VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 09.08.2007 - 13 S 2885/06
Fundstelle
openJur 2012, 66304
  • Rkr:

1. Die Bestimmung des § 48 LVwVfG ist auf die Rücknahme von Einbürgerungen nur unter den Einschränkungen anwendbar, die sich aus dem Entziehungsverbot des Art. 16 Abs. 1 GG ergeben (im Anschluss an BVerfG, Urteil vom 24.5.2006 - 2 BvR 669/04 -, DVBl. 2006, 910).

2. Auch eine durch Täuschung erwirkte Einbürgerung kann nach § 48 LVwVfG nur dann zurückgenommen werden, wenn die Rücknahme zeitnah zur Einbürgerung erfolgt (im Anschluss an BVerfG, Urteil vom 24.5.2006 - 2 BvR 669/04 -, DVBl. 2006, 910).

3. Der Begriff zeitnah bezieht sich auf den von der Einbürgerung bis zu ihrer Rücknahme verstrichenen Zeitraum, nicht auf eine Entschließungsfrist der Behörde ab Kenntniserlangung der rücknahme-begründenden Umstände.

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 1. August 2006 - 11 K 4702/04 - wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Rücknahme seiner Einbürgerung in den deutschen Staatsverband.

Der Kläger, ein im Jahre 1962 geborener ehemaliger pakistanischer Staatsangehöriger, reiste erstmalig am 6.10.1985 in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er sich als Asylsuchender meldete. Nach Rücknahme seines Asylantrags kehrte er zunächst am ... freiwillig nach Pakistan zurück, reiste jedoch am ... erneut als Asylbewerber in die Bundesrepublik Deutschland ein. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (nunmehr: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt -) lehnte den Asylantrag des Klägers mit Bescheid vom 21.4.1987 ab, welcher nach Rücknahme der hiergegen erhobenen Klage bestandskräftig wurde. Am ... heiratete der Kläger in Stockholm eine deutsche Staatsangehörige, worauf ihm eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wurde. Gestützt auf § 9 Abs.1 RuStAG in der damals gültigen Fassung beantragte er am ... bei den seinerzeit örtlich zuständigen Behörden des Saarlands seine Einbürgerung. Zur Begründung des Einbürgerungsantrags verwies der Kläger auf die eheliche Lebensgemeinschaft mit seiner deutschen Frau und den Willen, mit ihr auf Dauer in Deutschland zu leben. Mit Urkunde des Saarländischen Ministeriums des Innern vom ... ausgehändigt am ... wurde der Kläger in den deutschen Staatsverband eingebürgert. Die Ehe des Klägers wurde auf Antrag seiner Frau mit Urteil des Amtsgerichts Saarbrücken - Familiengericht - vom ... geschieden. Im Urteil des Familiengerichts ist als Trennungsdatum August 1992 angegeben. In der Folgezeit verzog der Kläger in den örtlichen Zuständigkeitsbereich des Landratsamts Rems-Murr-Kreis.

Nachdem der Kläger eine pakistanische Staatsangehörige geheiratet hatte und ein Verfahren auf Familiennachzug für seine Ehefrau einleitete, teilte die Auslandsvertretung der Bundesrepublik Deutschland in Islamabad mit Schreiben vom ... der zuständigen unteren Ausländerbehörde mit, Ermittlungen eines von der Botschaft eingeschalteten Vertrauensanwalts hätten Hinweise darauf ergeben, dass es sich bei der Vorehe des Klägers mit seiner deutschen Ehefrau um eine Scheinehe gehandelt habe. So habe die Mutter des Klägers gegenüber dem Vertrauensanwalt eingeräumt, dass die vom ... bis zum ... bestehende Ehe des Klägers nur den Zweck gehabt habe, ihm eine Aufenthaltssicherung zu ermöglichen und vereinbarungsgemäß nach Zweckerreichung aufgelöst worden sei. Nachdem der Beklagte von dieser Mitteilung der deutschen Auslandsvertretung am 5.8.2002 Kenntnis erlangte, hörte er den Kläger mit Schreiben vom ... zu einer beabsichtigten Rücknahme der Einbürgerung wegen des Verdachts der Scheinehe an. Der Kläger trat diesem Vorwurf entgegen und brachte hierzu u.a. eine Bestätigung seiner ehemaligen Ehefrau bei, wonach die eheliche Lebensgemeinschaft bis August 1993 bestanden habe.

Mit Bescheid vom 16.7.2003 nahm das Landratsamt Rems-Murr-Kreis die Einbürgerung des Klägers vom ... in den deutschen Staatsverband unter Anordnung der sofortigen Vollziehung zurück (1.) und forderte ihn zur Rückgabe der Einbürgerungsurkunde sowie der ihm ausgestellten Ausweispapiere auf (2.). Zur Begründung der auf § 48 LVwVfG gestützten Rücknahme der Einbürgerung führt das Landratsamt aus, der Kläger habe seine Einbürgerung in den deutschen Staatsverband durch arglistige Täuschung erwirkt, da es sich bei seiner damaligen Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen zur Überzeugung der Behörde um eine Scheinehe gehandelt habe. Das Landratsamt habe keinerlei Zweifel an der Echtheit der vertrauensanwaltlichen Ermittlungen, welche den Verdacht einer Scheinehe bestätigt hätten. Es sei nicht ersichtlich, warum eine deutsche Auslandsvertretung falsche Aussagen machen und damit anderen Leuten Lügen unterstellen sollte. Im übrigen habe der Kläger gegen seine Mitwirkungsobliegenheiten im Einbürgerungsverfahren verstoßen, indem er die im Jahre 1992 erfolgte Trennung von seiner Ehefrau nicht mitgeteilt habe. Aufgrund der Feststellungen in dem Scheidungsurteil ergebe sich eindeutig, dass eine etwa bestehende eheliche Lebensgemeinschaft bereits im August 1992 und nicht wie von dem Kläger behauptet erst ein Jahr später aufgelöst worden sei. Die gegenteiligen Bekundungen des Klägers seien bereits deshalb nicht glaubhaft, weil sich ansonsten die Beteiligten bereits früher gegen das unrichtige Scheidungsurteil gewehrt hätten.

Die Annahme einer ehelichen Lebensgemeinschaft sei für die auf § 9 StAG gestützte Einbürgerung auch ursächlich gewesen, weil sie andernfalls nicht hätte erfolgen dürfen. Aufgrund der arglistigen Täuschung könne sich der Kläger nicht auf Vertrauensschutz berufen, so dass die Einbürgerung gemäß § 48 Abs. 3 LVwVfG zurückgenommen werden könne. Da es sich um keinen rechtmäßigen , sondern um einen durch arglistige Täuschung herbeigeführten Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit gehandelt habe, greife das Entziehungsverbot des Art. 16 GG nicht ein. Diese Vorschrift solle vielmehr nur gezielte Zwangsausbürgerungen verhindern. Bei Bewertung der Gesamtumstände gehe die Staatsangehörigkeitsbehörde davon aus, dass der Kläger seine Einbürgerung in den deutschen Staatsverband durch arglistige Täuschung erworben habe und somit deren Rücknahme gemäß § 48 LVwVfG zu verfügen sei.

Der Kläger legte hiergegen Widerspruch ein und stellte beim Verwaltungsgericht Stuttgart am 27.8.2003 einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes durch Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs. Mit Beschluss vom 17.10.2003 (7 K 3492/03) gab das Verwaltungsgericht Stuttgart dem Eilantrag statt.

Den Widerspruch des Klägers wies das Regierungspräsidium Stuttgart mit Widerspruchsbescheid vom 17.11.2004 auf der Grundlage der Rechtsauffassung des Ausgangsbescheids mit ergänzenden Gründen zurück. Zur Klarstellung werde darauf hingewiesen, dass die Rücknahme der Einbürgerung mit Wirkung für die Vergangenheit erfolge, wie es der gesetzlichen Vorschrift des § 48 Abs. 2 Satz 4 LVwVfG entspreche. Anlass für die Rücknahme sei die Annahme einer Scheinehe des Klägers mit einer deutschen Staatsangehörigen basierend auf den Aussagen, welche seine Mutter gegenüber einem Vertrauensanwalt der deutschen Auslandsvertretung getätigt habe. Die Ausgangsbehörde habe ihr Rücknahmeermessen noch hinreichend ausgeübt und dabei zutreffend auf das Vorliegen einer arglistigen Täuschung und den daraus resultierenden Ausschluss von Vertrauensschutz abgehoben. Die Widerspruchsbehörde schließe sich der Auffassung des Landratsamts an, wonach das öffentliche Interesse an der Rücknahme der rechtswidrig erteilten Einbürgerung das Interesse des Klägers an deren weiterem Fortbestand überwiege. Keiner abschließenden Klärung bedürfe, ob der Kläger aufgrund der Rücknahme der Einbürgerung tatsächlich staatenlos werde, was nach pakistanischem Staatsangehörigkeitsrecht im wesentlichen davon abhänge, ob ein etwaiger Verzichtsantrag von der zuständigen Behörde entgegengenommen worden sei.

Auf die am 26.11.2004 beim Verwaltungsgericht Stuttgart erhobene Klage, mit der der Kläger beantragt hat,

die Verfügung des Landratsamts Rems-Murr-Kreis vom 16.7.2003 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 17.11.2004 aufzuheben,

hat das Verwaltungsgericht Stuttgart mit Urteil vom 1.8.2006 - 11 K 4702/04 -die angefochtenen Bescheide insgesamt aufgehoben.

In den Entscheidungsgründen hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, die von dem Beklagten herangezogene allgemeine Vorschrift des § 48 LVwVfG stelle in der vorliegenden Fallkonstellation keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage zur Rücknahme der Einbürgerung des Klägers dar. Dabei könne dahingestellt bleiben, ob es sich bei der für die Einbürgerung ursächlichen vorgegangenen Ehe des Klägers mit einer deutschen Staatsangehörigen um eine Scheinehe gehandelt habe. Die allgemeine Bestimmung des § 48 LVwVfG stelle nur dann eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für die Rücknahme einer erschlichenen Einbürgerung dar, wenn diese zeitnah erfolge. Da zwischen der Einbürgerung des Klägers und der angegriffenen Rücknahmeentscheidung mehr als zehn Jahre verstrichen seien, liege eine derartige zeitnahe Rücknahme der Einbürgerung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht vor. Die frühere gegenteilige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24.5.2006 (2 BvR 669/04) überholt. Das Gericht schließe sich der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts an, wonach es Sache des Gesetzgebers sei, im Staatsangehörigkeitsgesetz selbst eine eigenständige Regelung für die Rücknahme einer aufgrund unlauterer Verhaltensweisen des Eingebürgerten erlangten Einbürgerung zu schaffen, wenn es um mehr als eine zeitnahe Rücknahme gehe.

Gegen das am 10.11.2006 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 1.12.2006 die bereits vom Verwaltungsgericht im Tenor seiner Entscheidung zugelassene Berufung eingelegt; er hat beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 1.8.2006 - 11 K 4702/04 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Zur Begründung der Berufung hat der Beklagte am 5.1.2007 ausgeführt, entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts stelle § 48 LVwVfG eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für die Rücknahme der vom Kläger erschlichenen Einbürgerung dar. Das angegriffene Urteil gehe ohne ausreichende Begründung fälschlicherweise davon aus, dass im vorliegenden Fall keine zeitnahe Rücknahme im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 24.5.2006, Az. 2 BvR 669/04) erfolgt sei. Zudem liege der für die Rücknahmeentscheidung maßgebliche Zeitpunkt auch nicht mehr als zehn Jahre nach der Einbürgerung des Klägers, sondern weniger. Abzustellen sei nicht auf den Zeitpunkt der Rücknahmeentscheidung selbst, sondern auf den Zeitpunkt der Anhörung des Klägers mit Schreiben des Landratsamts vom .... Zwischen der Einbürgerung und der maßgeblichen, den Vertrauensschutz ausschließenden Anhörung des Klägers liege deshalb lediglich ein Zeitraum von etwas über neuneinhalb Jahren. Im Hinblick auf die weitreichenden Statusfolgen einer Einbürgerung dürften an den Begriff der zeitnahen Rücknahme keine überzogenen Anforderungen gestellt werden. Der Zeitraum von zehn Jahren stelle noch eine gut überschaubare Zeitspanne dar. Im übrigen habe sich das Bundesverfassungsgericht in seinem genannten Urteil vom 24.5.2006 hinsichtlich der zeitlichen Grenzen für die Rücknahme einer Einbürgerung aufgrund allgemeinen Landesverwaltungsverfahrensrechts besonders zurückhaltend geäußert. Insbesondere verlange das Bundesverfassungsgericht gerade nicht, dass der Gesetzgeber selbst eine abschließende zeitliche Grenze für die Rücknahmemöglichkeit schaffe.

Entgegen der von dem Verwaltungsgericht vertretenen Auffassung stelle die Vorschrift des § 48 LVwVfG auch für den Fall einer nicht zeitnah erfolgten Rücknahme eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage dar. Die ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach § 48 LVwVfG jedenfalls für die Fälle, in denen Dritte durch eine Rücknahme der Einbürgerung nicht tangiert würden, eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage darstelle, sei durch die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in keiner Weise überholt.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er wendet sich gegen die Annahme des Beklagten, es habe sich bei seiner Ehe mit der früheren deutschen Frau um eine Scheinehe gehandelt bzw. er habe das Trennungsdatum falsch angegeben. Im übrigen sei das Verwaltungsgericht Stuttgart zutreffend davon ausgegangen, dass die Rücknahme nicht mehr zeitnah im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erfolgt sei. Dabei könne es nicht darauf ankommen, ob bei der Berechnung der Frist auf den 16.7.2003 oder auf das Anhörungsschreiben des Beklagten vom ... abzustellen sei. Auch ein Zeitraum von etwas mehr als neuneinhalb Jahren könne nicht mehr als unverzügliche Rücknahme im Sinne des Bundesverfassungsgerichts angesehen werden.

Die Beteiligten haben übereinstimmend auf mündliche Verhandlung verzichtet.

Dem Senat liegen die den Kläger betreffenden Akten des Beklagten einschließlich der Widerspruchsakten des Regierungspräsidiums Stuttgart vor. Auf diese Akten wird ebenso wie auf die Gerichtsakten des Verwaltungsgerichts verwiesen; diese Akten waren Gegenstand der Beratung.

Gründe

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung über die Berufung des Beklagten entscheiden, da beide Beteiligte auf mündliche Verhandlung verzichtet haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).

Die nach Zulassung durch das Verwaltungsgericht (§ 124a Abs. 1 VwGO) rechtzeitig eingelegte Berufung (§ 124a Abs. 2 Satz 1 VwGO), die den erforderlichen formellen Anforderungen entspricht (§ 124a Abs. 2 Satz 2 VwGO) und innerhalb der Frist des § 124a Abs. 3 Satz 1 und 3 VwGO rechtzeitig und formal ordnungsgemäß begründet worden ist (§ 124a Abs. 3 Satz 2 und 4 VwGO), hat sachlich keinen Erfolg; das Verwaltungsgericht hat zu Recht den Bescheid des Beklagten vom 16.7.2003 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 17.11.2004 aufgehoben, weil diese rechtswidrig sind und den Kläger in eigenen Rechten verletzen (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Sowohl die Rücknahme der Einbürgerung des Klägers (1.) als auch die verfügte Verpflichtung, die Einbürgerungsurkunde sowie die deutschen Ausweispapiere zurückzugeben (2.), erweisen sich als rechtswidrig.

1.1 Für die verfügte Rücknahme der im Jahre 1993 erfolgten Einbürgerung fehlt es bereits an der erforderlichen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Allerdings kann grundsätzlich die Rücknahme einer rechtswidrigen Einbürgerung auf die allgemeine verwaltungsverfahrensrechtliche Bestimmung des § 48 Abs. 1 LVwVfG gestützt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 3.6.2003 - 1 C 19.02 - DVBl. 2004, 116; BVerwG, Urteil vom 9.9.2003 - 1 C 6/03 - DVBl. 2004, 322, Urteil des Senats vom 29.11.2002 - 13 S 2039/01 - DVBl. 2003, 1283). Die im Staatsangehörigkeitsrecht seit jeher vorhandenen punktuellen Regelungen über Rücknahme und Verlust der Staatsangehörigkeit (vgl. heute z.B. §§ 17 ff. StAG) stellen kein abgeschlossenes Regelungssystem dar, durch das der Gesetzgeber zu erkennen gegeben hätte, dass es sich um eine umfassende und abschließende Regelung der Materie mit der Folge handeln soll, dass die allgemeinen Regelungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes von vornherein nicht mehr zur Anwendung kommen. Das Staatsangehörigkeitsgesetz - StAG -, nach dessen § 9 (damals noch RuStAG) der Kläger eingebürgert wurde, enthält nur Regelungen über den Verlust der Staatsangehörigkeit aufgrund von nach ihrem Erwerb eingetretenen Umständen, während die Konsequenzen einer von Anfang an rechtswidrigen Einbürgerung nicht spezialgesetzlich geregelt sind. Auch § 24 StAngRegG ist nicht auf rechtswidrige Einbürgerungen nach § 9 RuStAG bzw. StAG anwendbar (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13.4.1989 - 1 B 54.89 - InfAuslR 1989, 276; BVerwG, Urteil vom 3.6.2003, a.a.O.).

Die allgemeine Bestimmung des § 48 LVwVfG ist auf die Rücknahme von Einbürgerungen jedoch nur anwendbar unter den Einschränkungen, die sich aus Art. 16 Abs. 1 GG ergeben (vg. hierzu grundlegend BVerfG, Urteil vom 24.5.2006 - 2 BvR 669/04 - DVBl. 2006, 910; dem folgend auch Hess. VGH, Urteil vom 18.1.2007 - 11 UE 111/06 - AuAS 2007,77). Die Vorschrift bedarf insoweit verfassungskonformer Anwendung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Gewährleistungen des Art. 16 Abs. 1 GG. Hieraus ergibt sich, dass die Rücknahme einer Einbürgerung nur zulässig ist, wenn sie vom Betroffenen auf vorwerfbare Weise erwirkt worden ist und zeitnah erfolgt. Jedenfalls das zwingende Erfordernis einer zeitnahen Rücknahme liegt hier nicht vor. Hierzu im einzelnen:

Dahingestellt kann mit dem Verwaltungsgericht bleiben, ob die Einbürgerung des Klägers vom ... tatsächlich wegen Bestehens einer Scheinehe bzw. Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft bereits vor erfolgter Einbürgerung im August 1992 rechtswidrig war, wie von dem Beklagten in der angefochtenen Verfügung angenommen. Zwar ist im Ergebnis dem Beklagten zuzustimmen, dass das Vorliegen einer Scheinehe oder die Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft nicht bereits den Tatbestand des § 9 StAG entfallen lässt, aber die Annahme eines atypischen Falles rechtfertigt, welcher der Staatsangehörigkeitsbehörde die Möglichkeit eröffnet, die Einbürgerung ausnahmsweise nach Ermessen zu verweigern, so dass bei Vorliegen der genannten Voraussetzungen regelmäßig von einer rechtswidrigen Einbürgerung ausgegangen werden kann (vgl. hierzu umfassend Urteil des Senats vom 29.11.2002, a.a.O.). Ob diese Voraussetzungen hier vorliegen, kann für die Entscheidung ebenso dahingestellt bleiben wie die Frage, ob der Kläger eine etwaige rechtswidrige Einbürgerung durch arglistige Täuschung oder in vergleichbar vorwerfbarer Weise erwirkt hat. Denn auch eine erschlichene rechtswidrige Einbürgerung kann nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 24.5.2006, a.a.O.) auf der Grundlage des derzeit geltenden Rechts, d.h. nach der allgemeinen verwaltungsverfahrensrechtlichen Bestimmung des § 48 LVwVfG, nur dann zurückgenommen werden, wenn die Rücknahme zeitnah vorgenommen wird (vgl. hierzu auch OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19.10.2006 - 5 B 15.03 - juris).

Die von dem Bundesverfassungsgericht zu entscheidende Fallkonstellation war maßgeblich durch den Umstand geprägt, dass dort zwischen der Einbürgerung und der Rücknahme derselben ein Zeitraum von knapp über zwei Jahren lag. Unter Hervorhebung dieses Umstandes haben die die Entscheidung tragenden Richter hervorgehoben, dass die Anwendung des allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes in diesem Fall mit dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes gemäß Art. 20 Abs. 3 GG in Einklang stehe. Dieser Umstand wird mehrfach in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ausdrücklich hervorgehoben (vgl. etwa Rn 72, 73, 76 des Mehrheitsvotums - zitiert nach dem Urteilsabdruck aus juris -). In dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts wird mehrfach dargelegt, dass in dem Fall, in dem der Betroffene selbst nachweislich durch Täuschung die Einbürgerung herbeigeführt habe und diese zeitnah zurückgenommen werde, der grundrechtlich geforderten Rechtssicherheit und Normenklarheit Genüge getan werde, da der Betroffene anhand einer allgemeinen gesetzlichen Verwaltungsverfahrensvorschrift die Folge der Rücknahme voraussehen konnte (vgl. Rn 76 des Urteils). Damit hatten die die Entscheidung tragenden vier Richter des Bundesverfassungsgerichts einen von ihnen selbst so bezeichneten Regelfall der Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände vor Augen, der sich unter dem Gesichtspunkt der Vorhersehbarkeit und des Vertrauensschutzes sowie unter den Anforderungen der Wesentlichkeitstheorie (vgl. hierzu Urteil des Bundesverfassungsgerichts, Rn 85) hinreichend und unproblematisch durch Anwendung des § 48 LVwVfG lösen ließ. Aus diesen Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts folgt entgegen der Annahme des Beklagten zwingend, dass § 48 LVwVfG in den Fällen einer nicht mehr zeitnahen Rücknahme der Einbürgerung keine hinreichende Ermächtigungsgrundlage darstellt. Dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist entgegen der Annahme des Beklagten nicht zu entnehmen, dass die Frage des Bestehens einer Ermächtigungsgrundlage bei nicht zeitnaher Rücknahme offen bleiben sollte. Dies ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit schon aus der tragenden Erwägung des Bundesverfassungsgerichts, wonach § 48 LVwVfG gerade dann eine ausreichende gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für die Rücknahme der Einbürgerung darstellt, wenn diese aufgrund eines bestehenden zeitlichen Zusammenhangs den rechtsstaatlichen Grundsätzen der Vorhersehbarkeit und Normenklarheit genügt. Die gebotene Rechtssicherheit sieht das Bundesverfassungsgericht nur bei einer zeitnahen Rücknahme einer Einbürgerung gewährleistet, während in anderen Fällen die hergebrachten Grundsätze des § 48 LVwVfG nicht mehr den rechtsstaatlich zwingend gebotenen Bestimmtheitserfordernissen bzw. der Vorhersehbarkeit genügen (vgl. hierzu auch umfassend OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19.10.2006, a.a.O.).

Für diese Auslegung sprechen im übrigen auch systematische und teleologische Erwägungen. So schützt der rechtsstaatlich-subjektive Gehalt des Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG das Interesse des einzelnen Staatsbürgers daran, anhand der gesetzlichen Lage vorhersehen zu können, unter welchen Voraussetzungen er seinen durch die Einbürgerung erlangten Status verlieren kann. Dieser vertrauensbildende Schutz ist besonders wichtig, da der Staatsangehörigkeitsstatus seiner Natur nach für den Einzelnen von grundlegender Bedeutung ist (vgl. BVerfG, Urteil vom 24.5.2006, a.a.O.). Der hierdurch vermittelte Status bestimmt nicht nur die subjektiven staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten des Einzelnen, vielmehr kommt der Staatsangehörigkeit als Rechtsinstitut über den subjektiven Gewährleistungsgehalt hinaus zugleich rechtsstaatliche und demokratische Bedeutung zu. Mithin betrifft der mit der Einbürgerung vermittelte bürgerschaftliche Status die konstituierenden Grundlagen der Rechtsordnung und des Gemeinwesens und geht damit weit über eine individuelle schützenswerte Rechtsposition des Eingebürgerten hinaus. Gerade das damit in Art. 16 Abs. 1 GG verbürgte Stabilitätsanliegen der Gemeinschaft spricht dafür, dass das rechtsstaatliche Interesse an der rückwirkenden Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände selbst bei arglistigem Handeln des Betroffenen nicht ohne weiteres zeitlich unbegrenzt überwiegt. Auch an den wenigen bestehenden Spezialregelungen zeigt sich, dass der Gesetzgeber dem Stabilitätsanliegen im Staatsangehörigkeitswesen besonderes Gewicht zumisst. So kann gemäß § 24 des Gesetzes zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit - StAngRegG - die Unwirksamkeit einer auf dieser Grundlage erlangten Staatsangehörigkeit nur bis zum Ablauf von fünf Jahren nach erfolgter Einbürgerung festgestellt werden, selbst wenn die Einbürgerung durch schuldhafte Falschangaben des Betroffenen erwirkt worden ist. Auch die vorgesehene Neuregelung in § 3 des StAG, wonach die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben soll, wer seit zwölf Jahren von deutschen Stellen als deutscher Staatsangehöriger behandelt worden ist und dies nicht zu vertreten hat, spricht dafür, dass nach Auffassung des Gesetzgebers Vertrauensschutzgesichtspunkten und Stabilitätserwägungen im Bereich des Staatsangehörigkeitswesens zentrale Bedeutung zukommt. Auch der Umstand, dass die Frist des § 48 Abs. 4 Satz 1 LVwVfG, wonach die Rücknahme grundsätzlich nur binnen eines Jahres ab Kenntniserlangung der Behörde von den rücknahmebegründenden Tatsachen zulässig ist, im Fall einer durch arglistige Täuschung erwirkten Einbürgerung gerade nicht anwendbar ist, spricht dafür, eine absolute zeitliche Rücknahmegrenze zu fordern.

1.2 Die Einbürgerung des Klägers ist nicht in diesem Sinne zeitnah zurückgenommen worden. Der in dem vorstehend erwähnten Urteil des Bundesverfassungsgerichts verwendete Begriff zeitnah bezieht sich auf den von der Einbürgerung bis zu ihrer Rücknahme verstrichenen Zeitraum, nicht auf eine Entschließungsfrist der Behörde ab Kenntniserlangung der rücknahmebegründenden Umstände. Dieser absolute zeitliche Rahmen und nicht etwa die Entschließungsfrist der Behörde war im Vorfeld der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Gegenstand der in Rechtsprechung und Literatur geführten Diskussion über die zeitliche Begrenzung der Befugnis der Behörde zur Rücknahme der Einbürgerung (vgl. umfassend OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19.10.2006, a.a.O.; zusammenfassend Nettersheim, DVBl. 2004, 1144). Wo eine exakte zeitliche Grenze zwischen der zeitnahen und der nicht mehr zeitnahen Rücknahme der Einbürgerung verläuft, bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung. Bei dem zwischen der Einbürgerung des Klägers am ... und deren Rücknahme am 16.7.2003 verstrichenen Zeitraum von über zehn Jahren kann jedenfalls nicht mehr von einer zeitnahen Rücknahme gesprochen werden. Gleiches gilt im übrigen, wenn entsprechend der Ansicht des Beklagten lediglich auf den verstrichenen Zeitraum bis zur Kenntniserlangung des Klägers von der beabsichtigten Rücknahme durch Anhörungsschreiben vom ... abzustellen wäre. Bei Klärung der Frage, was unter zeitnah im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu verstehen ist, ist maßgeblich auf die Bedeutung der Staatsangehörigkeit sowohl für den Einzelnen als auch für die staatliche Gemeinschaft abzustellen. Es liegt auf der Hand, dass mit zunehmendem Zeitablauf zahlreiche an die Staatsangehörigkeit geknüpfte Rechte und Pflichten verwirklicht sein werden, die durch eine Rücknahme nicht mehr folgenlos beseitigt werden können. Wie das Bundesverfassungsgericht zu Recht betont, begründet die Staatsangehörigkeit des Einzelnen regelmäßig nicht nur für diesen selbst Rechtstellungen und Pflichten, sondern hat regelmäßig auch Weiterungen auf den Status sonstiger Personen.

1.3 Die mit Bescheid vom 16.7.2003 verfügte Rücknahme der Einbürgerung des Klägers ist unabhängig von der Frage, ob § 48 LVwVfG hierfür eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage darstellt, auch deshalb rechtswidrig, weil sie an einem im gerichtlichen Verfahren zu beanstandenden Ermessensfehler (§ 114 Satz 1 VwGO) leidet. Dabei spricht bereits vieles dafür, dass der angefochtene Ausgangsbescheid an einem vollständigen Ermessensausfall und deshalb an einem nicht heilbaren Ermessensfehler leidet. Der nach der Tatbestandsprüfung erfolgte Hinweis des Landratsamts, wonach aufgrund der dargelegten Gesamtumstände von einer arglistigen Täuschung auszugehen und damit die Rücknahme der Einbürgerung gemäß § 48 LVwVfG zu verfügen sei, deutet darauf hin, dass der Beklagte das auch im Fall einer Täuschung zwingend auszuübende umfassende Rücknahmeermessen nicht erkannt hat (vgl. zu diesem Erfordernis Bundesverwaltungsgericht, Urteile vom 3.6.2003 und 9.9.2003, a.a.O.). Jedenfalls hat es das Landratsamt versäumt, die für eine Ermessensausübung über die Rücknahme maßgeblichen Umstände in seine Erwägungen einzustellen. So ist ein durchgreifender Ermessensfehler bereits darin zu sehen, dass der Beklagte weder die Dauer der seit der Einbürgerung des Klägers verstrichenen Zeit als solche noch die Dauer seines rechtmäßigen Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland berücksichtigt hat. Ebenso blieben die möglichen aufenthaltsrechtlichen Folgen einer Rücknahme der Einbürgerung für den Kläger gänzlich unberücksichtigt. Gleiches gilt für die im Rahmen des Rücknahmeermessens zentrale Frage, ob der Betroffene bei erfolgter Rücknahme staatenlos wird oder ob er seine frühere Staatsangehörigkeit beibehalten hat bzw. diese in zumutbarer Weise wieder erlangen könnte. Auch der für die gerichtliche Ermessenskontrolle (vgl. § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) maßgebliche Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 17.11.2004 heilt diese Ermessensfehler nicht. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob das Regierungspräsidium überhaupt ergänzende eigene Ermessenserwägungen angestellt hat oder sich lediglich auf eine Ermessensüberprüfung der Ausgangsbehörde beschränkt hat, wofür freilich die im Widerspruchsbescheid verwendete Formulierung spricht. Jedenfalls hat auch das Regierungspräsidium nicht aufgeklärt, ob der Kläger durch die Rücknahme staatenlos wurde oder nicht. Die Widerspruchsbehörde hätte sich im Rahmen einer etwaigen Ermessensausübung nicht mit dem Hinweis begnügen dürfen, wonach sich aus den Einbürgerungsakten nicht ergebe, ob ein Verzicht auf die pakistanische Staatsangehörigkeit wie nach pakistanischem Recht maßgeblich registriert worden ist oder nicht.

2. Der streitgegenständliche Ausgangsbescheid sowie der Widerspruchsbescheid ist zu Recht vom Verwaltungsgericht auch insoweit aufgehoben worden, als der Kläger zur Rückgabe der Einbürgerungsurkunde und seiner deutschen Identitätspapiere aufgefordert wurde. Nachdem die Einbürgerung nach dem oben Gesagten nicht zurückgenommen werden durfte, ist auch die Aufforderung zur Rückgabe der hieraus resultierenden Dokumente rechtswidrig.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da keiner der Zulassungsgründe des § 137 VwGO vorliegt. Zwar ist die Frage, ob und unter welchen Umständen eine Rücknahme einer Einbürgerung gemäß § 48 LVwVfG zulässig ist, in der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, insbesondere nach Ergehen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 24.5.2006, nicht geklärt; eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung war dem Senat jedoch verwehrt, da der angegriffene Rücknahmebescheid unabhängig von dieser ungeklärten Frage wegen eines Ermessensfehlers aufzuheben war. Die Frage, dass im Rahmen einer Rücknahme der Einbürgerung umfassend Ermessen auszuüben ist, ist nach dem oben Gesagten in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abschließend geklärt; welche Ermessenserwägungen zu fordern sind, ist eine im Revisionsverfahren nicht zu klärende Frage des Einzelfalls.

Beschlussvom 9. August 2007

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG auf 10.000,-- EUR festgesetzt.

In Anlehnung an Ziff. 42.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit i.d.F. 2004 (abgedruckt in NVwZ 2004, 1331) geht der Senat bei Streitigkeiten über einen Einbürgerungsanspruch vom doppelten Auffangwert pro Person aus.

Diese Entscheidung ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.