OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10.02.2022 - OVG 1 S 16/22
Fundstelle
openJur 2022, 3663
  • Rkr:

1. Auch sog. "Spaziergänge" von Kritikern der Coronamaßnahmen unterfallen dem Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG (allg. Ansicht).

2. Unter bestimmten Voraussetzungen kann es mit dem Versammlungsgrundrecht vereinbar sein, durch Allgemeinverfügung präventiv ein Versammlungsverbot für eine räumlich und zeitlich näher bestimmte Vielzahl von Versammlungen zu erlassen, die mit Aufrufen zu den vorbezeichneten "Spaziergängen" im Zusammenhang stehen (vgl. BVerfG, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 31. Januar 2022 - 1 BvR 208/22 - juris).

3. Die bewusst unterbliebene Nichtanmeldung der "Cottbuser Sparziergänge" verfolgt erkennbar den Zweck, jede Kooperation mit der Versammlungsbehörde systematisch zu verhindern, damit vorbeugende Auflagen zu umgehen und zu vermeiden, Verantwortliche sowie Ordner benennen zu müssen, welche auf die Einhaltung etwaiger Auflagen zum Schutz vor Infektionsgefahren hinwirken.

Tenor

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 4. Februar 2022 wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.

Der sinngemäß auszulegende Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen das für sofort vollziehbar erklärte Verbot des Antragsgegners in Ziff. 1 der "Verbotsverfügung für unangemeldete Versammlungen in Cottbus vom 31.01.2022 bis 13.02.2022" wiederherzustellen bzw. hinsichtlich Ziff. 2 der Verfügung anzuordnen, wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt der Antragsteller.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist begründet. Das für die Prüfung des Senats gemäß § 146 Abs. 4Satz 3 und 6 VwGO maßgebliche Beschwerdevorbringen rechtfertigt, den angegriffenen Beschluss zu ändern. Die angefochtene Verbotsverfügung stellt sich bei summarischer Prüfung als rechtmäßig dar. Vor diesem Hintergrund ist eine Entscheidung über die vorsorglich beantragte einstweilige Aussetzung der Vollziehung des erstinstanzlichen Beschlusses gemäß § 149 Abs. 1 Satz 2 VwGO entbehrlich.

1. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts durfte der Antragsgegner aufgrund der in der Verbotsverfügung (S. 4 ff.) geschilderten Erfahrungen im Zusammenhang mit früheren "Spaziergängen" in Form von massiven Verstößen gegen die Maskenpflicht und das Abstandsgebot (vgl. § 9 Abs. 1 Satz 1 Ziff. 2 und 3 der Zweiten SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung - SARS-CoV-2-EindV - zuletzt geändert durch Verordnung vom 1. Februar 2022, GVBl. II/22, [Nr. 15]) sowie zahlreichen Versammlungsrechtsverstößen beanstandungsfrei davon ausgehen, dass auch bei zukünftigen nicht angemeldeten und in der Verbotsverfügung räumlich und zeitlich näher bezeichneten Versammlungen u.a. die Vorgaben der SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung nicht nur vereinzelt nicht eingehalten würden, und dass mit diesen Rechtsverstößen in der derzeitigen, von der sog. Omikron-Welle geprägten Phase der Corona-Pandemie erheblich erhöhte Ansteckungsgefahren einhergingen, die ein präventives Verbot unangemeldeter Versammlungen (u.a. "Cottbuser Spaziergang") ausnahmsweise rechtfertigten. In der Verfügung heißt es hierzu:

"Die meisten Teilnehmenden dieser konkreten Versammlung trugen keine medizinische Maske und hielten keinen Mindestabstand. Aus diesem Vorgehen wird ersichtlich, dass die Veranstalter der `Cottbuser Spaziergänge` bewusst das Anmeldeerfordernis und die daraufhin in der Regel folgenden Auflagen, die einer angemeldeten Versammlung auferlegt werden können, umgehen, um ungehindert von solchen Auflagen ihre Versammlung durchführen zu können oder unabhängig von einem Ausnahmeantrag gem. § 9 Abs. 2 (der) 2. SARS-CoV-2-EindV mehr als 1000 Versammlungsteilnehmer bei ihrem Aufzug mitzunehmen. Insbesondere wollen die Teilnehmenden an den nicht angemeldeten `Cottbuser Spaziergängen` durch ihr Verhalten auch verhindern, dass die Versammlungsbehörden und die Polizei die notwendigen organisatorischen Maßnahmen treffen können, wie etwa auch bestimmte Wegstrecken oder eine stationäre Versammlung vorzuschreiben und ausreichend personelle Kräfte zur Wahrung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit vorzuhalten.

Insofern ist bei Würdigung aller erkennbaren Umstände daher davon auszugehen, dass bei einer erneuten Durchführung des nicht angemeldeten `Cottbuser Spaziergangs`, welcher in den sozialen Medien beworben wird, ohne dass die Versammlung durch entsprechende Auflagen im Vorhinein und auch aufgrund des Fehlens einer Versammlungsleitung und von Ordnern etwa die Maskentragepflicht und das Einhalten von Abständen nicht aufrechterhalten wird, die öffentliche Sicherheit erheblich gefährdet wäre. Eine nicht unerhebliche Anzahl der Versammlungsteilnehmenden haben sich in der Vergangenheit gerade bei dieser nicht angemeldeten Versammlung des `Cottbuser Spaziergangs` am 27.12.2021, 03.01.2022, am 08.01.2022, 10.01.2022 sowie am 15.01.2022, am 17.01.2022, 18.01.2022, 22.01.2022 und am 24.01.2022 trotz Lautersprecherdurchsagen, weder an die Maskentragepflicht noch sich an die Abstandsregelungen gehalten noch nach erfolgter Auflösung der Versammlung sich entfernt. ...

Bei den `Cottbuser Spaziergängen` ist durchgängig erkennbar, dass ein individuelles Hygienekonzept weder vorlag noch umgesetzt wurde. Insbesondere erfolgte keine Zutritts- und Aufenthaltssteuerung sowie -beschränkung. Ferner wurden weder auf die Einhaltung des Abstandsgebotes noch auf die Maskentragepflicht gedrungen. Letztlich() wurden polizeilichen Aufforderungen und damit eingeschlossen versammlungsrechtlichen Verfügungen, die gegenüber den Versammlungsteilnehmenden ergangen sind, nicht Folge geleistet. Vielmehr wurde aktiv durch die Versammlungsteilnehmenden die Bekanntgabe solcher Aufforderungen, Auflagen und Verfügung durch zielgerichtetes Entfernen von der Ansage oder Lärmentwicklung faktisch unmöglich gemacht ...

Die Zielsetzung der teilnehmenden Personenmehrheit des regelmäßigen samstags und montags sowie unregelmäßig an anderen Terminen stattfindenden `Cottbuser Spaziergangs` ist es, die gebotene Anzeige gem. § 14 BVersG zu umgehen. ... Insofern sollen die zur Abwehr einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit gebotenen () behördlichen Präventiv- /und Steuerungsmaßnahmen der Versammlungsbehörde und Polizei unterlaufen werden sowie die Verantwortlichkeit des Veranstaltenden und/oder der Versammlungsleitung verschleiern."

Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts sind hiermit hinreichend konkrete tatsächliche Anhaltspunkte benannt, "um die Prognose zu begründen, dass es im Zuge etwaiger bis zum 13. Februar 2022 in der von der Allgemeinverfügung erfassten Teile der Stadt Cottbus stattfindender unangemeldeter Versammlungen im Zusammenhang mit generellen Aufrufen zu `Cottbuser Spaziergängen` mit hoher Wahrscheinlichkeit zu besonders schwerwiegenden Infektionsgefahren ... kommen würde." Die Darlegung der behaupteten Verstöße, wie sie für Versammlungen von Gegnern der Corona-Schutzmaßnahmen geradezu wesenstypisch sind, ist auch "ohne Polizeiberichte oder andere Unterlagen zur Prüfung und Plausibilisierung" nachvollziehbar und glaubhaft, zumal entsprechende Berichte auch der Tagespresse zu entnehmen sind (vgl. nur www.berliner-kurier.de/politik-wirtschaft/ corona-anti-impf-demos-im-ganzen-land-li.204036). Soweit das Verwaltungsgericht meint, dass der Antragsgegner "nachvollziehbare Tatsachen, Sachverhalteoder sonstige Einzelheiten zu Anzahl, Art und Intensität der Verstöße und zum Erfolg oder Nichterfolg von Bemühungen, die Versammlungsteilnehmenden zur Einhaltung der Mindestabstände bzw. zum Tragen einer medizinischen Maske nicht vorgetragen" habe, wird dessen Darlegungs- und Substantiierungslast überspannt. Dass ein Infektionsrisiko auch im Freien besteht, "wenn der Mindestabstand nicht sicher eingehalten werden kann", räumt das Gericht ein.

2. Die Aussage des Verwaltungsgerichts, dass die vorstehend zitierte Begründung der Allgemeinverfügung "gleichermaßen auch für angemeldete Aufzüge gelten" würde und daher "ohne Weiteres keinen Schluss auf eine unmittelbare Gefährdung" zulasse, überzeugt nicht.

a. Der Antragsgegner hat erkannt, dass eine unterbliebene Anmeldung nicht schematisch zur Auflösung oder - wie vorliegend - zum präventiven Verbot einer durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützten Versammlung berechtigt (vgl. Verbotsverfügung, S. 3 und stRspr.), da auch die geplanten nicht angemeldeten "Cottbuser Spaziergänge" in den Schutzbereich des Art. 8 GG" fallen "und ... entsprechend behandelt" würden, weshalb allein ein Verstoß gegen die Anzeigepflicht ein Verbot oder Beschränkungen grundsätzlich nicht rechtfertige. Etwas anderes gelte allerdings dann, wenn - wie hier - durch eine fehlende Anzeige verhindert werden solle, dass die Behörden die notwendigen organisatorischen Maßnahmen treffen und personelle Kräfte zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit bereitstellen könnten (vgl. bereits BVerfG, Entscheidung vom 27. Januar 2012 - 1 BvQ 4/12 - juris Rn. 9, sowie jüngst - speziell zu einem präventiven Versammlungsverbot für eine prinzipiell unbestimmte Vielzahl von Versammlungen - BVerfG, Ablehnung einer einstweiligen Anordnung vom 31. Januar 2022 - 1 BvR 208/22 - juris Rn. 7 ff. m.w.N.). Dieser Bewertung tritt der Senat bei (ebenso u.a. VG Karlsruhe, Beschluss vom 21. Dezember 2021 - 3 K 4579/21 - juris Rn. 40 ff. <44>; VGH München, Beschluss vom 19. Januar 2022 - 10 CS 22.162 - Rn. 26 ff., https://openjur. de/u/2385076.html; VGH Mannheim, Beschluss vom 4. Februar 2022 - 10 S 236/22 - juris PM; VG Freiburg [Breisgau], Beschlüsse vom 24. Januar 2022 - 4 K 142/22 u.a. - juris Rn. 26 ff.; im Ausgangspunkt auch VG Stuttgart, Beschluss vom 27. Januar 2022 - 1 K 371/22 - juris Rn. 25 und VG Karlsruhe, Beschluss vom 17. Januar 2022 - 4 K 119/22 - juris Rn. 95).

b. Die Gefahrensituation bei unangemeldeten Versammlungen unterscheidet sich von derjenigen bei angemeldeten Versammlungen dadurch, dass bei ersteren im Vorfeld regelmäßig Kooperationsgespräche stattfinden sowie ein Hygienekonzept besprochen und erstellt werden kann. Ferner ist durch die Benennung eines Versammlungsleiters und von Ordnern - auch als Ansprechpartner für die Polizei - eine höhere Gewähr für die Einhaltung der Corona-Schutzbestimmungen gegeben. Daher stellt die vom Verwaltungsgericht erwähnte Möglichkeit, die "Spaziergänge" bei Nichtbeachtung der Schutzbestimmungen gegebenenfalls aufzulösen, bereits kein gleich geeignetes Mittel dar, weil sich die zu verhindernden Ansteckungsgefahren dann bereits realisiert hätten (vgl. VGH Mannheim, Beschluss vom 4. Februar 2022, a.a.O.). Der Antragsgegner hat nachvollziehbar vorgetragen, dass die vom Verwaltungsgericht alternativ angeregten Auflagen rein objektiv nicht möglich seien, weil die inmitten stehenden Versammlungen gerade darauf ausgerichtet seien, für die Polizei möglichst unvorhersehbar aufzutreten. Eine konkrete Vorgabe von Strecken bzw. die Festlegung einer Ortsgebundenheit könne regelmäßig nur im Rahmen von Kooperationsgesprächen oder bei der Bewältigung konkreter einzelner Versammlungslagen erfolgen, bei der die konkreten Umstände des Einzelfalls im Rahmen der Ermessensausübung adäquat berücksichtigt werden könnten. Dieser Möglichkeit von verhältnismäßigen Versammlungsauflagen haben sich die Initiatoren der "Spaziergänge" ganz bewusst begeben.

c. Vor diesem Hintergrund überzeugt auch die Ansicht nicht, es lägen "keine Anhaltspunkte dahingehend vor, dass im maßgeblichen Zeitraum bis zum 13. Februar 2022 Polizei- und Ordnungskräfte vor Ort nicht in ausreichendem Umfang zur Verfügung stünden, um den durch unangemeldete Versammlungen verursachten - gegebenenfalls auch sehr spontanen - Einsatzbedarf zu decken"; denn das Vorliegen eines sog. polizeilichen Notstands ist im vorliegenden Fall, in dem es die Teilnehmer der "Spaziergänge" ganz bewusst darauf anlegen, sich der polizeilichen Kontrolle zu entziehen, nicht zu verlangen. Soweit sich das Verwaltungsgericht insoweit auf den Beschluss des VG Karlsruhe vom 17. Januar 2022 - 14 K 119/22 - (juris Rn. 108) bezogen hat, ist diese Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof Mannheim zu Recht geändert worden.

3. Dass die Belastung der Intensivstationen durch die Vielzahl sehr schwer an COVID-19 erkrankter Personen, überwiegend aus der Delta-Welle, zwar weiterhin anhalte, aber gegenwärtig noch keinen durch die Omikron-Welle verursachten steigenden Trend zeige, wie das Verwaltungsgericht meint, greift zu kurz. Denn dieser Einwand berücksichtigt nicht das Gesamtbild der aktuellen Pandemielage, das für die Gefahrenprognose des Verordnungsgebers in Bezug auf die Regelungen in § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 SARS-CoV-2-EindV sowie für die angefochtene Verbotsverfügung maßgeblich ist.

Zwar ist die Zahl der hospitalisierten Fälle von COVID-19-Patientinnen und -Patienten im Zeitraum vom 11. Januar bis zum 6. Februar 2022 gesunken, so dass sich die landesweite Sieben-Tage-Hospitalisierungsinzidenz in diesem Zeitraum von 4,35 auf 3,79 verringert hat. Damit wird der bundeseinheitlich festgelegte Schwellenwert von über 3 indes noch immer überschritten. Im Bereich der besonders vulnerablen Gruppe der über 80-Jährigen liegt die Sieben-Tage-Hospitalisierungsinzidenz sogar bei einem Wert von 11,50 (Stand: 7. Februar 2022) und damit über dem bundeseinheitlich festgelegte Alarmwert von 9 in Bezug auf diesen besonders gefährdeten Personenkreis. Nach Ansicht des Verordnungsgebers (vgl. "Allgemeine Begründung der Fünften Verordnung zur Änderung der Zweiten SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung" vom 8. Februar 2022, GVBl. II/22 [Nr. 16], S. 4 ff. m.w.N.) drohe die starke Infektionsdynamik und die damit verbundene hohe Zahl von parallel auftretenden Erkrankungen jedoch den gegenüber der Delta-Variante gegebenen Vorteil der milderen Krankheitsverläufe quantitativ aufzuwiegen. Aktuelle Statistiken aus verschiedenen europäischen Staaten zeigten deutlich vermehrte Aufnahmen auf die Normalstationen, wenn auch im Vergleich zu vorangegangen Infektionswellen anteilig weniger Aufnahmen auf den Intensivstationen. Es sei zu betonen, dass sich die Omikron-Variante erst allmählich in älteren Bevölkerungsgruppen ausbreite und die Krankheitsschwere in dieser gefährdeten Gruppe noch nicht ausreichend beurteilbar sei. Da der Anteil ungeimpfter Menschen über 60 Jahre in Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Staaten wie z.B. Großbritannien oder Spanien höher sei, könnte dieser Umstand zu einer stärkeren intensivmedizinischen Belastung als in vergleichbaren Ländern führen. Das Robert Koch-Institut (RKI) schätze die Gefährdung durch COVID-19 für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland insgesamt als sehr hoch ein und rate dringend dazu, größere Veranstaltungen und enge Kontaktsituationen abzusagen oder zu meiden. Der Höhepunkt der Omikron-Welle werde frühestens Mitte Februar 2022 erwartet und könne sodann die stationären Versorgungseinrichtungen gegen Ende des Monats Februar bzw. Anfang des Monats März 2022 erreichen. In diesem Falle gelte es, eine Überforderung des Gesundheits- und stationären Versorgungssystems durch die Aufrechterhaltung gezielter Maßnahmen unbedingt zu verhindern. Darüber hinaus werde es aufgrund der hohen Infektionszahlen bereits kurzfristig zu vermehrten Quarantänemaßnahmen kommen, die insbesondere die kritischen Infrastrukturbereiche belasten könnten. Folglich sei eine grundsätzliche Fortgeltung der Schutzmaßnahmen in der aktuellen Situation - aufgrund des hohen Infektionsdrucks auch für Geimpfte und Genesene - zwingend erforderlich, um das SARS-CoV-2-Virus weiter einzudämmen und schwere Erkrankungen und Todesfälle in der Bevölkerung zu verhindern.

Diese Gesichtspunkte, insbesondere dass die mit der starken Infektionsdynamik verbundene hohe Zahl von parallel auftretenden Erkrankungen den gegenüber der Delta-Variante gegebenen Vorteil der milderen Krankheitsverläufe quantitativ aufzuwiegen drohe, hat das Verwaltungsgericht nicht berücksichtigt. Gleiches gilt für die generelle Zielsetzung des Verordnungsgebers, dass alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen seien, um die weitere Ausbreitung des Virus zu verzögern und eine Verlangsamung des Infektionsgeschehens zu erreichen, um dadurch Zeit für Fortschritte bei den Impfungen zu gewinnen und die Belastung für das Gesundheitswesen insgesamt zu reduzieren. Hinzu kommt die nach Ansicht des beschließenden Senats beanstandungsfreie Einschätzung des Verordnungsgebers (in Bezug auf Berlin), es sei zu befürchten, dass es wegen der mittlerweile in Deutschland vorherrschenden Omikron-Variante zu einer Zunahme von angeordneter Isolation und Quarantäne und infolge dessen zu massiven Personalausfällen und damit zu einer Gefährdung wichtiger Versorgungsbereiche kommen werde; auch dem solle mit den Hygieneschutzmaßnahme vorgebeugt werden (vgl. Senatsbeschluss vom 1. Februar 2022 - OVG 1 S 156/21 - S. 4 ff. [n.v.] zur vergleichbaren Intention des Berliner Verordnungsgebers). Diese Erwägungen, von denen sich auch der Brandenburgische Verordnungsgeber leiten lassen hat (s.o.), gelten bundesweit (vgl. die am 6. Januar 2022 im Internet veröffentlichte "2. Stellungnahme des Expertenrates der Bundesregierung zu COVID-19"). Von daher greift allein das Abstellen auf "die Belastung der Intensivstationen" zu kurz; denn dies verkennt die sehr hohe Belastung des Gesundheitswesens im Allgemeinen und der sonstigen kritischen Infrastrukturen durch coronabedingte Personalausfälle.

4. Auch eine von der vorstehenden rechtlichen Bewertung unabhängige Interessenabwägung ginge zu Lasten des Antragstellers aus, dem es allein durch die gesetzlich vorgeschriebene Anmeldung der Versammlung (vgl. § 14 VersG) ein Leichtes wäre, dem angefochtenen Verbot zu entgehen. Auch vor diesem Hintergrund stellt sich der Eingriff in das Versammlungsgrundrecht durch das verfügte Verbot im Ergebnis als verhältnismäßig dar.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

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