OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 23.12.2021 - 11 Verg 6/21
Fundstelle
openJur 2022, 706
  • Rkr:
Tenor

Die sofortige Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss der 2. Vergabekammer Hessen vom 24.08.2021 - Az.: 69d- VK2-26/2021 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Antragsgegner verpflichtet wird, die Ausschreibung in das Stadium vor Veröffentlichung der Bekanntmachung zurückzuversetzen und - bei fortbestehender Vergabeabsicht - das Verfahren ab diesem Zeitpunkt unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats zu wiederholen.

Der Antragsgegner hat die Gerichtskosten sowie die zur zweckentsprechenden Erledigung der Angelegenheit notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf € 216.001,42 festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin wendet sich gegen die Absicht des Antragsgegners, den Zuschlag im Rahmen des Vergabeverfahrens um das Bereitstellen eines Videokonferenzsystems für die hessischen Schulen an die Beigeladene zu erteilen.

Der Antragsgegner schrieb mit europaweiter Bekanntmachung vom 07.04.2021 die Bereitstellung, den Betrieb, die Wartung und den Support eines Videokonferenzsystems im offenen Verfahren aus (Anlage G2). Hintergrund war u.a., dass die vom Hessischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit ausgesprochene Duldung für den Einsatz nicht datenschutzkonformer Videokonferenzlösungen auslief.

Das System sollte gemäß der in der Auftragsbekanntmachung unter II.2.4 enthaltenen "Beschreibung der Beschaffung" allen rund 2000 hessischen Schulen zuverlässig zur Verfügung stehen und Distanzunterricht ermöglichen, wenn Präsenzunterricht nicht stattfinden kann. Es sollte in das bestehende Schulportal integriert werden, insbesondere das IDM, welches bei dem IT-Dienstleister1 verbleibt, sollte in die Kommunikation eingebunden werden. Die Umgebung sollte nach dem neuesten Stand der Technik aufgebaut werden. Im Betriebszustand 1 sollten Kapazitäten bereitgestellt werden, die eine gleichzeitige Teilnahme von regelmäßig 200.000 Nutzerinnen und Nutzern ermöglicht; Betriebszustand 2 sollte eine kurzfristige Erhöhung der Kapazitäten auf gleichzeitige Nutzerinnen und Nutzer von 450.000 ermöglichen, wobei die angeführten Nutzerzahlen sich aus der Änderungsbekanntmachung vom 11.5.2021 ergaben. Die Lösung sollte browsergestützt erfolgen. Hinsichtlich des Datenschutzes sollte die angebotene Plattform der DS-GVO und dem HDSIG entsprechen. Der Standort des Rechenzentrums soll innerhalb der EU liegen.

Unter III.1.3. der Auftragsbekanntmachung hieß es im Rahmen der Angaben zur "Technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit":

"Darstellung von mindestens einer geeigneten Referenz (Datei: "Referenzen") aus den letzten 3 Jahren (Stichtag "Ablauf der Angebotsfrist"), die nach Art und Umfang den nachfolgend aufgeführten Anforderungen entspricht.

Art: Bereitstellung und Betrieb einer Videokonferenzsystem-Umgebung inklusive technischem Support

Umfang: Mindestens 10.000 Nutzer

Anzugeben war zudem die Person des Erklärenden.

Die Leistungsbeschreibung (Anlage G3) enthält u.a. unter Ziff. 4.3 "Technische Beschreibung" zahlreiche Anforderungen an das System, u.a. an die Mindestbandbreite, Zahl der Unterräume, die Zielarchitektur, Umgang mit Unterbrechungen während einer Wartung, das Einspielen von Updates, die Öffnung gegenüber den Eltern, die Zurverfügungstellung einer Schnittstelle auf XML-Basis, Integrationsmöglichkeiten der API über Open-Source-Plugin in LMS Moodle.

Gemäß Ziff. 6, 4. Spiegelstrich des vorformulierten Angebotsschreibens (Anlage G4) mussten die Bieter erklären, den Wortlaut der vom Auftraggeber verfassten Langfassung des Leistungsverzeichnisses als alleinverbindlich anzuerkennen. Durch Eigenerklärung zum Betrieb eines sicheren Rechenzentrums sollten zudem u.a. Angaben zu Qualitätssicherungsnormen gemacht werden.

Die Beigeladene stellte nachfolgend eine Bieterfrage (Bieterfrage Nr. 84): (Name der Beigeladenen) bietet Software-Lösungen für Remote-Support, Access, Online Meetings und viele weitere Anwendungsfälle in einer integrierten Suite an. Die meisten unserer Kunden nutzen mehrere unserer Produkte.

Ist es daher möglich, als Referenzkunden einen Kunden zu nennen, der mehr als 10.000 Benutzer in unserer Produktsuite, inkl. Online-Video-Konferenzen, hat?

Dies bejahte der Antragsgegner. Versehentlich gab er bei der Antwort für die anderen Bieter sichtbar den Klarnamen der Beigeladenen wieder.

Die Antragstellerin und die Beigeladene gaben, neben neun weiteren Bietern, fristgemäß Angebote ab unter Beifügung einer Referenz.

Die Antragstellerin wurde mit Schreiben vom 22.06.2021 informiert, dass ihr Angebot den zweiten Platz belege und beabsichtigt sei, der Beigeladenen den Zuschlag zu erteilen.

Die Antragstellerin erhob daraufhin mit Schreiben vom 29.06.2021 (Anl. G5) mehrere Rügen. Sie hielt die Vorabinformation für unzureichend. Zudem rügte sie, dass die Beigeladene den Zuschlag nicht erhalten dürfe, da ihr Angebot aus formalen Gründen mangels nachgewiesener technischer und beruflichen Leistungsfähigkeit ausgeschlossen werden müsse. Die Beigeladene könne die geforderte Referenz nicht vorgelegt haben, da sie lediglich Remote-Support-Lösungen, aber keine Videokonferenzsysteme im geforderten Umfang bereitstelle und betreibe. Schließlich erfülle die Beigeladene nicht die Mindestvoraussetzungen.

Der Antragsgegner teilte unter dem 02.07.2021 (Anl. G 6) mit, den Rügen nicht abzuhelfen.

Die Antragstellerin beantragte daraufhin unter dem 05.07.2021 die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens und beantragte, das Angebot der Beigeladenen auszuschließen und den Antragsgegner zu verpflichten, bei fortbestehender Vergabeabsicht den Zuschlag auf das Angebot der Antragstellerin zu erteilen. Zur Begründung führte sie wie folgt aus:

Die Beigeladene sei aus formalen Gründen mangels Erfüllung der Eignungsanforderungen auszuschließen. Sie sei technisch und beruflich nicht geeignet. Ausweislich der eigenen Bieterfrage der Beigeladenen (Bieterfrage Nr. 84) habe diese keine entsprechende Referenz vorlegen können. Die Ergänzung der Produkt-Suite der Beigeladenen erfülle nicht die Anforderungen an eine marktübliche Videokonferenzanlage. Insbesondere lasse das System nicht mehr als 10 Teilnehmer mit eingeschalteter Videokamera zu. Das System der Beigeladenen sei allein auf Remote-Unterstützung im Sinne einer Fernwartung angelegt. Die Referenz habe sich aber auf ein Videokonferenzsystem bezogen, nicht allein ein Videosystem. Ein Videokonferenzsystem setze eine Vielzahl von Teilnehmern voraus. Es mache keinen Sinn, wenn die referenzierte Leistung nach Art und Umfang nicht mit der ausgeschriebenen vergleichbar sei. So sei es aber hier: Ein schlichtes Videosystem mit den fehlenden Funktionalitäten einer Videokonferenz unter Begrenzung auf 10 Teilnehmer mit Videofunktion entspreche nicht ansatzweise der ausgeschriebenen Leistung. Kennzeichnend für die ausgeschriebene Leistung sei zudem die browsergestützte Anwendung, mit der die softwarebasierten Anwendungen der Beigeladenen nicht vergleichbar seien.

Die angebotene Leistung der Beigeladenen erfülle zudem nicht die Mindestanforderungen.

Der Antragsgegner ist dem Nachprüfungsantrag entgegengetreten. Die Rüge zur fehlenden Eignung der Beigeladenen sei bereits unzulässig, da mit Zugang der Bieterfrage Nr. 84 und der Antwort hierauf Kenntnis der Antragstellerin von der Angebotsabsicht der Beigeladenen bestanden habe. Die Rüge sei zudem unbegründet. Die Referenz der Beigeladenen sei ausreichend. Das dort referenzierte Videokonferenzsystem sei Teil einer Produkt-Suite. Diese Möglichkeit sei ausdrücklich im Rahmen von seiner Antwort auf Frage 84 zugelassen worden. Welche Referenz gefordert werde, liege im Beurteilungsermessen der öffentlichen Auftraggeber. Hier folge zudem aus der Ausschreibungsbestimmung deutlich, welche Anforderungen die Referenz erfüllen müsse. Eine Auslegung nach Sinn und Zweck werde nicht vorgenommen.

Die Rüge der fehlenden Einhaltung der Mindestanforderungen seitens der Beigeladenen sei ins Blaue hinein gestellt worden. Die Beigeladene erfülle zudem die Mindestanforderungen. Die Vorwürfe der Antragstellerin basierten auf der Annahme, dass das Produkt "X1" angeboten worden sei. Dies sei tatsächlich nicht der Fall.

Die Beigeladene hat betont, dass mit der Referenz nicht gefordert worden sei, dass es sich um ein Videokonferenzsystem mit marktüblichen Funktionalitäten handele. Mit Bieterfrage Nr. 84 habe sie, die Beigeladene, gefragt, ob als Referenzkunde auch ein Kunde genannt werden könne, der mehr als 10.000 Benutzer in einer integrierten Produktsuite, inklusive online-Videokonferenzen, habe. Dies habe die Antragsgegnerin bejaht. Die Antragsgegnerin habe damit ausdrücklich zugelassen, dass das Videokonferenzsystem Teil einer Produktsuite sein könne. Die Referenz bilde ohne Weiteres das Einsatzgebiet einer Videokonferenzlösung ab. Der Fernwartungszugriff sei eine der wesentlichen Funktionen der Produktsuite, diese beinhalte aber seit ihrer Einführung auch die Funktionalität eines Videokonferenzsystems.

Mit Verfügung vom 06.08.2021 hat die Vergabekammer darauf hingewiesen, dass Bedenken hinsichtlich der ordnungsgemäßen Prüfung der Mindestanforderungen bestünden. Mit Beschluss vom 24.8.2021 hat die Vergabekammer nachfolgend dem Nachprüfungsantrag teilweise stattgegeben und zur Begründung wie folgt ausgeführt:

Der Antrag sei zulässig, insbesondere sei die Antragstellerin antragsbefugt und habe auch ihrer Rügeobliegenheit genügt. Hinsichtlich der Rüge der fehlenden Eignung der Beigeladenen sei die Antragstellerin nicht präkludiert. Mit der Beantwortung der Bieterfrage der Beigeladenen durch den Antragsgegner habe die Antragstellerin noch nicht gewusst, dass die Beigeladene den Zuschlag erhalten sollte. Hinsichtlich des von der Vergabekammer angenommenen Verstoßes gegen Vorschriften des Vergaberechts sei dieser Verstoß so schwerwiegend, dass er auch von Amts wegen habe aufgegriffen werden können, so dass es auf die Einhaltung der Rügeobliegenheit insoweit nicht ankomme.

Der Antrag sei auch begründet. Die bekannt gemachten Eignungskriterien verstießen gegen § 122 Abs. 1 GWB. Es sei nicht nachvollziehbar, warum der Grund für die vorliegende Ausschreibung - die Bereitstellung eines den Anforderungen an Datenschutz und Datensicherheit für die Nutzer genügenden Videokonferenzsystems - bei der Festlegung der Eignungskriterien keinerlei Niederschlag gefunden habe.

Die Beigeladene erfülle zwar unzweifelhaft die bekannt gemachten Eignungskriterien. Die Festlegung der Referenz als einzigem Nachweis für die Eignung sei jedoch ermessensfehlerhaft. Bei der Festlegung der Eignungskriterien stehe dem Auftraggeber ein Ermessen zu. Dabei könne dahinstehen, ob hier von einem vollständigen Ermessensnichtgebrauch oder aber von einem Dokumentationsmangel auszugehen sei. Zur Festlegung von Eignungskriterien bzw. den geforderten Referenzen ließe sich dem Vergabevermerk nichts entnehmen. Der Antragsgegner habe bei der Festlegung der Eignungskriterien und der insoweit geforderten Referenz Belange, die nach Lage der Dinge zwingend in die Abwägung mit einzustellen waren, unberücksichtigt gelassen. Er habe in keiner Weise berücksichtigt, dass gerade die Gewährleistung der erforderlichen Datensicherheit und des Datenschutzes sowie die Nutzeranzahl für die zu beschaffende Anwendung Umstände des konkreten Auftrages seien, die keineswegs von jedem Unternehmen ohne weiteres erfüllt werden könnten. Damit liege ein Ermessensdefizit vor. Da keine 100-prozentige Garantie der Datensicherheit und des Datenschutzes sichergestellt werden könne, sei es umso wichtiger, dass nur solche Bieter am Wettbewerb teilnehmen dürften, deren Struktur/Organisation sowie die durch Referenzen nachzuweisende Erfahrung gewährleisteten, dass Sicherheitslücken schnellstmöglich erkannt und beseitigt würden.

Nicht ausreichend sei dabei, dass sämtliche Bieter den Wortlaut der Langfassung der Leistungsbeschreibung, die auch Anforderungen an Datenschutz und Datensicherheit umfasse, als verbindlich anerkannt hätten. Ob damit überhaupt das Angebot einer der Langfassung der Leistungsbeschreibung entsprechen Leistung erklärt worden sei, sei bereits fraglich. Jedenfalls aber entbinde auch eine entsprechende Erklärung den öffentlichen Auftraggeber nicht davon, Aufträge offiziell an geeignete Unternehmen zu vergeben.

Eignungskriterien müssten insoweit angemessen sein. Dies beziehe sich nicht nur auf das Vermeiden überhöhter Anforderungen. Der öffentliche Auftraggeber müsse die Nachprüfungsinstanzen anhand der Eignungskriterien auch in die Lage versetzen, sich ein Bild davon zu machen, ob ein Bieter fachkundig und leistungsfähig sei. Dies sei hier nicht der Fall. Entsprechende Zweckmäßigkeitserwägungen dürften zwar nicht von der Vergabekammer angestellt werden. Im Rahmen einer erneuten Bekanntmachung seien jedoch Erwägungen zur Leistungsfähigkeit des Bieters, Reaktionszeiten, Dreischichtbetrieb bei Referenz für VKS mit 10.000 Nutzern und zur Fachkunde des Personals des Bieters in Bezug auf die Regelwerke der DS GVO einzubeziehen.

Darüber hinaus verstoße das Vorgehen des Antragsgegners im Rahmen der Angebotsprüfung gegen § 56 Abs. 1 VgV. Der Auftraggeber dürfe sich nicht darauf zurückziehen, gegebenenfalls vorliegende Mängel des Angebots später über das Leistungsstörungsrecht aufzufangen.

Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragsgegners. Zur Begründung führt er wie folgt aus:

Der Nachprüfungsantrag sei bereits unzulässig, soweit die Antragstellerin meine, die Beigeladene sei unfähig, eine vergabekonforme Leistung zu erbringen, sie erfülle nicht die Mindestanforderungen und ihre Produkte seien ungeeignet. Insoweit fehle es an einer fristgerechten Rüge gemäß § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB. Infolge Mitteilung des Klarnamens der Beigeladenen im Rahmen der Bekanntgabe der Bieterfrage hätte die Antragstellerin spätestens mit der übermittelten Antwort auf deren Bieterfrage erkennen können, dass die Beigeladene sich ebenfalls an dem Verfahren beteiligt. Auf das Schreiben nach § 134 Abs. 1 GWB sei sie insoweit nicht angewiesen gewesen.

Die Antragstellerin sei darüber hinaus nicht antragsbefugt. Sie habe nicht hinreichend substantiiert vorgetragen, dass sich der Antragsgegner hinsichtlich der Eignungsprüfung rechtswidrig verhalten habe. Soweit sie behaupte, die Beigeladene könne die Anforderungen an den Datenschutz nicht einhalten, stelle dies keine Vergabevorschrift i.S.v. § 97 Abs. 6 GWB dar. Die Verletzung von Normen außerhalb des Vergaberechts sei nicht Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens.

Der Antrag sei darüber hinaus unbegründet, da die Antragstellerin nicht in ihren Rechten verletzt sei. Die Vergabekammer habe verkannt, dass das Nachprüfungsverfahren kein objektives Beanstandungsverfahren darstelle, sondern lediglich subjektiven Rechtsschutz biete. Das Aufgreifen von Vergaberechtsverstößen von Amts wegen sei nur möglich, wenn diese Vergabeverstöße auch den Antragsteller beträfen und in seinen Rechten verletzten. Reine Zweckmäßigkeitserwägungen könne die Vergabekammer nicht der Prüfung zugrunde legen. Lediglich ein schwerwiegender Verstoß gebe Anlass, ihn von Amts wegen zu berücksichtigen, sofern nicht ein Verstoß gegen die Rügeobliegenheit vorliege.

Die Vergabekammer habe sich über diesen Prüfungsmaßstab hinweggesetzt, soweit sie den schwerwiegenden Verstoß in der Ausformung der Eignungsanforderungen erkannt habe. Die Anforderungen an die wirtschaftliche, technische und berufliche Leistungsfähigkeit gemäß Ziff. III der Auftragsbekanntmachung seien der Antragstellerin von Anfang an bekannt gewesen. Diese hätte sie demnach rügen können und müssen. Hierauf habe die Antragstellerin jedoch gerade verzichtet. Es sei nicht Aufgabe der Vergabekammer, das Vergabeverfahren zu optimieren.

Die Antragstellerin, wie auch die übrigen Bieter, hätten weder die Eindeutigkeit noch die Transparenz der Kriterien oder die Prüfbarkeit der Eignungskriterien beanstandet. Die Antragstellerin habe allein die Leistungsfähigkeit der Beigeladenen infrage gestellt.

Er, der Antragsgegner, habe die Eignungskriterien auch vergabekonform festgelegt. Die Festlegung sei dem Vergabeverfahren vorgelagert und stehe im Bestimmungsrecht des Auftraggebers. Prüfungsmöglichkeiten bestünden nur hinsichtlich der Frage, ob das vorgeschriebene Verfahren eingehalten, der Sachverhalt vollständig und zutreffend ermittelt, die selbst aufgestellten Vorgaben beachtet und keine sachwidrigen oder gegen allgemeine Bewertungsgrenzen verstoßenden Erwägungen angestellt wurden. Hier sei kein etwaiges Ermessensdefizit erkennbar. Wenn - wie hier - ein breiter Wettbewerb eröffnet werden solle, stehe es dem Auftraggeber frei, die Anforderungen an die Eignungskriterien bewusst herabzusetzen. Schließlich habe die Antragstellerin auch zu keinem Zeitpunkt gerügt, dass der Aspekt des Datenschutzes bei den Eignungskriterien unberücksichtigt geblieben sei.

Die Antragstellerin rüge auch zu Unrecht, dass die Beigeladene unfähig wäre, die Anforderungen nach Ziff. 4. der Einzelleistungsbeschreibung zu erfüllen. Der Vortrag beschränke sich auf Vermutungen, die bestritten würden.

Es liege auch kein Dokumentationsfehler vor. Die maßgeblichen Erwägungen zur Eignungsprüfung seien dargelegt und dokumentiert worden.

Die Prüfung der Angebote sei ordnungsgemäß erfolgt im Sinne des § 56 VgV. Die Antragsgegnerin habe sich auf die Erklärungen und die Leistungsversprechen der Bieter verlassen dürfen. Die Produktbeschreibung der Beigeladenen habe keine Auffälligkeiten aufgewiesen. Die Beigeladene erfülle auch die Mindestanforderungen.

Der Antragsgegner beantragt,

1. die Entscheidung der Vergabekammer vom 24.8.2021 aufzuheben und den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen;

2. auszusprechen, dass die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für den Antragsgegner notwendig gewesen ist;

3. hilfsweise zu Z. 1, die Vergabekammer zu verpflichten, unter Beachtung der Rechtsauffassung des angerufenen Vergabesenats über die Sache erneut zu entscheiden.

Die Antragstellerin beantragt,

die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung.

Ihr Nachprüfungsantrag sei zulässig. Sie sei insbesondere antragsbefugt. Ihre Rügen seien auch fristgerecht. Für eine Rüge bereits nach Zugang der Bieterantwort habe kein Rechtsschutzbedürfnis bestanden, da die Eignungsprüfung zu diesem Zeitpunkt noch ausstand.

Der Nachprüfungsantrag sei auch begründet.

Es fehle zum einen an der Festlegung geeigneter Eignungsanforderungen im Sinn von § 122 Abs. 1 GWB. Die Vergabekammer habe zu Recht gerügt, dass Datenschutzaspekte in den Eignungsanforderungen keinerlei Niederschlag gefunden haben. Dies sei ein Ermessensdefizit, da damit ein wesentlicher Gesichtspunkt nicht berücksichtigt worden sei. Jedenfalls aber sei selbst bei umfassender Ermittlung der sachlichen Belange eine falsche Gewichtung vorgenommen worden. Dokumentationen zur Festlegung der Eignungskriterien fehlten vollständig. Es liege damit sogar ein Ermessensnichtgebrauch vor. Dabei gehe es nicht um die Prognoseentscheidung, ob der konkrete Bieter geeignet sei, sondern um eine Überprüfung der Leistungskriterien. Dieser Vergaberechtsverstoß habe auch von Amts wegen aufgegriffen werden dürfen.

Die Referenz erfülle nicht die gestellten Anforderungen. Der Begriff des Videokonferenzsystems setze mehr voraus, als das drei Personen in Bild und Ton gleichzeitig online in Kontakt treten können. Es müssten jedenfalls typische Grundfunktionalitäten vorhanden sein, wie ein Konferenzraum, der marktübliche Funktionalitäten aufweise. Dies fehle der Fernwartungssoftware der Beigeladenen. Zudem sei die Anzahl der sichtbaren Teilnehmer auf 10 begrenzt.

Der Antragsgegner habe zum anderen gegen die Verpflichtung zur sachlichen Prüfung nach § 56 VgV verstoßen. Fehlerhaft vertrete der Antragsgegner die Ansicht, eine Prüfung, ob und inwieweit das Angebot tatsächlich die Voraussetzungen der Leistungsbeschreibung erfülle, nicht vornehmen zu müssen.

II.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Der Sache nach hat sie indes keinen Erfolg. Der zulässige Nachprüfungsantrag der Antragstellerin (unter A.) ist in der Sache - wie von der Vergabekammer ausgesprochen - hinsichtlich des Antrags Hilfsantrags begründet (unter B). Soweit der Nachprüfungsantrag auf den Ausschluss des Angebots der Beigeladenen gerichtet war sowie - bei fortbestehender Vergabeabsicht Zuschlagserteilung an die Antragstellerin ist der dagegen unbegründet (unter B.3.); mangels Anschlussbeschwerde sind diese - nicht im Tenor, wohl aber nach den Entscheidungsgründen der Vergabekammer zurückgewiesenen - Anträge nicht mehr streitgegenständlich.

A. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist zulässig. Die Rügen der Antragstellerin sind insbesondere nicht präkludiert.

1. Die Antragstellerin ist mit ihrer Rüge, die Beigeladene habe keine ordnungsgemäße Referenz im Rahmen der Eignungsprüfung vorlegen können, weder nach § 160 Abs. 3 Nr. 1 (unter a.) noch nach § 160 Abs. 3 Nr. 3 GWB (unter b.) präkludiert. Es bestand auch keine Verpflichtung, denkbare Vergabeverstöße im Rahmen der Angebotsprüfung und -wertung präventiv zu rügen (unter c.).

a. Die Rüge ist nicht nach § 160 Abs. 3 Nr. 1 GWB präkludiert. Gemäß § 160 Abs. 3 Nr. 1 GWB ist eine Rüge unzulässig, soweit der Antragsteller den geltend gemachten Verstoß gegen Vergabevorschriften vor Einreichen des Nachprüfungsantrags erkannt und nicht innerhalb einer Frist von 10 Kalendertagen gerügt hat.

Vorliegend hat die Antragstellerin den hier geltend gemachten Verstoß hinsichtlich der fehlenden Vorlage einer den Vergabeunterlagen entsprechenden Referenz rechtzeitig gerügt. Sie hat unmittelbar nach Zugang der Vorabinformation vom 22.06.2021 erkannt, dass die Referenz der Beigeladenen - trotz ihrer Bedenken zum Nachweis der Eignung - für ausreichend angesehen worden war. Dies hat sie fristgerecht binnen 10 Tagen mit Schreiben vom 29.06.2021 - vor Einreichen ihres Nachprüfungsantrages am 05.07.2021 - gerügt. In dem Schreiben hat sie ausdrücklich ausgeführt, dass der geforderte Referenznachweis von der Beigeladenen nicht vorgelegt worden sein könne.

b. Die Rüge ist auch nicht gemäß § 160 Abs. 3 Nr. 3 GWB präkludiert. Demnach müssen Verstöße, die aus den Vergabeunterlagen erkennbar sind, bis zum Ablauf der Frist zur Bewerbung oder zur Angebotsabgabe gerügt werden.

Die Rüge, die Beigeladene könne keine der Auftragsbeschreibung entsprechende Referenz vorgelegt haben, bezieht sich weder direkt noch mittelbar auf Umstände, die aus den Vergabeunterlagen erkennbar sind.

Die Antragstellerin rügt nicht die Forderung nach einer Referenz in den Vergabeunterlagen bzw. die dort verwendeten Formulierungen in Ziff. III. 1.3. der Auftragsbekanntmachung. Sie hat ausweislich ihrer Rüge ein klares Verständnis von den in den Vergabeunterlagen enthaltenen Anforderungen an die Referenz. Soweit ausweislich der nach Ablauf der Angebotsfrist erfolgten Angebotswertung das Verständnis des Antragsgegners von den Anforderungen an die Referenz von dem eines durchschnittlichen Bieters abwich (siehe unten unter B. 3.), konnte die Antragstellerin die damit im Ergebnis vorliegende Intransparenz bei Zugang der Vergabeunterlagen noch nicht erkennen und damit auch noch nicht ausdrücklich rügen; dieser Vergabeverstoß ist indes in der Rüge der vergabewidrigen Wertung der Referenz der Beigeladenen bei der gebotenen weiten Auslegung mitenthalten.

Die Antwort des Antragsgegners auf die Bieterfrage Nr. 84 löste auch keine eigenständige Rügeobliegenheit der Antragstellerin nach § 160 Abs. 3 Nr. 3 GWB aus. Die Antworten eines Auftraggebers auf Bieterfragen unterliegen zwar als Auslegungshilfe zu den Vergabeunterlagen ihrerseits ebenfalls der Rügeobliegenheit nach § 160 Abs. 3 Nr. 3 GWB. Die Antragstellerin hält indes die Antwort des Antragsgegners auf die Bieterfrage der Beigeladenen nicht für vergabewidrig, so dass auch insoweit keine Rügeobliegenheit entstand:

Mit der Bieterfrage hatte sich die Beigeladene erkundigt, ob es auch möglich sei, als Referenzkunden einen Kunden zu nennen, der mehr als 10.000 Benutzer in einer Produkt-Suite, inklusive der Online-Video-Konferenzen, hat. Dies hatte der Antragsgegner bejaht. Ausgehend von den in den Vergabeunterlagen ausgewiesenen Anforderungen an die Referenz, die die Bereitstellung und den Betrieb einer Videokonferenzsystem-Umgebung betraf, beschränkte sich der Erklärungsgehalt der Antwort auf die Bieterfrage aus Sicht eines verständigen Bieters darauf, dass die referenzierte Leistung nicht als stand-alone-Lösung angeboten worden sein musste, sondern Bestandteil eines Pakets mit weiteren Anwendungen gewesen sein durfte. Die Anforderungen an die zu referenzierende Leistung in Form der Bereitstellung eines Videokonferenzsystems selbst, wie in der Auftragsbekanntmachung veröffentlicht, wurden durch diese Bieterantwort aus Sicht eines durchschnittlichen Bieters nicht verändert.

c. Soweit der Vortrag des Antragsgegners dahingehend zu verstehen ist, dass die Antragstellerin jedenfalls nach Erhalt der Antwort auf die Bieterfrage Nr. 84 hätte rügen müssen, dass der Beigeladenen - mangels nach Ansicht der Antragstellerin seitens der Beigeladenen nachweisbaren Eignung - kein Zuschlag erteilt werden dürfe, überzeugt dies nicht. Derartige präventive Rügeobliegenheiten existieren nicht. Weder der Wortlaut noch Sinn und Zweck der § 160 Abs. 3 Nr. 1 und 3 GWB decken ein solches Verständnis:

§ 160 Abs. 3 Nr. 1 GWB setzt das Erkennen bzw. die Erkennbarkeit eines Vergabeverstoßes voraus. Das Erkennen bzw. die Erkennbarkeit der bloßen Möglichkeit eines zukünftigen Vergabeverstoßes wird dagegen weder vom Wortlaut noch vom Sinn und Zweck her erfasst. Der von der Antragstellerin gerügte Vergabeverstoß in Form der Wertung der Referenz der Beigeladenen lag zum Zeitpunkt des Stellens der Bieterfrage nicht vor. Es bestand allein die Möglichkeit, dass im Fall der Zuschlagsfähigkeit des Angebots der Beigeladenen eine aus Sicht der Antragstellerin ungenügende Referenz berücksichtigt wird.

Raum für eine analoge Anwendung dieser Regelung auch auf die Situation eines im Raum stehenden potentiellen Verstoßes besteht nicht. Eine ungewollte Gesetzeslücke ist nicht ersichtlich. Gegen sie spricht zudem der Regelungsrahmen des § 160 Abs. 3 Nr. 1 GWB. Die dort normierte kurze Rügefrist von 10 Tagen nach Erkennen bzw. der Erkennbarkeit eines Vergabeverstoßes trägt dem Beschleunigungsinteresse im Vergabeverfahren hinreichend Rechnung. Dem vom Antragsgegner angeführten Interesse, bereits vorsorglich denkbare Vergabeverstöße zu rügen und sie damit zu vermeiden, steht das jedenfalls gewichtige Interesse entgegen, Vergabeverfahren nicht unnötig aufzublähen und durch die Rügebearbeitung zu verzögern.

§ 160 Abs. 3 Nr. 3 GWB bezieht sich auf Vergabeverstöße, die sich aus den Vergabeunterlagen ergeben. Vergabeverstöße, die im Rahmen der Angebotsprüfung und Wertung erfolgen, sind damit bereits vom klaren Wortlaut her nicht erfasst. Auch der Sinn und Zweck spricht gegen ein derart weites Verständnis. Die Rügeobliegenheit nach § 160 Abs. 3 Nr. 3 GWB dient dazu, dem Auftraggeber vor Angebotseinreichung seitens der Bieter die Möglichkeit zu geben, den geltend gemachten Vergabeverstöße von selbst abzuhelfen und so ein Verzögern des Vergabenachprüfungsverfahren zu vermeiden (Hofmann in: Müller-Wrede, GWB, § 160 Rn. 36). Denklogisch bezieht sich diese Verpflichtung nur auf Vergabefehler, denen bis zum Ablauf der Angebotsfrist auch seitens des Auftraggebers abgeholfen werden kann. Die erst nach Ablauf der Angebotsfrist erfolgende Prüfung und Wertung der Angebote und ggf. damit im Zusammenhang stehende Vergabeverstöße können dem Zweck der Vorschrift nach gerade nicht von der Rügeobliegenheit gem. § 160 Abs. 3 Nr. 3 GWB erfasst werden. Verstöße bei der Angebotsprüfung und Wertung sind vielmehr originär im Rahmen von Vergabenachprüfungsverfahren aufzugreifen. Die Rügeobliegenheit soll zudem gerade der Beschleunigung von Vergabeverfahren dienen. Würde man mit dem Antragsgegner eine Verpflichtung annehmen, bereits denkbare zukünftige Vergabefehler rügen zu müssen, bestünde die erhebliche Gefahr der Verlangsamung und Aufblähung von Vergabeverfahren in der frühen Phase der Angebotsabgabe.

2. Soweit die Antragstellerin rügt, dass das Angebot der Beigeladenen die aufgestellten Mindestanforderungen nicht erfülle, bestehen ebenfalls keine Zulässigkeitsbedenken. Diese Rüge findet sich bereits im Schreiben vom 29.06.2021 und ist nicht präkludiert. Soweit die Antragstellerin rügt, dass die Anforderungen an den Datenschutz in der Leistungsbeschreibung nicht eingehalten wurden, steht ihr auch eine Antragsbefugnis zur Seite. Sie rügt damit einen Verstoß gegen vergaberechtliche Vorschriften der Leistungsbeschreibung.

B. Der Nachprüfungsantrag ist auch begründet, soweit die Antragstellerin die Zurückversetzung des Vergabeverfahrens in den Stand vor Abgabe der Angebote beantragt hat. Die Akzeptanz der Referenz der Beigeladenen als ausreichender Eignungsnachweis seitens des Antragsgegners verletzt die Antragstellerin in ihren Rechten gem. §§ 97 Abs. 6 i.V.m. 97 Abs. 1 S. 1, 122 Abs. 4 GWB.

In Ermangelung eigenständig aufgestellter Eignungskriterien seitens des Antragsgegners sind der geforderten Referenz zugleich die materiellen Eignungskriterien zu entnehmen (unter 1.). Der erforderliche Auftragsbezug der Eignungskriterien sowie das für eine geeignete Referenz erforderliche Mindestmaß an Vergleichbarkeit zwischen referenzierter und ausgeschriebener Leistung führen dazu, dass das referenzierte Videokonferenzsystem jedenfalls mit den Kernelementen der ausgeschriebenen Leistung vergleichbar sein muss (unter 2.). Soweit der Antragsgegner bei der Eignungsprüfung der Beigeladenen das dort referenzierte Videokonferenzsystem ausreichen ließ, führt dieses offensichtlich seitens des Antragsgegners von dem des durchschnittlichen Bieters abweichende Begriffsverständnis zur Intransparenz der Vergabeunterlagen (unter 3.).

1. Aufträge dürfen gemäß § 122 Abs. 1 GWB grundsätzlich nur an fachkundige und leistungsfähige (geeignete) Unternehmen vergeben werden. Der Auftraggeber hat die Eignung gem. § 122 Abs. 2 GWB anhand von bekanntgemachten Eignungskriterien zu prüfen. Die im Vorhinein bekanntgemachten Eignungskriterien sind der Maßstab für die Eignungsprüfung (Ziekow in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl., § 122 Rn. 13). Kern der Eignungsprüfung ist die Feststellung, ob die bekanntgemachten Eignungskriterien erfüllt wurden (Ziekow a.a.O. Rn. 13).

Mit der Pflicht zur Eignungsprüfung korrespondiert grundsätzlich die Verpflichtung des öffentlichen Auftraggebers, Eignungskriterien nach § 122 Abs. 2 GWB festzulegen (Eichler in: Münchener Kommentar Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl., § 122 Rn. 266; Friton in: BeckOK Vergaberecht, 21. Aufl., § 122 Rn. 26). Dabei steht dem Auftraggeber bei der Auswahl der Eignungskriterien ein Beurteilungsspielraum zu, der seine Grenze in § 122 Abs. 4 GWB findet (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27.6.2018 - VII Verg 4/18; Gnittke/Hattig in: Müller-Wrede, GWB, § 122 Rn. 25). Es dürfen demnach nur solche Eignungskriterien gestellt werden, die mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung und zu diesem in einem angemessenen Verhältnis stehen. Eignungskriterien müssen objektiv dazu dienen und geeignet sein, die Leistungsfähigkeit des Bieters im Hinblick auf den konkret ausgeschriebenen Auftragsgegenstand nachzuweisen (Ziekow a.a.O. § 122 Rn. 23). Eignung und Erforderlichkeit der Kriterien sind in Relation zum Auftragsgegenstand zu bestimmen (Ziekow a.a.O § 122 Rn. 24). Je komplexer der Auftragsgegenstand desto höhere Eignungsanforderungen können gestellt werden.

Vorliegend hat der Antragsgegner keinerlei eigenständige Eignungskriterien aufgestellt und bekannt gemacht. Die Eignungsprüfung sollte ausweislich der Ausschreibung ausschließlich anhand der geforderten Referenz erfolgen. Grundsätzlich dient eine Referenz jedoch nur dem Beleg der zuvor aufgestellten Eignungskriterien (§ 46 VgV), ersetzt diese indes nicht.

Die singuläre Forderung einer Referenz ohne Rückbezug zu eigenständig definierten Eignungskriterien ist nach Einschätzung des Senats allerdings zulässig, sofern aus der Referenz Rückschlüsse auf damit mittelbar gestellte Eignungskriterien möglich sind (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27.6.2018 - Verg 4/18; OLG Koblenz, Beschluss vom 13.6.2012 - 1 Verg 2/12; Opitz in: Burgi/Dreher, Beckscher Vergaberechtskommentar, § 122 Rn. 52). Die Referenz stellt in einem solchen Fall nicht nur einen Nachweis für die Eignung dar, sondern definiert zugleich konkludent die materiellen Eignungskriterien.

Verzichtet der Auftraggeber - wie hier - auf eine eigene Definition der Eignungskriterien, in dem er allein eine Referenz fordert, ist damit aus der Sicht eines durchschnittlich erfahrenen Bieters zu beurteilen, ob, wenn ja, welche konkludenten Eignungskriterien mit der Referenzforderung verbunden sind. Das Verständnis des durchschnittlich erfahrenen Bieters von den Referenzanforderungen basiert dabei auf der Annahme, dass sich die Vergabestelle vergaberechtkonform verhält (vgl. Lampert in: Burgi/Dreher, Beckscher Vergaberechtskommentar, 3. Aufl. § 122 Rn. 80). Bieter dürfen grundsätzlich Vergabeunterlagen im Zweifel so verstehen, dass sie den vergaberechtlichen Anforderungen entsprechen. Unklarheiten gehen zu Lasten des Auftraggebers (ebenda).

Bei der Extraktion von Eignungskriterien aus der geforderten Referenz ist seitens der Bieter damit der vergaberechtliche Rahmen der Eignungsprüfung mitzudenken. Bedeutung erlangt dabei insbesondere, dass gem. § 122 Abs. 4 GWB Eignungskriterien in einer Verbindung zum Auftragsgegenstand und zu diesem in einem angemessenen Verhältnis stehen müssen. Entsprechend dürfen gem. § 46 Abs. 3 VgV Referenzen nur verlangt werden, soweit sie sich auf wesentliche Dienstleistungen für die nunmehr ausgeschriebene Leistung beziehen. Eine Referenz soll Rückschlüsse auf die Leistungsfähigkeit des Bieters hinsichtlich der ausgeschriebenen Leistung ermöglichen. Dies bedingt zwingend, dass die Geeignetheit der Referenz nur dann gegeben ist, wenn jedenfalls ein Mindestmaß an Vergleichbarkeit zwischen der referenzierten Leistung und der ausgeschriebenen Leistung besteht (vergleiche Ackermann in: Dieckmann/Scharf/Wagner-Cardenal, VgV, § 46 Rn. 20; Mager in: Beckscher Vergaberechtskommentar, § 46 Rn. 15). Nur dann kommt sie als Grundlage der erforderlichen Prognoseentscheidung in Betracht.

Soweit hier bei der Referenzforderung auf den Zusatz "gleichartig" verzichtet wurde, bedeutet dies allein, dass die referenzierte Leistung nicht in allen wesentlichen Anforderungen der nunmehr ausgeschriebenen entsprechen muss. Da eine Referenz jedoch kraft des vergaberechtlichen Regelungsrahmens nur gefordert werden darf, wenn sie die Leistungsfähigkeit für die ausgeschriebene Leistung prognostisch absichern kann, bleibt immer zu fordern, dass jedenfalls Kernelemente der ausgeschriebenen Leistung auch Bestandteil der referenzierten Leistung waren. Dieser Aspekt wird mit der in § 122 Abs. 4 GWB geforderten Auftragsbezogenheit der Eignungskriterien sowie der Verhältnismäßigkeit, die beinhaltet, dass das Eignungskriterium als prognostische Grundlage für den ausgeschriebenen Auftrag geeignet ist, ausdrücklich betont und findet sich auch in § 46 VgV mit der Formulierung "geeignet" wieder.

2. Vorliegend hat der Antragsgegner die geforderte Referenz wie folgt umschrieben:

"Darstellung von mindestens einer geeigneten Referenz (Datei: "Referenzen") aus den letzten 3 Jahren (Stichtag "Ablauf der Angebotsfrist"), die nach Art und Umfang den nachfolgend aufgeführten Anforderungen entspricht.

Art: Bereitstellung und Betrieb einer Videokonferenzsystem-Umgebung inklusive technischem Support

Umfang: Mindestens 10.000 Nutzer"

Anzugeben war zudem die Person des Erklärenden.

Weitere Konkretisierungen hinsichtlich der referenzierten Videokonferenzsystem-Umgebung enthält die Ausschreibung nicht. Damit ist aus Sicht eines durchschnittlichen, verständigen und mit vergleichbaren Ausschreibungen vertrauten Bieters auszulegen, welchen Anforderungen die referenzierte Leistung der Bereitstellung eines Videokonferenzsystems als Eignungsnachweis genügen musste:

Der Begriff "Videokonferenz" wird umgangssprachlich mit dem synchronen Informationsaustausch zur Bild- und Tonübertragung für mehrere Teilnehmer gleichgesetzt. Ein Videokonferenzsystem zeichnet sich nach diesem Verständnis dadurch aus, dass mindestens drei Teilnehmer in Echtzeit in Ton und Bild online kommunizieren können. So hat es auch die Vergabekammer in ihrer Ausgangsentscheidung gesehen. Bei lediglich zwei Teilnehmern trifft dagegen eher der Begriff der "Videotelefonie" zu (vgl. www.wikipedia.de/Videokonferenz). Hier kann nämlich unstreitig die Datenübertragung unmittelbar von einem zum anderen Teilnehmer erfolgen, während bei der "Konferenz" zwingend eine Verteilung der Daten über eine zentrale Einheit ermöglicht werden muss.

Der Senat hat daher bereits durchgreifende Zweifel, ob ein Software-Produkt, das lediglich den in zwei Richtungen möglichen Video- und Bildaustausch zweier Personen ermöglicht, von den angesprochenen Bietern überhaupt als "Videokonferenzsystem" verstanden würde. Doch selbst das von der Vergabekammer zugrunde gelegte Minimalverständnis würde aus Sicht eines verständigen, auf die vergabekonforme Ausschreibung vertrauenden Bieters indes nicht ausreichend sein, um hier von einer zulässigen Referenzforderung auszugehen. Eignungskriterien - und darauf bezogene Nachweise - müssen vielmehr - wie oben ausgeführt - gem. § 122 Abs. 4 GWB im Zusammenhang mit der ausgeschriebenen Leistung stehen. Nur wenn die referenzierte Leistung ein Mindestmaß an Vergleichbarkeit zur ausgeschriebenen Leistung aufweist, kann aus der Referenz auch ein belastbarer Rückschluss auf die Leistungsfähigkeit des Bieters gezogen werden.

a. Verzichtet der Auftraggeber auf die Aufstellung von Eignungskriterien kommt es bei der Ermittlung des Mindestmaßes an Vergleichbarkeit zwischen zu referenzierender und ausgeschriebener Leistung wiederum auf das Verständnis eines durchschnittlich erfahrenen Bieters von den Kernelementen der ausgeschriebenen Leistung an. Angesichts des ganz erheblichen Leistungsumfangs und der Qualität der hier ausgeschriebenen Leistung, die den sicheren Zugang von bis zu 450.000 Teilnehmern gleichzeitig im Rahmen von zahlreichen Videokonferenzräumen entsprechend der Klassenstärke mit jeweils sichtbaren Teilnehmern für die rund 2.000 hessischen Schulen gewährleisten soll, würde es an der Vergleichbarkeit der Leistungen fehlen, sofern allein ein Videokonferenzsystem referenziert wird, welches lediglich die im vorausgegangenen Absatz dargestellten Minimalelemente erfasste.

Allein die Ermöglichung der Kontaktaufnahme in Bild und Ton von drei oder mehreren Personen stellt sich nicht im Ansatz als vergleichbar mit der ausgeschriebenen Leistung dar und taugt damit auch nicht als Prognosegrundlage für die ausgeschriebene Leistung. Ein derart bestimmtes Eignungskriterium wäre nicht verhältnismäßig, d.h. geeignet, die Leistungsfähigkeit des Bieters prognostisch einzuschätzen. Umfang und Komplexität der ausgeschriebenen Leistung erfordern nach § 122 Abs. 4 GWB vielmehr auch hinsichtlich der referenzierten Leistung über das Minimalverständnis eines Videokonferenzsystems hinausgehende Anforderungen.

Für das Mindestmaß an Vergleichbarkeit sind die Kernelemente der ausgeschriebenen Leistung maßgeblich. Diese betreffen aus Sicht des verständigen Bieters angesichts des dargestellten Zwecks der Ausschreibung und der dort formulierten Mindestbedingungen jedenfalls, dass

- gleichzeitig zahlreiche Videokonferenzräume (vergleichbar der Klassenräume)

- mit jeweils sichtbaren Teilnehmern in Klassenstärke

- bei einer potentiellen gleichzeitigen Nutzerzahl wöchentlich von 200.000 (Hybridunterricht) bzw. 450.000 (gesamte Schülerzahl Hessens)

- browsergestützt

zur Verfügung gestellt werden.

Dieses Verständnis wird auch nicht durch die Antwort des Antragsgegners auf die Bieterfrage Nr. 84 (Anlage ASt 6,168) relativiert. Mit ihr wurde - wie bereits ausgeführt - lediglich klargestellt, dass das Videokonferenzsystem auch Bestandteil eines Pakets mit anderen Anwendungen sein kann. Die Anforderungen und Kernelemente an eine solche Videokonferenzsystem-Umgebung werden nicht dadurch beeinflusst, ob sie allein oder im Verbund mit anderen Produkten angeboten werden. Zu den Anforderungen an das referenzierte Videokonferenzsystem selbst kann der Antwort auf die Bieterfrage nichts entnommen werden.

b. Unter Berücksichtigung dieser Kernelemente fehlt es der von der Beigeladenen referenzierten Leistung an dem erforderlichen Mindestmaß der Vergleichbarkeit mit dem Auftragsgegenstand. Die erbrachte Leistung ist unter keinem Aspekt mit der ausgeschriebenen Leistung hinreichend vergleichbar, um Rückschlüsse auf die Leistungsfähigkeit zu ermöglichen. Die Referenz bezog sich den Angaben im Angebot nach auf die Nutzung der Fernwartungssoftware der Beigeladenen seitens des Referenzierenden. Im Rahmen der geforderten inhaltlichen Darstellung der Referenz nebst Angaben zu Art und Umfang der erbrachten Leistungen führte die Beigeladene aus: X ermöglicht den Fernzugriff von 3.000 (Name des referenzierenden Unternehmens) -Technikern auf medizinische Geräte, um mit 70.000 Ärzten zu kollaborieren und diese bei Problemen aus der Ferne zu unterstützen.

Die referenzierte Leistung umfasste damit den singulären Fernwartungszugriff von Technikern auf medizinische Geräte der Ärzte. Der Umschreibung der erbrachten Leistung kann anhand des Angebotstextes noch nicht einmal entnommen werden, dass eine Videokonferenzumgebung bereitgestellt und genutzt wurde. Die Beigeladene ging ausweislich ihrer Bieterfrage offensichtlich selbst im Kern davon aus, dass der für ihr Leistungsspektrum wesentliche Fernwartungszugriff die Anforderungen einer Videokonferenzumgebung im Sinne der erforderlichen Referenz nicht entsprach.

Allein der Umstand, dass die Fernwartungssoftware im Paket u.a. mit der Software X1 auch über eine Videokonferenzfunktion verfügte, führt nicht zu einer jedenfalls im Kern bestehenden Vergleichbarkeit mit der ausgeschriebenen Leistung. Weder vom theoretischen Leistungsumfang noch von der tatsächlichen Nutzung durch das referenzierende Unternehmen her kann auf eine Vergleichbarkeit geschlossen werden. Der Antragsgegner hat selbst im Zusammenhang mit dem Hinweis, dass vorliegend seitens der Beigeladenen ein anderes Produkt als X1 angeboten worden sei, stets betont, dass die Software X1 die hier geforderten Mindestanforderungen nicht erfüllt:

Unstreitig können allein 10 Teilnehmer sichtbar an einer Schaltung teilnehmen. Das Produkt ist softwaregestützt; die Menge gleichzeitiger Videokonferenzräume im Sinne der Abbildung von Klassenräumen ist nicht erkennbar. Auch aus der erläuternden E-Mail des referenzierenden Unternehmens vom 13.07.2021 kann nicht auf eine jedenfalls im Kern bestehende Vergleichbarkeit zwischen der referenzierten Leistung und der ausgeschriebenen geschlossen werden. Dort wird lediglich bestätigt, dass im Leistungsumfang auch die Möglichkeit einer Videokonferenz mit mindestens zwei Teilnehmern unter Benutzung einer Videokamera enthalten war, die genutzt wurde, um klinischem Personal Funktionen der Geräte zu erklären oder verschlissene Teile zu zeigen (Anlage AG 1). Diese Anwendung beschränkt sich auf eine Bestätigung der Funktionen im Sinne des oben dargestellten Basisverständnisses eines Videokonferenzsystems. Bestätigt wird allein der Fernzugriff auf die medizinischen Geräte, in den die Anfragenden per Telefon oder ggf. per Video eingebunden wurden. Die referenzierte Leistung ist damit bereits im Ansatz nicht mit den Kernelementen der ausgeschriebenen Leistung in Form der digitalen Abbildung zahlreicher Klassenräume mit in Klassenstärke sichtbaren Teilnehmern vergleichbar. Als softwarebasierte Lösung war sie - insoweit lediglich ergänzend - ebenfalls nicht mit der als Kernelement aufzufassenden browsergestützten Umgebung vergleichbar.

Der Antragsgegner weist selbst im Rahmen des nicht nachgelassenen Schriftsatzes vom 13.12.2021 darauf hin, dass die Zahl sichtbarer Teilnehmer maßgeblichen Einfluss auf die erforderliche Bandbreite habe; die Anwendung X1 verzichte auf die Sichtbarmachung von mehr als 10 Teilnehmern, um stockende Konferenzen zu verbessern. Das zu fordernde Mindestmaß an Vergleichbarkeit umfasst jedoch hier maßgeblich die Zuverfügungstellung eines Videokonferenzsystems, welches eine wenigstens nicht unerhebliche Teilnehmerzahl gleichzeitig sichtbar an der Konferenz teilnehmen lässt; nur dann ist die Referenz geeignet, nachzuweisen, dass ein Kernelement der ausgeschriebenen Leistung auch tatsächlich ansatzweise beherrscht wurde.

c. Soweit der Antragsgegner gegen das dargestellte Verständnis der referenzierten Leistung einwendet, dass damit in den ihm zustehenden Beurteilungsspielraum bei der Aufstellung von Eignungskriterien eingegriffen werde, überzeugt dies nicht. Der Beurteilungsspielraum bei der Aufstellung von Eignungskriterien besteht nur innerhalb des gesetzlichen Rahmens. Dieser Rahmen wird durch § 122 Abs. 4 GWB abgesteckt. Eignungskriterien, die nicht in Verbindung zum Auftragsgegenstand und zu diesem in einem angemessenen Verhältnis stehen, sind unzulässig. Sie können nicht den Zweck, eine belastbare Prognoseentscheidung zu tragen, erfüllen. Ein allein auf das Minimalverständnis einer Videokonferenzanlage reduziertes Eignungskriterium wäre vorliegend unzulässig. Es wäre angesichts des hier vorliegenden hochkomplexen und umfangreichen Ausschreibungsgegenstands nicht geeignet, Rückschlüsse auf die Leistungsfähigkeit des Bieters für den ausgeschriebenen Leistungsgegenstand zu ziehen. Die Frage der Verhältnismäßigkeit - ggf. auch nur mittelbar - aufgestellter Eignungskriterien ist insoweit auch seitens der Nachprüfungsinstanzen voll überprüfbar (Ziekow a.a.O., § 122 Rn. 24).

Soweit der Antragsgegner meint, vorliegend habe er im Hinblick auf den funktionalen Charakter der Ausschreibung auf eine nähere Eingrenzung des Begriffs des Videokonferenzsystems verzichtet, steht auch dies der dargestellten Auslegung nicht entgegen. Unabhängig vom tatsächlich feststellbaren funktionalen Umfang der ausgeschriebenen Leistung, die gemäß Planung des Auftraggebers drei Wochen nach Zuschlagserteilung startbereit sein sollte, erfolgt die hier nach § 122 Abs. 4 GWB gebotene nähere Konkretisierung des Videokonferenzsystems nicht anhand der den Bietern funktional eröffneten Spielräume bei der Leistungsumsetzung, sondern anhand der vom Auftraggeber selbst konkret vorgegebenen Leistungsmerkmale. Die dargestellte Auslegung der Anforderungen an die referenzierte Leistung bezieht sich gerade nicht auf bestimmte Lösungswege, sondern allein auf den Nachweis, eine im Ergebnis hinsichtlich wesentlicher Kernelemente vergleichbare Leistung erbracht zu haben.

Soweit der Antragsgegner darauf verweist, dass ein möglichst breiter Bieterwettbewerb durch die gewählte weite Formulierung erreicht werden sollte, steht auch dies der dargestellten Auslegung nicht entgegen. Richtig ist, dass die - auch nur mittelbare - Formulierung von Eignungskriterien im Spannungsfeld steht zwischen dem Interesse des Auftraggebers einerseits, durch eine möglichst konkrete Fassung der Kriterien tatsächlich leistungsfähige Bewerbungen zu erhalten, und andererseits durch eine weitere Fassung der Kriterien im Interesse des Wettbewerbs möglichst viele Bieter zur Abgabe eines Angebots zu bewegen. Da Eignungskriterien jedoch einen ganz konkreten Zweck haben und ausschließlich dazu dienen, die spätere Leistungsfähigkeit des Bieters beurteilen zu können, stellt es für sich genommen kein zulässiges Ziel dar, sie unabhängig von § 122 Abs. 4 GWB so weit zu formulieren, dass eine große Anzahl Bieter am Verfahren teilnehmen können (vgl. auch Gnittke/Hattig a.a.O. § 122 Rn. 89).

d. Schließlich überzeugt auch der Einwand des Antragsgegners nicht, mit der gewählten Formulierung sollte eine "Newcomer-Regelung" getroffen werden. Ansatzpunkte für ein derartiges Verständnis lassen sich der gewählten Formulierung für die Referenz nicht entnehmen. Auch der eigene Vortrag des Antragsgegners deckt ein solches Verständnis nicht. Ausweislich seiner Ausführungen im Verfahren vor der Vergabekammer (Schriftsatz vom 15.7.2021) "wurde zu keinem Zeitpunkt eine Definition der Art des Videokonferenzsystems vorgenommen, die zur Prüfung der Referenz gedient hätte". Dies bestätigte auch ein Mitarbeiter des Antragsgegners im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Senat. Demnach hat der Antragsgegner erst im Rahmen dieses Nachprüfungsverfahrens nähere Überlegungen zum verwendeten Begriff angestellt und dann ein Minimalverständnis des Begriffs angenommen. Ein irgendwie gearteter Wille, Newcomern den Marktzutritt zu ermöglichen, ergibt sich aus dieser Genese nicht. Entsprechend dokumentierte Erwägungen lassen sich der Akte ebenfalls nicht entnehmen.

e. Soweit die Beigeladene schließlich mit nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingegangenem Schriftsatz vom 9.12.2021 ebenso wie der Antragsgegner mit Schriftsatz vom 13.12.2021 ausführen, grundsätzlich sei eine bieterfreundliche Auslegung geboten, führt auch dies nicht zu einer anderen Bewertung. Zum einen findet der Rahmen der Auslegung seine Grenze in den bestehenden Vergaberegeln, hier insbesondere in § 122 Abs. 4 GWB. Zum anderen ist nur eine für alle Bieter freundliche Auslegung vorzugswürdig, nicht dagegen eine, die lediglich für einen Bieter freundliche, für die anderen indes unfreundliche Auswirkungen zeitigt.

3. Das Verfahren ist in den Stand vor Bekanntmachung der Ausschreibung zurückzuversetzen. Der Begriff des zu referenzierenden Videokonferenzsystems wurde im Ergebnis hier intransparent verwendet.

Der Antragsgegner hat seinen eigenen Angaben bestenfalls das oben dargestellte Minimalverständnis dem Begriff des Videokonferenzsystems zugrunde gelegt; bei Abfassung der Ausschreibung hatte er sich - wie dargestellt - keine näheren Gedanken über den Begriff und dessen Bedeutung gemacht.

Dieses Minimalverständnis für ein Videokonferenzsystem war indes aus Sicht der Bieter bei der Ermittlung der zu referenzierenden Leistung nicht anzunehmen, da es in Ermangelung des nach § 122 Abs. 4 GWB geforderten Auftragsbezugs und der im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erforderlichen Eignung, die Prognoseentscheidung zu stützen, im Ergebnis zu einer unzulässigen Referenzforderung geführt hätte. Sie hätte keine Rückschlüsse auf die Leistungsfähigkeit hinsichtlich der ausgeschriebenen Leistung ermöglicht. Es liegen damit unklare Vergabeunterlagen vor. Verzichtet ein Auftraggeber auf die eigene Formulierung von Eignungskriterien, trifft ihn das Risiko, dass der verständige Bieter die im Rahmen einer Referenz geforderten Begrifflichkeiten berechtigterweise auf Basis des Vergaberechts abweichend von seinem eigenen Verständnis auslegt. Durch die eigenständige Aufstellung von Eignungskriterien unter Ausübung des dem Auftraggeber insoweit zustehenden Beurteilungsspielraums können derartige Diskrepanzen vermieden werden.

Das Verfahren wäre im Übrigen auch dann zurückzuversetzen, wenn man nicht positiv aus der ausgeschriebenen Leistung konkludent auf Kernelemente schließen würde, die das mit der Referenz nachzuweisende Videokonferenzsystem erfüllen müsste. Allein der Umstand, dass angesichts des ausgeschriebenen Leistungsgegenstands das bloße Minimalverständnis eines Videokonferenzsystems kein geeigneter Nachweis für die Eignung sein kann, da es im Kern an der Vergleichbarkeit zwischen erbrachter und zu erbringender Leistung fehlt, genügt für die Unklarheit. Komplexität und Umfang der ausgeschriebenen Leistung erfordern jedenfalls über dieses Verständnis hinausgehende Anforderungen an die referenzierte Leistung, da damit diese als Prognosegrundlage in Betracht kommen kann.

Vor dem Hintergrund der Beschaffungsautonomie des öffentlichen Auftraggebers unterfällt die Definition von Eignungskriterien ausschließlich der Vergabestelle. Der Senat ist nicht berechtigt, der Vergabestelle Eignungskriterien vorzugeben. Er ist allein aufgerufen, gewählte Regelungen zur Eignung - wie hier die Referenzforderung - auf ihre Konformität mit dem Vergaberecht hin zu überprüfen. Ausgehend davon kommt - wie nunmehr vom Antragsgegner mit Schriftsatz vom 13.12.2021 angeregt - eine Zurückversetzung des Verfahrens in den Stand nach Angebotsabgabe - und damit unter Aufrechterhaltung der Regelungen zum Eignungsnachweis mit den damit verbundenen ausführlich geschilderten Problemen - nicht in Betracht.

Ein Ausschluss der Beigeladenen auf Basis intransparenter Vergabeunterlagen ist ebenfalls nicht möglich.

Dem Antragsgegner verbleibt im Rahmen der neuen Ausschreibung die Möglichkeit, durch entsprechende Formulierungen der Vergabeunterlagen und insbesondere der Eignungskriterien die von ihm erstrebte Marktöffnung zu erreichen bzw. explizit einen "Newcomer"-Zugang zu eröffnen.

Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die Frage, ob - wie von der Vergabekammer gefordert - Konkretisierungen der Anforderungen an die Datensicherheit formuliert werden, im Beurteilungsspielraum des Auftraggebers liegt.

Hinsichtlich der aufgestellten Mindestanforderungen sowie der geforderten Vertragstreueerklärung begegnet die Ausschreibung keinen Bedenken. Dies gilt auch für die Datenschutzanforderungen in der Leistungsbeschreibung.

III.

Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 175 Abs. 2, 71 GWB. Da die sofortige Beschwerde im Ergebnis erfolglos geblieben ist und lediglich eine Anpassung des Tenors im Hinblick auf die nunmehr zu beachtende Rechtsauffassung des Senats erfolgte, entspricht es billigem Ermessen, die Kosten dem beschwerdeführenden Antragsgegner vollumfänglich aufzuerlegen. Hinsichtlich der - nicht § 71 S. 2 GWB unterfallenden - Kosten der Beigeladenen, die an den sonstigen Verfahrenskosten nicht zu beteiligen ist, entspricht es billigem Ermessen, dass diese von ihr selbst getragen werden. Sie hat die angefochtene Entscheidung erfolglos verteidigt.

Die Kosten des Verfahrens im Sinne von § 71 GWB umfassen dabei sowohl die Gerichtskosten als auch die außergerichtlichen Kosten der Parteien.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 50 Abs. 2 GKG.

Zitate0
Referenzen0
Schlagworte