OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 06.05.2022 - 15 B 584/22
Fundstelle
openJur 2022, 9796
  • Rkr:
Verfahrensgang
Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde des Antragsgegners mit dem Antrag,

den Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln vom 6. Mai 2022 zu ändern und den Antrag der Antragstellerin abzulehnen,

hat keinen Erfolg.

Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, führen nicht zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung. Sie stellen die Richtigkeit der Annahme des Verwaltungsgerichts, es spreche bei summarischer Prüfung Überwiegendes für die Rechtswidrigkeit der von der Antragstellerin angegriffenen Auflage in Ziffer 3 der Verfügung des Antragsgegners vom 4. Mai 2022, soweit dort das öffentliche Zeigen des Sankt-Georgs-Bandes und der Sankt-Georgs-Fahne untersagt worden ist, nicht durchgreifend in Frage.

Gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 VersG NRW kann die zuständige Behörde eine Versammlung unter freiem Himmel beschränken, um eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit abzuwehren. Ist eine versammlungsbehördliche Verfügung auf eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit gestützt, erfordert die von der Behörde und den befassten Gerichten angestellte Gefahrenprognose tatsächliche Anhaltspunkte, die bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts ergeben. Bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen nicht aus. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für eine Auflage liegt grundsätzlich bei der Behörde.

Vgl. etwa BVerfG, Beschlüsse vom 20. Dezember 2012 - 1 BvR 2794/10 -, juris Rn. 17, vom 12. Mai 2010 - 1 BvR 2636/04 -, juris Rn. 17, vom 4. September 2009 - 1 BvR 2147/09 -, juris Rn. 9 und 13, und vom 26. April 2001 - 1 BvQ 8/01 -, juris Rn. 11 f.

Soweit Beschränkungen mit dem Inhalt der während der Versammlung zu erwartenden Meinungsäußerungen - wie dem Rufen bestimmter Parolen oder der Verwendung von Symbolen - begründet werden, ist die besondere Gewährleistung der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 GG zu berücksichtigen. Der Inhalt von Meinungsäußerungen, der im Rahmen des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 GG nicht unterbunden werden darf, kann nicht zur Rechtfertigung von Maßnahmen herangezogen werden, die das Grundrecht des Art. 8 Abs. 1 GG beschränken.

Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 19. Dezember 2007- 1 BvR 2793/04 -, juris Rn. 21 und 26, und vom 23. Juni 2004 - 1 BvQ 19/04 -, juris Rn. 19 und 22 f.

Der Inhalt von Meinungsäußerungen als solcher ist versammlungsrechtlich nur relevant, wenn es sich um Äußerungen handelt, die einen Straftatbestand erfüllen. Werden die entsprechenden Strafgesetze missachtet, liegt darin eine Verletzung der öffentlichen Sicherheit.

Vgl. insoweit BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 2793/04 -, juris Rn. 27 ff.

Ausgehend davon hat das Verwaltungsgericht bei der hier nur möglichen und gebotenen summarischen Prüfung zu Recht angenommen, dass das mit der streitgegenständlichen Auflage untersagte Zeigen des Sankt-Georgs-Bandes und der Sankt- Georgs-Fahne keinen Verstoß gegen § 140 Nr. 2 StGB i. V. m. § 138 Abs. 1 Nr. 5 StGB und § 13 VStGB darstellt. Danach ist es u. a. strafbar, einen Angriffskrieg i. S. v. § 13 VStGB in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, in einer Versammlung zu billigen. "Billigen" einer Tat bedeutet deren nachträgliches Gutheißen. Es erfordert dabei die Kundgabe der Zustimmung des Äußernden, dass die Tat begangen worden ist, und zwar dergestalt, dass er sich damit moralisch hinter den Täter stellt. Das Tatbestandsmerkmal des Billigens ist dabei nicht zuletzt im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot und den Ultimaratio-Charakter des Strafrechts restriktiv auszulegen. Tatbestandsmäßig sind dementsprechend nur solche Äußerungen, die "aus sich heraus verständlich" - unmissverständlich - sind und die "als solche unmittelbar und ohne deuteln" - eindeutig - erkannt werden. Ob dabei eine Äußerung diesen Inhalt hat, hängt - wie bei allen Äußerungstatbeständen - weder von der wirklichen inneren Einstellung des sich Äußernden ab noch davon, wie er seine Äußerung tatsächlich gemeint hat oder wie sie tatsächlich verstanden worden ist, sondern allein davon, wie die die Äußerung wahrnehmenden Personen diese voraussichtlich verstehen werden. Dabei soll dem Äußernden im Interesse seiner Meinungsäußerungs- und Berichterstattungsfreiheit nur abverlangt werden, dass er sich auf einen durchschnittlichen Verständnishorizont einstellt.

Vgl. zum Ganzen BGH, Urteil vom 17. Dezember 1968 - 1 StR 161/68 -, juris, Rn. 11 ff.; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 11. Mai 2017 - 2 Rv 9 Ss177/17 -, juris Rn. 15 m. zahlr. w. N.

Die persönliche Billigung muss allerdings nicht notwendig ausdrücklich erklärt werden, sondern kann auch konkludent erfolgen. An eine schlüssige Billigung sind strenge Anforderungen zu stellen.

Vgl. Hohmann, in: Münchener Kommentar zum StGB, 4. Aufl. 2021, § 140 Rn. 21 m. w. N.

Zur Beurteilung der Frage, ob eine Erklärung als Billigen von Straftaten entsprechend dem restriktiven Bedeutungsgehalt des Tatbestandsmerkmals, welches dieses wie dargestellt durch die Rechtsprechung erfahren hat, zu verstehen ist, ist zuvor ihr objektiver Sinngehalt unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls aus der Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittspublikums zu ermitteln. Dabei darf ihr im Lichte der durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Meinungsfreiheit keine Bedeutung beigelegt werden, die sie objektiv nicht hat, und im Fall der Mehrdeutigkeit darf nur dann von der zur Verurteilung führenden Deutung ausgegangen werden, wenn andere, straflose Deutungsmöglichkeiten mit überzeugenden Gründen ausgeschlossen werden können.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 28. März 2017 - 1 BvR 1384/16 -, juris Rn. 17 (zu § 130 StGB).

Ausgehend davon spricht Überwiegendes dafür, dass die Verwendung der streitgegenständlichen Symbole nicht als "Billigung" des russischen Angriffskriegs zu bewerten ist. Das Sankt-Georgs-Band geht - so die dem Senat in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit allein herangezogene Quelle Wikipedia - auf eine militärische Auszeichnung zurück, die im Russischen Kaiserreich verliehen und später in der Sowjetunion unter anderem Namen wieder eingeführt wurde. Ab dem Jahr 2005 wurde das Georgsband zu einem Symbol des Kriegsgedenkens. Anlässlich des 60. Jahrestags des Kriegsendes gab die staatliche Nachrichtenagentur RIA Novosti am 14. April 2005 bekannt, dass sie mit Unterstützung einer Jugendorganisation und der Moskauer Stadtregierung eine feierliche Aktion namens георгиевская ленточка (Georgsbändchen) durchführen werde. Seitdem wird das Sankt-Georgs-Band in Russland als verbreitetes Zeichen des Gedenkens und als Nationalsymbol geführt. Die Bandkampagne hat sich zu einem wichtigen gesellschaftlichen und politischen Ereignis entwickelt, an dem sich in den Wochen vor dem Siegestag am 9. Mai Millionen von Russen beteiligen. Die Initiative wurde von Anfang an von der russischen Regierung unterstützt. Kommentatoren in Russland und im Ausland sehen die Orange Revolution in der Ukraine im Jahr 2004 als den eigentlichen Anlass für die Einführung des Georgsbändchens im darauffolgenden Jahr. Aus Angst, dass prodemokratische Demonstrationen sich auf die ganze frühere Sowjetunion ausbreiten würden, habe Moskau die Erinnerung an den Sieg 1945 wachrütteln wollen und das Georgsband zum Symbol gemacht. Bei den Massenprotesten gegen Wahlfälschungen bei den Parlamentswahlen 2011 und Präsidentschaftswahlen 2012 wurde das Georgsband jenseits der Feiern zum 9. Mai getragen. Die Demonstranten wählten eine weiße Stoffschleife als ihr Symbol, wohingegen kremltreue Gegendemonstranten das orangeschwarze Georgsband trugen. Seit der Euromaidan-Protestbewegung und dem Ukraine-Krieg ist das Georgsband ein Symbol der Unterstützung für den außenpolitischen Kurs des Kremls und besonders für die militärische Intervention Russlands auf der Halbinsel Krim und im Osten der Ukraine. Das Band wurde zu einem zentralen Symbol der Anti-Maidan-Bewegung. Gegenwärtig steht es wohl nicht mehr primär für den Sieg im Deutsch-Sowjetischen Krieg, sondern für die Loyalität gegenüber der Putin-Regierung.

Vgl. dazu ausführlich Sankt-Georgs-Band, in: Wikipedia, abrufbar unter (abgerufen am 6. Mai 2022).

Danach dürfte das Symbol für sich betrachtet einerseits dem Gedenken an den Sieg der Sowjetunion über Hitler-Deutschland dienen, andererseits kann es aber auch eine Unterstützung der russischen Regierung zum Ausdruck bringen. Jedenfalls in der Deutungsvariante des Gedenkens an den Sieg der Sowjetunion ist die Verwendung des Symbols straffrei. Angesichts der Durchführung der Versammlung am 8. Mai 2022, dem Tag des Kriegsendes, und dem Versammlungsmotto ("Erinnerung an die Opfer des Krieges. Antidiskriminierung") kann diese Deutungsvariante für einen unvoreingenommenen, objektiven Betrachter auch angesichts des derzeitigen Krieges in der Ukraine und unter Berücksichtigung der angemeldeten - nicht untersagten - weiteren Hilfsmittel (russische, deutsche und Flaggen der UdSSR) nicht mit überzeugenden Gründen ausgeschlossen werden. Hinzu kommt, dass der dargestellte Bedeutungsgehalt des Bandes bzw. entsprechender Flaggen bei der in Deutschland lebenden Bevölkerung kaum bekannt sein dürfte. Anders als das "Z"-Symbol ist das Georgs-Band im öffentlichen Diskurs bislang kaum thematisiert worden.

Vgl. auch Fischer, Z-Symbol, russische Flagge und Georgsband, abrufbar unter (abgerufen am 6. Mai 2022).

Auch insofern dürfte der Verwendung des Symbols ausgehend von dem anzulegenden durchschnittlichen Verständnishorizont nach den derzeit vorliegenden Erkenntnissen nicht die Bedeutung des Billigens des russischen Angriffskrieges beizulegen sein. Soweit die Beschwerde einwendet, aus der Art und Weise, wie das Sankt-Georgs-Band bzw. die Sankt-Georgs-Fahne auf hiesigen prorussischen Versammlungen verwendet werde, lasse sich unter den Teilnehmern und Teilnehmerinnen, welche das Symbol (ebenso wie die "Z" und "V"-Zeichen) tragen, eine Billigung und Unterstützung des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine erkennen, wird diese Annahme nicht durch konkrete Darlegungen untermauert. Eine gemeinsame Verwendung mit dem "Z"- und "V"-Zeichen ist aufgrund des nicht angegriffenen Teils der Auflage in Ziffer 3 der Verfügung des Antragsgegners untersagt.

Abgesehen davon, dass es danach bereits an der Billigung des russischen Angriffskriegs durch die Verwendung des Sankt-Georgs-Bandes fehlt, dürfte dessen Verwendung auch nicht geeignet sein, den öffentlichen Frieden zu stören.

Der öffentliche Friede ist gestört, wenn das Vertrauen der Bevölkerung in die öffentliche Rechtssicherheit erschüttert wird oder wenn potentielle Täter durch Schaffung eines "psychischen Klimas", in dem Taten wie die gebilligten begangen werden können, aufgehetzt werden. Vorausgesetzt wird dabei nicht, dass eine solche Störung bereits eingetreten ist; es reicht aus, dass die Handlung zumindest konkret zur Störung des öffentlichen Friedens geeignet ist. Öffentlicher Friede ist daher sowohl der Zustand allgemeiner Rechtssicherheit und des befriedeten Zusammenlebens der Bürger als auch das im Vertrauen der Bevölkerung in die Fortdauer dieses Zustandes begründete Sicherheitsgefühl.

Vgl. BGH, Beschluss vom 20. September 2010- 4 StR 395/10 -, juris Rn. 6; Hohmann, in: Münchener Kommentar zum StGB, 4. Aufl. 2021, § 140 Rn. 29.

Von solchen Auswirkungen der Verwendung des Sankt-Georgs-Bandes ist aufgrund der fehlenden Bekanntheit des Symbols nicht auszugehen. Die von der Beschwerde aufgezählten Fälle, in denen es zu Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit der Verwendung des Sankt-Georgs-Bandes gekommen sein soll, vermögen eine Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens schon deshalb nicht in Frage zu stellen, weil es sich dabei um Einzelfälle handelt. Dass sich Menschen durch die Symbolik (vereinzelt) provoziert fühlen, wird nicht in Abrede gestellt, kann aber nicht die Verwirklichung des Straftatbestands des § 140 StGB begründen.

Soweit die Beschwerde weiter geltend macht, aufgrund von Äußerungen der Antragstellerin ergebe sich, dass ihre eigentliche Motivation nicht darin bestehe, den jährlichen Gedenktag zur Befreiung vom Nationalsozialismus, sondern vielmehr Putin und die russische Regierung sowie die militärische Stärke Russlands zu feiern, führt dies ebenfalls nicht zu einer anderen Bewertung. Der subjektive Bedeutungsgehalt, den die Antragstellerin dem Sankt-Georgs-Band einräumt, ist nach dem oben Gesagten unerheblich. Im Übrigen geht das Vorbringen, das sich auf die Zielrichtung der Versammlung als Ganze bezieht, an der streitgegenständlichen Auflage - mit der ausschließlich die Verwendung des Sankt-Georgs-Bandes untersagt wird - vorbei. Sofern auf der Versammlung der russische Angriffskrieg von Teilnehmerinnen oder Teilnehmerin - einzeln oder in ihrer Gesamtheit - in einer den Tatbestand des § 140 Nr. 2 StGB erfüllenden Weise gebilligt werden sollte, wäre dagegen vorzugehen. Die Untersagung der Verwendung des streitgegenständlichen Symbols als solchem ist zur Vermeidung einer diesbezüglichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit nicht geeignet.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).