OLG Düsseldorf, Beschluss vom 26.03.2021 - 16 U 215/20
Fundstelle
openJur 2022, 4311
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 6 O 43/18
  • nachfolgend: Az. VII ZR 531/21
Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Beklagten gegen das am 21. April 2020 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf - Az.: 6 O 43/18 - gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen.

Der Senatstermin vom 21. Mai 2021 wird aufgehoben.

Die Beklagten erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 16. April 2021.

Gründe

I.

Die Berufung der Beklagten hat offensichtlich keinen Erfolg, § 522 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Das angefochtene Urteil beruht weder auf einer Rechtsverletzung im Sinne des § 546 ZPO durch das Landgericht, noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine abweichende Entscheidung, § 513 Abs. 1 ZPO. Das Landgericht hat der Klägerin einen Anspruch gegen die Beklagten als Gesamtschuldner auf Erteilung eines Buchauszuges gemäß § 87 c Abs. 2 HGB für den Zeitraum vom 01.01.2015 bis zum 31.12.2015 in der tenorierten Ausführung zu Recht zuerkannt. Die Berufungsbegründung gibt keinen Anlass von den zutreffenden Ausführungen des Landgerichts abzuweichen.

A.

Die Berufung ist zulässig. Sie stellt sämtliche tragenden Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils infrage. Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und Nr. 3 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben. Dazu gehört eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt (BGH, Beschluss vom 23.10.2012, XI ZB 25/11 mit weiteren Nachweisen). Besondere formale Anforderungen bestehen nicht; für die Zulässigkeit der Berufung ist es insbesondere ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind. Die Rechtsmittelbegründung muss jedoch geeignet sein, die erstinstanzliche Entscheidung im Umfang der Anfechtung infrage zu stellen (BGH, Beschluss vom 29.11.2017, III ZB 414/17). Diesen Anforderungen wird die Berufungsbegründung gerecht, auch wenn sie sich in der Wiederholung ihrer bereits in erster Instanz dargestellten Rechtsansichten erschöpft. Aus den fallbezogen dargestellten entgegenstehenden Rechtsansichten wird deutlich, welche Ausführungen des Landgerichts von den Beklagten anders gesehen werden und in der Berufungsinstanz überprüft werden sollen.

B.

Die Berufung ist nicht begründet.

1.

In Übereinstimmung mit dem Landgericht geht der Senat davon aus, dass die Klägerin einen Anspruch gemäß §§ 92, 87 c Abs. 2 HGB auf Erteilung eines Buchauszuges für den begehrten Zeitraum vom 01.01.2015 bis 31.12.2015 hat.

a)

Gemäß § 87c Abs. 2 HGB kann der Handelsvertreter bei der Abrechnung der Provision einen Buchauszug über alle Geschäfte verlangen, für die ihm nach § 87 HGB Provision gebührt. Der Buchauszug soll den Handelsvertreter in die Lage versetzen, unter Vergleich mit seinen Unterlagen zu prüfen, ob die Provisionsabrechnung richtig und vollständig ist, und ihm somit eine Kontrolle aller provisionsrelevanten Vorgänge ermöglichen (vgl. BGH, Urteil v. 20.02.1964, VII ZR 147/62, DB 1964, 583; Urteil v. 23.10.1981, I ZR 171/79, zit. nach juris = WM 1982, 152; Urteil v. 20.09.2006, VIII ZR 100/05, zit. nach juris = BB 2006, 2492, 2493). Quasi wie ein "Spiegelbild" muss er eine vollständige Zusammenstellung aller Angaben aus den Geschäftsbüchern und Geschäftsunterlagen des Unternehmers enthalten, die für die Berechnung, die Höhe und die Fälligkeit der Provision des Handelsvertreters von Belang sein können (etwa BGH, Urteil v. 21.03.2001, VIII ZR 149/99, NJW 2001, 2333; OLG München, Beschluss v. 26.03.2002, 7 W 691/02, NJW-RR 2002, 1034, 1035; Hopt, in: Baumbach/Hopt, HGB, 35. Aufl. 2012, § 87c Rn. 15; Riemer, in: Küstner/Thume, Handbuch des gesamten Außendienstrechts, Bd. 1, 4. Aufl. 2012, Kap. VI Rn. 87, S. 530). Er muss daher eine bis ins Einzelne gehende Bestandsaufnahme der Kundenbeziehungen des Unternehmers, soweit sie die Provisionsansprüche des Handelsvertreters berühren, einerseits und der vertraglichen Beziehungen zwischen Unternehmer und Handelsvertreter andererseits darstellen. Der Buchauszug muss dabei jedoch nur die Angaben enthalten, die nach der zwischen dem Unternehmer und dem Handelsvertreter geschlossenen Vereinbarung für die Berechnung, die Höhe und die Fälligkeit der Provision von Bedeutung sind (vgl. OLG München, Urteil v. 21.04.2010, 7 U 5369/09, zit. nach juris = MDR 2010, 1273). Im Buchauszug sind ferner die Geschäfte aufzuführen, die nach § 87a Abs. 3 HGB provisionspflichtig sein können; hierbei sind auch die Gründe für die Nichtausführung mitzuteilen. Mit dieser Maßgabe schulden die Beklagten die Erteilung eines Buchauszuges für alle in der Zeit vom 1. Januar 2015 bis zum 31. Januar 2015 von der Klägerin abgeschlossenen provisionsrelevanten Geschäfte, die auf eine Vermittlung der Klägerin zurückgehen.

aa)

Die Parteien sind sich darüber einig, dass die Klägerin von den Beklagten grundsätzlich jedenfalls Provisionen für alle von ihr nach Beendigung des Vertragsverhältnisses vermittelten Geschäfte nach Maßgabe des § 87 Abs. 3 HGB verlangen kann. Nach der Regelung in § 12 Ziff. 4 des Handelsvertretervertrages der Parteien soll nach Beendigung des Vertragsverhältnisses zwar jeder Anspruch der Vertreterin gegen die Gesellschaften auf irgendwelche Provisionen oder sonstige Vergütungen erlöschen. Ausgenommen sind jedoch etwaige Ansprüche aus § 87 Abs. 3 und § 89 b HGB. Wie das Landgericht zu Recht entschieden hat, steht einem möglichen Provisionsanspruch der Klägerin für weitere nach Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses entstandene Prosvionsansprüche und Vergütungen der Provisionsverzicht unter § 12 Ziff. 4 des Vertrages nicht entgegen.

Die unter § 12 Ziff. 4 des Vertrages enthaltene Klausel steht im Widerspruch zu § 307 BGB und ist daher unwirksam. AGB-Klauseln, die von dispositiven Rechtsnormen abweichen, unterliegen der Inhaltskontrolle der §§ 307 ff. BGB. Klauseln, die § 87 HGB abbedingen, sind daher gem. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unangemessen und unwirksam, wenn sie von einem wesentlichen Grundgedanken der dortigen Regelung abweichen. Sie müssen wegen des Transparenzgebots des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB darüber hinaus stets von solcher Klarheit sein, dass der Handelsvertreter sie ohne weiteres erkennen kann. Ferner sind AGB- und auch Individualklauseln, die gegen zwingendes Recht verstoßen stets unwirksam. In diesem Zusammenhang ist daher besonders darauf zu achten, dass gemäß § 87a Abs. 5 HGB von den dortigen Bestimmungen der Absätze 2 erster Halbsatz, 3 und 4 zum Nachteil der Handelsvertreter nicht abgewichen werden darf (Thume, BB 2019, 835, 839/840). Die streitgegenständliche Klausel enthält den Ausschluss sämtlicher Überhangprovisionen und verstößt damit gegen die zwingende Vorschrift des § 87a Abs. 3 S. 1 HGB, weil darin auch alle Überhangprovisionen aus den vom Unternehmer nicht oder nicht vertragsgemäß - also z. B. verspätet - ausgeführten Lieferungen bzw. Leistungen versagt wurden (BGH, Urteil vom 21. Oktober 2009 - VIII ZR 286/07 -, juris Rn 22 ff.; OLG Hamm, Urteil vom 14. Mai 2018 - I-18 U 85/17 -, juris Rn 202). So hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass ein Versicherungsvertreter gem. § 87 Abs. 1 S. 1 HGB Anspruch auf Überhangprovisionen für jene Erhöhungen hat, die vereinbarungsgemäß automatisch in den von ihm vertragsgemäß akquirierten Lebensversicherungsverträgen entstehen, falls der Versicherungsnehmer nicht widerspricht; denn in einem solchen Fall sind alle für die Provisionsanwartschaft erforderlichen Voraussetzungen gegeben (BGH, Urteil vom 20. Dezember 2018 - VII ZR 69/18 -, juris). Derartige Provisionen würden auch zu Lasten der Klägerin entgegen zwingender gesetzlicher Bestimmungen ausgeschlossen. Die entgegenstehende Provisionsbestimmung Leben Ziffer 7 ist daher auch wegen unangemessener Benachteiligung unwirksam. Die geltungserhaltende Reduktion einer solchen inhaltlich zu weitgehenden Klausel ist nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unzulässig (BGH, Urteil vom 21. Oktober 2009 - VIII ZR 286/07 -, juris Rn 28).

bb)

Die Klägerin hat auch einen Anspruch auf Erteilung eines vollumfänglichen Buchauszuges. Eine Ergänzung oder ein Nachtrag kommen nicht in Betracht, da die Klägerin für den beanspruchten nachvertraglichen Zeitraum unstreitig noch keinen Buchauszug von den Beklagten erhalten hat. Buchauszüge wurden nur für den Zeitraum vom 01.01.2011 bis 30.09.2014 erteilt. Eine Ergänzung des Buchauszuges kommt nur bei Unvollständigkeit eines Buchauszugs in Betracht (OLG Köln, Urteil vom 12. Februar 2010 - 19 U 105/09 -, Rn. 185, juris m.w.N.). Das gleiche gilt für einen Nachtrag bei den Abrechnungen.

cc)

Entgegen der Ansicht der Beklagten muss die Klägerin nicht darlegen, aus welchen Versicherungsverträgen ihr überhaupt noch Provisionen zustehen. Es ist Sache des Prinzipals, über diese Verträge im Wege des Buchauszuges Auskunft zu geben, ohne dass der Handelsvertreter die Verträge benennt. Die Geltendmachung eines Buchauszuges setzt keine Zweifel an der Vollständigkeit und Richtigkeit der erteilten Abrechnung voraus. Sie bedarf auch keiner Begründung, denn der Anspruch ist zwingend (§ 87c Abs. 5) (Thume in: Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, HGB, 5. Aufl. 2019, § 87c HGB, Rn. 24; BGH, Urteil vom 23. Oktober 1981 - I ZR 171/79 -, juris; BGH, Urteil vom 03. August 2017 - VII ZR 32/17 -, juris ). Der Anspruch auf den Buchauszug kann vom Handelsvertreter geltend gemacht werden, solange er und der Unternehmer sich über die Provisionsabrechnung(en) nicht geeinigt haben (BGH, Urteil vom 23. Oktober 1981 - I ZR 171/79 -, Rn. 13, juris) Die Klägerin hat sich mit den Beklagten noch nicht über die nachvertraglichen Abrechnungen geeinigt, die noch immer erteilt werden, wie die Anlagen K 4 und K 11 belegen. Die Klägerin hat daher einen Anspruch auf einen Buchauszug über die provisionsrelevanten Umstände um die erhaltenen Abrechnungen auf ihre Vollständigkeit und Richtigkeit überprüfen zu können. Nur soweit der Handelsvertreter zur Konkretisierung seines Buchauszugsanspruchs bestimmte Informationen begehrt, trifft ihn die Darlegungslast für deren Provisionsrelevanz (OLG Hamm, Urteil vom 14. Mai 2018 - I-18 U 85/17 -, Rn. 121, juris).

dd)

Der Buchauszug ist entgegen der Meinung der Beklagten auch nicht auf die Angaben beschränkt, die die Beklagten in früheren Buchauszügen gemacht haben. Einen Verzicht auf weitere erforderliche Angaben hat die Klägerin nicht abgegeben. Vielmehr hatte die Klägerin den Buchauszug für 2014 bereits als unzureichend gerügt (vgl. Schriftsatz vom 06.03.2019. S. 1 nebst Anlage K 9. sowie Schreiben der Rechtsanwälte A. & B. vom 17.11.2017 S. 5 unter Ziffer 4). Hinzu kommt, dass eine widerspruchslose Hinnahme einer Abrechnung und damit auch eines Buchauszuges kein negatives Schuldanerkenntnis und keinen Verzicht darstellen würde (BGH, Urteil vom 29.11.1995 - VIII ZR 293/94 - juris Rn. 14 f.).

2.

Ohne Erfolg wendet sich die Berufung gegen die Verurteilung der Beklagten als Gesamtschuldner.

Eine Gesamtschuld liegt gemäß § 421 BGB vor, wenn mehrere Personen eine Leistung schulden, die der Gläubiger insgesamt nur einmal erhalten soll, wobei aber jeder Schuldner zur vollständigen Leistung verpflichtet ist. Der Begriff ist weit auszulegen (MüKoBGB/Heinemeyer, 8. Aufl. 2019 Rn. 1, BGB § 421 Rn. 1). Das Landgericht hat zutreffend gewürdigt, dass bereits dem zwischen den Parteien abgeschossenen Vertrag zu entnehmen ist, dass der Anspruch auf Erteilung eines Buchauszuges sich gegen mehrere Schuldner richtet. So ist dem zum 01.01.2006 wirksamen Vertrag zu entnehmen, dass die Beklagten alle Vertragspartner der Klägerin geworden sind, und bei Vertragsschluss von der Beklagten zu 1) lediglich vertreten wurden. Alle Gesellschaften gehören zu einem Konzern. In gleicher Weise wie im Hinblick auf eine von ihm selbst zu zahlende Provision schuldet der Geschäftsherr des Handelsvertreters die Informationen des § 87c HGB ebenfalls für solche Kundengeschäfte, welche der Handelsvertreter mit einem seinem Geschäftsherrn, zB innerhalb eines Konzerns, verbundenen Drittunternehmen zustande gebracht hat, sofern er seinem Geschäftsherrn gegenüber hierzu vertraglich berechtigt war (EBJS/Löwisch, 4. Aufl. 2020 Rn. 29, HGB § 87c Rn. 29). Innerhalb des Vertragstextes wurde keinen Differenzierungen zu den Verwaltungsbereichen der einzelnen Vertragspartner auf Seiten der Beklagten vorgenommen, vielmehr wurden nur die von den einzelnen Gesellschaften geschuldeten Provisionen aufgeführt. Der Gesamtvertrag wurde als einheitlicher Vertrag gehandhabt und als einheitliches Dokument aufgesetzt. Daraus ergibt sich, dass sich alle Vertragspartner gleichermaßen verpflichten wollten. Dementsprechend wurde der Vertrag zwischen den Parteien auch gelebt, da unstreitig geblieben ist, dass die Beklagten in der Vergangenheit bei der Provisionsabrechnung nicht nach Verträgen oder Geschäften, die einem von ihnen zuteilgeworden sind, differenziert haben. Die Abrechnungen wurden gemeinschaftlich, vertreten durch die Beklagte zu 1), erteilt. Es reicht die Befriedigung desselben Leistungsinteresses (MüKoBGB/Heinemeyer, 8. Aufl. 2019 Rn. 5, BGB § 421 Rn. 5). Nicht erforderlich ist, dass jeder die Leistung auch tatsächlich erbringen kann.

Auf die Überlegungen von Grootens/Egner (NJW 2019, 3182 ff.) kommt es nicht an. Die Autoren haben sich in dem Aufsatz damit befasst, ob sich in Anspruch genommene Gesamtschuldner zu Umständen, welche die Sphäre der übrigen Gesamtschuldner betreffen, gemäß § 138 Abs. 4 ZPO mit Nichtwissen erklären können. In diesem Zusammenhang haben sie entgegen der Rechtsprechung eine Informationsbeschaffungspflicht verneint. Abgesehen davon, dass die Rechtsprechung dies anders sieht (OLG Düsseldorf (1. Kartellsenat), Urteil vom 22.08.2018 - U (Kart) 1/17 - BeckRS 2018, 23117 Rn. 146) betrifft diese Fragestellung nicht die hier vorliegende Frage, ob mehrere Partner eines einheitlichen Vertrages nur auf einen Teil des Buchauszuges in Anspruch genommen werden können.

3.

Die Beklagten sind schließlich nicht berechtigt, nach § 214 Abs. 1 BGB den von der Klägerin geforderten Buchauszug zu verweigern. Der Senat schließt sich insoweit den umfassenden und überzeugenden Ausführungen des Landgerichts an, auf die um Wiederholungen zu vermeiden verwiesen wird und denen die Beklagten in der Berufungsbegründung nichts Essentielles entgegengesetzt haben.

II.

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht. Eine mündliche Behandlung ist nicht geboten.

Im Hinblick auf die Möglichkeit einer Kostenersparnis rät der Senat den Beklagten zur Berufungsrücknahme.

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