LG Frankfurt am Main, Urteil vom 16.09.2021 - 2-24 S 189/20
Fundstelle
openJur 2021, 31177
  • Rkr:
Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 6.10.2020 verkündete Urteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main - Az. 30 C 4636/19 (71) - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

Von der Wiedergabe der tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts und der Darstellung etwaiger Änderungen und Ergänzungen wird abgesehen (§§ 540 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO).

II.

Die zulässige, insbesondere fristgemäß eingelegte und fristgemäß begründete Berufung der Beklagten ist in der Sache nicht begründet.

Das Amtsgericht hat die Beklagte im Ergebnis zu Recht zur Zahlung verurteilt.

Der Klägerin steht aus abgetretenem Recht dreier Fluggäste für die verzögerte Beförderung am 29.9.2018 von Frankfurt am Main nach Madrid und von dort nach Jerez de la Frontera eine Ausgleichsleistung von insgesamt 1.200,00 € zu.

Entgegen dem Plan kamen die Zedenten am Endziel nicht um 17.00 Uhr, sondern erst um 22.45 Uhr an.

Für diese Verzögerung schuldet die Beklagte eine Ausgleichsleistung von jeweils 400,00 € pro Person.

Eine solche Verzögerung ist grundsätzlich geeignet, einen Anspruch auf Ausgleichsleistung zu begründen, denn die Art. 5, 6 und 7 der VO (EG) 261/2004 (im Folgenden VO genannt) sind dahingehend auszulegen, dass die Fluggäste verspäteter Flüge im Hinblick auf die Anwendung des Ausgleichsanspruchs den Fluggästen annullierter Flüge gleichgestellt werden können und somit den in Art. 7 VO vorgesehenen Ausgleichsanspruch geltend machen können, wenn sie wegen eines verspäteten Fluges einen Zeitverlust von 3 Stunden oder mehr erleiden, d.h. wenn sie ihr Ziel nicht früher als 3 Stunden nach der von dem Luftfahrtunternehmen ursprünglich geplanten Ankunft erreichen (EuGH, Urt. 19.11.2009, Az. C-402/07).

Das ausführende Luftfahrtunternehmen ist nur dann nicht verpflichtet, Ausgleichszahlungen gem. Art. 7 der VO zu leisten, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung bzw. eine solche große Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären, Art. 5 Abs. 3 VO. Dafür trägt das Luftfahrtunternehmen die Darlegungs- und Beweislast (EuGH, Urt. 19.11.2009, Az. C-402/07; EuGH, Urt. 22.12.2008; Az. C-549/07). Diesem obliegt es, darzulegen und erforderlichenfalls zu beweisen, dass es ihm auch unter Einsatz aller ihm zur Verfügung stehenden personellen, materiellen und finanziellen Mittel nicht möglich gewesen wäre, ohne angesichts der Kapazitäten des Unternehmens zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht tragbare Opfer die Annullierung bzw. große Verspätung zu vermeiden (BGH, Urt. 14.10.2010, Az. Xa ZR 15/10).

Diesen Voraussetzungen genügt der Vortrag der Beklagten nicht. Zwar beruft sie sich auf eine Anordnung der Flugsicherung, wonach die Startzeit des Fluges von Frankfurt am Main nach Madrid aufgrund einer Anordnung der Flugsicherung nach hinten verlegt worden sei. Diese Verzögerung habe dazu geführt, dass der Anschlussflug nach Jerez de la Frontera nicht mehr erreicht worden sei.

Zwar kann die Anordnung einer Verlegung der Startzeit durch die Flugsicherung einen außergewöhnlichen Umstand i.S.d. Art. 5 Abs. 3 VO darstellen. Ein Luftverkehrsunternehmen muss bei seiner Planung von den im Flugplan vorgesehenen Start- und Landezeiten ausgehen und selbst alles ihm Mögliche und Zumutbare tun, damit von seiner Seite die Voraussetzungen für die Einhaltung des Flugplans geschaffen und aufrechterhalten werden. Das Luftverkehrsunternehmen, dem für einen bestimmten Flug eine Startzeit am Abflugort und eine Landezeit am Ankunftsort zugewiesen sind, hat jedoch keinen Einfluss darauf, ob ihm, auch wenn es selbst alle hierfür erforderlichen tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen erfüllt, tatsächlich auch der Abflug zur vorgesehenen Zeit und die Landung zur vorgesehenen Zeit gestattet werden. Nicht anders als Wetterbedingungen, die der planmäßigen Durchführung eines Flugs entgegenstehen, können Entscheidungen der Luftverkehrsbehörden oder eines Flughafenbetreibers "von außen" in den vorgesehenen Flugverlauf eingreifen. Erwägungsgrund 15 der Fluggastrechteverordnung zählt demgemäß "Entscheidungen des Flugverkehrsmanagements" (air traffic management decision; décision relative à la gestion du trafic aérien) zu einem einzelnen Flugzeug, die unvermeidbare Verspätungen oder Annullierungen von mit diesem zu absolvierenden Flügen zur Folge haben, zu den außergewöhnlichen Umständen (BGH, Urteil vom 13. November 2013 - X ZR 115/12 -, Rn. 14, juris).

Allerdings setzt die Entlastung des Luftfahrtunternehmens bei solchen Anordnungen - wie auch der BGH betont - voraus, dass es selbst alles Mögliche und Zumutbare getan hat, damit von seiner Seite die Voraussetzungen für die Einhaltung des Flugplans geschaffen und aufrechterhalten werden. Damit darf der Grund für eine Verlegung der Startzeit durch eine Anordnung der Flugsicherung nicht auf dem Betrieb des Luftfahrtunternehmens beruhen. Dies entspricht auch der Rechtsprechung des EuGH zu außergewöhnlichen Umständen. Ein von außen kommender Umstand liegt dann nicht vor, wenn der Grund von einem Flugzeug des Luftfahrtunternehmens stammt, das diesen Flug durchgeführt hat (EuGH, Urteil vom 26. Juni 2019 - C-159/18 -, Rn. 18, juris).

Wenn auf der Grundlage dieser obergerichtlichen Rechtsprechung der Grund für eine behördliche Anordnung nicht in dem eigenen Betrieb des Luftfahrtunternehmens liegen darf, das sich auf diese Anordnung beruft, dann obliegt des diesem zu dem Grund der behördlichen Anordnung jedenfalls insofern vorzutragen, dass der Grund nicht in der eigenen Sphäre liegt. Weil das Luftfahrtunternehmen die Darlegungslast für den außergewöhnlichen Umstand trägt, reicht es grundsätzlich nicht, ein eigenes Mitverschulden oder eine Mitverursachung lediglich zu leugnen oder zu negieren. Vielmehr ist das Luftfahrtunternehmen gehalten, konkret vorzutragen, dass es alle Maßnahmen ergriffen hat, damit der Flug pünktlich hätte starten können.

Einen solchen Vortrag hält die Beklagte allenfalls zu dem in dem Schreiben der Fraport vom 25.4.2019 genannten Verspätungsgrund zum Code 81, nicht aber zu dem ebenfalls in dem Schreiben benannten Verspätungsgrund zum Code 85. Dass dieser Grund nicht ihrer Sphäre zuzuordnen ist, behauptet die Beklagte nicht. In der Berufungsbegründung erkennt auch die Beklagte, dass ihr Vortrag unsubstanziiert ist. Auch auf den Hinweis des Berufungsgerichts, dass die Beklagte zum Grund der Verzögerung zum Code 85 vorzutragen habe, hat die Beklagte ihren Vortrag nicht weiter ergänzt, auch nicht innerhalb der ihr eingeräumten Schriftsatzfrist.

Die Beklagte hat sich zu den beiden Gründen inhaltlich zu äußern, dass dieser für sie einen außergewöhnlichen Umstand darstellt, weil beide Gründe gleichermaßen geeignet waren, den Zubringerflug in einem Maße zu verzögern, dass der Anschlussflug verpasst worden wäre. Ausweislich des Schreibens der Fraport vom 25.4.2019 führte der Grund zum Code 85 zu einer Verzögerung von 25 Minuten. Da zwischen der planmäßigen Ankunft des Zubringerfluges und dem Weiterflug lediglich eine Zeitspanne von 50 Minuten bestanden hat, hätte eine Verzögerung von 25 Minuten dazu geführt, dass lediglich ein Zeitraum von 25 Minuten bestanden hat, um vom Gate der Ankunft zum Gate des Abfluges zu gelangen. Dieser Zeitraum liegt unterhalb der Minimum-Connection-Time am Flughafen Madrid. Dass der Zeitraum es gleichwohl ermöglicht hätte, innerhalb der Boarding-Zeit den Weiterflug zu erreichen, trägt die Beklagte nicht vor. Auch insoweit hat die Beklagte den ihr eingeräumten Schriftsatznachlass nicht dazu genutzt, ihren Vortrag zu ergänzen.

Beruht der Grund für ein Verpassen eines Anschlussfluges auf zwei Umständen, die jeweils geeignet gewesen wären, dass der Weiterflug verpasst worden wäre (alternative Kausalität), muss für jeden Grund feststehen, dass dieser auf einem außergewöhnlichen Umstand beruht. Denn im Fall einer um drei Stunden oder mehr verspäteten Flugankunft, die nicht nur auf einem außergewöhnlichen Umstand beruht, muss für jeden Grund feststehen, dass er auf einem außergewöhnlichen Umstand beruht, wenn jeder Grund geeignet ist, zu einer sog. großen Verspätung zu führen (EuGH, Urteil vom 04. Mai 2017 - C-315/15 -, Rn. 54, juris). Auf dieser Grundlage kann es dahinstehen, ob der andere Grund der Verzögerung, der auf dem Code 81 beruht, einen außergewöhnlichen Umstand darstellen kann.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen, weil ihr Rechtsmittel erfolglos war (§ 97 Abs. 1 ZPO).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Ein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung besteht nicht, nachdem die Beschwer für eine Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO in der Fassung vom 12.12.2019 nicht erreicht wird.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO).

Der Ausspruch gemäß § 708 Nr. 10 S. 2 ZPO erfolgt deklaratorisch, weil das Urteil des Amtsgerichts ohnehin für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung erklärt wurde.

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