LG Hamburg, Urteil vom 14.02.2020 - 306 O 231/18
Fundstelle
openJur 2021, 26986
  • Rkr:
Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 6.026,10 sowie an die D. A. GmbH, ..., zur Rechnungsnummer ..., € 884,49 zu zahlen, jeweils zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.01.2018.

2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von € 650,34 freizuhalten.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert wird auf € 7.159,49 festgesetzt.

Tatbestand

Der Kläger begehrt von den Beklagten die Zahlung von Schadensersatz aufgrund eines Verkehrsunfalls am 28.12.2017.

Zum damaligen Zeitpunkt war der Kläger Eigentümer des Fahrzeugs Opel Astra, amtl. Kennzeichen... . Bei der Beklagten bestand eine Haftpflichtversicherung für das Fahrzeug Peugeot Boxer, amtl. Kennzeichen .....

Am 28.12.2017 informierte ein Herr A. die Polizei, dass es in der H. Straße in H. zu einem Verkehrsunfall gekommen sein soll, bei dem unter anderem auch sein Fahrzeug beschädigt worden sein soll. Die vor Ort eintreffenden Polizeibeamten stellten fest, dass das bei der Beklagten haftpflichtversicherte Fahrzeug Peugeot Boxer dort neben dem dort geparkten Fahrzeug des Klägers unverschlossen auf der Fahrbahn mit laufender Zündung/Lüftung stand. Im Zündschloss steckte ein Metallgegenstand. Das Fahrzeuginnere wies einen unordentlichen und dreckigen Zustand auf. An dem Fahrzeug war eine gefälschte HU-Plakette angebracht. Auch die Stempel in der Zulassungsbescheinigung Teil I des Versicherungsnehmers der Beklagten war gefälscht. Sowohl das Fahrzeug des Klägers als auch das hinter dem Fahrzeug des Klägers parkendes Fahrzeug des Herrn A. wiesen erhebliche Schäden auf, die auf einen Kontakt mit dem bei der Beklagten haftpflichtversicherten Fahrzeug zurück zuführen sein sollen.

Zur Feststellung der Schadenshöhe holte der Kläger ein Gutachten der D. A. GmbH ein. Für dieses Gutachten wurden ihm € 884,49 berechnet. Ausweislich des Gutachtens lag an dem Fahrzeug des Klägers ein wirtschaftlicher Totalschaden vor. Den Wiederbeschaffungswert ermittelte die D. mit € 10.000,00 (differenzbesteuert) und den Restwert mit € 3.750,00 (brutto).

Der Kläger beansprucht von der Beklagten die Zahlung des Wiederbeschaffungsaufwandes, den er mit € 6.250,00 beziffert, sowie eine Kostenpauschale von € 20,00. Ferner beansprucht er die Zahlung der Sachverständigenkosten und die Freihaltung von den Kosten für die außergerichtliche Tätigkeit seiner Prozessbevollmächtigten. Die Beklagte verweigerte eine Schadensregulierung.

Der Kläger behauptet, er habe sein Fahrzeug am 28.12.2017 in der H.Straße geparkt, sei in ein nahe gelegenes Café gegangen und habe anschließend noch einen Döner gekauft. Als er nach drei Stunden wieder zu seinem Fahrzeug gekommen sei, habe er die Unfallsituation vorgefunden. Sowohl die Polizei als auch der Herr A., den er nicht kenne, seien schon vor Ort gewesen.

Der Kläger beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag in Höhe von € 6.275,00 sowie an die D. einen Betrag in Höhe von € 884,49 zu zahlen, jeweils zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.01.2018.

2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger von vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von € 729,23 freizuhalten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte bestreitet, dass dem Geschehen ein unfreiwilliges Ereignis zugrunde liegen würde. Sie behauptet, dass es sich um einen manipulierten Unfall nach dem sogenannten "Berliner Modell" gehandelt habe, wobei auch der eigene Versicherungsnehmer an dem Ereignis mitgewirkt habe. Hierfür sprächen zahlreiche Indizien. Bei dem bei ihr versicherten Fahrzeug habe es sich um ein schrottreifes Fahrzeug gehandelt, das überhaupt kein lohnendes Diebstahlobjekt gewesen sei, und das auch nur wenige Meter entfernt vom angeblichen Unfallort abgestellt gewesen sein soll. Es sei unplausibel, dass der vermeintliche Dieb vom angeblichen Abstellort des gestohlenen Fahrzeugs durch die H.Straße gefahren sei, anstatt sich mit dem Fahrzeug zu entfernen. Dass das angeblich gestohlene Fahrzeug dann neben den vermeintlich unfreiwillig beschädigten Fahrzeugen abgestellt worden sei, sei bezeichnend für das "Berliner Modell", damit eine einfache Zuordnung der Schäden stattfinden und die Haftpflichtversicherung schnell ermittelt werden könne. Der zweite "Geschädigte" sei im Übrigen unredlich, da er gegenüber der Beklagten Vorschäden verschwiegen habe. Auch das Fahrzeug des Klägers habe einen unreparierten Altschaden aufgewiesen, wenngleich auf der rechten Seite. Es könnten auch Gemeinsamkeiten bei den Anspruchstellern festgestellt werden, sie nicht 7.2 km voneinander entfernt lebten, sie gehörten zudem demselben Kulturkreis wie der Versicherungsnehmer der Beklagten an. An beiden Fahrzeugen sei zudem ein Totalschaden eingetreten. Der Versicherungsnehmer habe sich zudem gegenüber der Polizei merkwürdig verhalten.

Das Gericht hat die Ermittlungsakte ... beigezogen, den Kläger persönlich angehört und ein schriftliches unfallanalytisches Sachverständigengutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. S. eingeholt. Die Parteien haben nach Eingang des Sachverständigengutachtens einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO zugestimmt.

Wegen des weiteren Vortrags der Parteien wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen.

Gründe

Die Klage ist überwiegend begründet. Der Kläger hat gegenüber der Beklagten gemäß §§ 7, 17, 18 StVG, 823 BGB, 115 VVG dem Grunde nach einen Anspruch auf Ersatz des Schadens, der ihm bei dem streitgegenständlichen Ereignis am 28.12.2017 entstanden ist.

Es ist zwischen den Parteien unstreitig, dass der Schaden im linken Seitenbereich des geparkten Fahrzeugs des Klägers durch das bei der Beklagten haftpflichtversicherte Fahrzeug verursacht worden ist. Hieraus folgt eine entsprechende Haftung der Beklagten als Haftpflichtversicherung gemäß 115 VVG. Hinreichende Indizien, dass der Kläger in die Beschädigung seines Fahrzeugs eingewilligt hätte, oder dass dem Geschehen ein manipuliertes Unfallereignis zugrunde liegen würde, bei dem gegebenenfalls auch der Versicherungsnehmer der Beklagten mitgewirkt hätte, liegen im konkreten Fall bei einer Gesamtschau aller Umstände nicht vor.

Das Gericht verkennt nicht, dass es sich bei dem von der Polizei vorgefundenen Bild an der Unfallstelle um ein solches handelt, dass auf den ersten Blick auf ein gestelltes Ereignis nach dem sogenannten "Berliner Modell" hindeutet. Denn das bei der Beklagten haftpflichtversicherte Fahrzeug, das ausweislich der Lichtbilder in der Ermittlungsakte in einem sehr schlechten Erhaltungszustand gewesen ist, war augenscheinlich kurzgeschlossen worden und unmittelbar an der Unfallstelle verblieben. Doch auch wenn - nach dem Vortrag der Beklagten - durch das Schadensereignis ein Vorschaden an dem Fahrzeug des anderweitigen Anspruchstellers A. überdeckt worden ist, liegen keine hinreichenden Anhaltspunkte vor, aufgrund derer auf eine Mitwirkung des hiesigen Klägers an dem Ereignis geschlossen werden kann. Dessen Fahrzeug war zum Unfallzeitpunkt ausweislich des Schadensgutachtens der D. (Anlage K 1) erst 4 1/2 Jahre alt und wies eine Laufleistung von 96.696 km auf. Es handelt sich auch nicht etwa um ein Fahrzeug der Oberklasse, bei dem in der Regel besonders hohe Reparaturkosten kalkuliert werden, sondern um ein Fahrzeug aus der sogenannten "Kompaktklasse". Zudem weist das Schadensbild an dem Fahrzeug des Klägers, das auf den Lichtbildern des Schadensgutachtens zu sehen ist, einen ganz erheblichen Umfang auf. Es handelt sich hier nicht um einen einfachen Streifschaden, der durch eine kostengünstige Reparatur mittels Ausbeulen, Spachtelmasse und Lack zu reparieren ist, und bei dem im Rahmen der fiktiven Abrechnung eine hohe "Gewinnmarge" zu erwarten wäre.

Nach dem Gutachten des Sachverständigen Dipl-Ing. S. lässt sich zudem nicht feststellen, dass die Kollision mit dem Fahrzeug des Klägers durch den Führer des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs zumindest bedingt vorsätzlich herbeigeführt worden wäre. Zwar hat der Sachverständige nach gründlicher Auswertung der Örtlichkeiten sowie der Beschädigungen und der Unfallendstellung der beteiligten Fahrzeuge herausgearbeitet, dass im vorliegenden Fall eine Erstkollision mit dem hinter dem Fahrzeug des Klägers geparkten Fahrzeug des Herrn A. stattgefunden hat, der ein gebremster Anprall ohne Anzeichen einer Gefahrenabwehr durch eine Lenkung nach links zugrunde gelegen hat. Doch selbst wenn insoweit möglicherweise diese Erstkollision durch den Fahrer des bei der Beklagten haftpflichtversicherten Fahrzeugs vorsätzlich herbeigeführt worden sein sollte, spricht dieses nicht zwingend für einen Vorsatz bezüglich der Zweitkollision. Denn nach den Feststellungen des Sachverständigen hat die Untergrenze der Anstoßgeschwindigkeit bei etwa 25 km/h gelegen, möglicherweise lag die Annäherungsgeschwindigkeit bei Annahme einer Bremsverzögerung sogar noch deutlich höher. Das lässt es zumindest nicht ausgeschlossen erscheinen, dass sich im Falle einer vorsätzlichen Herbeiführung der Erstkollision der mögliche Täter bei der Geschwindigkeit schlichtweg verschätzt haben könnte und die nachfolgende Zweitkollision nicht mehr von einem Schädigungsvorsatz umfasst gewesen ist.

Allein die Tatsache, dass hier alle Beteiligten "aus demselben Kulturkreis" stammen, lässt keinen Rückschluss auf eine gemeinsame Absprache bzw. einen entsprechenden Tatplan zu, bei dem auch das Fahrzeug des Klägers beschädigt werden sollte.

Soweit die Beklagte als weiteres mögliches Indiz für ein manipuliertes Unfallgeschehen das von den Polizeibeamten beschriebene merkwürdige Verhalten ihres Versicherungsnehmers anführt, lässt sich dieses Verhalten im konkreten Fall zwanglos durch die gefälschte HU-Plakette und die entsprechende Eintragung in der Zulassungsbescheinigung Teil I erklären. Es liegt auf der Hand, dass der Versicherungsnehmer der Beklagten hiervon Kenntnis gehabt haben muss. Die entsprechenden Fälschungen sprechen im Übrigen auch gegen eine angebliche Beteiligung des Versicherungsnehmers der Beklagten an einem manipulierten Unfallgeschehen. Denn es war schließlich für den unbekannten Täter zu erwarten gewesen, dass im Zuge der polizeilichen Untersuchungen und Ermittlungen nach einem angeblichen Fahrzeugdiebstahl und dem unerlaubten Entfernen vom Unfallort eine genauere Prüfung des den Unfall verursachenden Fahrzeugs erfolgen würde.

Der Höhe nach ist der Anspruch des Klägers, der fiktiv auf Totalschadensbasis abrechnet, gemäß §§ 249 ff. BGB auf den Wiederbeschaffungsaufwand begrenzt. Bei der Berechnung ist der Nettowiederbeschaffungswert in Höhe von € 9.756,10 zugrunde zu legen. Hiervon ist als Restwert der Betrag abzuziehen, den der Kläger im Falle einer Veräußerung des Fahrzeugs bekommen würde. Dieser beläuft sich auf € 3.750,00. Die entsprechenden Restwertgebote, die dem Gutachten des Klägers (Anlage K 1) zugrunde liegen, können nach Ansicht des Gerichts nur so verstanden werden, dass die dort genannten Aufkäufer bereit sind, € 3.750,00 an den Kläger für das Fahrzeug zu bezahlen. Insofern kann hier bei dem fiktiven Erlös des Klägers nicht zwischen Brutto- und Nettowerten unterschieden werden.

Dem Kläger steht damit ein Betrag in Höhe von € 6.006,10 zu sowie die Zahlung einer Kostenpauschale von € 20,00. Darüber hinaus kann er die Zahlung der Kosten für das Sachverständigengutachten in Höhe von € 884,49 beanspruchen.

Ferner hat der Kläger einen Anspruch auf Freihaltung von den Kosten für die außergerichtliche Tätigkeit seiner Prozessbevollmächtigten in Höhe von € 650,34. Diese errechnen sich auf der Grundlage der begründeten Hauptforderung, mithin nach einem Gegenstandswert von bis zu € 7.000,00. Da hier ein durchschnittlicher Schwierigkeitsgrad vorgelegen hat, ist bei der Berechnung eine 1,3fache Geschäftsgebühr (= € 526,50) zuzüglich der Pauschale für Post- und Telekommunikation (= € 20,00) zuzüglich Mehrwertsteuer anzusetzen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 Ziff. 1 ZPO und die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.

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