OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 18.11.2021 - 6 U 173/20
Fundstelle
openJur 2022, 608
  • Rkr:

1. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Umverpacken von Arzneimitteln ist mangels grenzüberschreitendem Bezug bei reinen Inlandssachverhalten nicht anwendbar.

2. Das Überkleben der Pharmazentralnummer des Herstellers auf erschöpften Medizinprodukten steht der Anwendung von Art. 15 Abs. 1 UMV nicht entgegen, wenn zwar auch die Marke des Herstellers überklebt wird, die Marke jedoch so versteckt und wenig herausgehoben ist, dass angesichts der mehrfachen Markenverwendungen an anderer Stelle der Verpackung die Herkunftsfunktion der Marke nicht verletzt wird.

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 8. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Frankfurt am Main vom 16.9.2020 abgeändert und die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

I.

Die Parteien streiten um eine mögliche Erschöpfung von mit der Klagemarke versehenen Medizinprodukten.

Die Klägerin vertreibt in Deutschland Produkte der modernen Wundversorgung. Für eine Konzerngesellschaft der Klägerin ist die Unionswortmarke "URGO" (Nr. ...) für Waren der Warenklasse 5 registriert. Diese hat die Klägerin mit Lizenzvereinbarung ermächtigt, als exklusive Lizenznehmerin in Deutschland Ansprüche aus der Marke geltend zu machen und durchzusetzen. Die Beklagte ist Einzel- und Großhändlerin von Medizinprodukten und Nahrungsergänzungsmitteln.

Die Klägerin brachte die streitgegenständlichen Packungen des Produkts "URGO Tüll 10 × 10 cm Wundauflagen" in Deutschland in der Anlage K4 ersichtlichen Gestaltung in den Verkehr. Die Beklagte vertrieb - wie die Klägerin im Rahmen eines Testkaufs feststellte - diese Wundauflagen und überklebte dabei neben der PZN der Klägerin die Marke "URGO" mit einem Aufkleber, der auf die Beklagte selbst und ihre PZN-Nummer hinweist, so dass die Packung nunmehr wie folgt gestaltet war:

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Der Aufkleber

wurde dabei teilweise überklebt und sah danach so aus:

Das Landgericht hat die Beklagte durch Urteil vom 16.9.2020, auf das gemäß § 540 Abs. 1 ZPO Bezug genommen wird, antragsgemäß zur Unterlassung, zur Auskunft, zum Schadenersatz sowie zum Ersatz der Abmahnkosten verurteilt. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, das Markenrecht der Klägerin sei nicht gemäß Art. 15 Abs. 1 UMV erschöpft. Die Klägerin könne sich gemäß Art. 15 Abs. 2 UMV dem weiteren Vertrieb der Ware widersetzen, da der Zustand der Waren nach ihrem Inverkehrbringen verändert bzw. verschlechtert worden sei. Es handele sich nicht um ein Umverpacken im Sinne der Rechtsprechung des EuGH. Durch das Überkleben und Verdecken der Marke werde der spezifische Gegenstand der Klagemarke beeinträchtigt, der darin bestehe, den Verbraucher oder Endabnehmer die Herkunft der mit ihr versehenen Ware zu garantieren. Die überklebte Wortmarke sei nicht im Fließtext wiedergegeben, sondern neben der weiteren Marke der Klägerin, dem sog. URGO-Männchen. Daher erfülle sie trotz der kleinformatigen Aufbringung eine Herkunftsfunktion, die nicht zu vernachlässigen sei.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie ihren erstinstanzlichen Klageabweisungsantrag weiterverfolgt. Sie meint, durch den Aufkleber der Beklagten sei die Herkunftsgarantie der Marke nicht beeinträchtigt. Es werde keine Herstellerinformation überdeckt, die für die Anwendung des Produktes relevant sein. Die Gesamterscheinung der Packung sei unberührt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 16.9.2020 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angegriffene Urteil.

II.

Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache Erfolg.

Der Klägerin steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus Art. 9 Abs. 2a UMV nicht zu, da die Klägerin sich dem weiteren Vertrieb der erschöpften Waren mangels berechtigter Gründe nicht nach Art. 15 Abs. 2 UMV widersetzen kann.

1. Gemäß Art. 15 Abs. 2 UMV kann sich ein Dritter nicht auf die Erschöpfung des Rechts des Markeninhabers aus der Gemeinschaftsmarke berufen, wenn berechtigte Gründe es rechtfertigen, dass der Inhaber sich dem weiteren Vertrieb der Waren widersetzt, insbesondere wenn der Zustand der Waren nach ihrem Inverkehrbringen verändert oder verschlechtert ist. Eine derartige Veränderung kann auch darin liegen, dass die Verpackung (z.B. durch Aufkleber) verändert wird. Zwar betrifft eine Veränderung der Umverpackung streng genommen nicht die "Ware" selbst, sondern eben nur die Verpackung der Ware, sodass diese Veränderung vom Wortlaut des Abs. 2 nicht erfasst wäre. Änderungen der Verpackung können jedoch jedenfalls dann erhebliche Eingriffe sein, die die Erschöpfung entfallen lassen, wenn der Verkehr die Verpackung als für das Produkt wesentlich ansieht, es z.B. üblicherweise in einer verschlossenen Originalverpackung verkauft wird und der Verkehr gerade auf die Integrität der Verpackung Wert legt. Dies ist typischerweise bei Produktverpackungen von Arzneimitteln der Fall (vgl. EuGH GRUR 2002, 879 Rn 34 - Boehringer Ingelheim).

2. Die für das Umverpacken von Arzneimitteln durch den Europäischen Gerichtshof und den Bundesgerichtshof für Art. 15 Abs. 2 UMV entwickelten fünf Kriterien, die kumulativ für eine zulässige Veränderung der Produktverpackung von Arzneimitteln vorliegen müssen, sind hier nicht anwendbar, da es sich nicht um einen grenzüberschreitenden Sachverhalt handelt. Die Beklagte hat nicht vorgetragen, dass es sich um parallelimportierte Ware gehandelt hat.

Grundlage für die Rechtsprechung des EuGH zu Fällen des Umverpackens von Arzneimitteln und Medizinprodukten bei Fällen des Parallelimports ist die Warnverkehrsfreiheit des Art. 34 AEUV. Die Geltendmachung der Marke gegenüber dem Vertrieb veränderter Ware kann zu einer künstlichen Abschottung der Märkte zwischen Mitgliedstaaten und damit zu einer verschleierten Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten im Sinne von Art. 34 S. 2 AEUV beitragen (EuGH GRUR 2007, 586 Rn 37 - Boehringer Ingelheim/Swingward II; EuGH GRUR 2018, 736 Rn 25 - Debrisoft; BGH GRUR 2017, 71 Rn 15 - Debrisoft; OLG Frankfurt am Main GRUR-RR 2019, 426 Rn 16). Bei reinen Inlandssachverhalten ist eine solche Gefährdung ausgeschlossen.

3. Die danach nach Art. 15 Abs. 2 UMV vorzunehmende Gesamtbetrachtung führt hier dazu, dass die Klägerin keine berechtigten Gründe hat, sich der Erschöpfung der Ware zu widersetzen.

a) Die Beklagte hat ein berechtigtes Interesse daran, die PZN der Klägerin durch ihre eigene zu ersetzen. Ohne die von der Beklagten angebrachte eigene PZN sind die von der Beklagten angebotenen Packungen nicht mittels des Warenwirtschafts- und Abrechnungssystems von den Packungen der Klägerin zu unterscheiden. Andernfalls könne die Klägerin nämlich Wettbewerber von einem gleichwertigen Zugang zur elektronischen Warenwirtschaft ausschließen. Könnte die PZN nicht angebracht werden, würde kein Weitervertrieb möglich sein oder dieser zumindest erheblich erschwert, so dass im Endeffekt die Klägerin weiterhin Kontrolle über die Vertriebswege hätte, was mit dem Erschöpfungsgrundsatz unvereinbar wäre; zudem wäre auch der Preiswettbewerb erheblich behindert.

Damit unterstützt das Überkleben der PZN durch eine neue PZN der Beklagten den Normzweck der Erschöpfungsregelungen, der darin besteht, das Markenrecht angemessen zu begrenzen. Mit den Interessen des Wirtschaftsverkehrs - gleich ob auf nationaler oder europäischer Ebene - ist es unvereinbar, den weiteren Vertrieb von Waren, die mit Zustimmung des Zeicheninhabers gekennzeichnet und in den Verkehr gebracht worden sind, markenrechtlich zu behindern.

b) Aus der Tatsache, dass die Beklagte durch das Anbringen des eigenen PZN-Aufklebers die Klagemarke verdeckt hat, kann nichts Anderes folgen.

Allerdings kann das Überdecken der Marke grundsätzlich geeignet sein, die Herkunftsfunktion der Klagemarke zu beeinträchtigen. Indes kann nicht jedes Überkleben der Marke zwangsläufig zu einer derartigen Beeinträchtigung führen. Sonst hätte es der Markeninhaber in der Hand, durch eine mehrfache, großflächige Verteilung seiner Marke auf der Verpackung zu verhindern, dass die von in den Verkehr gebrachte Ware erschöpft und weitervertrieben werden kann. Vielmehr ist auf die konkrete Gestaltung im Einzelfall abzustellen. Entgegen der Auffassung der Klägerin ergibt sich auch weder aus der Rechtsprechung des EuGH (EuGH GRUR 2018, 736 - Debrisoft) noch des BGH (GRUR 2019, 515, Rn 22 - Debrisoft II), dass jede Überdeckung der Marke zwangsläufig dazu führt, dass eine Erschöpfung ausgeschlossen ist. Vielmehr wurde dort eine Markenverletzung auch deshalb abgelehnt, weil das Nichtüberkleben der Marke eine Verletzung ausschließe. Der Umkehrschluss, damit sei jedes Überkleben als eine Markenverletzung anzusehen, ist jedoch weder durch die Rechtsprechung des EuGH und BGH gedeckt noch mit den Gesetzen der Logik vereinbar.

In der vorliegenden konkreten Gestaltung sieht der Senat keine Verletzung berechtigter Interessen der Markeninhaberin. Die überdeckte Marke ist auf dem Ursprungsaufkleber lediglich im Fließtext nicht herausgehoben wiedergegeben, so dass schon fraglich erscheint, ob das Zeichen überhaupt markenmäßig oder nicht vielmehr firmenmäßig benutzt wird. Jedenfalls hat die Marke an dieser Stelle für die Kennzeichnung des Produkts keine nennenswerte Bedeutung. Die Klagemarke findet sich weiterhin unverändert auf allen Verpackungsseiten an prominenter Stelle in deutlich größerer Form. Diese Kennzeichnungen hat die Beklagte nicht verändert. Bei dieser Sachlage liegt insbesondere kein Fall vor, in welchem im Sinne der Debrisoft-Entscheidung des EuGH "die Marke verdeckt" wird (EuGH GRUR 2018, 736 Rn 35 - Debrisoft; vgl. schon OLG Frankfurt am Main GRUR-RR 2019, 426 Rn 26). Vielmehr liegt der Gedanke nahe, dass die Klägerin die Marke an dieser unauffälligen und ungewöhnlichen Stelle bewusst unter dem Barcode und neben der PZN angebracht hat, um zu provozieren, dass bei der nötigen (und zulässigen) Anbringung der PZN durch die Beklagte die Marke mit überdeckt wird. Ob dies die Absicht der Klägerin war, kann jedoch im Ergebnis dahinstehen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in § 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst, da Zulassungsgründe nicht ersichtlich sind. Allein die Tatsache, dass die hier zu entscheidende Frage noch nicht obergerichtlich entschieden wurde, kann eine grundsätzliche Bedeutung nicht begründen. Für den Umstand, dass die konkrete Konstellation noch nicht Gegenstand der vielen Auseinandersetzungen zwischen den Parteien ist, kann nichts anderes gelten. Es handelt sich vielmehr um eine Einzelfallentscheidung unter Anwendung der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze.

Auch die von der Klägerin angeregte Vorlage an den Europäischen Gerichtshof ist nicht veranlasst, da die Voraussetzungen des Art. 267 AEUV nicht vorliegen. Da es sich um einen reinen Inlandssachverhalt handelt, ist die Warenverkehrsfreiheit schon nicht betroffen.

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