LG Erfurt, Urteil vom 28.04.2021 - 1 HK O 43/20
Fundstelle
openJur 2021, 32987
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • nachfolgend: Az. 7 U 521/21
Rubrum

IM NAMEN DES VOLKES

Urteil

In dem Rechtsstreit

A..., W..., E...

- Verfügungskläger -

Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte ...

gegen

B... Aktiengesellschaft, vertreten durch den Aufsichtsrat, dieser vertreten durch den Vorsitzenden des Aufsichtsrates, H..., E...

- Verfügungsbeklagte -

Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte ...

wegen Unterlassung

hat die 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Erfurt durch Vorsitzenden Richter am Landgericht Dr. ... auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 07.04.2021

für Recht erkannt:

Tenor

1. Die einstweilige Verfügung vom 14.05.2020 in Verbindung mit dem Berichtigungsbeschluss vom 20.05.2020 wird aufgehoben und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Verfügungskläger zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Verfügungskläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn die Verfügungsbeklagte nicht zuvor Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leistet.

Tatbestand

Die Parteien streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes über das Recht der Verfügungsbeklagten zum Zugriff und zur Auswertung von Daten auf dem E-Mail-Postfach des Verfügungsklägers "...".

Die Verfügungsbeklagte ist ein Unternehmen, das Dienstleistungen im Bereich der Informationstechnologie anbietet. Der Verfügungskläger war seit 01.01.2002 auf der Grundlage verschiedener Dienstverträge – wovon der letzte vom 14.09.2015 ein Vertragsende zum 31.12.2020 festschrieb – als Vorstandsmitglied tätig. Die private Nutzung von E-Mail und Internet war Vorstandsmitgliedern der Verfügungsbeklagten ausdrücklich erlaubt, während der Verfügungskläger auch seine private E-Mail-Adresse dienstlich nutzte.

Am 07.02.2020 kündigte die Verfügungsbeklagte dem Verfügungskläger außerordentlich unter Widerruf der Vorstandsbestellung (Anlage AGS 7). Am 30.03.2020 wiederholte sie dies (Anlage AGS 12). Unmittelbar nach Ausspruch der ersten Kündigung hatte der Verfügungskläger einen USB-Stick mit nach Hause genommen.

In einem Schreiben vom 15.04.2020 führten die Prozessbevollmächtigten der Verfügungsbeklagten als gravierende Pflichtverletzungen des Verfügungskläger u. a. die Weiterleitung dienstlicher E-Mails an sich und seine Ehefrau an (Anlage AGS 14) an. Diese Kenntnis beruhte auf einer Einsichtnahme der Verfügungsbeklagten in das dienstliche E-Mail-Postfach des Verfügungskläger ohne dessen Zustimmung.

Unter dem 23.04.2020 wurde die Verfügungsbeklagte aufgefordert, die erlangten Daten zu löschen und Unterlassung zu erklären (Anlage AGS 16); überdies wurde die Datenschutzbeauftragte der Verfügungsbeklagten involviert (Anlage AGS 17).

Auf Antrag des Verfügungsklägers hat die Kammer am 14.05.2020 in Verbindung mit dem Berichtigungsbeschluss vom 20.05.2020 eine einstweilige Verfügung wie folgt erlassen:

1. Der Antragsgegnerin wird untersagt, ohne Zustimmung des Antragstellers, auf das E-Mail- Postfach des Antragstellers "..." zuzugreifen und die dort enthaltenen Informationen wie unter anderem E-Mails, Anlagen zu E-Mails, E-Mail-Entwürfe, gelöschte E-Mails oder Sendeprotokolle zu verarbeiten, d.h. unter anderem einzusehen und einsehen zu lassen sowie auszuwerten oder auswerten zu lassen, auszudrucken, weiterzuleiten oder in sonstiger Weise zu verwerten.

2. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, die Datenverarbeitung hinsichtlich der im Rahmen der unerlaubten Einsichtnahme in das E-Mail-Postfach des Antragstellers erlangten Daten, vor allem in Bezug auf diejenigen Daten, die von der Prozessbevollmächtigten der Beklagten im Schreiben vom 15. April 2020 aufgelistet sind, durch entsprechende technische organisatorische Maßnahmen so zu beschränken, dass Mitarbeiter der Antragsgegnerin, Mitglieder des Aufsichtsrats der Antragsgegnerin sowie sonstige Dritte auf die Daten mit Ausnahme des Leiters IT der Antragsgegnerin nicht zugreifen können und diese Sperrung gegenüber dem Antragsteller zu bestätigen.

Hiergegen hat die Verfügungsbeklagte mit Schriftsatz vom 09.06.2020 Widerspruch eingelegt.

In weiteren Rechtsstreiten vor der Kammer geht der Verfügungskläger gegen die ausgesprochenen Kündigungen vor (1 HK O 29/20) und begehrt Zahlung von Vergütung im Urkundenprozess (1 HK O 26/20).

Die Verfügungsbeklagte meint, der Verfügungsantrag sei weder verständlich noch vollstreckungsfähig. Zudem bestünde kein Rechtsschutzbedürfnis. Sie sei auch nicht Diensteanbieterin i.S.d. TKG; die Einsicht in den E-Mail-Account des Verfügungsklägers sei datenschutzkonform erfolgt, jedenfalls aber gerechtfertigt.

Die Verfügungsbeklagte beantragt;

unter Aufhebung der einstweilige Verfügung vom 14.05.2020 in der Form von 20.05.2020 den auf ihren Erlass gerichteten Antrag vom 11.05.2020 zurückzuweisen.

Der Verfügungskläger beantragt,

den Widerspruch zurückzuweisen.

Der Verfügungskläger behauptet, er hatte eine Weiterleitung von seiner privaten auf die dienstliche E-Mail-Adresse eingerichtet.

Gründe

I. Die einstweilige Verfügung ist aufzuheben, da kein Verfügungsanspruch besteht.

1. Die Voraussetzungen der §§ 44, 88 TKG liegen nicht vor. Die Verfügungsbeklagte ist nicht Diensteanbieter i.S.d. TKG.

Nach § 3 Nr. 6 TKG ist Diensteanbieter, wer ganz oder teilweise geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringt oder an der Erbringung solcher Dienste mitwirkt. Dies trifft vorliegend nicht zu, da es im Verhältnis zwischen den Parteien an einer Geschäftsmäßigkeit fehlt (so auch LAG Niedersachsen, 31.05.2010,12 Sa 875/09; LAG Berlin–Brandenburg, 06.02.2011, 4 Sa 2132/10, und 14.01.2016, 5 Sa 657/15; LG Krefeld, 07.02.2018, 7 O 175/17 und 7 O 198/17; a. A. LAG Hessen, 21.09.2018,10 Sa 601/18 - Revisionsverfahren BAG, 2 AZR 564/18, durch Vergleich beendet).

Ein geschäftsmäßiges Erbringen von Telekommunikationsdiensten setzt zudem gemäß § 3 Nr. 10 TKG ein an Dritte gerichtetes Angebot voraus. Beschäftigte sind im Verhältnis zum Arbeitgeber aber nicht als Dritte anzusehen (vgl. LAG Berlin-Brandenburg, 14.01.2016, 5 Sa 657/15).

Auch nach dem Sinn und Zweck des TKG ist ein Arbeitgeber bei erlaubter Privatnutzung von E-Mail-Accounts nicht Diensteanbieter. Nach § 1 des Gesetzes besteht dessen Zweck darin, durch technologieneutrale Regulierung den Wettbewerb im Bereich der Telekommunikation und leistungsfähige Telekommunikationsinfrastrukturen zu fördern und flächendeckend angemessene und ausreichende Dienstleistungen zu gewährleisten. Die Intention ist insofern wettbewerbsrechtlich ausgerichtet (vgl. auch BT-Drs. 13/3609, S. 36). In diesem Sinne tritt ein die private Nutzung eines E-Mail-Accounts gestattender Arbeitgeber nicht als Telekommunikationsanbieter am Markt auf. Vielmehr ist er als Nutzer anzusehen, der selbst Dienste in Anspruch nimmt und diese an Arbeitnehmer weiterleitet. Das TKG wiederum ist nicht darauf angelegt, unternehmensinterne Rechtsbeziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu regeln (vgl. VG Karlsruhe, 27.05.2013, 2 K 3249/12).

Dass nach der Gesetzesbegründung zu § 82 TKG Nebenstellenanlagen in Betrieben, die zur privaten Nutzung überlassen werden, dem Fernmeldegeheimnis unterliegen (vgl. Anlage AGS 19) kommt vor diesem Hintergrund systematisch nicht zum Tragen. Insofern verkennt die Kammer - in Übereinstimmung mit dem LG Krefeld, a.a..O. - auch nicht, dass die Datenschutzbehörden Arbeitgeber als Telekommunikationsdiensteanbieter einordnen, wenn sie Mitarbeitern die private Nutzung des Internets oder des betrieblichen E-Mail-Postfachs erlauben. Das entscheidende Kriterium ist auch hier, dass Arbeitgeber Telekommunikationsdienste nicht zielgerichtet für Dritte nach außen erbringen, sondern diese den Beschäftigten in erster Linie überlassen, damit sie ihre arbeitsvertraglichen Pflichten betriebsintern erbringen können.

2. Der Anspruch des Verfügungsklägers folgt auch nicht aus § 1004 BGB.

a) Insbesondere ergibt sich ein solcher nicht i. V. m. §§ 823 Abs. 2 BGB, 206 StGB. Die Verfügungsbeklagte ist weder Inhaberin noch Beschäftigte eines Unternehmens, das geschäftsmäßig Post- oder Telekommunikationsdienste erbringt, so dass sie nicht dem Anwendungsbereich des Straftatbestandes unterliegt.

b) Der Anspruch besteht sich auch nicht i. V. m. §§ 823 Abs. 2 BGB, 202 a StGB. Vorliegend hat sich die Verfügungsbeklagte zwar unstreitig Zugriff auf den E-Mail-Account des Verfügungsklägers verschafft, allerdings soweit ersichtlich allein auf dienstliche E-Mails. Insbesondere hat der Verfügungskläger nicht konkret dargelegt, dass sich die Verfügungsbeklagte unbefugt Zugang zu Daten, die nicht für sie bestimmt waren, verschafft hat. Seine Behauptung der Weiterleitung seiner privaten E-Mailadresse auf das dienstliche Postfach hat der Verfügungskläger überdies nicht glaubhaft gemacht.

c) Die Bezugnahme auf die §§ 823 Abs. 2, 88 TKG greift entsprechend der Ausführungen unter 1. nicht.

d) Auch über das Allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG lässt sich das Begehren des Verfügungsklägers nicht begründen. Soweit ersichtlich erfolgte ein Zugriff allein auf dessen dienstliche E-Mails. Ein etwaiger Eingriff in den Schutzbereich wäre aber auch nicht rechtswidrig erfolgt (vgl. LAG Berlin–Brandenburg, 06.02.2011, 4 Sa 2132/10).

e) Obgleich das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 16.06.2009, 2 BvR 902/06, das Fernmeldegeheimnis aus Art. 10 Abs. 1 GG auch auf E-Mails erstreckte, die wie hier auf einem Server "ruhen", geht das Gericht im Einklang mit danach ergangener Rechtsprechung davon aus, dass die spezifischen Gefahren einer räumlich distanzierten Kommunikation, vor denen das Telekommunikationsgeheimnis schützen will, in Fällen wie dem vorliegenden nicht fortbestehen (vgl. LAG Berlin–Brandenburg, a.a.O.; VG Karlsruhe, a.a.O., jeweils m.w.N.). Dienstliche E-Mails eines Mitarbeiters müssen nach dessen Ausscheiden aus einem Unternehmen in weitere Unternehmensabläufe einbezogen werden können, so dass auch der Schutzbereich dieses Grundrechts nicht tangiert ist.

II. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91; 708 Nr. 6, 711 ZPO.