LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 04.05.2021 - L 4 VE 8/13
Fundstelle
openJur 2021, 27040
  • Rkr:

Zu den Voraussetzungen einer Posttraumatischen Belastungsstörung nach vorsätzlichem rechtswidrigem tätlichem Angriff iSv § 1 Abs 1 Satz 1 OEG.

Zur Teilsymptomatik einer Posttraumatischen Belastungsstörung.

Zur Berücksichtigung von schädigungsunabhängigen psychischen Belastungsfaktoren.

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Umstritten ist eine Beschädigtenversorgung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG).

Die am ... 1981 geborene Klägerin beantragte beim Beklagten am 3. September 2009 die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem OEG. Sie gab an, durch eine Vergewaltigung am 11. Juli 2009 eine Verletzung der linken Schulter erlitten zu haben. Außerdem leide sie seitdem unter Ängsten in unterschiedlichster Form, Selbstunsicherheit, Antriebslosigkeit, Stimmungsschwankungen und Reizbarkeit. Außer der körperlichen Verletzung dauerten alle diese Folgen an. Bei dem Täter handle es sich um ihren ehemaligen Lebenspartner B.. Der Beklagte zog die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau (Az. 181 Js *****5/09) bei. Dieser ist zu entnehmen, dass der Beschuldigte B. (im Folgenden: Schädiger) mit der Klägerin gegen ihren Willen im Zeitraum vom 10. bis 11. Juli 2009 den Geschlechtsverkehr vollzogen haben soll. Aussagen der vernommenen Zeugen und des Beschuldigten ergaben, dass die Klägerin und der Beschuldigte sich bereits seit etwa 1997 kannten und eine Paarbeziehung unterhielten, später auch jahrelang in einer gemeinsamen Wohnung zusammenlebten und eine 2001 geborene gemeinsame Tochter haben. Ferner wurde festgestellt, dass sich der Beschuldigte im Verlaufe der letzten Jahre in alkoholisiertem Zustand zunehmend häufiger gewalttätig gegenüber der Klägerin verhalten hatte und es mehrfach zu sexuellen Übergriffen, sexuellen Nötigungen und erzwungenem Geschlechtsverkehr gekommen war. Zu Taten mit sexuellem Bezug war es seit der zweiten Jahreshälfte 2008 gekommen. Die Schwester der Klägerin, H., sagte u.a. aus, die Klägerin sei immer ein freundlicher und aufgeweckter Mensch gewesen. Sie habe sich durchsetzen können. Jetzt sei sie total verstört, ängstlich, mache sich Gedanken wie es weitergeht und frage sich, warum ihr das passiert sei. Der Schädiger wurde vor dem Landgericht Dessau-Roßlau angeklagt. Zu der Tat vom 11. Juli 2009 fanden sich in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft vom 30. September 2009 folgende Ausführungen: "Am 11.07.2009 befand sich der in nicht unerheblichem Umfang alkoholisierte Angeschuldigte bereits auf der Couch im Wohnzimmer. Er gab der Zeugin zu verstehen, dass er den Geschlechtsverkehr mit ihr wolle. Die Zeugin lehnte dies jedoch verbal ab und legte sich zum Schlafen auf die Couch. Der Angeschuldigte legte sich unmittelbar hinter die Zeugin, schob ihre Bekleidung nach oben und fasste sie an Brust und Scheide. Die Zeugin versuchte, den Angeschuldigten von sich zu drücken und schob dessen Hände weg. Daraufhin ergriff der Angeschuldigte mit den Händen den Hals der Zeugin und würgte sie, bis sie kurzzeitig keine Luft mehr bekam. Sie versuchte mit ihren Händen, die Hände des Angeschuldigten vom Hals zu lösen. Dieser packte sie daraufhin mit beiden Händen an die Schläfen und drückte an den Kopf. Mit seinen Beinen drückte er die Beine der Zeugin auseinander und vollzog den Beischlaf mit ihr von vorn und hinten." Zu dieser Tat führte das Landgericht Dessau-Roßlau im Urteil vom 8. Dezember 2009 u.a. aus, dafür sei eine Freiheitsstrafe von 3 Jahren zu erkennen, weil zulasten des Angeklagten zu berücksichtigen sei, dass er ein erhebliches Maß an Gewalt gegenüber der Geschädigten gezeigt habe und nicht von einem einvernehmlichen sexuellen Kontakt habe ausgehen können. Insgesamt wurde der Schädiger wegen Vergewaltigung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Jahren und 10 Monaten verurteilt, bei deren Festsetzung zu berücksichtigen gewesen sei, dass bei der Geschädigten nach wie vor psychische Schäden vorhanden seien.

Der Beklagte führte medizinische Ermittlungen durch und zog von der Krankenhaus K. Bitte Eintrag suchen und anpassen. Unterlagen über eine ambulante Behandlung der Klägerin am 11. August 2008 sowie eine stationäre Behandlung vom 20. bis 26. Januar 2009 bei. Die ambulante Behandlung vom 11. August 2008 betraf eine Schulterverletzung links, die nach den Angaben der Klägerin am 7. August 2008 in der Wohnung ("gestolpert, auf linke Schulter gefallen") aufgetreten sei. Die stationäre Behandlung wurde wegen rezidivierender Thorax-Schmerzen unklarer Genese bei ausgeprägter Lippenzyanose, Verdacht auf Mamma-Tumor links und Nikotinabusus durchgeführt. In der Epikrise des Krankenhauses vom 26. Januar 2009 wurde ausgeführt, es hätten sich keine Anhaltspunkte für einen Tumor in der linken Brust gefunden. Auch sei ein akutes Koronargeschehen auszuschließen gewesen. Es bestünden niedrige Blutdruckwerte, weshalb die Patientin sich regelmäßig sportlich betätigen und ausreichend trinken solle. Des Weiteren zog der Beklagte den Arztbrief des J.-Krankenhauses D. vom 19. Januar 2010 an die behandelnde Ärztin der Klägerin Dr. H. bei, wonach sich die Klägerin wegen einer mittelgradigen depressiven Episode (F 32.1) und Anpassungsstörungen (F 43.2) im Zeitraum vom 5. November bis 22. Dezember 2009 in teilstationärer Behandlung befunden hatte. Zur Vorgeschichte der Klägerin wurde angegeben, sie leide unter starken Ängsten, seitdem sie sich von ihrem Ehemann getrennt habe. Sie sei mit ihm 13 Jahre zusammen gewesen und er sei von Beginn an eifersüchtig gewesen. Diese Eifersucht hätte sich immer mehr gesteigert und dazu geführt, dass er sie in zunehmendem Maße kontrolliert und überwacht habe. Es sei auch zu häuslicher Gewalt gekommen, in den letzten Monaten auch zu Vergewaltigungen. Der Ehemann sei seit Mitte Juli 2009 inhaftiert und sie haben nun Angst vor der Verhandlung und vor der Zeit, wenn seine Haft ende. Er habe ihr gedroht, sie umzubringen. Die Patientin erinnere sich oft an die Gewalterfahrungen und träume auch davon. Ihre Stimmung sei schlecht und sie fühle sich kraft- und antriebslos. Sie grüble häufig und könne nur schwer einschlafen. Sie leide unter Zukunftsängsten und habe auch Schwierigkeiten, Kontakte zu knüpfen. Zu Therapie und Verlauf wurde im Arztbrief angegeben, es sei mit der Patientin ein Steuerungsmodell erarbeitet worden und man habe sie mit symptomreduzierenden Strategien der Depressionsbehandlung vertraut gemacht. Ein ressourcenorientierter Aktivitätsaufbau habe den Schwerpunkt gebildet, auf den sie sich zunehmend aktiver eingelassen habe. Rückfälle in depressive Verhaltensmuster seien bearbeitet und entsprechende Möglichkeiten der Rückfallprophylaxe erarbeitet worden. In Einzelgesprächen sei vor allem die bevorstehende Gerichtsverhandlung thematisiert worden. Außerdem habe die Patientin berichtet, sie mache sich viele Gedanken um ihre Zukunft, fühle sich aktuell im Frauenhaus aber sehr geborgen. Es sei dort aber auch sehr laut und unruhig, sodass sie über die Zeit danach nachdenke. Sie erhalte Unterstützung vom Sozialen Dienst der Justiz (Opferhilfe). Im Verlaufe des tagesklinischen Aufenthaltes hätte sich die depressive Stimmung der Patientin weiter aufgeklart. Ziele für die Zukunft seien zunächst eine eigene Wohnung und später eine Psychotherapie ab dem 2. Quartal des Jahres 2010. In Zusammenschau aller erhobenen Befunden handele es sich bei dem Krankheitsbild der Patientin um eine mittelgradige depressive Episode. Unter eingehender psychotherapeutischer Behandlung sei eine Teilremission des Krankheitsbildes erreicht worden. Die Symptomatik bedürfe noch weiterer intensiver Therapie, sodass die Wiederaufnahme in die Tagesklinik für das 2. Quartal geplant sei.

Mit Aktenverfügung vom 1. Juni 2010 (Bl. 29-31 der Verwaltungsakte) traf der Beklagte folgende Feststellungen: Geltend gemacht würden von der Klägerin eine Schulterverletzung links sowie Ängste, Selbstunsicherheit, Antriebslosigkeit, Stimmungsschwankungen, leicht reizbar. Bei diesen Gesundheitsstörungen handele es sich um die Folgen der Gewalttat vom 11. Juli 2009. Nach dem rechtskräftigen Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 8. Dezember 2009 sei die Klägerin am 11. Juli 2009 von B. vergewaltigt worden. Sie habe mit diesem mehr als 12 Jahre in einer eheähnlichen Partnerschaft gelebt und mit ihm seit dem Jahr 2000 eine gemeinsame Wohnung bewohnt. 2001 sei die gemeinsame Tochter geboren worden. Im späteren Verlauf sei die Beziehung immer mehr durch Eifersucht und Misstrauen von Seiten des Lebenspartners geprägt worden. Dies habe dazu geführt, dass er die gemeinsamen Freizeitaktivitäten und den Kontakt zu anderen Personen eingeschränkt habe. Er habe auch das Handy der Klägerin kontrolliert und dessen Funktionsweise so verändert, dass diese nur noch mit ausgewählten Telefonnummern habe telefonieren können. Seit 2008 habe er gegenüber der Klägerin auch körperliche Gewalt angewendet und gedroht, sie und sich umzubringen. Im weiteren Verlauf habe er, insbesondere unter dem Einfluss von Alkohol, Geschlechtsverkehr gefordert, da ihm dies nach einer so langen Partnerschaft zustehe. Die Klägerin habe allmählich Strategien entwickelt, um den Geschlechtsverkehr mit ihrem alkoholisierten Partner zu vermeiden. Dennoch sei es im Dezember 2008 zu mindestens zwei Vorfällen gekommen, wo der Lebenspartner nach einem Gaststättenbesuch und unter Alkoholeinfluss stehend den Geschlechtsverkehr mit der Klägerin erzwungen habe. Am 11. Juli 2009 habe sich ein weiterer derartiger Vorfall ereignet, bei dem der Lebenspartner unter Anwendung von Gewalt gegen den Willen der Klägerin den Beischlaf vollzogen habe. Erst nach diesem Vorfall sei es der Klägerin mithilfe ihrer Schwester und einer Freundin gelungen, die gemeinsame Wohnung zusammen mit ihrer Tochter zu verlassen und sich so von ihrem Lebenspartner zu trennen. Der Schädiger habe vorsätzlich, rechtswidrig tätlich im Sinne des § 1 Abs. 1 OEG gehandelt. Eine Gewalttat im Sinne dieses Gesetzes liege somit vor. Gründe für eine Leistungsversagung lägen nicht vor. Der medizinische Sachverhalt sei weiter aufzuklären.

Der Versorgungsärztliche Dienst des Beklagten gab in seiner Stellungnahme vom

2. September 2010 an, es sei kein Zusammenhang zwischen der geltend gemachten Schulterverletzung und den OEG-relevanten Tatbeständen erkennbar, sodass eine Anerkennung als Schädigungsfolge nicht vorgeschlagen werden könne. Bei der stationären Behandlung im Januar 2009 seien keine richtungsweisenden pathologischen Befunde erhoben worden, sodass auch insoweit kein nachgewiesener Zusammenhang mit OEG-relevanten Tatbeständen zu sehen sei. Hinsichtlich der geltend gemachten psychischen Gesundheitsstörungen sei gegenwärtig eine Teilremission erreicht worden. Im Hinblick auf die für das 2. Quartal 2010 geplante Fortführung der psychotherapeutischen Arbeit werde empfohlen, die abschließende Epikrise beizuziehen.

Dem folgend zog der Beklagte den Arztbrief des J.-Krankenhauses Dessau vom 19. Oktober 2010 an Dr. H. über die weitere teilstationäre Behandlung der Klägerin vom 16. Juni bis 23. September 2010 bei. Festgestellt wurden darin die Diagnosen einer mittelgradigen depressiven Episode bei abhängig-selbstunsicherer Persönlichkeitsstruktur (F 32.1) und einer Posttraumatischen Belastungsstörung

(F 43.1). Zur Vorgeschichte wurde angegeben, dass die Mutter im März 2010 durch Selbstmord verstorben sei, was die Klägerin noch nicht richtig verarbeitet habe. Sie sei oft traurig, antriebslos und frage sich, was das alles für einen Sinn haben soll. Die Patientin vermeide Blickkontakt und berichte, ihre Befürchtungen kreisten um die Entlassung des Ex-Mannes aus der Haft in zwei Jahren. Zu Beginn der Therapie habe sie einer psychotherapeutischen Behandlung ambivalent gegenübergestanden. Sie habe einerseits Wünsche nach mehr Selbstvertrauen beschrieben, wolle aufgeschlossener werden in sozialen Kontakten und lernen, sich besser durchzusetzen sowie beruflich endlich ihr Ziel, eine Ausbildung in der Altenpflege, zu verwirklichen. Andererseits habe sie massive Ängste vor eine Auseinandersetzung mit den traumatischen Erlebnissen innerhalb der Partnerschaft sowie der Beschäftigung mit ihrer Familien- und Entwicklungsgeschichte. Thematisch sei sie eingeengt gewesen auf Ängste vor der Entlassung des Ex-Partners, da er sie aufsuchen und weiter terrorisieren könnte. Der Suizid der Mutter habe die Patientin zusätzlich verunsichert, da sie fürchte, unter einer vergleichbaren psychischen Erkrankung leiden zu können. Aufgrund der erheblichen frühkindlichen und späteren lebensgeschichtlichen Belastungen (unzureichende Versorgung durch die Mutter, Heimaufenthalt, zwischenzeitliche Versorgung durch Pflegeeltern, später Rückkehr zur überforderten Mutter) sei das Krankenhaus diagnostisch von einer strukturellen Störung ausgegangen und habe den Schwerpunkt der Behandlung auf die Entwicklung struktureller Fähigkeiten zur Selbstwahrnehmung, Selbststeuerung sowie Kommunikation gelegt. Es habe sich aber aufgrund der bisher überwiegend destruktiven-dysfunktionalen Beziehungserfahrungen der Aufbau einer tragfähigen therapeutischen Beziehung sowie der erforderlichen Arbeitsbeziehungen zu den Gruppenmitgliedern sehr schwierig gestaltet. Es habe ein selbstunsicher-vermeidender Beziehungsstil dominiert, wodurch im Therapieprozess lange die Beziehungsarbeit im Vordergrund gestanden habe, ehe Alltagsprobleme mit der Tochter hätten besprochen werden können. Mit viel therapeutischer Unterstützung sei es der Patientin im Therapieverlauf gelungen, sich wichtige Informationen über die Krankheitsentwicklung der Mutter zu organisieren und so auch ihre Ängste vor einer ähnlichen Entwicklung zu reduzieren, da die Mutter eindeutig unter einer anderen Erkrankung gelitten habe. Thematisch habe sie sich mit der Entstehung ihres abhängigen Beziehungsstils auseinandergesetzt und so für sich etwas besser nachvollziehen gelernt, weshalb sie so lange in der für sie belasteten Partnerschaft verblieben sei. Den fehlenden Halt in der Mutterbeziehung, ebenso wie im Kinderheim und bei den Pflegeeltern, habe sie anfangs beim Partner gefunden, sodass sie sich ihm scheinbar bedingungslos gefügt habe. Die Abhängigkeit vom Partner bedeutet für sie trotz aller Belastungen eine gewisse Sicherheit, die ihr - momentan ohne Partner - in der aktuellen Lebenssituation fehle. Deshalb sei mit ihr am Aufbau einer festen Tagesstruktur mit Pflichten und persönlichen Freiheiten gearbeitet worden. Insgesamt sei im Therapieprozess eine Entwicklung der Patientin erkennbar gewesen. Sie habe zu einzelnen Gruppenmitgliedern ein gewisses Vertrauen aufgebaut, habe einen Selbstverteidigungskurs begonnen, um ihr Selbstwertgefühl zu stärken und um sich auch auf die Entlassung des Ex-Partners vorzubereiten. Für den Beginn einer Ausbildung erscheine die Patientin ausreichend stabil.

In Auswertung dieses Berichtes gab der Versorgungsärztliche Dienst des Beklagten mit weiterer Stellungnahme von 25. November 2010 an, dass die in der Diagnose "mittelgradige depressive Episode bei abhängig-selbstunsicherer Persönlichkeit" zum Ausdruck gekommene Persönlichkeitsstörung ihre Wurzeln in der schwierigen frühkindlichen Sozialisation der Klägerin habe und nicht als Schädigungsfolge anzusehen sei. Die depressive Störung sei bereits während der ersten teilstationären Behandlung weitgehend behoben worden, aber zumindest zum Teil als Schädigungsfolge im Sinne einer vorübergehenden Gesundheitsstörung mit einem Grad der Schädigung (GdS) von unter 25 v.H. bis Dezember 2009 anzuerkennen. Bereits in diesem ersten Behandlungsabschnitt seien schädigungsunabhängige zusätzliche Belastungsfaktoren als Ursachen für die Depression erkennbar gewesen wie die unbefriedigende Lebenssituation im Frauenhaus und die Unklarheit über die berufliche Zukunft. Der weitere Verlauf werde bestimmt durch schädigungsunabhängige Belastungen wie den Suizid der Mutter. Die Posttraumatische Belastungsstörung sei erst bei der zweiten Behandlung ab Juni 2010 festgestellt worden. Dokumentiert werde jedoch nur eine Teilsymptomatik der Erkrankung. Insoweit werde die Anerkennung als Schädigungsfolge mit einem GdS um 10 v.H. vorgeschlagen. Ein Zusammenhang zwischen den OEG-relevanten Tatbeständen und einer Schulterverletzung links im August 2008 sei nicht erkennbar, da sowohl im November 2009 als auch im Juni 2010 alle Gelenke frei beweglich gewesen seien.

Mit Bescheid vom 7. Dezember 2010 stellte der Beklagte fest, dass die Klägerin am

11. Juli 2009 Opfer einer Gewalttat im Sinne des OEG geworden sei. Als Schädigungsfolge werde ab 1. Juni 2010 anerkannt: "Teilsymptomatik einer Posttraumatischen Belastungsstörung". Der GdS betrage ab 1. Juni 2010 10 v.H. gemäß § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG). Vorübergehend, d.h. für einen Zeitraum von nicht mehr als sechs Monaten, habe eine depressive Störung vorgelegen, für die ab 1. Juli 2009 sowie für die anerkannte Schädigungsfolge ab 1. Juni 2010 ein Anspruch auf Heilbehandlung bestehe. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der geltend gemachten Schulterverletzung links und dem schädigenden Ereignis sei nicht erkennbar. Eine Anerkennung dieser Gesundheitsstörung als Schädigungsfolge komme daher nicht in Betracht.

Hiergegen legte die Klägerin am 27. Dezember 2010 Widerspruch ein, da die regelmäßigen Misshandlungen im Zeitraum von 2008 bis Juli 2009 nicht berücksichtigt worden seien. Sie sei in dieser Zeit vom damaligen Lebensgefährten mindestens dreimal vergewaltigt worden, am 11. Juli 2009 auch lebensgefährlich. Diese Erlebnisse habe sie bis heute nicht verarbeitet, sondern leide nach wie vor unter Angstzuständen und Schlaflosigkeit. Wie die ärztlichen Feststellungen hinsichtlich der Aufenthalte im St. Josef Krankenhaus Dessau zeigten, liege nicht nur eine Teilsymptomatik, sondern das Vollbild einer Posttraumatischen Belastungsstörung vor, wodurch ein höherer GdS und damit Anspruch auf eine Rentenzahlung begründet sei. Es sei auch nicht nachvollziehbar, weshalb die Schädigungsfolgen erst ab 1. Juni 2010 anerkannt worden seien. Der Beginn der Versorgung könne auch schon vor Antragstellung erfolgen, wenn der Antrag zeitnah dem Schadenseintritt folgt. Außerdem sei auch die Schulterverletzung als Schädigungsfolge anzuerkennen, weil diese durch einen Angriff des Lebensgefährten am 11. August 2008 verursacht worden sei. Der Lebenspartner habe diesen Sachverhalt im Strafverfahren auch anerkannt.

Mit (weiterem) Aktenvermerk vom 10. März 2010 zweifelte der Beklagte die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 7. Dezember 2010 an, da die Klägerin nachweislich seit Dezember 2008 ein Opfer von Gewalttaten im Sinne des OEG geworden sei. Der Antrag auf Leistungen nach dem OEG sei am 3. September 2009 eingegangen und beziehe sich daher auch auf die Taten aus dem Jahre 2008. Da der Antrag - bezogen auf die Ereignisse im Dezember 2008 und Juli 2009 - innerhalb der Jahresfrist gestellt worden sei, und das schädigende Ereignis vom 11. August 2008 auch innerhalb einer Jahresfrist zum nächstfolgenden Ereignis im Dezember 2008 liege, gehe der Leistungsbeginn bis zu allen geltend gemachten Gewalttaten zurück. Deshalb sei eine Abhilfemöglichkeit dem Grunde nach insoweit gegeben, als die Gewalttaten vom 11. August 2008, Dezember 2008 und vom 11. Juli 2009 einen Leistungsanspruch nach dem OEG begründeten und Gesundheitsstörungen, die aus diesen Vorfällen resultieren, als Schädigungsfolgen nach dem OEG anzuerkennen seien. Bei der Gewalttat vom 11. August 2008 sei es zu einer Verletzung der linken Schulter gekommen, die vermutlich in einer Schulterprellung bestanden habe. Es sei davon auszugehen, dass diese Gesundheitsstörung innerhalb von sechs Monaten folgenlos ausgeheilt ist, da in späteren Untersuchungsbefunden hinsichtlich der oberen Extremitäten und der Schulter keine pathologischen Auffälligkeiten beschrieben worden seien. Zu beurteilen blieben die psychischen Gesundheitsstörungen. Die Klägerin habe sich diesbezüglich im November/Dezember 2009 und von Juni bis September 2010 in teilstationärer Behandlung befunden. Nicht nachvollziehbar sei, weshalb die Schädigungsfolge auf psychischem Gebiet erst ab Juni 2010 anerkannt werden solle. Auf den Wortlaut der Diagnose einer Posttraumatischen Belastungsstörung sei dabei nicht abzustellen bzw. dies könne dahingestellt bleiben, denn in der medizinischen Wissenschaft sei es unumstritten, dass auch Anpassungsstörungen im Sinne der F 43.2 ICD 10 auf traumatische Ursachen zurückgeführt werden können. Dem Widerspruch könne insoweit abgeholfen werden, als psychische Gesundheitsstörungen als Schädigungsfolgen im Sinne des OEG nach Aktenlage zumindest ab November 2009 anerkannt werden. Allerdings sei nach Auffassung der Versorgungsmedizinischen Sachverständigen das Vollbild einer Posttraumatischen Belastungsstörung nach Aktenlage nicht erfüllt, sodass ein rentenberechtigender Grad der Schädigungsfolgen nicht festgestellt werden könne. Diese Einschätzung sei nach Aktenlage nicht zu widerlegen und beziehe sich auch auf den bisher noch nicht anerkannten Zeitraum. Dem Widerspruchsbegehren könne somit hinsichtlich des Hauptanliegens, einem rentenberechtigenden Grad der Schädigungsfolgen, nicht entsprochen werden. Die Erweiterung des Anerkenntnisses bzw. die Neuformulierung der Schädigungsfolgen sei im Widerspruchsbescheid vorzunehmen.

Dem folgend gab der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 9. Mai 2011 dem Widerspruch teilweise statt und erkannte für den Zeitraum vom 1. Juli 2009 bis 31. Mai 2010 eine "Anpassungsstörung" und ab 1. Juni 2010 eine "Teilsymptomatik einer Posttraumatischen Belastungsstörung" als Schädigungsfolgen an. Den GdS setzte er bis 30. September 2010 mit 20, anschließend mit 10 fest. Zur Begründung gab er im Wesentlichen an, dass eine Verletzung der linken Schulter nicht als Schädigungsfolge anzuerkennen sei, weil die durch eine Gewalttat am 11. August 2008 erlittene Schulterprellung keine strukturellen Verletzungen nach sich gezogen habe und nur von vorübergehender Natur gewesen sei. Die Prellung habe zum Zeitpunkt des nunmehr festgestellten Leistungsbeginns am 1. Juli 2009 nicht mehr bestanden. Bei den psychischen Gesundheitsstörungen sei zu berücksichtigen, dass als Folge der nach dem OEG geschützten Gewalttätigkeiten eine Anpassungsstörung vorliege, die in eine Teilsymptomatik einer Posttraumatischen Belastungsstörung übergegangen sei, die jetzt noch bestehe. Das Vollbild einer Posttraumatischen Belastungsstörung sei diagnostisch nicht gesichert bzw. nachgewiesen.

Mit ihrer am 10. Juni 2011 vor dem Sozialgericht Dessau-Roßlau (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt und geltend gemacht, sie sei Opfer mehrerer Straftaten gemäß § 177 Abs. 2 Strafgesetzbuch (StGB). Es liege eine Posttraumatische Belastungsstörung vor, sodass der GdS mehr als 20 v.H. betrage und ein Anspruch auf eine Rente nach dem OEG i. V. mit dem BVG bestehe. Schließlich stehe fest, dass sie im Zeitraum von 2008 bis Juli 2009 vom damaligen Lebensgefährten regelmäßig misshandelt worden sei. Sie sei in dieser Zeit mindestens dreimal vergewaltigt worden und habe bei der letzten Tat am 11. Juli 2009 um ihr Leben gebangt. Sie habe sich wegen dieser Taten zweimal in teilstationärer Behandlung befunden und bis März 2010 im Frauenhaus gewohnt. Sie habe die Erlebnisse bis zum heutigen Tage nicht verarbeitet und leide nach wie vor unter Angstzuständen, Antriebslosigkeit, Schlaflosigkeit, Panik- und Fremdheitsgefühlen. Sie habe auch Schwierigkeiten, Beziehungen zu Dritten aufzubauen, weil es ihr schwerfalle, Mitmenschen zu vertrauen. Aufgrund dieser Gesundheitsstörungen sei ihre Erwerbsfähigkeit eingeschränkt. Außerdem seien die Kosten des teilweise erfolgreichen Widerspruchsverfahrens mindestens zur Hälfte statt zu einem Viertel zu erstatten.

Diesem Vortrag ist der Beklagte mit der Erwägung entgegengetreten, dass Ziel des Widerspruchsverfahrens die dauerhafte Gewährung von Rentenleistungen unter Anerkennung einer Posttraumatischen Belastungsstörung gewesen sei. Dieses Ziel habe die Klägerin nicht erreicht. Die Vorverlegung des Leistungsbeginns um wenige Monate sei einer dauerhaften Rentengewährung nicht gleichwertig. Insoweit bestehe kein Anspruch auf Kostenerstattung i.H. von 50 %.

Das SG hat Beweis erhoben und von dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. B. ein nervenärztliches Gutachten vom 25. März 2013 eingeholt. Der Sachverständige hat die bei der persönlichen Untersuchung am 24. Januar 2013 erhobenen anamnestischen Angaben der Klägerin im Wesentlichen wie folgt wiedergegeben: Sie sei am 17. Juli 2009 mit ihrer Tochter von ihrem Ex-Freund "abgehauen". Sie sei mit ihm zwölf Jahre zusammen gewesen seit sie 16 war, damals noch "grün hinter den Ohren". Es habe schon zu Beginn angefangen mit Verboten, z.B. Freunde zu sehen; sie habe es für normal gehalten. Sie habe auch kein richtiges Elternhaus gehabt, sei bei ihrer Mutter allein aufgewachsen, die selber psychisch krank gewesen sei und 2010 durch Freitod verstorben sei. Der Partner sei gewalttätig gewesen und habe gerne Alkohol getrunken. Er habe immer gedroht, sie "kalt zu machen". Deswegen habe sie nie etwas nach außen getragen, sondern immer eine heile Welt vorgespielt. Nicht einmal ihrer Schwester habe sie etwas erzählt. Allerdings sei die Tochter älter geworden und habe dann viel mitbekommen. Schließlich habe sie sich ihrer Schwester geöffnet und dann sei es herausgekommen. Sie sei immer wieder im Krankenhaus gewesen, er habe sie am Arm gezogen, es habe sich was gelöst an der linken Schulter, sie habe wochenlang den Arm nicht bewegen können. Am 17. Juli 2009 sei sie ins Frauenhaus gegangen, an einem Freitag, sie habe vorher wochenlang alles mit ihrer Freundin vorbereitet. Am Montag darauf sei ihr Ex-Freund verhaftet worden. Sie habe Angst vor ihm, bis heute. Er sei lange in Haft gewesen, dann in B. in Therapie. Jetzt sei er im Freien Wohnen und sehe die Tochter regelmäßig, was sie, die Klägerin, alles gar nicht wolle. Es verfolge sie immer wieder. Sie habe Angst, dass er sie irgendwann aufsuche. Er nehme jetzt wohl Tabletten, vielleicht komme dann aber auch wieder sein Alkohol dazu. Die Kontakte zur Tochter liefen über eine Betreuung durch einen Landesfamilienverband. Sie wolle das alles nicht, aber es sei ja seine Tochter. Sie habe seit zwei Jahren eine Beziehung, sei in Therapie gewesen und habe einen Selbstverteidigungskurs gemacht, um sich verteidigen zu können. Dort habe sie ihren Freund kennengelernt. Früher habe es nur Gewalt und böse Worte gegeben, bei ihrem Freund sei alles anders. Es sei das erste Mal gewesen, dass sich jemand um sie bemüht habe. Das habe sie ja auch von ihrer Mutter nicht erfahren. Ihr jetziger Freund H. sei einfach hartnäckig gewesen, obwohl sie anfangs immer "nein" gesagt habe. Er habe Interesse gehabt, sei hartnäckig gewesen. Es habe lange gedauert, bis sie zusammengekommen sind. Er kenne die ganze Geschichte und sage, er sei für sie da und sie fasse keiner mehr an. Sie könne es ja nicht verdrängen und wegschieben, sie denke, das Ganze sei psychisch, auch die Tochter erinnere sie an ihn, die habe auch ihre Macken. Sie (die Klägerin) habe zweimal eine Therapie in der Tagesklinik des J. Krankenhauses gemacht. Dort hätte man versucht, ihr zu helfen. Sie habe auch Tabletten bekommen, wohl zur Beruhigung, sie wisse es nicht mehr genau. Sie selber habe immer die Fehler bei sich gesucht und den Sinn des Lebens. Das habe sich schon geändert. In der Therapie habe man ihr helfen wollen, sie habe nicht mehr die Fehler oder die Schuld bei sich gesucht. Sie sei dort mit ihren Problemen auch nicht allein gewesen. Sie habe tatsächlich eine Weiterbildung zur Pflegehelferin absolviert und anschließend im Diakonissenkrankenhaus die einjährige Krankenpflegehelferinnen-Ausbildung gemacht. Ihr Freund meine, sie sei zu gut für diese Welt, sei für alle da, nur nicht für sich selber. Aktuell sei sie nicht in Behandlung und nehme auch keine Medikamente. Sie habe Sorgen, wenn die Betreuung ihres Ex-Freundes aufhöre und er sich wieder völlig frei bewegen könne. Sie schlafe unruhig, werde nachts immer wach, träume auch irgendwelchen Blödsinn, irgendwelche Vorstellungen davon, was der Ex vielleicht machen könnte. Sie habe die Träume nicht so häufig. Sie kämen meistens, wenn es Kontakt mit dem Landesfamilienverband gebe oder wenn ihr Ex-Freund einen Brief geschrieben habe. Sie habe noch nie was Schönes erlebt, gehe arbeiten, komme nach Hause, kümmere sich um das Kind, Tag für Tag. Ihr einziger Halt sei ihr Freund. Sie wisse nicht, wie es laufen würde, wenn der nicht wäre. Seit sie im Krankenhaus gewesen sei, habe sie mit dem Rauchen aufgehört. Im März 2010 sei ihre Mutter verstorben, weshalb sie den geplanten Umzug (vom Frauenhaus in eine eigene Wohnung) zunächst nicht habe durchführen können. Inzwischen habe sie eine eigene Wohnung in D., wo sie mit ihrer Tochter bis heute lebe. Nach dem Ende der Ausbildung zur Krankenpflegehelferin im August 2011 habe sie eine Tätigkeit als Pflegeassistentin in einem Pflegeheim angetreten und lebe jetzt von ihrem Verdienst. Ihr Freund sei 40 Jahre alt, sei von Beruf Elektriker und baue Lautsprecher. Sie lebe mit ihm nicht zusammen. Die Tochter sei gesund und gehe zur Schule.

Zum körperlichen Untersuchungsbefund hat der Sachverständige angegeben: Die Klägerin sei in einem guten Allgemein-, Kräfte- und Ernährungszustand. Die Wirbelsäule sei unauffällig, die Extremitäten ebenfalls, die großen Körpergelenke frei beweglich. Die neurologischen Befunde hat er ebenfalls mit "unauffällig" angegeben. In psychischer Hinsicht habe die Klägerin über die Beziehung zu ihrem Ex-Freund und dessen Taten zurückhaltend, teils stockend und den Tränen nah erzählt. Sie habe angegeben, dass es ihr nicht guttue, daran erinnert zu werden, sie habe doch schon zwei Therapien dazu gemacht. Auch im Folgenden sei sie während der Anamnese überwiegend dysphorisch (ängstlich-bedrückt, freudlos, gereizt) gewesen und habe angegeben, es falle ihr schwer, von einem Mann untersucht zu werden. Sie habe aber letztlich alle Fragen beantwortet. Merkfähigkeit, Frischgedächtnis und Gedächtnis seien unauffällig. Auffassungsvermögen, Konzentrationsfähigkeit und Aufmerksamkeitsausrichtung seien ungestört. Die Stimmungslage sei überwiegend ernst bis dysphorisch gewesen. Subjektiv erlebe sich die Klägerin als nachdenklich, in sich gekehrt, nicht immer freudig. Manchmal sei sie auch lustlos. Die Klägerin sei überwiegend affektscheu, zum Dysphorischen verschoben, die affektive Schwingungsfähigkeit sei vermindert; an einigen Stellen seien ihr auch die Tränen gekommen. Bezüglich ihrer Perspektiven habe die Klägerin angegeben, alles auf sich zukommen zu lassen, sie habe keine Vorstellungen von der Zukunft, wollen nur in Ruhe und Frieden leben. Zusammenfassend ist der Sachverständige zu dem Ergebnis des Bestehens einer Teilsymptomatik einer Posttraumatischen Belastungsstörung gekommen. Vorübergehend, nämlich von November 2009 bis Dezember 2009 habe auch eine depressive Episode vorgelegen. Die Teilsymptomatik der Posttraumatischen Belastungsstörung sei durch die Ereignisse nach dem OEG allein verursacht, die mittelgradige depressive Episode in der Zeit von November bis Dezember 2009 zu 50 % durch die Ereignisse nach dem OEG, zu 50 % durch andere Faktoren wie unbefriedigende Lebenssituation im Frauenhaus und Unklarheit über die berufliche Zukunft. Beim Fortbestehen der depressiven Episode im Jahre 2010 spielten gänzlich andere Faktoren (Suizid der Mutter), mithin schädigungsunabhängige Faktoren eine Rolle. Der GdS nach

§ 30 Abs. 1 BVG sei mit 10 zu bewerten. Mit den Feststellungen des Versorgungsärztlichen Dienstes stimme er im Wesentlichen überein. Allerdings sei die Teilsymptomatik einer Posttraumatischen Belastungsstörung bereits seit dem ersten Zeitpunkt der tagesklinischen Behandlung anzuerkennen, weil die entsprechenden Symptome bereits in der ersten Epikrise beschrieben worden seien.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 12. Juni 2013 abgewiesen und in den Entscheidungsgründen im Wesentlichen ausgeführt: Es bestünden keine Schädigungsfolgen in rentenberechtigender Höhe, sodass kein Anspruch auf Gewährung einer Beschädigtenrente bestehe. Der gerichtliche Sachverständige Dr. B. habe in seinem Gutachten überzeugend dargelegt, dass bei der Klägerin eine Teilsymptomatik einer Posttraumatischen Belastungsstörung vorliege. Dieses Beschwerdebild sei gekennzeichnet durch Ängste in unterschiedlichster Form, Selbstunsicherheit, Antriebslosigkeit sowie Stimmungsschwankungen. Eine Posttraumatische Belastungsstörung im sogenannten Vollbild liege indes nicht vor. Auch hinsichtlich der depressiven Episode von November 2009 bis Dezember 2009 bestehe kein rentenberechtigender GdS.

Das ihr am 26. Juni 2013 zugestellte Urteil greift die Klägerin mit der am 26. Juli 2013 beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt erhobenen Berufung an und macht geltend, dass bei ihr aufgrund der Misshandlungen und Vergewaltigungen durch den damaligen Lebenspartner B. eine Posttraumatische Belastungsstörung eingetreten sei, die einen GdS von 30 bedinge. Deshalb habe sie Anspruch auf Versorgungsleistungen nach dem OEG. Das vom SG eingeholte gerichtliche Sachverständigengutachten von Dr. B. sei nicht verwertbar, da sich die Klägerin gegenüber dem männlichen Sachverständigen hinsichtlich der Vergewaltigungstaten und intimen Angaben nicht ausreichend habe öffnen können und daher eine vollwertige Begutachtung nicht möglich gewesen sei. Das LSG sei der Bitte der Klägerin, die Begutachtung durch eine Ärztin durchführen zu lassen, nicht nachgekommen.

Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen,

das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 12. Juni 2013 aufzuheben, den Bescheid vom 7. Dezember 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom

9. Mai 2011 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, bei der Klägerin das Bestehen einer Posttraumatischen Belastungsstörung festzustellen und ihr eine Beschädigtenversorgung nach einem Grad der Schädigung von 30 ab 1. Juli 2009 zu gewähren.

Der Beklagte beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält seine Bescheide und das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.

Der Senat hat medizinische Ermittlungen durchgeführt und von der Fachärztin f. Innere Medizin Dr. S. einen Befundbericht vom 23. April 3016 über Untersuchungen und Behandlungen im Zeitraum vom 17. Februar 2015 bis 15. Dezember 2015 eingeholt. Die Ärztin hat mitgeteilt, die Klägerin wegen subjektiv empfundener Herzrhythmusstörungen, Schulter-Arm-Beschwerden auf der rechten Seite und Kopfschmerzen nach Erkältungsinfekt behandelt zu haben. Arbeitsunfähigkeit habe für die Zeit vom 27. Mai bis 19. Juni 2015 und 24. September bis 2. Oktober 2015 bestanden. Die erhobenen Befunde hätten sich zum Großteil direkt nach der Behandlung erheblich verbessert und seien aktuell nicht mehr behandlungsbedürftig. Lediglich die Kopfschmerzen kämen intermittierend noch vor. Neu hinzugekommene Leiden seien der Ärztin nicht bekannt. Aktuell mitbehandelnde Ärzte seien ebenfalls nicht bekannt. Anamnestisch habe sich die Klägerin 2010 in psychiatrischer Behandlung im Krankenhaus D befunden. Die Ärztin habe die Klägerin als leicht selbstunsichere, sensible Patientin erlebt. Relevante psychische Störungen seien im Behandlungszeitraum nicht aufgefallen. Die Klägerin habe in den aktuellen Gesprächen auch nicht von Behandlungen wegen einer psychischen Erkrankung berichtet. Da keine psychische Störung bekannt sei, könnten zu den Auswirkungen im Alltag und dem Berufsleben keine Angaben gemacht werden. Des Weiteren hat der Senat einen Bericht von der Diplom-Sozialpädagogin V. vom

25. Mai 2016 eingeholt, in dem diese mitgeteilt hat, weder eine ärztliche noch therapeutische berufliche Tätigkeit auszuüben, sodass ein Befundbericht nicht erstellt werden könne. Sie habe die Klägerin im Zeitraum von November 2010 bis etwa Februar 2011 in ihrer Funktion als Diplom-Sozialpädagogin begleitet. Die Klägerin sei damals durch die betreuende Fallmanagerin des Jobcenters im Rahmen der Psychosozialen Beratung nach § 16a SGB II an das Psychosoziale Zentrum "L." in D. geschickt worden. Die psychosoziale Beratung richte sich an Menschen in besonderen Lebenssituationen (z.B. mit einer psychischen Erkrankung), die neben einer medizinischen Betreuung auch Unterstützung bei besonders prekären Problemlagen benötigten. Dies sei bei der Klägerin der Fall gewesen. Es habe nach dem Tod der Mutter Schwierigkeiten mit der Abwicklung der Beerdigung und der Beantragung der Kostenübernahme durch das Sozialamt A.-B. gegeben. Sie habe die Klägerin bei der Kommunikation mit dem zuständigen Mitarbeiter im Sozialamt und bei der Antragstellung unterstützt. Zum Ende des Betreuungszeitraumes habe die Klägerin vereinbarte Termine nicht mehr wahrgenommen, woraus sie den Schluss gezogen habe, dass die Klägerin kein Anliegen mehr gehabt habe.

Mit Verfügung vom 11. September 2017 hat der Berichterstatter unmittelbar an die Klägerin Fragen zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes gestellt, wegen deren Einzelheiten auf Bl. 208 der Gerichtsakte verwiesen wird. Die Klägerin hat diese Fragen auch nach Erinnerung nicht beantwortet. Mit Schreiben vom 19. Januar 2018 hat sich der Prozessbevollmächtigte der Klägerin und mit Schreiben vom 12. Februar 2018 der Beklagte mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichts- und der Verwaltungsakten des Beklagten ergänzend verwiesen. Diese sind Gegenstand der Beratung des Senats gewesen.

Gründe

Der Senat konnte mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden, § 153 Abs. 1 i.V. mit § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht gemäß § 151 Abs. 1 SGG bei dem Landessozialgericht erhobene Berufung ist nicht begründet.

Die angefochtenen Bescheide des Beklagten sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Gegenstand des Rechtsstreits ist die Frage, welche Schädigungsfolgen durch die Gewalttaten aus dem Zeitraum von der zweiten Jahreshälfte 2008 bis zum 11. Juli 2009 festzustellen sind, sowie die weitere Frage, ob der Klägerin wegen dieser Schädigungsfolgen ein Anspruch auf eine Beschädigtenrente zusteht. Konkret begehrt die Klägerin zunächst die Feststellung einer Posttraumatischen Belastungsstörung als Schädigungsfolge, wie sich aus ihrem Vorbringen im Verwaltungsverfahren und in beiden Rechtszügen des Gerichtsverfahrens ergibt. Zwar hat sie ausweislich der Sitzungsniederschrift in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht "nur" beantragt, dass der angefochtene Widerspruchsbescheid vom 9. Mai 2011 abgeändert und ein GdS von 30 festgestellt wird, es lässt sich aber dem Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils und auch den Entscheidungsgründen entnehmen, dass das SG von dem Begehren auch der Feststellung einer Posttraumatischen Belastungsstörung ausgegangen ist (Tatbestand, S. 4 des Urteils) und darüber ausweislich der Entscheidungsgründe auch ausdrücklich entschieden hat (S. 6: "Eine Posttraumatischen Belastungsstörung im sogenannten Vollbild lag indes nicht vor"). Da die Klägerin mit der Berufungsbegründung ausdrücklich geltend macht, es sei festzustellen, dass eine Posttraumatische Belastungsstörung vorliegt, die einen GdS von 30 bedingt, gehört die Frage ungeachtet der konkreten Formulierung des erstinstanzlichen Klageantrags nach wie vor zum Gegenstand des Rechtsstreits, über die der Senat zu entscheiden hatte.

Die Klägerin hat jedoch keinen Anspruch auf die Erweiterung der Feststellung einer Schädigungsfolge im Sinne einer Posttraumatischen Belastungsstörung und auch nicht darauf, dass ihr wegen der Schädigungsfolgen eine Beschädigtenrente nach den Vorschriften des OEG i.V. mit dem BVG bewilligt wird. Dies steht nach den durchgeführten Ermittlungen, die bis in das Jahr 2015 reichen, hinreichend sicher fest. Insbesondere aus dem gerichtlichen Sachverständigengutachten des Dr. B. vom 25. März 2013 und dem Befundbericht von Dr. S. vom 23. April 2016 ist zu folgern, dass der Klägerin die geltend gemachten Ansprüche nicht zustehen.

Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält eine natürliche Person, die im Geltungsbereich des OEG durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG besteht aus drei Gliedern (tätlicher Angriff, Schädigung und Schädigungsfolgen), die durch einen Ursachenzusammenhang miteinander verbunden sind. Als tätlicher Angriff ist grundsätzlich eine in feindseliger bzw. rechtsfeindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung anzusehen, wobei die Angriffshandlung in aller Regel den Tatbestand einer - jedenfalls versuchten - vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllt. Der tätliche Angriff i.S. des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG zeichnet sich durch eine körperliche Gewaltanwendung (Tätlichkeit) gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein (vgl. BSG, Urteil vom 29. April 2010, B 9 VG 1/09 R und Urteil vom 9. April 2011, B 9 VG 2710 R, jeweils zitiert nach juris).

Hinsichtlich der entscheidungserheblichen Tatsachen kennt das soziale Entschädigungsrecht drei Beweismaßstäbe. Grundsätzlich bedürfen die drei Glieder der Kausalkette (schädigender Vorgang, Schädigung und Schädigungsfolgen) des Vollbeweises. Für die Kausalität selbst genügt gemäß § 1 Abs. 3 BVG die Wahrscheinlichkeit. Nach Maßgabe des § 15 Satz 1 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG), der gemäß § 6 Abs. 3 OEG anzuwenden ist, sind bei der Entscheidung die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung (also insbesondere auch mit dem tätlichen Angriff) in Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, zugrunde zu legen, wenn sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Für den Vollbeweis muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen. Eine Sache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen. "Glaubhafterscheinen" im Sinne des § 15 Satz 1 KOVVfG bzw. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit, das heißt der guten Möglichkeit, dass sich der Vorgang so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können. Es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach der Gesamtwürdigung aller Umstände viel für diese Möglichkeit spricht. Von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss einer den übrigen gegenüber ein gewisses (kein deutliches) Übergewicht zukommen. Die bloße Möglichkeit einer Tatsache reicht nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen (ständige Rechtsprechung des BSG, Urteile vom 24. November 2010, B 11 AL 35/09 R und vom 17. April 2013, B 9 V 1/12 R; Beschluss vom 8. August 2001, B 9 V 23/01 B, juris).

Nach diesen rechtlichen Vorgaben steht zunächst fest, dass die Klägerin im Zeitraum von der zweiten Jahreshälfte 2008 bis zum 11. Juli 2009 durch den damaligen Lebenspartner B. mindestens dreimal vergewaltigt und am 11. Juli 2009 auch körperlich verletzt ("Würgen") worden ist. Dieser Sachverhalt steht durch das rechtskräftige Urteil des Landgerichts D. vom 8. Dezember 2009 fest. Die Klägerin ist damit Opfer eines tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 Abs. 1 OEG geworden.

Zutreffend hat der Beklagte mit dem angefochtenen Widerspruchsbescheid vom 9. Mai 2011 festgestellt, dass bei der Klägerin seit 1. Juni 2010 als Schädigungsfolge eine Teilsymptomatik einer Posttraumatischen Belastungsstörung mit einem GdS von 10 besteht. Hierfür ist maßgebend, dass die Klägerin nach der zweiten teilstationären Behandlung vom 16. Juni 2010 bis 23. September 2010 eine deutliche Verbesserung der psychischen Verfassung erreicht hat, wie den Feststellungen in der Epikrise des J Krankenhauses vom 19. Oktober 2010 zu entnehmen ist. Wörtlich ist ausgeführt: "Insgesamt war im Therapieprozess eine Entwicklung der Patientin erkennbar. Entgegen ihrer Erwartungen konnte sie zu einzelnen Gruppenmitgliedern ein gewisses Vertrauen aufbauen. Sie begann einen Selbstverteidigungskurs, um ihr Selbstwertgefühl zu stärken und sich auch auf die Entlassung des Ex-Partners vorzubereiten, zeigte sich neu hinzukommenden Gruppenmitgliedern etwas aufgeschlossener und war auch außerhalb des therapeutischen Settings aktiver. Aufgrund der abhängig-selbstunsicheren Persönlichkeitsstruktur besteht aus therapeutischer Sicht in nächster Zeit die Notwendigkeit einer weiteren ambulanten Unterstützung, weshalb wir die Patientin in unser Psychosoziales Zentrum integrierten und die weitere Betreuung bei der Opferberatung empfahlen. Für den Beginn einer Ausbildung erscheint die Patientin ausreichend stabil. Dieser Schritt würde auch die Autonomieentwicklung der Patientin und somit ihr Selbstwertgefühl fordern, was sich wiederum hilfreich bei der Organisation einer Alltagsstruktur und damit verbundenen inneren Sicherheit auswirken würde." Die mitgeteilten Befunde machen nicht nur deutlich, dass sich die psychische Verfassung im Behandlungsverlauf gebessert hat, sondern auch, dass die psychischen Probleme teilweise schädigungsunabhängig sind. So hat die "abhängig-selbstunsichere Persönlichkeitsstruktur" mit Sicherheit schon vor der Partnerschaft mit dem späteren Täter bestand bzw. diese sogar erst ermöglicht. Auch die therapiebedürftigen Ängste im Zusammenhang mit dem Suizid der Mutter im Frühjahr 2010 stehen nicht im Zusammenhang mit den schädigenden Ereignissen.

Der Beklagte hat für die zutreffend festgestellte Schädigungsfolge auch den GdS mit 10 zutreffend festgestellt. Diese Einschätzung beruht auf den nachfolgend dargestellten Normen und Grundsätzen.

Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG i.V. mit § 30 Abs. 1 Satz 1 und 2 BVG ist der GdS nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen nach Zehnergraden abgestuft zu beurteilen. Hierbei sind seit 1. Januar 2009 die in der Anlage zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) festgelegten "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" (VMG) heranzuziehen.

Die Bewertung der genannten Schädigungsfolge bei der Klägerin als "Folgen psychischer Traumen" richtet sich nach B Nr. 3.7 VMG. Danach ist bei einer psychischen Störung von folgendem Bewertungsrahmen auszugehen:

Leichtere psychovegetative oder psychische Störungen 0 - 20

Stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) 30 - 40

Da bei der Klägerin dauerhafte und auch stärker behindernde psychische Störungen offensichtlich nach allen ärztlichen Feststellungen nicht vorliegen, kann allenfalls von leichten Störungen ausgegangen werden, die mit einem GdB von 0 bis 20 zu bewerten sind. Da auch die leichten psychischen Störungen nicht insgesamt zu bewerten sind, sondern nur, soweit sie als Teilsymptomatik einer Posttraumatischen Belastungsstörung erfasst werden, ist ein GdS von 10 auf Dauer nicht zu beanstanden.

Eine Beschädigtenrente kommt daher nicht in Betracht, denn diese ist nach § 1 Abs. 1 OEG i.V. mit § 30 Abs. 1, 31 Abs.1 BVG erst ab einem GdS von mindestens 25 zu leisten.

Demgegenüber dringt die Klägerin mit ihrem Vorbringen nicht durch, wonach bei ihr durch diese Gewalttaten eine Posttraumatische Belastungsstörung hervorgerufen worden ist bzw. die bei ihr festgestellten Schädigungsfolgen einen Grad der Schädigung von 30 erreichen und damit den Anspruch auf Zahlung einer Beschädigtenrente nach § 31 BVG bewirken.

Das Vollbild einer Posttraumatischen Belastungsstörung liegt bei der Klägerin nicht vor. Dieses Krankheitsbild ist nach der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen im 5. Kapitel der ICD-10 (Psychische und Verhaltensstörungen F00 bis F 99) unter F 43.1 wie folgt umschrieben: "Posttraumatische Belastungsstörung": Diese entsteht als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Prädisponierende Faktoren wie bestimmte, z.B. zwanghafte oder asthenische Persönlichkeitszüge oder neurotische Krankheiten in der Vorgeschichte können die Schwelle für die Entwicklung dieses Syndroms senken und seinen Verlauf erschweren, aber die letztgenannten Faktoren sind weder notwendig noch ausreichend, um das Auftreten der Störung zu erklären. Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Alpträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten. Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Meist tritt ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf. Angst und Depression sind häufig mit den genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert und Suizidgedanken sind nicht selten. Der Beginn folgt dem Trauma mit einer Latenz, die wenige Wochen bis Monate dauern kann. Der Verlauf ist wechselhaft, in der Mehrzahl der Fälle kann jedoch eine Heilung erwartet werden. In wenigen Fällen nimmt die Störung über viele Jahre einen chronischen Verlauf und geht dann in eine andauernde Persönlichkeitsänderung (F62.0) über.

Wie der gerichtliche Sachverständige Dr. B. in seinem Gutachten vom 25. März 2013 mit nachvollziehbarer Begründung ausführt, liegt bei der Klägerin dieses Symptombild einer Posttraumatischen Belastungsstörung nicht in vollem Umfang vor. Der Senat hält dieses Gutachten insgesamt für überzeugend und verwertbar. Der Überzeugungskraft des Gutachtens von Dr. B. steht nicht entgegen, dass die Klägerin im Vorfeld den Wunsch nach Begutachtung durch eine weibliche Sachverständige geäußert hat. Dieses plausible Begehren ändert nichts an der Tatsache, dass die Klägerin gegenüber dem gerichtlichen Sachverständigen ausführliche anamnestische Angaben gemacht und auch eine körperliche Untersuchung zugelassen hat. Insbesondere die ausführliche Schilderung der Lebensgeschichte, die Angaben zur Partnerschaft mit dem späteren Schädiger und auch der Hinweis auf die mit dem Selbstmord der Mutter im März 2010 aufgetretenen Schwierigkeiten zeigen deutlich, dass sich die Klägerin in der gesamten Untersuchungssituation kooperativ verhalten und insgesamt aufgeschlossen gezeigt hat. Der von ihrem Prozessbevollmächtigten erhobene Vorwurf, sie habe sich diesem männlichen Sachverständigen nicht vollständig öffnen können, trifft also nicht zu.

Zu der Frage der Posttraumtischen Belastungsstörung hat Dr. B. plausibel herausgearbeitet, dass bei der Klägerin das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen und das Vermeiden von Aktivitäten und Situationen fehlt, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Auch Suizidgedanken der Klägerin werden nicht berichtet. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte für eine Gleichgültigkeit der Klägerin gegenüber anderen Menschen oder Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber. Immer wieder auftretende Schlafstörungen, Ängste und Sorgen im Hinblick auf eine mögliche Freilassung des Schädigers aus dem Gefängnis bzw. seiner therapeutischen Umgebung sowie eine gewisse soziale Kontaktarmut werden deshalb zu Recht als Teilsymptomatik einer Posttraumatischen Belastungsstörung angesehen, sodass diese Diagnose bzw. Schädigungsfolge zutreffend bezeichnet und festgestellt ist. Demgegenüber ist hinsichtlich der Diagnose des J. Krankenhauses D. der Epikrise vom 19. Oktober 2010 nicht zu folgen, die von einer Posttraumatischen Belastungsstörung im Sinne der F43.1 der ICD-10 ausgeht. Den mitgeteilten Befunden und der Beschreibung des Verlaufs der Therapie ist das Vollbild einer Posttraumatischen Belastungsreaktion nicht zu entnehmen. Denn die Klägerin hat nach den dortigen Feststellungen bereits zu Beginn der Therapie am 16. Juni 2010 positive Therapieansätze gezeigt, indem sie Wünsche nach mehr Selbstvertrauen und Aufgeschlossenheit geäußert hat, lernen wollte, sich besser durchzusetzen und Stabilität für den Beginn einer Ausbildung zur Altenpflegerin erlangen wollte. In negativer Hinsicht hat sie massive Ängste vor einer Auseinandersetzung mit den traumatischen Erlebnissen innerhalb der Partnerschaft, aber auch vor der Beschäftigung mit ihrer Familien-und Entwicklungsgeschichte angegeben. Thematisch war sie eingeengt auf Ängste vor der Entlassung des Ex-Partners und zeigte sich verunsichert durch den Suizid der Mutter im März 2010, weil sie befürchtete, unter einer ähnlichen psychischen Erkrankung zu leiden, die zum Tod der Mutter geführt hat. Folgerichtig haben die Ärzte der Klinik angenommen, dass aufgrund der erheblichen frühkindlichen und späteren lebensgeschichtlichen Belastungen (unzureichende Versorgung durch die Mutter, Heimaufenthalt, zwischenzeitliche Versorgung durch Pflegeeltern und später Rückkehr zu überforderten Mutter) diagnostisch von einer strukturellen Störung auszugehen sei und deshalb der Schwerpunkt der Behandlung auf die Entwicklung struktureller Fähigkeiten zur Selbstwahrnehmung, Selbststeuerung sowie Kommunikation gelegt werden müsste. Problematisch sei auch ein abhängiger Beziehungsstil gewesen, der die Klägerin lange in der belastenden Partnerschaft gehalten hatte, aber auch in der Beziehung zur älteren Schwester deutlich zum Tragen kam. Vor diesem Hintergrund der entwicklungsgeschichtlichen Prägungen ist nicht ersichtlich, dass die Diagnose einer Posttraumatischen Belastungsstörung im Sinne des Vollbildes gerechtfertigt war, zumal die Auseinandersetzung mit den traumatischen Erlebnissen durch die Gewalttaten des Ex-Partners offenbar nicht der (alleinige) Schwerpunkt der teilstationären Therapie bis 23. September 2010 gewesen war.

Bei der Klägerin lassen sich in der Zusammenschau der mitgeteilten Befunde, Diagnosen und der späteren Entwicklung nach Abschluss der teilstationären Therapie keine stärker behindernden Störungen feststellen, die einen Grad der Schädigung von 30 oder mehr rechtfertigen. Dies folgt zunächst aus der Tatsache, dass sie in den folgenden Jahren bis mindestens Mitte 2015 keine psychotherapeutische oder psychiatrische Behandlung in Anspruch genommen hat, insoweit also kein manifester Leidensdruck festgestellt werden kann. Des Weiteren hat sie, offenbar in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Ende der Therapie am 23. September 2010, eine Ausbildung zur Krankenpflegehelferin begonnen und erfolgreich abgeschlossen, arbeitet seit September 2011 als Pflegeassistentin in einem Pflegeheim und kann von den Einkünften zusammen mit ihrer Tochter in einer gemeinsamen Wohnung leben. Außerdem ist es ihr gelungen, eine neue Partnerschaft zu einem Mann aufzubauen, die ihr Leben nach den Angaben gegenüber dem Sachverständigen Dr. B. in der Untersuchung vom 24. Januar 2013 offenbar stabilisiert und bereichert. Ferner hat Dr. S. im Befundbericht vom 23. April 2016 die Frage nach psychovegetativen oder psychischen Störungen der Klägerin wie folgt beantwortet: "Ich habe Frau W. als leicht selbstunsichere, sensible Patientin erlebt. Relevante psychische Störungen sind mir im Behandlungszeitraum nicht aufgefallen bzw. nicht bekannt. Stärker ausgeprägte Störungen sind mir ebenfalls nicht bekannt. (...Mir) sind bei der Patientin keine aktuell behandlungsbedürftigen psychischen Störungen oder Erkrankungen, damit auch keine schweren Störungen, bekannt. (...) Aus alten Unterlagen ist die Therapie einer Depression sowie einer Posttraumatischen Belastungsreaktion im Jahr 2010 zu entnehmen. In aktuellen Gesprächen mit der Patientin wurde nicht von einer weiteren Behandlung dieser Erkrankungen berichtet. Da mir keine psychische Störung bekannt ist, kann ich zu Auswirkungen im Alltag und im Berufsleben keinerlei Aussage machen." Da diese Ärztin die Klägerin im Zeitraum von Februar 2015 bis Dezember 2015 mehrfach untersucht und zweimal auch Zeiten der Arbeitsunfähigkeit vom 27. Mai 2015 bis 19. Juni 2015 und 24. September 2015 bis 2. Oktober 2015 festgestellt hat, sind keine Anhaltspunkte für stärker behindernde psychische Störungen ersichtlich. Da die Klägerin die zuletzt mit Schreiben vom 11. September 2017 gestellten Fragen nach ihrer beruflichen Tätigkeit, im Haushalt lebenden Familienangehörigen und der Einnahme von Medikamenten nicht beantwortet hat, ist der bis dahin bekannte medizinische Sachverhalt so zu bewerten, wie dies der Beklagte im angefochtenen Widerspruchsbescheid vom 9. Mai 2011 und das Sozialgericht im Urteil vom 12. Juni 2013 zutreffend getan haben. Der Grad der Schädigung ist für den Zeitraum vom 1. Juli 2009 bis 31. Mai 2010 wegen einer Anpassungsstörung mit 20, für die Zeit vom 1. Juni 2010 wegen der Teilsymptomatik einer Posttraumatischen Belastungsstörung bis 30. September 2010 ebenfalls mit 20 und für den anschließenden Zeitraum ab 1. Oktober 2010 mit 10 festzustellen.

Für die geltend gemachte Schulterverletzung auf der linken Seite infolge eines tätlichen Angriffs des damaligen Lebenspartners vom 11. August 2008 ist kein Grad der Schädigung festzustellen, weil diese Schulterverletzung zum Zeitpunkt der Antragstellung am 3. September 2009 offenbar folgenlos ausgeheilt war. Den ärztlichen Befundberichten ist keine Fehlfunktion der Schulter auf der linken Seite zu entnehmen. Soweit Dr. S. im Befundbericht vom 23. April 2016 die Diagnose eines Schulter-Arm-Syndrom rechts mitgeteilt hat, handelt es sich um eine schädigungsunabhängige Funktionseinschränkung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).

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