nichts gemein habe mit der bei dem Verfahren gemäß dem Streitpatent vorliegenden SMS-Datenstruktur zur Übertragung von elektronischen Postnachrichten, da sich schon die Adressaten der übertragenen Daten grundlegend unterschieden. So werde im Falle des SIM Toolkit letztlich eine SIM-Karte programmiert, während im Falle des Streitpatents die mit der SMS-Kurznachricht übertragene Email an einen zweiten Diensteanbieter eines zweiten Kommunikationsnetzes zur Weiterleitung an einen Empfänger der elektronischen Postnachricht übergegeben werde.

Dem mag zwar hinsichtlich der Verwendung der übertragenen Daten und deren Adressaten beizupflichten sein, jedoch ändert dies nichts daran, dass die mit dem erfindungsgemäßen Verfahren gemäß Patentanspruch 1 verwendete Datenstruktur der SMS-Kurznachricht im Standard K5 identisch vorgezeichnet ist. Dem Fachmann bleibt also nur, die bekannte Datenstruktur auch für die im Falle des Streitpatents zu übertragenden Daten, die sich strukturell hierfür geradezu anbieten, zu nutzen. Ein solches Vorgehen stellt eine routinemäßige Anwendung des dem Fachmann zur Verfügung stehenden Wissens und Könnens dar; der Rahmen durchschnittlichen fachmännischen Könnens wird dabei nicht verlassen. Auch bestanden zum Prioritätszeitpunkt keine Vorbehalte, die für die Verwendung von SIM Toolkits bekannte Datenstruktur auch für die Übertragung von elektronischen Kurznachrichten in Anschlag zu bringen. Das folgt schon daraus, dass sowohl die Übertragung von SIM Toolkits wie auch die Übertragung elektronischer Postnachrichten mittels SMS-Kurznachrichten in ein und demselben Stand der Technik, nämlich dem Standard K5, definiert sind (vgl. dazu BGH, Urteil vom 15. September 2009 -X ZR 115/05, RIW 2010, 65 -Sektionaltor).

2. Hinsichtlich der angegriffenen Unteransprüche ist ein eigenständiger erfinderischer Gehalt weder geltend gemacht, noch sonst ersichtlich (BGH Urteil vom 12. Dezember 2006 -X ZR 131/02, GRUR 2007, 309 -Schussfädentransport).

III.

Als Unterlegene hat die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits gemäß § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu tragen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 99 Abs. 1 PatG und § 709 ZPO.

Schuster Gutermuth Dr. Hartung Kleinschmidt Musiol Pü