VG Münster, Urteil vom 09.12.2021 - 5 K 1412/20
Fundstelle
openJur 2022, 5511
  • Rkr:
Tenor

Der Entlassungsbescheid der Beklagten vom 00.00.0000 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen seine Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Probe wegen fehlender gesundheitlicher Eignung.

Der am 00.00.0000 geborene Kläger wurde mit Urkunde vom 00.00.0000 zum 00.00.0000 unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe zum Stadtinspektor ernannt und in eine Planstelle der Besoldungsgruppe A 9 eingewiesen.

Laut dem anlässlich der Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe in Auftrag gegebenen amtsärztlichen Gutachten vom 00.00.0000 ergab sich beim Kläger gesundheitlich kein wesentlich von der Norm abweichender Befund. Zwar sei aus seiner Vorgeschichte eine Erkrankung des rheumatischen Formenkreises bekannt, die bis Sommer 0000 behandelt worden sei; der behandelnde Rheumatologe habe nach Behandlungsabschluss jedoch nachvollziehbar für einen Zeitraum von 10 Jahren eine günstige Prognose gestellt. Darüber hinaus habe eine in Episoden wiederkehrende seelische Erkrankung bestanden, die keiner fachpsychiatrischen, bis Sommer 0000 aber einer niederfrequenten psychotherapeutischen Behandlung bedurft habe. Ein erneutes Auftreten von Krankheitszeichen sei seit dem nicht bekannt gewesen. Die vorliegenden chronischen Erkrankungen könnten laut Gutachten auch in der Zukunft zu beruflichen Einschränkungen, längeren oder häufigeren Krankheitszeichen oder einer vorzeitigen Dienstunfähigkeit führen; insbesondere gebe es jedoch keine wissenschaftlich fundierte Datenlage, die eine ablehnende Beurteilung stützen könnte.

Mit Bescheid vom 00.00.0000 setzte die Beklagte das Ende der abzuleistenden Probezeit zunächst auf den 00.00.0000 fest.

Vom 00.00.0000 bis zum 00.00.0000 (55 Arbeitstage) war der Kläger dienstunfähig erkrankt, wobei vom 00.00.0000 bis zum 00.00.0000 eine stationäre fachpsychiatrische und anschließend eine ambulante psychotherapeutische Behandlung einschließlich Medikation erfolgten. Vom 00.00.0000 bis zum 00.00.0000 fand eine Wiedereingliederungsmaßnahme statt. Ferner war er 30 Tage im Jahr 0000 und 44 Tage im Jahr 0000 dienstunfähig erkrankt. Die Medikation sowie die psychotherapeutische Behandlung wurden Ende 0000 bzw. Anfang 0000 eingestellt.

Im Zuge der von der Beklagten beabsichtigten Übernahme des Klägers in ein Beamtenverhältnis auf Lebenszeit beauftragte sie das Gesundheitsamt des Kreises D. am 00.00.0000 mit einer erneuten amtsärztlichen Untersuchung des Klägers. Das daraufhin von Herrn C. erstellte Gutachten vom 00.00.0000 enthielt im Wesentlichen folgende Feststellungen:

"Es fand sich aktuell gesundheitlich kein wesentlicher von der Norm abweichender Befund. Allerdings sind aus der Vorgeschichte chronische Krankheiten bekannt, wie schon im vorhergehenden Gutachten vom 00.00.0000 kurz dargestellt wurde. [...] Tatsächlich wurde über den Jahreswechsel 0000/00 eine stationärfachpsychiatrische Behandlung erforderlich mit nachsorgender ambulanter Psychotherapie. [...] Zur depressiven Erkrankung wird in der medizinischen Wissenschaft ein mulitfaktorielles Bedingungsgefüge diskutiert, ohne daß einzelne Faktoren besonders herausgehoben werden könnten. Insbesondere aber ist kein Faktor bekannt, auf den zuverlässig eine Prognose des weiteren Verlaufes gestützt werden könnte, so daß für vorliegende Feststellung weitere ätiologische, letztlich stets auch spekulative Betrachtungen entbehrlich erscheinen. Wesentlich für die Prognose eines depressiven Störungsbildes ist die Frage, wieviel depressive Episoden in welcher Dauer über welche Zeiträume schon durchgemacht wurden. Ohne für den Einzelfall eine sichere Aussage treffen zu können, können dem Dienstgeber aber bei dem weit verbreiteten Krankheitsbild der Depression allgemeine Daten auf Grundlage großer Grundgesamtheiten zur Verfügung gestellt werden, auf die dann die Einzelfallentscheidung zu stützen sein wird: [...] Über den Lebensverlauf betrachtet, kommt es bei mindestens 50 % der Fälle nach Ersterkrankung zu wenigstens einer weiteren depressiven Episode, bei den unipolaren Störungen (wovon vorliegend bisher auszugehen ist) werden im Mittel (je nach Literatur) vier bis sechs Episoden beobachtet. Nach einer deutschen Studie waren fünf Jahre nach Erkrankung (nur) 42 % unipolar depressiv Erkrankter rückfallfrei, nach internationalen Daten verlaufen nur 20 - 30 % dieser affektiven Störungen singulär. Die Wahrscheinlichkeit einer Wiedererkrankung erhöht sich nach zweimaliger Erkrankung auf 70 % und liegt nach der dritten Episode bei 90 %. [...] Vor dem Hintergrund dieses Datenmaterials kann zusammenfassend keine günstige Prognose gestellt werden. Die Erkrankung chronifiziert in nahezu einem Fünftel aller Fälle, mit überwiegender Wahrscheinlichkeit wird es zur Wiedererkrankung mit neuer depressiver Episode kommen. Zusammengefasst liegen damit tatsächliche Anhaltspunkte vor, welche die Annahme rechtfertigen, eine vorzeitige Dienstunfähigkeit bzw. häufige und erhebliche krankheitsbedingte Ausfälle seien mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten, derzeit mehr begründet im psychiatrischen Stoffgebiet als im somatischen, in dem der Untersuchte aber auch schon dem Lebensalter vorauseilende Verschleißerscheinungen kumuliert hat."

Nach Erhalt des amtsärztlichen Gutachtens wandte sich der Kläger mit Schreiben vom 00.00.0000 gegen die amtsärztlich geäußerten Bedenken gegen seine gesundheitliche Eignung und trug insoweit vor, dass eine negative Gesundheitsprognose - wenn überhaupt - allein durch einen Facharzt abgegeben werden könne. Zudem sei unzutreffend davon ausgegangen worden, dass er drei depressive Episoden durchlebt habe. Er habe sich zwar zum einen vom 00.00.0000 bis zum 00.00.0000 in verhaltenstherapeutischer Behandlung befunden und zum anderen sei über den Jahreswechsel 0000/0000 eine stationäre fachpsychiatrische Behandlung mit anschließender ambulanter Psychotherapie einschließlich Medikation bis August 0000 erfolgt. Sowohl psychotherapeutische Behandlung als auch Medikation seien seit dem jedoch nicht mehr notwendig. Beiden Episoden hätten zudem punktuelle Ereignisse zugrunde gelegen, denen mit therapeutischer Hilfe habe entgegen gewirkt werden können. Dass abstrakte Risikofaktoren für eine spätere depressive Erkrankung vorlägen, weil er bereits zwei depressive Episoden durchlebt habe, reiche aus medizinischer Sicht für eine Verneinung der Lebenszeitverbeamtung nicht aus.

Mit Bescheid vom 00.00.0000 verlängerte die Beklagte die Probezeit des Klägers zunächst bis zum 00.00.0000 und führte zur Begründung an, dass über die Lebenszeitverbeamtung erst nach abschließender Prüfung des amtsärztlichen Gutachtens entschieden werden könne.

Mit weiterem Bescheid vom 00.00.0000 verlängerte die Beklagte die Probezeit des Klägers erneut bis zum 00.00.0000. Zur Begründung gab sie an, dass anhand des amtsärztlichen Gutachtens vom 00.00.0000 nicht abschließend über seine Lebenszeiternennung entschieden werden könne. Eine Entscheidung könne vielmehr erst nach Konkretisierung des Gutachtens erfolgen.

Mit Schreiben vom selben Tag teilte die Beklagte dem Gesundheitsamt des Kreises D. mit, dass das Gutachten vom 00.00.0000 zwar ausführlich das Krankheitsbild der Depression darstelle, gleichzeitig aber angegeben werde, dass für den Einzelfall keine sichere Aussage getroffen werden könne. Vor diesem Hintergrund bat die Beklagte um Stellungnahme, ob beim Kläger tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestünden, dass er mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze wegen dauernder Dienstunfähigkeit vorzeitig in den Ruhestand versetzt werden muss oder aber bis zum Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze über Jahre hinweg regelmäßig krankheitsbedingt ausfallen und deshalb eine erheblich geringere Lebensdienstzeit aufweisen wird.

Daraufhin nahm Herr C. mit Schreiben vom 00.00.0000 ergänzend Stellung und führte im Wesentlichen aus:

"Anknüpfungstatsachen sind hier Psychotherapie einer rezidivierenden, also nicht ersten depressiven Episode erlebt als Zeitsoldat 0000 - 0000 (gegen die lehrbuchmäßige Episodendauer ungewöhnlich lang), der Zusage des Kostenträgers einer erneuten Psychotherapie über 45 Sitzungen in 00/0000 und schließlich die stationärfachpsychiatrische Behandlung über den Jahreswechsel 0000/0000, konkret vom 00.00.0000 bis zum 00.00.0000. Eine nachgehende Psychotherapie über 13 Sitzungen bis 00/0000 lässt sich am hiesigen Aktenmaterial belegen. Die "verfügbare[n] Erkenntnisse über den voraussichtlichen Verlauf" habe ich Ihnen gemäß der Forderung des BVerwG im Ihnen vorliegenden Gutachten schon eingehend und ausführlich dargestellt. Aus hiesiger Sicht ist damit auch die vom BVerfG für erforderlich gehaltene Prognosebasis dargetan."

Auf weitere Aufforderung der Beklagten nahm auch deren Städtische Medizinische Direktorin E. . S. mit Schreiben vom 00.00.0000 Stellung zur amtsärztlichen Begutachtung des Klägers und ließ sich im Wesentlichen wie folgt ein:

"Eine psychiatrische Erkrankung wurde so behandlungsbedürftig, das dann auch im Jahr 0000/00 eine stationär fachpsychiatrischen Behandlung erfolgt ist.. Nachfolgend erfolgte auch eine ambulanten Psychotherapie. [...] Diese Verschlimmerung des Gesundheitszustandes während der Probezeit ist nun bei der Prognose bei der Lebenszeitverbeamtung mit zu berücksichtigen. Es ist ein prognostischer Unterschied, ob eine, zwei oder drei depressive Episoden aktenkundig sind. Bei drei depressiven Episoden erhöht sich die Wahrscheinlichkeit einer Wiedererkrankung nach zweimaliger Erkrankung von 70 auf 90 Prozent. [...] Aus amtsärztlicher Sicht ist damit festzuhalten, dass während der Probezeit hier eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes objektiviert ist, die eine andere ungünstige Prognose aus amtsärztlicher Sicht rechtfertigt."

Nach Beteiligung des Personalrates entließ die Beklagte den Kläger mit Bescheid vom 00.00.0000, dem Kläger zugegangen am 00.00.0000, aus dem Beamtenverhältnis auf Probe. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass sowohl seitens Herrn C. als auch seitens Frau E. . S. gesundheitliche Bedenken gegen die Verbeamtung des Klägers auf Lebenszeit geäußert worden seien. Unter Würdigung aller Gesamtumstände und unter Berücksichtigung aller Interessen sei davon auszugehen, dass konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Kläger mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze dauernd dienstunfähig wird bzw. dass häufige Fehlzeiten auftreten werden.

Der Kläger hat am 00.00.0000 Klage erhoben und macht zur Begründung im Wesentlichen geltend, es fehle ihm nicht an der für eine Verbeamtung auf Lebenszeit erforderlichen gesundheitlichen Eignung. Es bestehe eine überwundene psychische Erkrankung sowie eine nach achtjähriger Therapiefreiheit ebenfalls als überwunden anzusehende Erkrankung aus dem rheumatischen Formenkreis. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass er aufgrund dieser Umstände mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vorzeitig in den Ruhestand versetzt werden würde oder über Jahre hinweg erhebliche Fehlzeiten entstehen würden. Insoweit könne bereits nach eigener Aussage des Amtsarztes keine definitive Negativprognose, die von der Rechtsprechung verlangt werde, abgegeben werden. Vielmehr habe er sowohl seine erste depressive Episode im Jahr 0000 als auch die im Jahr 0000 neu aufgetretene depressive Episode, welche Grundlage für die amtsärztlichen Bedenken an der Lebenszeitverbeamtung gewesen sei, überwunden. Seit dem sei er weder in Therapie gewesen noch habe er Medikamente einnehmen müssen. Zudem hätten beiden Episoden konkrete und abgeschlossene private Ereignisse zugrunde gelegen - eine dritte depressive Episode habe es nicht gegeben. Ferner habe er sich in beiden Fällen freiwillig in therapeutische Behandlung begeben und damit gezeigt, dass er die Kompetenz besitze, sich in schwierigen Phasen Hilfe zu suchen. Darüber hinaus habe die Beklagte nicht von dem ihr bei der Entlassungsentscheidung eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht, wonach bei fehlender gesundheitlicher Eignung für das konkret angestrebte Amt zunächst eine andere Verwendung in Betracht zu ziehen sei. Insoweit enthalte der Bescheid lediglich die Feststellung, dass eine anderweitige Verwendung ausscheide, ohne dass dies begründet worden sei. Einer Begründung habe es jedoch bedurft, weil die Anforderungen an eine Ernennung als Beamter und die für eine Anstellung als Tarifbeschäftigter unterschiedlich seien.

Der Kläger beantragt,

1. den Entlassungsbescheid der Beklagten vom 00.00.0000 aufzuheben und

2. hilfsweise festzustellen, dass eine Beschäftigung als Tarifbeschäftigter trotz Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Probe aufgrund der gesundheitlichen Einschränkungen weiterhin möglich ist.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist sie auf ihre Ausführungen im angefochtenen Bescheid und führt darüber hinaus im Wesentlichen an, dem Kläger fehle es an der für die Lebenszeiternennung erforderlichen gesundheitlichen Eignung. Er habe zunächst im September 0000 an einer rezidivierenden depressiven Episode gelitten, im Jahr 0000 habe er eine Zusage für eine ambulante Psychotherapie erhalten und im Jahreswechsel 0000/0000 sei eine fachpsychiatrisch stationäre Behandlung erfolgt - damit habe er mindestens drei depressive Episoden durchlebt. Angesichts dieser Vorgeschichte seien Herr C. und Frau E. . S. in nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gekommen, dass konkrete Anhaltspunkte für eine mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eintretende vorzeitige Dienstunfähigkeit bzw. erhebliche Fehlzeiten vorliegen. Wesentlich für die Prognose im Rahmen eines depressiven Krankheitsbildes sei nämlich, wie viele depressive Episoden in welcher Dauer über welche Zeiträume aufgetreten sind. Die Wahrscheinlichkeit einer Wiedererkrankung betrage nach der zugezogenen Fachliteratur bei zwei Episoden 70 Prozent und bei drei Episoden 90 Prozent. Von einer überwundenen psychischen Erkrankung könne daher nicht die Rede sein. Dass eine Störung des Verhältnisses von Lebensdienstzeit und Ruhestandszeit im Fall des Klägers absehbar sei, zeige sich u. a. auch an diversen Studien und Datenauswertungen, u. a. der Leitlinie S3/NVL zur Unipolaren Depression, 2. Auflage, Version 1 aus dem Jahr 2015 sowie dem Beitrag von Wittchen et al., in: Gesundheitswesen 1999, S. 216 bis 222. Dort werde beispielsweise ausgeführt: "Bemerkenswert sind auch die eindrücklichen Befunde zur vollständig und teilweise eingeschränkten Arbeitsproduktivität bei allen Formen psychischer Störungen". Eine anderweitige Verwendung in einem anderen Amt scheide im Fall des Klägers aus, weil es aufgrund seiner psychischen Disposition an der gesundheitlichen Eignung für jedes Amt fehle. Ob eine Überprüfung als Tarifbeschäftigter in Betracht komme, habe sie, die Beklagte, angesichts des klaren Wortlauts des § 26 Abs. 2 BeamtStG nicht zu prüfen.

Mit Beschluss vom 9. September 2020 - 5 L 556/20 - hat das Gericht dem Antrag des Klägers auf Gewährung vorläufigen Rechtschutzes stattgegeben und die aufschiebende Wirkung seiner Klage wiederhergestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.

Gründe

I. Das Gericht konnte im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden, § 101 Abs. 2 VwGO.

II. Das mit dem Hauptantrag verfolgte und als Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) zulässige Begehren des Klägers, den Entlassungsbescheid der Beklagten vom 16. Juni 2020 aufzuheben, ist begründet. Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Der Entlassungsbescheid vom 00.00.0000 ist jedenfalls materiell rechtswidrig, weil die Voraussetzungen für eine Entlassung auf der Grundlage von § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BeamtStG i. V. m. § 5 Abs. 8 Satz 4 LVO NRW im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung nicht vorlagen. Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob der Entlassungsbescheid auch formell rechtswidrig ergangen ist.

Die Entlassungsverfügung ist materiell rechtswidrig. Nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BeamtStG i. V. m. § 5 Abs. 8 Satz 4 LVO NRW sind Beamte auf Probe zu entlassen, wenn sie sich nicht bewähren. Im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten administrativen Entscheidung lagen diese Voraussetzungen nicht vor. Der Kläger ist zwar Beamter auf Probe (1.); eine fehlende Bewährung im Sinne des § 5 Abs. 8 Satz 4 LVO NRW wegen gesundheitlicher Ungeeignetheit konnte ihm jedoch nicht entgegen gehalten werden (2.).

1. Der Kläger ist in personeller Hinsicht von § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BeamtStG erfasst. Diese Vorschrift betrifft Beamte auf Probe im Sinne des § 5 Abs. 1 LVO NRW. Maßgeblich ist allein, dass der Beamte im Zeitpunkt der Entlassungsentscheidung (noch) Probebeamter im statusrechtlichen Sinne ist. Der Status wird mit der Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe begründet und gilt solange fort, bis er entweder in ein Beamtenverhältnis auf Lebenszeit umgewandelt oder beendet ist. Die statusrechtliche Probezeit endet nicht automatisch mit Ablauf der gegebenenfalls kürzeren laufbahnrechtlichen Probezeit.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 5. Oktober 2017 - 1 A 942/16 -, juris, Rn. 33.

Demnach ist der Kläger seit dem 00.00.0000 Beamter auf Probe. Dieser Status bestand auch im Zeitpunkt des Erlasses der Entlassungsverfügung am 00.00.0000 noch fort, da er weder in ein Beamtenverhältnis auf Lebenszeit umgewandelt noch rechtswirksam beendet worden ist.

2. Vorliegend fehlt es jedoch an dem - vorliegend allein in Betracht kommenden - Entlassungsgrund der fehlenden gesundheitlichen Eignung.

Bei der Eignungsbeurteilung hat der Dienstherr u. a. eine Entscheidung darüber zu treffen, ob der Bewerber den Anforderungen der Ämter seiner Laufbahn in gesundheitlicher Hinsicht entspricht. Die körperlichen und psychischen Anforderungen legt der Dienstherr in Ausübung seiner Organisationsgewalt fest. Sie bilden den Maßstab, an dem die individuelle körperliche Leistungsfähigkeit zu messen ist. Bei der Frage, ob der Beamte den Voraussetzungen in gesundheitlicher Hinsicht genügt, steht dem Dienstherrn hingegen kein Einschätzungs- oder Beurteilungsspielraum zu. Dies hat zur Folge, dass eine vollumfängliche gerichtliche Überprüfung der gesundheitlichen Eignung zu erfolgen hat.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 30. Oktober 2013 - 2 C 16.12 -, juris, Rn. 18 f. und vom 25. Juli 2013 - 2 C 12.11 -, juris, Rn. 27 ff.; OVG NRW, Urteile vom 7. Dezember 2016 - 1 A 1362/14 -, juris, Rn. 35 und vom 5. Oktober 2017 - 1 A 942/16 -, juris, Rn. 44.

War die Erkrankung eines Probebeamten bereits vor der Begründung des (Probe-)Beamtenverhältnisses bekannt, so darf der Dienstherr die gesundheitliche Eignung des Beamten bei der Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit nur dann wegen dieser Erkrankung verneinen, wenn sich die Grundlagen ihrer Bewertung inzwischen geändert haben. Bei unveränderter Sachlage ist der Dienstherr an seine Bewertung der gesundheitlichen Eignung vor Begründung des Probebeamtenverhältnisses gebunden.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 2013 - 2 C 16.12 -, juris, Rn. 15; OVG NRW, Urteil vom 5. Oktober 2017 - 1 A 942/16 -, juris, Rn. 46.

Die gesundheitliche Eignung, worunter nicht nur körperliche, sondern auch psychische Anforderungen fallen, kann nur verneint werden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, der Probebeamte werde als Beamter auf Lebenszeit mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze wegen dauernder Dienstunfähigkeit vorzeitig in den Ruhestand versetzt werden müssen oder aber bis zum Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze über Jahre hinweg regelmäßig krankheitsbedingt ausfallen und deshalb eine erheblich geringere Lebensdienstzeit aufweisen. Die wahrscheinlich zu erwartenden Fehlzeiten müssen in der Summe ein Ausmaß erreichen, das einer Ruhestandsversetzung wegen Dienstunfähigkeit etliche Jahre vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze gleichkommt, so dass das angemessene Verhältnis von Lebensdienstzeit und Ruhestandszeit voraussichtlich spürbar gestört ist.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 2013 - 2 C 16.12 -, juris, Rn. 23 ff.; OVG NRW, Urteil vom 5. Oktober 2017 - 1 A 942/16 -, juris, Rn. 48.

Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn für die Richtigkeit dieser Annahme (frühzeitige Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit oder umfassende krankheitsbedingte Fehlzeiten) nach objektiven Gesichtspunkten derart gewichtige Gründe sprechen, dass andere denkbare Möglichkeiten vernünftigerweise nicht maßgeblich in Betracht kommen. Bloße Zweifel des Dienstherrn an der gesundheitlichen Eignung des Bewerbers sind unerheblich. Lassen sich eine vorzeitige dauernde Dienstunfähigkeit oder umfassende Fehlzeiten weder feststellen noch ausschließen ("non liquet"), so geht dies zu Lasten des Dienstherrn.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 30. Oktober 2013 - 2 C 16.12 -, juris, 27 f., und vom 25. Juli 2013 - 2 C 12.11 -, juris, Rn. 16 ff; OVG NRW, Urteil vom 5. Oktober 2017 - 1 A 942/16 -, juris, Rn. 50.

Diese für die Bewertung der gesundheitlichen Eignung erforderliche Prognoseentscheidung ist mit erheblichen Unsicherheiten verbunden. Dies gilt nicht nur in Bezug auf die Einschätzung der gesundheitlichen Entwicklung, sondern auch im Hinblick auf den medizinischen Fortschritt. Vielfach ist auch die Wechselwirkung und damit Ursächlichkeit einzelner Faktoren für das Risiko schwerwiegender Symptombildungen noch nicht sicher erforscht. Die prognostische Beurteilung über die voraussichtliche Entwicklung des Gesundheitszustandes des Bewerbers ist deshalb von einem Mediziner aufgrund einer fundierten medizinischen Tatsachen- und Erkenntnisgrundlage zu treffen. Der Arzt muss das Ausmaß der Einschränkungen feststellen und deren voraussichtliche Bedeutung für die Leistungsfähigkeit sowie für die Erfüllung der dienstlichen Anforderungen medizinisch fundiert einschätzen. Er muss in seiner Stellungnahme Anknüpfungs- und Befundtatsachen darstellen, seine Untersuchungsmethoden erläutern und seine Hypothesen sowie deren Grundlage offen legen. Solange der Gesetzgeber keinen kürzeren Prognosezeitraum bestimmt, ist die Zeit bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze maßgeblich. Auf dieser Grundlage hat dann der Dienstherr die Rechtsfrage der gesundheitlichen Eignung eigenverantwortlich zu beantworten.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 19. März 2015 - 2 C 37.13 -, juris, Rn. 12, vom 30. Oktober 2013 - 2 C 16.12 -, juris, Rn. 20, 25, 30 und 31, und vom 25. Juli 2013 - 2 C 12.11 -, juris, Rn. 11 und 14 ff.; OVG NRW, Urteile vom 7. Dezember 2016 - 1 A 1362/14 -, juris, Rn. 35 und vom 5. Oktober 2017 - 1 A 942/16 -, juris, Rn. 52.

Ein Sachverständigengutachten eines Arztes kann seine Aufgabe, dem Dienstherrn bzw. dem Gericht die zur Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts erforderliche Sachkunde zu vermitteln, nicht erfüllen, wenn es grobe, offen erkennbare Mängel oder unlösbare Widersprüche aufweist, wenn es von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgeht oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder der Unparteilichkeit des Gutachters besteht. Vielmehr muss dieser von zutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen und die entscheidungserheblichen Fragen plausibel und nachvollziehbar abhandeln. Gegebenenfalls muss der beauftragte (Amts-)Arzt einen weiteren (Fach-)Arzt hinzuziehen.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 30. Oktober 2013 - 2 C 16.12 -, juris, Rn. 35; OVG NRW, Urteil vom 5. Oktober 2017 - 1 A 942/16 -, juris, Rn. 54.

Gemessen daran durfte der Kläger nicht aufgrund fehlender gesundheitlicher Eignung entlassen werden. Es ist vorliegend nicht überwiegend wahrscheinlich, dass der Kläger bis zum Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze über Jahre hinweg regelmäßig erhebliche krankheitsbedingte Fehlzeiten und deshalb eine erheblich geringere Lebensdienstzeit aufweisen oder vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze wegen dauernder Dienstunfähigkeit vorzeitig in den Ruhestand versetzt wird. Die von der Beklagten erhobenen Tatsachen lassen auf solche Umstände nicht schließen.

Im amtsärztlichen Gutachten des Kreises D. vom 00.00.0000 kommt Herr C. zwar zu dem Ergebnis, dass "eine vorzeitige Dienstunfähigkeit bzw. häufige und erhebliche krankheitsbedingte Ausfälle [des Klägers] mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten [seien]", weil beim Kläger in der Vergangenheit mehrfach depressive Episoden aufgetreten seien und sich die Wahrscheinlichkeit einer Wiedererkrankung nach zweimaliger Erkrankung auf 70 Prozent und nach der dritten Episode auf 90 Prozent erhöhe. Diese Begründung vermag die Annahme einer vorzeitigen Dienstunfähigkeit bzw. erheblicher krankheitsbedingter Fehlzeiten jedoch schon deswegen nicht zu tragen, weil Herr C. gleichzeitig ausführt, dass in der medizinischen Wissenschaft kein Faktor bekannt sei, auf den zuverlässig eine Prognose des weiteren Verlaufs einer Depression gestützt werden könne, und dass allgemeine Daten auf Grundlage großer Grundgesamtheiten nicht geeignet seien, um für den Einzelfall eine sichere Aussage zu treffen. Darüber hinaus gelangt Herr C. vor dem Hintergrund der von ihm herangezogenen Studienlage, wonach sich die Wahrscheinlichkeit einer Wiedererkrankung nach mehrfachem Auftreten depressiver Episoden erhöhe, zunächst lediglich zu der Annahme, dass es "mit überwiegender Wahrscheinlichkeit [...] zur Wiedererkrankung mit neuer depressiver Episode kommen [werde]". Selbst wenn man unterstellen würde, dass die zugrunde gelegte Studienlage eine solche Prognose auch für den Einzelfall stützen könnte, lässt dies jedoch keineswegs Rückschlüsse darauf zu, wie häufig und in welcher Intensität erneute depressive Episoden zu erwarten wären. Damit einhergehend ist anhand dieser Aussage auch nicht erkennbar, ob und in welchem Ausmaß erneute depressive Episoden die Leistungsfähigkeit des Klägers beeinträchtigen würden.

Die aufgezeigten Defizite vermochte Herr C. auch nicht mit seiner ergänzenden Stellungnahme vom 00.00.0000 zu kompensieren. Zwar listet er nunmehr vergangene Behandlungs- bzw. Fehlzeiten des Klägers auf. Dabei differenziert er jedoch weder zwischen den bereits vor der Begründung des (Probe-)Beamtenverhältnisses bekannten und den danach aufgetretenen Fehlzeiten noch berücksichtigt er, welche Fehlzeiten auf die rheumatische und welche Fehlzeiten auf die psychische Erkrankung des Klägers zurückzuführen sind. Soweit Fehlzeiten auf der rheumatischen Erkrankung des Klägers beruhten, durften diese schon deswegen nicht berücksichtigt werden, weil Herr C. eine vorzeitige Dienstunfähigkeit bzw. häufige und erhebliche krankheitsbedingte Ausfälle des Klägers ausschließlich wegen seiner psychischen Erkrankung prognostizierte und die rheumatische Erkrankung des Klägers auch deswegen nicht berücksichtigt werden durfte, weil insoweit keine Veränderungen seit Begründung des Probebeamtenverhältnisses zu verzeichnen waren. Zudem wird kein konkreter Bezug zwischen Fehlzeiten in der Vergangenheit und der prognostischen Einschätzung hinsichtlich Dienstfähigkeit bzw. zu erwartenden Krankheitszeiten hergestellt.

Auch die Stellungnahme der Städtischen N. E. . S. vom 00.00.0000 ermöglicht keine prognostische Beurteilung über die voraussichtliche Entwicklung des Gesundheitszustandes des Klägers, auf welche die Entscheidung der gesundheitlichen Eignung gestützt werden könnte. Die Ärztin stellt zwar - wie auch E. . C. zuvor - heraus, dass bei dem Kläger eine Verschlimmerung seines Gesundheitszustandes in Bezug auf psychiatrische Beschwerden während der Probezeit eingetreten sei und sich bei mehrmaligem Auftreten depressiver Episoden die Wahrscheinlichkeit einer Wiedererkrankung signifikant erhöhe. Zum einen beruht jedoch auch diese Einschätzung auf Daten, die nach der Einlassung von Herrn C. gerade keine sichere Aussage für den Einzelfall zulassen. Zum anderen gibt diese Feststellung weder Aufschluss darüber, wie häufig und in welcher Intensität erneute depressive Episoden zu erwarten wären noch lässt sich ihr entnehmen, ob bzw. welche Leistungseinbußen mit einer erneuten Erkrankung einhergehen würden.

Auch die von der Beklagten angeführten Daten, insbesondere die Leitlinie S3/NVL zur Unipolaren Depression, 2. Auflage, Version 1 aus dem Jahr 2015 sowie der Beitrag von Wittchen et al., in: Gesundheitswesen 1999, S. 216 bis 222, vermögen keinen Aufschluss über den künftigen Krankheitsverlauf des Klägers zu geben. Denn ungeachtet der Tatsache, dass eine solche Einschätzung nur durch einen Arzt vorgenommen werden kann, enthalten diese auch keine Aussagen zu Krankheitssymptomen und -verläufen, die Rückschlüsse auf den konkreten Einzelfall des Klägers zuließen. Vielmehr heißt es in der Leitlinie S3/NVL zur Unipolaren Depression auf Seite 24 ausdrücklich, dass die Verläufe depressiver Störungen "eine große interindividuelle Variabilität" aufwiesen. Zudem ist dem Beitrag von Wittchen et al. hinsichtlich etwaiger mit einer Depression einhergehenden Leistungseinbußen lediglich die vage Aussage zu entnehmen, dass "die eindrücklichen Befunde zur vollständig und teilweise eingeschränkten Arbeitsproduktivität bei allen Formen psychischer Störungen, insbesondere aber bei affektiven Störungen, [...] bemerkenswert" seien.

Vor diesem Hintergrund war eine Prognoseentscheidung im Hinblick auf die Entwicklung des Gesundheitszustandes des Klägers nicht möglich. Die demnach bestehende "nonliquet-Situation" geht zu Lasten der Beklagten.

III. Über den Hilfsantrag war nicht zu entscheiden, weil dem Hauptantrag entsprochen wurde.

Zitiert0
Referenzen0
Schlagworte