LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 15.06.2021 - 2 Sa 337/20
Fundstelle
openJur 2021, 27035
  • Rkr:

1. Den Tarifvertragsparteien steht aufgrund des weiten Gestaltungsspielraums durch die in Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Tarifautonomie eine Einschätzungsprärogative zu, soweit die tatsächlichen Gege§ 1 TVGbenheiten, die betroffenen Interessen und Rechtsfolgen zu beurteilen sind.

2. Die Festlegung unterschiedlich hoher Zuschläge für Nacharbeit, die innerhalb tariflich definierter Schicht- bzw. Wechselschichtarbeit erbracht wird (15 % bzw. 20 %), und für "sonstige Nachtarbeit" (60 %) im Manteltarifvertrag der Deutschen Süßwarenindustrie e.V. vom 11. Mai 1994 verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

3. Es besteht ein sachlicher Grund für diese Differenzierung, so dass die Tarifvertragsparteien den ihnen bei ihrer Normsetzung zustehenden Gestaltungsspielraum nicht übertschritten haben.

4. Bestehen nach Tarifwortlaut und Tarifgeschichte Anhaltspunkte dafür, dass in der "sonstigen Nachtarbeit" zugleich Mehrarbeitsstunden enthalten sind, kann dies einen deutlich höheren Nachtzuschlag rechtfertigen, wenn ein Mehrarbeitszuschlag dafür nicht vorgesehen ist.

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts

Schwerin vom 21.10.2020 zum Az.: 1 Ca 793/20 wird auf Kosten

des Klägers zurückgewiesen.

2. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um tarifliche Zuschläge für nachts im Zeitraum von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr geleistete Arbeit nach dem räumlich für die Bundesländer Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen, Thüringen und das ehemalige Berlin-Ost geltenden Manteltarifvertrag der Deutschen Süßwarenindustrie e. V. vom 11. Mai 1994 (im Folgenden: MTV-O).

Der Kläger ist als Koch bei der Beklagten in deren Betrieb in A-Stadt, in welchem Süßwaren, insbesondere Fruchtgummi und Schaumzucker, hergestellt werden, beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft beiderseitiger Tarifbindung der MTV-O Anwendung. Dieser lautet auszugsweise:

"§ 4Mehr-, Schicht-, Wechselschicht-, Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit

I. Begriffsbestimmungen

1. Schichtarbeit ist die regelmäßige tägliche vereinbarte Arbeitszeit, unabhängig von der zeitlichen Lage.

Wechselschicht liegt vor, wenn ein regelmäßiger Wechsel des Schichtbeginns und damit der zeitlichen Lage der Schicht erfolgt, wobei dieser Rhythmus zusammenhängend mindestens eine volle Arbeitswoche dauert.

2. Mehrarbeit ist die über die jeweils betrieblich festgelegte regelmäßige tägliche Arbeitszeit hinausgehende Arbeit, soweit es sich nicht um einen zulässigen Ausgleich für ausgefallene Arbeitszeit an einzelnen Werktagen handelt.

...

Mehrarbeit ist, soweit es nur irgendwie angängig ist, z. B. durch zusätzliche Einstellung von Arbeitnehmern oder Einlegung von Schichten nach Maßgabe der betrieblichen und betriebstechnischen Möglichkeiten zu vermeiden. Ist aber Mehrarbeit unvermeidlich, so kann sie über die festgelegte Arbeitszeit hinaus mit dem Betriebsrat vereinbart werden. In dringenden unvorhergesehenen Fällen, in denen der Betriebsrat vorher nicht erreichbar ist, ist er nachträglich zu verständigen.

Mehrarbeit ist zu leisten, soweit ihr nicht berechtigte Interessen des Arbeitnehmers entgegenstehen.

3. Nachtzeit ist die Zeit zwischen 22.00 und 6.00 Uhr....4. ...

5. Bei Schichtarbeit kann eine Verschiebung der Zeiträume der Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit entsprechend den Schichtzeiten im Einverständnis mit dem Betriebsrat betrieblich festgelegt werden.

6. Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit ist ebenso wie Mehrarbeit nach Möglichkeit zu vermeiden. Sie ist - außer bei üblicher Schichtarbeit - im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen nur vorübergehend in Fällen einer dringenden betrieblichen Notwendigkeit im Einverständnis mit dem Betriebsrat zulässig. Mehrarbeit und Mehrarbeitszuschläge können durch entsprechende Freizeit ausgeglichen werden.

Die im Rahmen dieser Bestimmungen festgelegte Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit ist zu leisten, soweit ihr nicht berechtigte Interessen des Arbeitnehmers entgegenstehen....

II. Vergütung

1. Für Mehr-, Schicht-, Wechselschicht-, Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit sind folgende Zuschläge zu zahlen:

a) für Mehrarbeit,

die in Tageszeit von 6.00 bis 22.00 Uhr fällt

25 v.H.

ab der 3. Mehrarbeitsstunde täglich

40 v.H.

b) für Nachtarbeit

Schichtarbeit und Wechselschichtarbeit, die in die Nachtzeit

von 22.00 bis 6.00 Uhr fallen

15 v.H.

die regelmäßig länger als 14 Tage überwiegend in der Nachtzeit

von 22.00 bis 6.00 Uhr fallen

20 v.H.

sonstige Nachtarbeit

60 v.H.

c) für Arbeiten an Sonntagen

60 v.H.

d) für übliche Schicht- und Wechselschichtarbeit an

Sonntagen und Feiertagen

25 v.H.

...

2. Die Zuschläge werden vom effektiven Entgelt bzw. Leistungslohn berechnet.

Für die Errechnung von Zuschlägen je Arbeitsstunde ist der Teilungsfaktor 1/174, ab 01.01.1996 1/170 zugrunde zu legen. Beim Zusammentreffen mehrerer Zuschläge ist nur ein Zuschlag, und zwar jeweils der höchste, zu zahlen....

III. Wechselschichtarbeit

1. Arbeitnehmer in dreischichtigem Wechsel (Früh-, Nachmittags- und Nachtschicht) haben Anspruch auf Schichtfreizeiten nach Maßgabe folgender Bestimmungen:

Bei Arbeit

ab ... Schichten

Freischicht von ... Arbeitstagen

40

1

80

2

120

3

160

4

200

5

2. Die zeitliche Festlegung der Freizeit erfolgt unter Mitwirkung des Betriebsrats bei Beachtung der beiderseitigen Interessen. Die Freizeit wird unabhängig von Jahresurlaub gewährt.

3. Die Bemessung der Freizeitvergütung entspricht der Urlaubsvergütung.

4. Der Anspruch auf Freizeit gemäß Ziff. 1 entsteht nach Erfüllung der Arbeitsschichten lt. Staffel. Er erlischt mit Ablauf des betreffenden Kalenderjahres, bei Überhang von Anspruchstagen jedoch spätestens nach drei Monaten im folgenden Kalenderjahr.

5. Der Ausgleich durch Freizeit setzt einen gleichmäßigen, wöchentlichen Schichtwechsel voraus. Findet der Wechsel in einem anderen Rhythmus statt, so werden die Freizeiten entsprechend der Anteile der Nachtschicht errechnet....

§ 14Ausschlussfrist

Gegenseitige Ansprüche aller Art aus dem Arbeitsverhältnis sind innerhalb einer Ausschlussfrist von drei Monaten seit Fälligkeit schriftlich geltend zu machen. Der Lauf der Ausschlussfrist ist in Fällen der Erkrankung des Arbeitsnehmers gehemmt bis zum Tage der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit.

§ 15Beilegung von Streitigkeiten

Streitfälle, die sich aus der Auslegung oder Durchführung dieses Tarifvertrages zwischen den Tarifvertragsparteien ergeben, sind, wenn keine unmittelbare Einigung zu erzielen ist, vor ein Tarifschiedsgericht zu bringen."

Im Bundesmanteltarifvertrag für die Süßwarenindustrie vom 23. März 1979 ist u. a. Folgendes festgelegt:

"§ 4Mehr-, Schicht-, Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit

I. Begriffsbestimmungen

1. Mehrarbeit ist die über tägliche regelmäßige Arbeitszeit hinausgehende Arbeit, soweit es sich nicht um einen zulässigen Ausgleich für ausgefallene Arbeitszeit an einzelnen Werktagen handelt....

2. Nachtarbeit ist die in der Zeit zwischen 20 und 6.00 Uhr geleistete Arbeit, soweit es sich nicht um Schichtarbeit handelt.

5. Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit ist ebenso wie Mehrarbeit nach Möglichkeit zu vermeiden. Sie ist - außer bei üblicher Schichtarbeit - im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen nur vorübergehend in Fällen einer dringenden betrieblichen Notwendigkeit im Einverständnis mit dem Betriebsrat zulässig.

Die im Rahmen dieser Bestimmungen festgelegte Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit ist zu leisten, soweit ihr nicht berechtigte Interessen des Arbeitneh-mers entgegenstehen....

II. Vergütung

1. Für Mehr-, Schicht-, Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit sind folgende Zuschläge zu zahlen:

a) für Mehrarbeit,

die in die Tageszeit von 6 bis 20.00 Uhr fällt

25 v.H.

ab der 3. Mehrarbeitsstunde

40 v.H.

die in die Nachtzeit von 20 bis 6.00 Uhr fällt

60 v.H.

b) für Schichtarbeit,

die in die Nachtzeit von 22 bis 6.00 Uhr fällt

15 v.H.

die regelmäßig länger als 14 Tage überwiegend in die

Nachtzeit von 22 bis 6.00 Uhr fällt

20 v.H.

c) für Nachtarbeit in der Zeit von 20 bis 6.00 Uhr, die weder

Mehrarbeit (a) noch Schichtarbeit (b) ist

50 v.H."

Im Juni 1983 führten die Tarifvertragsparteien Verhandlungen zu einem neuen Bundesmanteltarifvertrag für die Süßwarenindustrie. Im Protokoll vom 10. Mai 1983 zu diesen Verhandlungen heißt u. a.

"...II. Erörterung des Arbeitgebervorschlags vom 29.04.1983

1. Die Arbeitgeber wiederholen ihre am 29. 04. unterbreiteten Vorstellungen für den Neuabschluss des Manteltarifvertrages (vgl. Protokoll vom 04.05.1983, S. 7). Sie erinnern daran, dass die Anhebung des Urlaubsgeldes ab 1984 um eine weitere DM mit einer Verschiebung des Beginns der Nachtzeit von 20 auf 22.00 Uhr und das Erreichen des Höchsturlaubs von 28 Tagen ab Vollendung des 40. Lebensjahres mit dem Wegfall der Freischichten im Zweischichtsystem verknüpft ist und an dieser Koppelung festgehalten wird....

2. Die NGG stimmt einer Verschiebung des Beginns der Nachtzeit von 20 auf 22.00 Uhr im Prinzip zu. Sie fordert für dieses Zugeständnis jedoch eine Anhebung des Urlaubsgeldes in 1984 um 2,-- DM und die Übertragung des derzeitigen 60 %-Zuschlags, der in § 4 II 1 a) 3. Alt. für Mehrarbeit in der Nachtzeit vorgesehen ist, auf die "sonstige Nachtarbeit", die im Arbeitgebervorschlag zur Neufassung des MTV mit 50 % dotiert ist.

Die Arbeitgeber lehnen die geforderte Aufstockung des Urlaubsgeldes von 1,-- DM auf 2,-- DM ab 1984 ab. Sie erklären sich bereit, die geforderte Übernahme des 60 %-Zuschlags in ihre Überlegungen einzubeziehen....

III. Vorläufiges Verhandlungsergebnis

1. Bezahlte Freistellung am 24. und 31. Dezember ...

2. Die Kurzpausen werden um 2 Minuten auf 8 Minuten pro Doppelstunde erhöht....

3. ...

4. Anhebung des Urlaubsgeldes um DM 1,-- ab 1983 und um eine weitere DM ab 1984.

5. Verschiebung des Beginns der Nachtzeit von 20 auf 22.00 Uhr. Der Zuschlag für Mehrarbeit in der Nachtzeit in Höhe von 60 % wird als Zuschlag für "sonstige Nachtarbeit" übernommen.

6. Abgeltung von Mehrarbeit künftig auch durch Freizeit...."

Mit Schreiben vom 29. Juni 1983 informierte der Bundesverband der Deutschen Süßwarenindustrie e. V. seinen Mitglieder durch Rundschreiben Nr. 13/83 über die Tarifvertragsverhandlungen und teilte u. a. Folgendes mit:

"...I. Verhandlungsergebnis

1. Bezahlte Freistellung am 24. und 31. Dezember (§ 3 I Ziff. 1)...

5. Verschiebung des Beginns der Nachtzeit von 20 Uhr auf 22 Uhr (4 I Ziff. 3 und II).

II. Wesentliche Änderungen des Vertragstextes

Die Einarbeitung des vorgenannten Verhandlungsergebnisses, eine erstmalige Definition des Begriffs Schichtarbeit (§ 4 I), eine Neuordnung der Zuschläge (§ 4 II), einige notwendig gewordene Klarstellungen......

5. § 4 Mehr-, Schicht-, Wechselschicht-, Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit

- I Begriffsbestimmungen -

a) Definition der Schichtarbeit

Die Begriffsbestimmungen des § 4 I werden erweitert (vgl. neue Ziffer 1) um eine erstmalige Definition der Schichtarbeit:

"Schichtarbeit ist die regelmäßige tägliche vereinbarte Arbeitszeit, unabhängig von der zeitlichen Lage."

Als Schichtarbeit ist demzufolge die individuelle Arbeitszeit eines jeden einzelnen Arbeitnehmers zu verstehen, seine Normalarbeitszeit, z. B. in der Produktion von 7,00 Uhr bis 15,30 Uhr, in der Verwaltung von 8,00 Uhr bis 16,30 Uhr. Werden einzelne Arbeitnehmer bereits z. B. eine Stunde vor Produktionsbeginn für die Vorbereitungsarbeiten eingesetzt, so beginnt deren individuelle Schichtzeit bereits zu diesem Zeitpunkt.

Im Gegensatz zur Schichtarbeit als regelmäßige tägliche vereinbarte Arbeitszeit ist die Wechselschicht zu sehen, die bisher unter § 4 III definiert war und unverändert in die Begriffsbestimmungen unter I 1, zweiter Absatz vorgezogen worden ist.

b) Nachtzeit künftig ab 22,00 Uhr

Die im Verhandlungsergebnis vereinbarte Verschiebung des Beginns der Nachtzeit von 20 auf 22.00 Uhr (vgl. § 4 I Ziff. 3 der Neufassung) hat zur Folge, dass der 25 %-Zuschlag für Mehrarbeit nunmehr bis 22,00 Uhr zum Ansatz kommt und der sehr viel höhere Zuschlag von 60 % erst ab 22,00 Uhr zu zahlen ist - bisher in § 4 II 1 a) als Zuschlag für "Mehrarbeit, die in Nachtzeit von 20,00 bis 6,00 Uhr fällt" ausgewiesen, künftig in § 4 II 1 b) "für sonstige Nachtarbeit".

6. § 4 II - Zuschläge

Die Zuschlagsarten für Mehrarbeit, Schichtarbeit und Nachtschichtarbeit sind wie folgt zusammengefasst und neugeordnet worden:

"Für Mehr-, Schicht-, Wechselschicht-, Nachtschicht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit sind folgende Zuschläge zu zahlen:

a) für Mehrarbeit,

die in die Tageszeit von 6,00 bis 22,00 Uhr fällt

25 v.H.

ab der 3. Mehrarbeitsstunde

40 v. H.

b) Nachtarbeit

Schichtarbeit und Wechselschichtarbeit,

die in die Nachtzeit von 22,00 bis 6,00 Uhr fallen

15 v. H.

die regelmäßig länger als 14 Tage

überwiegend in die Nachtzeit von

22,00 Uhr bis 6,00 Uhr fallen

20 v.H.

sonstige Nachtarbeit

60 v. H.

Eine inhaltliche Änderung der zuschlagspflichtigen Arbeiten ist mit dieser Neuordnung nicht verbunden. Auch die prozentuale Dotierung der zuschlagspflichtigen Arbeiten ist unverändert geblieben. Die Neuordnung wirkt sich jedoch dahingehend aus, dass bei Mehrarbeit in der Nacht nicht mehr die Mehrarbeit dotiert wird, sondern allein ein Nachtarbeitszuschlag (wie bisher in Höhe von 60 %) zu zahlen ist. Dieser Nachtarbeitszuschlag ist nunmehr in vollem Umfang steuerfrei.

Der Kläger hat mit seiner Klage Differenzzuschläge in Höhe von 45 % wegen im Zeitraum Januar 2019 bis September 2019 im Schichtsystem geleisteter Nachtarbeit geltend gemacht mit der Begründung, nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 21.03.2018 zum Az.: 10 AZR 34/17 sei eine unterschiedlich hohe Vergütung von Nachtarbeit gleichheitswidrig, weil Nachtarbeit innerhalb von Schichtarbeit und außerhalb von Schichtarbeit grundsätzlich gesundheitsschädlich sei und eine Differenzierung keine Rechtfertigung finde. Infolge Unwirksamkeit der gleichheitswidrigen tariflichen Regelung sei der tariflich vorgesehene höhere Zuschlag von 60 % zu zahlen. Deshalb habe die Beklagte zu der bisherigen Bezahlung von 15 % weitere 45 % zu entrichten. Für den Zeitraum Januar 2019 bis September 2019 sei eine weitere Summe in Höhe von 1.592,49 € zu zahlen.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die im MTV-O enthaltene deutliche Abstufung zwischen allgemeiner Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit stimme nicht mit den gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen über die menschengerechte Gestaltung der Arbeit überein und beruhe auf der Fehleinschätzung, ein Arbeitnehmer in Schichtarbeit könne sich leichter auf die mit der Nachtarbeit verbundenen Erschwernisse einstellen. Sie überschreite das Maß arbeitswissenschaftlich begründbarer Typisierung, weil sie nicht nur in atypischen Sonderfällen, sondern im Regelfall zu einer unverhältnismäßigen Benachteiligung führe. Bei dem durchzuführenden Vergleich seien allein die Nachtzuschläge zu beurteilen. Anderweitige tarifliche Leistungen hätten außer Betracht zu bleiben. Dies gelte insbesondere für Schichtfreizeiten. Es komme auch nicht darauf an, ob im Betrieb der Beklagten eine Vergleichsgruppe konkret vorhanden sei, sondern, weil auf die generellen Auswirkungen der Regelungen abzustellen sei, ob es im Betrieb potenzielle Normadressaten gebe. Zweck der Zuschläge sei es, die mit Nachtarbeit üblicherweise verbundenen gesundheitlichen und sozialen Nachteile auszugleichen, die unabhängig davon seien, ob die Nachtarbeit im Rahmen von Schichtarbeit oder aber außerhalb eines Schichtsystems erfolge.

Der Kläger hat vorgetragen, weder der Systematik noch dem Wortlaut des MTV-O sei zu entnehmen, dass ungeplante Nachtarbeit nur außerhalb der üblichen Arbeitszeit anfalle, mit dem höheren Zuschlag immer Mehrarbeit verbunden sei und zusätzliche Arbeitszeit daher mit dem Zuschlag von 60 % vergütet werde. Mehrarbeit werde regelmäßig auch von Arbeitnehmern im Schichtsystem z. B. in Form von Sonderschichten geleistet.

Die Tarifvertragsparteien seien verpflichtet, tarifliche Regelungen unter Beachtung neuer arbeitsmedizinischer Erkenntnisse und Änderungen des Arbeitszeitgesetzes anzupassen. Weil sie dies vorliegend unterlassen hätten, sei eine gerichtliche Korrektur erforderlich.

Der Kläger hat behauptet, er habe seinen Anspruch mit Schreiben vom 24.04.2029, 29.03.2019, 15.04.2019, 24.06.2019, 02.07.2019, 19.08.2019, 20.09.2019 sowie 28.09.2019 geltend gemacht.

Der Kläger hat beantragt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 1.592,49 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der klagenden Partei für in Schichtarbeit oder Wechselschichtarbeit in der Zeit zwischen 22:00 und 06:00 Uhr geleistete Nachtarbeit im Sinne von § 4 II. Ziffer 1 b des Manteltarifvertrages für die Arbeitnehmer der Süßwarenindustrie in der derzeit gültigen Fassung vom 11.05.1994 in gleicher Höhe zu gewähren, wie für "sonstige Nachtarbeit" im Sinne von § 4 II Ziffer 1b des Manteltarifvertrages.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat den erhobenen Zahlungsanspruch unter Hinweis auf das Gutachten Eylert-Creutzfeldt "Gutachten zur Zulässigkeit von differenzierenden Nachtzuschlagsregelungen in Tarifverträgen der Ernährungswirtschaft" geleugnet und argumentiert, eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung liege nicht vor. Es fehle bereits an der erforderlichen Gruppenbildung. In diesem Zusammenhang sei zu berücksichtigen, dass in ihrem Betrieb in den letzten 12 Monaten lediglich ein Anteil von unter 1 v.H. aller beschäftigten Arbeitnehmer für Nachtarbeit in der Zeit von 22 Uhr bis 6 Uhr außerhalb von Schichtarbeit herangezogen worden sei. Bereits daraus ergebe sich, dass es eine Ungleichbehandlung in ihrem Betrieb überhaupt nicht gebe. Wenn aber die angegriffene Regelung nur auf dem Papier stehe und faktisch überhaupt keine Bedeutung habe, möge es zwar eine Aufgabe der Tarifvertragsparteien sein, diese Regelung der Realität anzupassen, keinesfalls könne daraus aber ein Anspruch auf eine höhere Bezahlung aller Beschäftigten hergeleitet werden. Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 21.03.2018 - 10 AZR 34/17 - beziehe sich auf einen Tarifvertrag mit gänzlich anderslautenden Regelungen als denen des MTV-O und sei daher vorliegend nicht zur Begründung der Klage geeignet. Zudem widerspreche die Systematik der Zuschläge einer Ungleichbehandlung. Der Zuschlag 60 v.H. setze sich aus einem Zuschlag für Nachtarbeit von 15 v.H. bzw. 20 v.H. und einem Mehrarbeitszuschlag von 25 v.H. zusammen. "Sonstige" ungeplante Nachtarbeit, die keine Schichtarbeit ist, könne nur nach der üblichen Arbeit anfallen und sei damit, da sie immer über die regelmäßige tägliche Arbeitszeit hinausgehe (§ 4 I. 2., zweiter Absatz MTV-O) automatisch Mehrarbeit. Da bei dem Anfall von mehreren Zuschlägen nur der höchste, bei gleicher Höhe nur ein Zuschlag zu zahlen sei, hätten die Tarifvertragsparteien diesen Zuschlag korreliert. Mit dem höheren Nachtzuschlag für "sonstige" ungeplante Nachtarbeit sei infolge dessen nicht nur die Nachtarbeit, sondern auch immer die damit einhergehende Mehrarbeit zusätzlich vergütet. Dies werde durch die historische Entwicklung des MTV-O belegt. Während der BMTV vom 23.01.1979 einen Zuschlag für Mehrarbeit, die in Zeit von 20 bis 6.00 Uhr fällt, in Höhe von 60 v.H. und für Schichtarbeit in der Nachtzeit vom 22 bis 6.00 Uhr Zuschläge von 15 v.H. bzw. 20 v.H. vorsehe, seien die Tarifvertragsparteien in daraufhin erfolgten Tarifvertragsverhandlungen davon ausgegangen, dass Nachtarbeit außerhalb von Schichtarbeit immer mit Mehrarbeit verbunden sei. Es sei daher eine Umwidmung des hohen Mehrarbeitszuschlags in einen steuerfreien Nachtzuschlag geschehen. Damit hätten die Tarifvertragsparteien ausdrücklich und bewusst die Zuschläge für Nachtarbeit differenziert, da durch die Umwidmung der Zuschläge die Steuer- und Sozialversicherungsfreiheit des Zuschlags für Nachtarbeit sichergestellt worden und im Ergebnis für die Beschäftigten der Zuschlag maßgeblich erhöht worden seien. Es sei den Tarifvertragsparteien nicht darum gegangen, gesundheitliche Belastungen durch Zuschläge in Geld auszugleichen, sondern es sei immer Politik der Tarifvertragsparteien und insbesondere der Gewerkschaft NGG gewesen, gesundheitliche Belastungen nicht durch Geldkomponenten zu kompensieren, sondern durch freie Zeit. So sei es die Gewerkschaft NGG, die als erste Gewerkschaft überhaupt eine Arbeitszeitverkürzung auf die 40 Stunden-Woche gefordert und vereinbart und andere Freizeitkomponenten in den Tarifverträgen durchgesetzt habe. In dem Zusammenhang sei zu berücksichtigen, dass die geringe effektive Differenz zwischen den Schichtzuschlägen und dem Zuschlag für sonstige Nachtarbeit unter Abzug des enthaltenen Mehrarbeitszuschlages überdies kompensiert werde durch zusätzliche Freizeiten für Arbeitnehmer, die in Wechselschicht tätig seien. Aus der einschlägigen Regelung in § 4 III. MTV-O ergebe sich, dass der typische Arbeitnehmer, der im dreischichtigen Wechsel arbeite, also regelmäßig Nachtschichten erbringe, pro Jahr bis zu 5 bezahlte zusätzliche freie Tage erhalte. Dies bedeute, dass es für 13,3 Nachtschichten eine zusätzliche Freischicht gebe, was umgerechnet einen rechnerischen Freizeitzuschlag von weiteren 5 v.H. bedeute. Zudem sei die Möglichkeit vorgesehen, für Arbeitnehmer im Schichtsystem zusätzlich Kurzpausen in Form von mindestens 8 Minuten innerhalb von 2 Stunden einzulegen. Auch diese Regelung stehe im Gesamtkonzept des Ausgleichs von Belastung aus der Arbeit. Ein Eingreifen der Gerichtsbarkeit in einzelne Komponenten des Tarifvertrages würde das Verhandlungsergebnis der Tarifvertragsparteien so stark verändern, dass dies einen Eingriff in die verfassungsmäßigen Rechte der Tarifvertragsparteien darstellen würde. Es gehe bei der Auslegung des MTV-O nicht allein um die Zuschlagsregelungen, sondern um das Gesamtkonzept aus Geld und Zeitkomponenten.

Ein höherer Zuschlag für "sonstige Nachtarbeit" solle nicht nur der Erschwernis für die Arbeit in der Nacht ausgleichen, sondern darüber hinaus die Einbuße der Dispositionsmöglichkeit über die Freizeit entlohnen und Arbeitgeber von Eingriffen in den geschützten Freizeitbereich der Arbeitnehmer abhalten. Es sei nicht Aufgabe der Arbeitsgerichte, zu prüfen, ob die Tarifvertragsparteien damit die zweckmäßigste, vernünftigste und gerechteste Lösung gefunden hätten. Vorliegend hätten die Tarifvertragsparteien in Ausgestaltung ihrer Tarifautonomie eine sachgerechte Gruppenbildung vorgenommen und in nicht zu beanstandender Weise Differenzierungskriterien aufgestellt, um die verschiedenen Arten der Nachtarbeit angemessen zu behandeln.

Aber selbst bei unterstellter Gleichheitswidrigkeit sei keine "Anpassung nach oben" möglich. Eine tarifliche Regelungslücke könnte nur dann durch die Gerichte geschlossen werden, wenn für diese feststünde, was die Tarifvertragsparteien vereinbart hätten, wenn ihnen die Lückenhaftigkeit des Tarifvertrages bekannt und bewusst gewesen wäre. Die Annahme, die Tarifvertragsparteien hätten einen höheren Zuschlag in Höhe von 60 % zahlen wollen, sei fernliegend und argumentativ nicht begründbar.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, nach § 15 des MTV-O hätten die Tarifvertragsparteien zuvorderst im Wege der Schlichtung von Streitigkeiten, die sich aus der Auslegung des MTV-O ergeben, einen Schlichtungsausschuss anzurufen. Dies deshalb, um die Streitigkeiten der Zahlung von Zuschlägen für Nachtschichtarbeit und Zuschlägen für Nachtarbeit beizulegen, ohne die von dieser Streitfrage betroffenen Arbeitnehmer in das Klageverfahren zu treiben.

Schließlich hat sich die Beklagte unter Hinweis auf die tariflichen Ausschlussfristen auf einen Verfall etwaiger klägerischer Zahlungsansprüche bezogen und bestritten, das für die im vorliegenden Verfahren erhobenen Zahlungsansprüche eine fristgerechte Geltendmachung vorliege. Die Beklagte bestreitet, dass der Kläger in den angegebenen Monaten angeblicher Geltendmachungen die jeweils bezeichneten Stunden in der Nachtschicht gearbeitet hätte. Sie trägt dazu vor, da bei ihr Zuschläge für die geleisteten Nachtschichtstunden nicht in dem Monat abgerechnet und ausgezahlt, in dem die Stunden geleistet wurden, sondern erst im Folgemonat, befänden sich auf den Abrechnungen der einzelnen Monate stets die Zuschläge für die im Vormonat geleisteten Nachtschichtstunden. Sofern der Kläger hier also z. B. eine Vergütung in Höhe von 60 % für August 2019 geltend gemacht habe, sie aber mit Stunden aus der Abrechnung für August 2019 begründe, wahre dies die Ausschlussfrist gemäß § 14 MTV-O nicht und führe zugleich zur Unschlüssigkeit (Unbegründetheit) des geltend gemachten Anspruchs. Die Klage sei zudem unschlüssig, weil der Kläger geleistete Nachtarbeit lediglich mit einer Stundenanzahl pro Monat angebe, jedoch nicht Zeiträume nach Datum und Uhrzeiten benenne.

Das Arbeitsgericht hat die Klage durch Urteil vom 21.10.2020 abgewiesen und zur Begründung angeführt, die zulässige Klage sei unbegründet. Gegen den Antrag zu 1. bestünden keinerlei Zulässigkeitsbedenken, der Antrag zu 2. sei nach Auslegung zulässig, insbesondere hinreichend bestimmt. Es bestehe nach § 15 des MTV-O kein Vorrang des Tarifschiedsgerichts, da dieses nur von den Tarifvertragsparteien angerufen werden könne. Die Klage sei unbegründet, weil sich das klägerische Begehren auf keine Anspruchsgrundlage stützen lasse. Der maßgebliche Tarifvertrag sei weder unwirksam noch abändernd auszulegen und bewirke keine unangemessene Ungleichbehandlung. Ansprüche aus § 6 Abs. 5 ArbZG seien nicht ersichtlich. Damit komme es auf eine Wahrung der Ausschlussfrist nicht mehr an.

Der Kläger hat gegen das ihm am 20.11.2020 zugestellte Urteil am 14.12.2020 Berufung eingelegt und diese mit am 11.01.2021 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz begründet.

Der Kläger weist auf das Gutachten Kothe "Gutachten zur Systematik und Differenzierung tarifvertraglicher Nachtarbeitszuschlagsregelungen" hin und führt an, weder Wortlaut noch Systematik des MTV-O stützten ansatzweise die Auslegung der Beklagten, dass mit dem Zuschlag für "sonstige" Nachtarbeit ein Zuschlag gemeint sei, welcher grundsätzlich für Mehrarbeit, die außerhalb der Schichteinteilung und zusätzlich in der Zeit zwischen 22.00 Uhr und 6.00 Uhr geleistet werde, zu zahlen sei. Die Tarifvertragsparteien hätten das Gleichbehandlungsgebot verletzt und damit die Grenze der Tarifautonomie überschritten. Sie seien bei der Normsetzung von einem biologischen Gewöhnungseffekt bei Nachtschichtarbeitnehmern an Nachtarbeit ausgegangen und hätten damit einem Fehlverständnis über die gesicherten arbeitsmedizinischen Erkenntnisse unterlegen. Damit sei die Grenze ihrer grundrechtlich durch Art. 9 Abs. 3 GG eingeräumten Einschätzungsprärogative überschritten und die gegenständliche Tarifnorm einer Rechtskontrolle durch die Arbeitsgerichte zugänglich. Im Rahmen dieser Rechtsprüfung sei keine Rechtfertigung für die Ungleichbehandlung von Nachtschichtbeschäftigten festzustellen. Als Rechtsfolge sei eine Anpassung nach oben vorzunehmen. Nach heutigen gesicherten arbeitsmedizinischen Erkenntnissen könnten keine Gewöhnungseffekte an die biologische Desynchronisation eintreten. Nacht- und Schichtarbeit wirkten sich zum einen biologisch und zum anderen sozial belastend aus. Kernbegriff sei die Desynchronisation, also das Arbeiten zeitverschoben zur Tagesperiodik. Die soziale Desynchronisation gehe vorliegend eindeutig zu Lasten der Schichtbeschäftigten. Soweit der Tarifvertrag Schichtfreizeiten vorsehe, geschehe dies zum Ausgleich für die Schichtarbeit, nicht für geleistete Nachtarbeit. Zudem könne der Freizeitausgleich, da er nicht zeitnah erfolge, gesundheitliche Belastungen durch Nachtarbeit nicht ausgleichen.

Der Kläger ist der Ansicht, eine fehlende Planbarkeit der "sonstigen Nachtarbeit" könne einen erhöhten Zuschlag nicht begründen, denn dem stehe die Regelung mit § 4 Abs. 1 Ziff. 6 S. 3 des MTV-O entgegen, wonach Nachtarbeit nur zu leisten sei, soweit ihr nicht berechtigte Interessen des Arbeitnehmers entgegenstehen.

Der Kläger beantragt,

1. Auf die Berufung der klagenden Partei wird das Urteil des Arbeitsgerichts Schwerin abgeändert und die Beklagte verurteilt, an die klagende Partei 1.592,49 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der klagenden Partei für in Schichtarbeit oder Wechselschichtarbeit in der Zeit zwischen 22:00 und 06:00 Uhr geleistete Nachtarbeit im Sinne von § 4 II. Ziffer 1 b des Manteltarifvertrages für die Arbeitnehmer der Süßwarenindustrie in der Fassung vom 11.05.1994 in gleicher Höhe zu gewähren, wie für "sonstige Nachtarbeit" im Sinne von § 4 II Ziffer 1b des Manteltarifvertrages.

Die Beklagte beantragt:

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das angegriffene erstinstanzliche Urteil und vertritt weiterhin die Auffassung, die Tarifvertragsparteien des hier einschlägigen Tarifvertrages hätten die ihnen im Rahmen der Tarifautonomie gemäß Art. 9 Abs. 3 GG zuzubilligende Einschätzungsprärogative sachgerecht ausgeübt. Die beiden Gruppen derjenigen Arbeitnehmer, die in Schichten nachts arbeiten und derjenigen Arbeitnehmer, die "sonstige Nachtarbeit" leisteten, seien nicht vergleichbar. Der Leistung der Nachtarbeit innerhalb von Schichten liege die Erkenntnis zugrunde, dass in der modernen Industrie- und Dienstleitungsgesellschaft auf Nachtarbeit nicht vollständig verzichtet werden könne. Demgegenüber bilde die "sonstige Nachtarbeit" eine Ausnahme. Ihre Möglichkeiten, derartige Nachtarbeit anzuordnen, seien wegen der Erforderlichkeit der Zustimmung des Betriebsrates für jeden einzelnen Fall und jeden einzelnen Arbeitnehmer sehr beschränkt.

Die Beklagte trägt vor, die klagende Partei beschränke sich auf einen pauschalen Verweis darauf, dass Nachtarbeit für die Arbeitnehmer belastend sei und eine gesundheitliche Belastung sowohl für diejenigen Arbeitnehmer bestehe, die regelmäßig in Schichten zur Nachtzeit arbeiten, als auch für diejenigen Arbeitnehmer, die nur gelegentlich und unregelmäßig zu Arbeiten in der Nachtzeit herangezogen würden. Zudem thematisiere sie den Streitgegenstand ausschließlich unter dem Maßstab einer Angemessenheit. Soweit sie auf die Richtlinie 2003/88/EG verweise, beziehe sich diese allein auf den Gesundheitsschutz, nicht jedoch darauf, ob und in welcher Form (Freizeit, Geld/Zuschläge) ein Ausgleich für Arbeit in der Nacht und/oder in Schichten durch die Mitgliedsstaaten geregelt werden solle. Erst recht enthalte die Richtlinie keine Vorgaben, welche Regeln Mitgliedsstaaten zum Umfang bzw. zur Höhe solcher Freizeiten oder Zuschläge aufzustellen hätten. Auch der klägerische Hinweis auf das Arbeitszeitgesetz gehe fehl, denn das Arbeitszeitgesetz befasse sich allein mit der Angemessenheit eines Zuschlages. Darum gehe es vorliegend jedoch nicht.

Klägerseits werde nicht hinreichend berücksichtigt, dass Zuschläge für geleistete Nachtarbeit nicht nur zum Ausgleich gesundheitlicher Einschränkungen, sondern auch für die Dispositionsfreiheit über die Freizeit, die auch Teilhabe am sozialen Leben beinhalte, und zur Verteuerung der unregelmäßigen Nachtarbeit gewährt würden. Die Gewährung eines höheren Zuschlags für die außerhalb von Schichten abgerufene unregelmäßige Nachtarbeit solle für die Arbeitgeberseite diese Art der Nachtarbeit stark verteuern und somit so unattraktiv wie möglich machen. Es handele sich damit um ein Steuerungsinstrument, mit welchem die Tarifvertragsparteien die Nachtarbeit außerhalb von Schichten weitestgehend zu vermeiden gesucht hätten. Demgegenüber hätten die Tarifvertragsparteien die Schichtarbeit einschließlich Nachtschichten als eine generell zulässige und existierende Arbeitsform im Rahmen ihrer Einschätzungsprärogative akzeptiert. Sie werde damit nicht als Ausnahme, sondern als regelhaft anerkannt. Der Zweck der vorliegenden tariflichen Regelungen bilde den Unterschied zu den Regelungen, welche den Urteilen des BAG vom 21.03.2018 - Az.10 AZR 34/17- und des LAG Bremen vom 10.04.2019 - 3 Sa 18/12 - zugrunde gelegen hätten.

Soweit klägerseitig darauf verwiesen werde, dass die unregelmäßige Nachtarbeit nur in Betracht komme, wenn "ihr nicht berechtigte Interessen des Arbeitnehmers entgegenstehen", entfalte diese Regelung nur für ganz eng auszulegende Einzelfälle Wirkung, die über das für alle Arbeitnehmer grundsätzlich geltende Interesse, welches der Betriebsrat bereits im Rahmen seiner Mitbestimmung zu berücksichtigen habe, hinausgingen. Es handele sich dabei um das individuelle Interesse des konkret betroffenen Arbeitnehmers.

Sollte die unterschiedlich hohe Zuschlagsregelung jedoch gegen Art. 3 Abs. 2 GG verstoßen, könnte eine Teilnichtigkeit der Zuschlagsregelung des MTV-O allein dazu führen, dass sie - die Beklagte - nach den Regelungen des Arbeitszeitgesetzes einen angemessenen Ausgleich leisten müsse. Die Regelung des § 6 Abs. 5 Arbeitszeitgesetz gewähre jedoch ein Wahlrecht zwischen der Zahlung eines angemessenen Zuschlags oder Gewährung von zusätzlich bezahlten freien Tagen. Sie gewähre damit dem Arbeitgeber ein Wahlrecht, das der gesetzlich in § 262 BGB geregelten Wahlschuld entspreche. Der nur auf Zahlung eines höheren Zuschlags gerichtete klägerische Antrag ignoriere dieses Wahlrecht und sei damit nicht statthaft.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Sitzungsniederschriften sowie das angegriffene arbeitsgerichtliche Urteil verwiesen.

Gründe

I.

Die Berufung ist zulässig.

Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 2 b ArbGG statthafte Berufung ist frist- und formgerecht gemäß § 66 Abs. 1 ArbGG i. V. m. §§ 519, 520 ZPO eingelegt und begründet worden.

II.

Die Berufung hat keinen Erfolg.

A.

Allerdings ist die Klage auch im Hinblick auf den Feststellungsantrag zulässig. Das Arbeitsgericht hat in der angefochtenen Entscheidung zutreffend festgestellt, dass jedenfalls nach der gebotenen Auslegung des Feststellungsantrages das diesbezüglich notwendige Feststellungsinteresse gegeben und der Feststellungsantrag selbst hinreichend bestimmt ist.

Ebenfalls ist dem Arbeitsgericht darin zuzustimmen, dass ein Vorrang der Anrufung des Tarifschiedsgerichts vorliegend nicht besteht, weil nicht die Tarifvertragsparteien streiten, sondern deren Mitglieder.

B.

Das Arbeitsgericht hat die Klage zutreffend abgewiesen, denn die Klage ist unbegründet. Dem Kläger steht für den streitgegenständlichen Zeitraum kein Anspruch auf Zahlung weiterer Nachtzuschläge zu.

1.

Der Kläger hat keinen Anspruch gemäß § 4 II 1 b) des kraft beiderseitiger Tarifbindung (§ 3 Abs. 1 TVG) anwendbaren MTV-O auf Zuschlagszahlung in Höhe von 60 %, denn es kann nicht festgestellt werden, dass der Kläger Arbeit außerhalb von Schichtarbeit und Wechselschichtarbeit, die in die Nachtzeit von 22 bis 6.00 Uhr gefallen ist, also "sonstige Nachtarbeit" innerhalb des geltend gemachten Zeitraumes erbracht hat, für welche ein Zuschlag in Höhe von 60 % vorgesehen ist.

2.

Es besteht auch kein Anspruch für den Kläger gemäß § 6 Abs. 5 Arbeitszeitgesetz (ArbZG). Nach dieser Norm hat ein Arbeitgeber einem Nachtarbeitnehmer zwar für die während der Nachtzeit von 23.00 Uhr bis 6.00 Uhr (§ 2 Abs. 3 ArbZG) geleisteten Arbeitsstunden eine angemessene Zahl bezahlte, freie Tage oder einen angemessenen Zuschlag auf das ihm hierfür zustehende Bruttoarbeitsentgelt zu gewähren. Dies gilt jedoch nur, soweit keine tarifvertraglichen Ausgleichsregelungen bestehen. Vorliegend ist der MTV-O kraft beiderseitiger Tarifbindung auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anwendbar. Dieser sieht gemäß § 4 II 1 b) für die von dem Kläger geleistete Schichtarbeit bzw. Wechselschichtarbeit während der Nachtzeit einen Zuschlag in Höhe von 15 % bzw. 20 % des Bruttoentgelts vor. Zudem weist die Beklagte zutreffend darauf hin, dass der klägerische Antrag ihrem Wahlrecht nicht gerecht wird und der Kläger zu den erforderlichen Voraussetzungen nicht vorgetragen hat. Aus gegebenenfalls in der tariflichen Nachtzeit von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr geleisteten Arbeitsstunden ergibt sich weder vielviele Stunden während der Nachtzeit (§ 2 Abs. 3 Alt.1 ArbZG), in der Zeit von 23.00 Uhr bis 6.00 Uhr, geleistet wurden noch, dass es sich dabei um Nachtarbeit gemäß § 2 Abs. 4 ArbZG gehandelt hat. § 6 Abs. 5 ArbZG vermag folglich keine Anspruchsgrundlage für das klägerische Zahlungsbegehren zu bilden.

3.

Der Kläger kann sich zur Begründung seiner Zahlungsforderung nicht auf den allgemeinen Gleichheitssatz berufen.

Die tariflichen Zuschlagsregelungen verstoßen nicht gegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG).

Die Tarifvertragsparteien sind bei der tariflichen Normsetzung zwar nicht unmittelbar, aber mittelbar grundrechtsgebunden (BAG, Urteil vom 19.12.2019 - 6 AZR 563/18 - Rn. 19, juris). Sie unterliegen auch im Rahmen der ihnen gemäß Art. 9 Abs. 3 GG eingeräumten Tarifautonomie mittelbar der Grundrechtsbindung. Die Schutzfunktion der Grundrechte verpflichtet die Arbeitsgerichte nämlich, Tarifregelungen die Durchsetzung zu verweigern, welche nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG in Einklang stehen. Dabei haben sie jedoch die besondere Sachnähe der Tarifvertragsparteien zu beachten sowie den Umstand, dass sich die Arbeitnehmer durch den Beitritt zu ihrer Koalition bewusst und freiwillig der Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien auch für die Zukunft unterworfen haben. Den Tarifvertragsparteien steht bei ihrer Normsetzung ein weiter Gestaltungsspielraum zu (BAG, Urteil vom 21.12.2017 - 6 AZR 790/16 - Rn. 23, juris; BAG, Urteil vom 26.04.2017 - 10 AZR 856/15 - Rn. 28, juris). Ihnen kommt eine Einschätzungsprärogative zu, soweit die tatsächlichen Gegebenheiten, die betroffenen Interessen und Rechtsfolgen zu beurteilen sind. Sie sind nicht verpflichtet, die jeweils zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung zu wählen (BAG, Urteil vom 19.12.2019 - 6 AZR 563/18 - Rn. 26, juris; BAG, Urteil vom 26.04.2017 - 10 AZR 856/15 - Rn. 28, juris). Dies bedingt im Ergebnis eine deutlich zurückgenommene Prüfungsdichte durch die Gerichte (BAG, Urteil vom 19.12.2019 - 6 AZR 563/18 - Rn. 26, juris).

Aus Art. 3 Abs. 1 GG folgt das Gebot, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (BVerfG, Urteil vom 13.12.2016 - 1 BvR 713/13 - Rn. 18, juris; BAG, Urteil vom 25.01.2018 - 6 AZR 791/16 - Rn. 26, juris).

Dabei ist es grundsätzlich dem Normgeber überlassen, die Merkmale zu bestimmen, nach denen Sachverhalte als hinreichend gleich anzusehen sind, um sie gleich zu regeln. Bei der Überprüfung von Tarifverträgen nach dem allgemeinen Gleichheitssatz ist nicht auf die Einzelfallgerechtigkeit abzustellen, sondern auf die generellen Auswirkungen der Regelungen (BAG, Urteil vom 19.07.2011 - 3 AZR 398/09 - Rn. 25, juris; BAG, Urteil vom 11.12.2013 - 10 AZR 736/12 - Rn. 15, juris). Der Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien ist überschritten, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen den Gruppen keine Unterschiede von solchem Gewicht bestehen, dass sie eine Ungleichbehandlung der normierten Art und Weise rechtfertigen können (BAG, Urteil vom 21.03.2018 - 10 AZR 34/17 - Rn. 44, juris).

Art. 3 Abs. 1 GG untersagt auch einen gleichheitswidrigen Begünstigungsausschluss, mit dem ein Personenkreis begünstigt und ein anderer Personenkreis von der Begünstigung ausgenommen wird. Art. 3 Abs. 1 GG verbietet jedoch nicht jede Differenzierung. Eine solche bedarf allerdings stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Anforderungen an den die Ungleichbehandlung tragenden Sachgrund ergeben sich aus Art. 3 Abs. 1 GG je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Genauere Maßstäbe und Kriterien dafür, unter welchen Voraussetzungen im Einzelfall das Willkürverbot oder das Gebot verhältnismäßiger Gleichbehandlung verletzt ist, lassen sich nicht abstrakt oder allgemein, sondern nur bezogen auf die jeweils betroffenen Sach- und Regelungsbereiche bestimmen. Bei einer personenbezogenen Ungleichbehandlung ist der Gleichheitssatz in der Regel verletzt, wenn eine Gruppe von Regelungsadressaten im Vergleich zu einer anderen Gruppe unterschiedlich behandelt wird, obgleich zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten. Gleiches gilt auch, wenn eine Ungleichbehandlung von Sachverhalten mittelbar eine Ungleichbehandlung von Personengruppen bewirkt. Je weniger die Merkmale, an die eine Differenzierung anknüpft, für den einzelnen verfügbar sind, desto strenger sind die Anforderungen. Bei einer reinen sachbezogenen Ungleichbehandlung sind die Anforderungen an eine Rechtfertigung hingegen geringer (BAG, Urteil vom 19.01.2016 - 9 AZR 564/14 - Rn. 22 ff., juris).

Die Tarifvertragsparteien haben unter § 4 II 1 b) MTV-O unterschiedliche Zuschläge festgelegt für diejenigen Arbeitnehmer, die Nachtarbeit innerhalb von Schichtarbeit und Wechselschichtarbeit leisten, und diejenigen Arbeitnehmer, die "sonstige Nachtarbeit" erbringen.

Für die Frage, welche Gründe eine unterschiedliche Regelung rechtfertigen können, kommt es auf den Zweck der Regelung an. Dieser ergibt sich insbesondere aus den in der tariflichen Regelung selbst normierten Voraussetzungen, die die Tarifvertragsparteien im Rahmen ihres Gestaltungsspielraums festgelegt haben (BAG, Urteil vom 03.07.2019 - 10 AZR 300/18 - Rn. 22, juris).

Welche Zwecke die Tarifvertragsparteien verfolgt haben, ist durch Auslegung des Tarifvertrages zu ermitteln. Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln (BAG, Urteil vom 20.06.2018 - 4 AZR 339/17 - Rn. 19, juris). Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften. Dabei sind der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben noch Zweifel, können weitere Kriterien berücksichtigt werden. Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt (BAG, Urteil vom 11.11.2020 - 4 AZR 210/20 - Rn. 20, juris; BAG, Urteil vom 20.06.2018 - 4 AZR 339/17 - Rn. 19, juris).

Es ist zu berücksichtigen, dass nach der Begriffsbestimmung in § 4 I 1 MTV-O Schichtarbeit die regelmäßige tägliche vereinbarte Arbeitszeit, unabhängig von der zeitlichen Lage, ist. Wechselschicht liegt vor, wenn ein regelmäßiger Wechsel des Schichtbeginns und damit der zeitlichen Lage der Schicht erfolgt und dieser Rhythmus zusammenhängend mindestens eine volle Arbeitswoche dauert. Demgemäß erhalten diejenigen Arbeitnehmer, welche innerhalb der regelmäßigen täglichen vereinbarten Arbeitszeit unabhängig von deren zeitlicher Lage während der Nachtzeit von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr arbeiten, einen Zuschlag in Höhe von 15 %, wenn sie länger als 14 Tage überwiegend in der Nachtzeit arbeiten, in Höhe von 20 %. Jeder, der seine regelmäßige tägliche Arbeitszeit in der Nachtzeit erbringt - gleichgültig, ob in Wechselschicht im Sinne von § 4 Abs. 1 1 MTV-O oder nicht - erhält diesen Zuschlag. Also auch derjenige, der üblicherweise z. B. seine Schichtarbeit während des Tages erbringt, und seine Schicht dann einmal zur Nachtzeit leistet, wie auch derjenige, der üblicherweise in Wechselschicht arbeitet und dessen Schicht in der Nachtzeit liegt, aber auch derjenige, dessen Schichtbeginn wechselt, allerdings nicht den Rhythmus von einer Arbeitswoche erreicht, er deshalb nach der tariflichen Definition nicht in Wechselschicht tätig ist, und zur Nachtzeit seiner regelmäßigen täglichen Arbeitszeit nachkommt. Derjenige, der außerhalb seiner Schicht, also außerhalb seiner regelmäßigen täglichen vereinbarten Arbeitszeit, während der Nachtzeit herangezogen wird, erbringt sodann "sonstige Nachtarbeit". Weil diese außerhalb der regelmäßigen täglichen Arbeitszeit liegt, muss sie Mehrarbeit bilden. Folglich wird bei "sonstiger Nachtarbeit" mit dem Zuschlag von 60 % nicht nur die Nachtarbeit, sondern zudem die gleichzeitig geleistete Mehrarbeit abgegolten.

Damit unterscheidet sich die Zuschlagshöhe danach, ob während der Nachtzeit regelmäßige, tägliche, vereinbarte Arbeitszeit geleistet wird oder nicht, sondern vielmehr Mehrarbeit. Es erscheint fraglich, ob die Gruppe der Arbeitnehmer, die zur Nachtzeit ihre regelmäßige tägliche Arbeitszeit erbringen mit der Gruppe der Arbeitnehmer, die während der Nachtzeit Mehrarbeit leisten, überhaupt vergleichbar ist oder nicht mehr wesentlich Gleiches vorliegt. Beide Gruppen sind lediglich insoweit vergleichbar, dass ihre Arbeitnehmer innerhalb des tariflich definierten Zeitraums Nachtarbeit erbringen und sich damit von Arbeitnehmern, die zu anderen Zeiten arbeiten, unterscheiden. Letztlich rechtfertigen die Unterschiede zwischen beiden Gruppen die durch die Tarifvertragsparteien vorgenommene Regelung unterschiedlicher Zuschlagshöhen. Die vorliegende Ungleichbehandlung knüpft daran an, ob Mehrarbeit erbracht wird oder nicht und trägt damit der Besonderheit Rechnung, dass zusätzliche Arbeitszeit, womöglich sehr kurzfristig abgefordert, geleistet wird. Die Ungleichbehandlung trägt den jeweiligen Besonderheiten Rechnung. Darin liegt bereits ein sachlicher Grund für die Differenzierung, so dass die Tarifvertragsparteien den ihnen zustehenden Spielraum nicht überschritten haben. Insbesondere haben sie die gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse über die menschengerechte Gestaltung der Arbeit nicht verkannt.

Die Tarifvertragsparteien wollten mit dem Zuschlag für Nachtarbeit zum einen die damit verbundenen Erschwernisse ausgleichen. Nachtarbeit ist nach gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen grundsätzlich für jeden Menschen schädlich und hat negative gesundheitliche Auswirkungen. Die Belastung und Beanspruchung der Beschäftigten steigt nach bisherigem Kenntnisstand in der Arbeitsmedizin durch die Anzahl der Nächte pro Monat und die Anzahl der Nächte hintereinander, in denen Nachtarbeit geleistet wird. Die Anzahl der aufeinanderfolgenden Nachtschichten sollte daher möglichst gering sein, auch wenn viele Wechselschichtarbeitnehmer, die in einem Rhythmus von fünf oder mehr hintereinanderliegenden Nachtschichten arbeiten, subjektiv den - objektiv unzutreffenden - Eindruck haben, dass sich ihr Körper der Nachtschicht besser anpasst. Insgesamt ist anerkannt, das Nachtarbeit umso schädlicher ist, in je größerem Umfang sie geleistet wird. Die "Verteuerung" der Nachtarbeit durch Zuschlagsregelungen wirkt sich zwar nicht unmittelbar, aber zumindest mittelbar auf die Gesundheit der Nachtarbeit leistenden Arbeitnehmer aus. Zugleich entschädigt der Zuschlag in gewissem Umfang für die erschwerte Teilhabe am sozialen Leben (BAG, Urteil vom 21.03.2018 - 10 AZR 34/17 - Rn. 49, juris; BAG, Urteil vom 11.12.2013 - 10 AZR 736/12 - Rn. 19, juris). Der Zweck der Zuschläge für Nachtarbeit besteht dementsprechend zum einen darin, mit dieser Nachtarbeit verbundene besondere Erschwernisse, gesundheitliche Beeinträchtigungen und die erschwerte Teilhabe am sozialen Leben angemessen zu kompensieren und zum anderen darin, den Gesundheitsschutz mittelbar durchzusetzen, indem sich die Arbeit in der Nachtzeit verteuert und dem Arbeitgeber damit ein Anreiz geboten wird, soweit wie möglich auf Nachtarbeit zu verzichten (vgl. BAG, Urteil vom 09.12.2015 - 10 AZR 423/14 - Rn. 18, juris; BAG, Urteil vom 25.04.2018 - 5 AZR 25/17 - Rn. 41, juris; BAG, Urteil vom 21.03.2018 - 10 AZR 34/17 - Rn. 49, juris).

Die Auslegung des hier maßgeblichen MTV-O ergibt, dass mit dem Zuschlag für "sonstige Nachtarbeit" weitere Zwecke verfolgt werden als mit dem Zuschlag, der für Schicht- bzw. Wechselschichtarbeit in der Nachtzeit vorgesehen ist. Der Zweck der Höhe des Zuschlags für "sonstige Nachtarbeit" liegt zudem darin, verrichtete Mehrarbeit zu honorieren und durch die Verteuerung den Arbeitgeber dazu anzuhalten, Nachtarbeit, die gleichzeitig Mehrarbeit bildet, möglichst zu vermeiden, einen besondere Ausgleich der Belastungen, die durch eine unregelmäßige, ungeplante und kurzfristige Heranziehung zur "sonstigen Nachtarbeit" entstehen, zu schaffen, einen besonderen Anreiz bzw. eine besondere Belohnung für die Arbeitnehmer zu bieten, die außerhalb ihrer regulären Arbeitszeit u.U. nur für kürzere Zeiträume als eine Schichtdauer zur Nachtarbeit herangezogen werden.

Dass die Tarifvertragsparteien mit der Höhe des Zuschlages für "sonstige Nachtarbeit" diese Zwecke verfolgen, unterscheidet den vorliegenden Fall von demjenigen Sachverhalt, der dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 21.03.2018 - 10 AZR 34/17 - zu Grunde lag und folgt aus der Auslegung des Tarifvertrages, wird durch die tariflichen Regelungen selbst ausgedrückt, belegt aber auch die Tarifhistorie.

Dass die sonstige Nachtarbeit mit Mehrarbeit verbunden ist, ergibt sich aus der tariflichen Definition der Schichtarbeit. Dabei handelt es sich um die regelmäßige tägliche vereinbarte Arbeitszeit, unabhängig von der zeitlichen Lage. Jegliche Arbeitsleistung, die darüber hinaus geht ist jedoch Mehrarbeit (LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 04.11.2020 - 7 Sa 69/20 - Rn. 110, juris; LAG Düsseldorf, Urteil vom 31.07.2020 - 6 Sa 49/20 - Rn. 192 ff., juris). Die Tarifvertragsparteien haben Mehrarbeitszuschläge allein für die Tageszeit von 06:00 Uhr bis 22:00 Uhr festgelegt. Indem sie dies für die Nachtzeit unterließen, ist zu schließen, dass sie davon ausgingen, dass Mehrarbeit während der Nachtzeit durch einen anderen Zuschlag nämlich denjenigen für "sonstige Nachtarbeit" ausgeglichen wird. Es kann insbesondere unter Beachtung von Artikel 3 Abs. 1 GG nicht davon ausgegangen werden, dass die Tarifvertragsparteien in der Nachtzeit geleistete Mehrarbeit nicht zusätzlich vergüten wollten.

Die Tarifvertragsparteien haben in ihren Regelungen zum Ausdruck gebracht, dass "sonstige Nachtarbeit" weitestgehend zu vermeiden ist. Demgegenüber sind sie davon ausgegangen, dass Nachtarbeit während der Erbringung der Schichtarbeit bzw. Wechselschichtarbeit üblich ist und regelmäßig anfällt, insoweit nicht vermeidbar ist, sondern wirtschaftlichen Zwängen unterliegt. Sie ermöglicht eine Produktion rund um die Uhr, um eine umfassende Auslastung der technischen Anlagen zu erreichen und der Rentabilität des Unternehmens zu dienen. Indem die Tarifvertragsparteien Schichtarbeit, also die regelmäßige tägliche Arbeitszeit, auch während der Nachtzeit vorsehen, legen sie fest, dem Gedanken der Wirtschaftlichkeit nachkommen zu wollen. Es entspricht dem Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien und ihrer Einschätzungsprärogative, wenn sie in Verfolgung des Präventionszweckes den Zuschlag für gelegentlich in der Nacht anfallende Arbeitsleistung in Mehrarbeit deutlich anheben, um die Arbeitgeber von der Anordnung derartiger Nachtarbeit abzuhalten, den Zuschlag jedoch geringer zu halten, wo die Nachtarbeit wegen der besseren Auslastung der Maschinen regelmäßig erforderlich erscheint und sie innerhalb der Schicht als notwendig erachtet wird.

Zudem beeinträchtigt die Anordnung von Mehrarbeit die Dispositionsmöglichkeit der Arbeitnehmer über ihre Freizeit im besonderen Maße. Diese Einbuße auszugleichen rechtfertigt es, die Zuschlagshöhe adäquat anzusetzen.

Die Tarifvertragsparteien haben die Unterschiede in der Zuschlagshöhe anhand der Differenzierungsgründe sachlich ausgerichtet. Die Addition der tariflichen Zuschläge für Mehrarbeit und Nachtarbeit kann zu dem Wert 40 v. H. bzw. 45 v. H. (25 v. H. + 15/20 v. H.) führen, ab der dritten Mehrarbeitsstunde zu 55 v. H. bzw. 60 v. H. (40 v. H. + 15 v. H.) und erreicht damit nur im günstigsten Fall 60 v. H.. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien den Zuschlag für "sonstige Nachtarbeit" in Höhe von 60 v. H. gewählt haben, um die sonstige Nachtarbeit, die mit Mehrarbeit verbunden ist, so unattraktiv zu gestalten wie nur möglich. Bereits in § 4 I 2 und 6 MTV-O haben die Tarifvertragsparteien ausgedrückt, dass Mehrarbeit und Nachtarbeit - außer bei üblicher Schichtarbeit erbrachte Nachtarbeit - nach Möglichkeit zu vermeiden sind. So soll Mehrarbeit z. B. durch zusätzliche Einstellung von Arbeitnehmern oder durch Einlegung von Schichten nach Maßgabe der betrieblichen und betriebstechnischen Möglichkeiten entgegengesteuert werden. Nur wenn die Mehrarbeit unvermeidlich ist, soll sie nach Verständigung mit dem Betriebsrat möglich sein. Gleiches gilt für Nachtarbeit welche - außer bei üblicher Schichtarbeit - im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen nur vorübergehend in Fällen einer dringenden betrieblichen Notwendigkeit im Einverständnis mit dem Betriebsrat als zulässig erachtet wird. In beiden Fällen dürfen berechtigte Interessen der Arbeitnehmer nicht entgegenstehen. Damit haben die Tarifvertragsparteien dem Umstand Rechnung getragen, dass die Leistung von Mehrarbeit mit besonderen gesundheitlichen Belastungen verbunden ist und die Dispositionsmöglichkeiten der Freizeit einschränkt. Sie haben ausgedrückt, dass die "sonstige Nachtarbeit" im absoluten Ausnahmefall in Betracht kommen soll, der Arbeitgeber durch die Zuschlagshöhe und damit verbundene Verteuerung davon abgehalten werden soll, die Arbeitsleistung in Form der Mehrarbeit zur Nachtzeit abzufordern. Ihre Anordnung erfordert nicht nur die Berücksichtigung der Arbeitnehmerinteressen durch Beteiligung des Betriebsrats, sondern es sind auch die individuellen Interessen des einzelnen betroffenen Arbeitnehmers einzubeziehen. Gleichzeitig soll die Bereitschaft der Arbeitnehmer zur Erbringung der "sonstigen Nachtarbeit", da sie nicht vermeidbar ist, gefördert werden, derartige Arbeit zu erbringen, wo sie ausnahmsweise erforderlich ist. Es kann deshalb dahinstehen, ob andere Leistungen wie z.B. Schichtfreizeiten bei der Höhe des Zuschlages zu beachten sind. Vorgenannte Zwecke rechtfertigen es bereits, für die "sonstige Nachtarbeit" einen Zuschlag in Höhe von 60 % vorzusehen.

Diese Auslegung wird durch die Tarifhistorie gestützt. Während im BMTV Süßwaren 1979 für Mehrarbeit, die in die Nachtzeit von 20:00 Uhr bis 06:00 Uhr fällt, noch ein Zuschlag von 60 v. H. vorgesehen war, ist dieser Zuschlag nach den im Juni 1983 geführten Tarifverhandlungen entfallen. In dem Protokoll zu diesen Verhandlungen vom 10. Mai 1983 ist unter anderem das Ziel der Arbeitgeber festgehalten, eine Verschiebung des Beginns der Nachtzeit von 20:00 Uhr auf 22:00 Uhr zu erreichen und die NGG dieser Forderung im Prinzip zustimmt, als Zugeständnis jedoch eine Anhebung des Urlaubsgeldes in 1984 um 2,00 DM und die Übertragung des derzeitigen 60 Prozent Zuschlags, der für Mehrarbeit in der Nachtzeit vorgesehen ist, auf die "sonstige Nachtarbeit" fordert. Als vorläufiges Verhandlungsergebnis ist sodann die Verschiebung des Beginns der Nachtzeit von 20:00 Uhr auf 22:00 Uhr festgehalten sowie, dass der Zuschlag für Mehrarbeit in der Nachtzeit in Höhe von 60 Prozent als Zuschlag für "sonstige Nachtarbeit" übernommen wird. Die Klägerin ist dem Inhalt dieses auch von Mitgliedern des Hauptvorstandes der NGG unterzeichneten Protokolls nicht entgegengetreten. Es ist deshalb davon auszugehen, dass dieses Protokoll das vorläufige Verhandlungsergebnis zutreffend darstellt. Dementsprechend hat der Bundesverband der Deutschen Süßwarenindustrie e. V. seine Mitglieder durch Rundschreiben Nr. 13/83 vom 29. Juni 1983 über das Verhandlungsergebnis unter anderem informiert, dass eine Verschiebung des Beginns der Nachtzeit von 20:00 Uhr auf 22:00 Uhr vorgesehen ist sowie eine Neuordnung der Zuschläge, dass der 25 Prozent-Zuschlag für Mehrarbeit nunmehr bis 22:00 Uhr zum Ansatz komme und der sehr viel höhere Zuschlag von 60 Prozent erst ab 22:00 Uhr zu zahlen sei, bisher als Zuschlag für "Mehrarbeit, die in Nachtzeit von 20:00 Uhr bis 06:00 Uhr fällt" ausgewiesen, künftig "für sonstige Nachtarbeit". Ein ausdrücklicher Zuschlag für Mehrarbeit ist sodann nur noch für die Tageszeit von 06:00 Uhr bis 22:00 Uhr festgelegt. Ein Mehrarbeitszuschlag für die Nachtzeit ist nicht mehr normiert. Für die "sonstige Nachtarbeit" ist sodann erstmalig der Zuschlag in Höhe von 60 Prozent vorgesehen. Zusammen damit ist erstmalig eine Definition der Schichtarbeit erfolgt als regelmäßige tägliche vereinbarte Arbeitszeit, unabhängig von der zeitlichen Lage. Dies ist in der Arbeitgeberinformation dahingehend erläutert, dass es sich dabei um die individuelle Arbeitszeit eines jeden einzelnen Arbeitnehmers handelt. Die Arbeitgeber haben gleichzeitig mitgeteilt, dass die Neuordnung der Zuschläge sich dahingehend auswirke, dass bei Mehrarbeit in der Nacht nicht mehr die Mehrarbeit dotiert werde, sondern allein ein Nachtarbeitszuschlag (wie bisher in Höhe von 60 Prozent) zu zahlen sei, der nunmehr im vollen Umfang steuerfrei sei.

Es lag für die Tarifvertragsparteien auch nahe, Mehrarbeits- und Nachtarbeitszuschlag für "sonstige Nachtarbeit" zusammenzufassen, denn gemäß § 4 II 2 MTV-O ist bei einem Zusammentreffen mehrerer Zuschläge nur ein Zuschlag, und zwar der jeweils höchste, zu zahlen. Nach dem Tarifvertrag 1979 war für Nachtarbeit, die gleichzeitig Mehrarbeit bildete, lediglich ein Mehrarbeitszuschlag i.H.v. 60 % vorgesehen, kein Nachtzuschlag. Dieses ist dann in den neu verhandelten tariflichen Regelungen den Vorstellungen der NGG entsprechend umgekehrt worden. Nunmehr ist kein Mehrarbeitszuschlag für die Nachtzeit mehr vorgesehen, sondern allein der Zuschlag für sonstige Nachtarbeit.

Die Regelungen im MTV-O spiegeln dieses Ergebnis ebenfalls wieder, indem die selben Regelungen aufgenommen wurden, wie sie seinerzeit zum BMTV im Jahre 1983 zur Verhandlung standen und die Tarifvertragsparteien somit einen Mehrarbeitszuschlag allein für die Tageszeit von 06:00 Uhr bis 20:00 Uhr vorsehen und ansonsten nur Zuschläge für die Nachtarbeit geregelt haben.

4.

Der Kläger kann sich auch nicht auf die Richtlinie 2003/88/EG berufen. Diese benennt zwar die Gesundheitsgefährdung durch Nachtarbeit, verpflichtet die Mitgliedstaaten aber nicht ausdrücklich dazu, einen finanziellen Ausgleich vorzunehmen (BAG, Urteil vom 09.12.2015 - 10 AZR 423/14 - Rn. 41, juris) und enthält keine konkreten Vorgaben zu der Höhe einer Entschädigung in Geld oder eines finanziellen Ausgleichs für Nachtarbeiter (BAG, Urteil vom 15.07.2020 - 10 AZR 123/19 - Rn. 53, juris).

5.

Da ein Zahlungsanspruch bereits dem Grunde nach nicht besteht, kommt es nicht mehr darauf an, ob tarifliche Ausschlussfristen gewahrt wurden.

III.

Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.

Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ArbGG zuzulassen.

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