OLG Hamm, Urteil vom 30.06.2021 - 20 U 152/20
Fundstelle
openJur 2021, 26944
  • Rkr:
Verfahrensgang
Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das am 22.07.2020 verkündete Urteil der 10. Zivilkammer des Landgerichts Hagen unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist, soweit der Kläger die Feststellung begehrt hat, dass folgende Erhöhungen des Monatsbeitrags in der zwischen dem Kläger und der Beklagten bestehenden Krankenversicherung mit der Versicherungsnummer 01 unwirksam sind:

a) in der Krankheitskostenversicherung im Tarif "A" die Erhöhung zum 01.01.2016 um 146,27 € und

b) in der Krankheitskostenversicherung im Tarif "B" die Erhöhung zum 01.01.2015 um 2,19 €.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.344,56 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27.09.2019 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte der Klägerseite zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet ist, die sie aus dem Prämienanteil gezogen hat, den die Klägerseite auf die Beitragsanpassungen zum 01.01.2015 und zum 01.01.2016 gezahlt hat, jedoch nur für den Zeitraum vom 01.01.2016 bis einschließlich zum 26.09.2019.

Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.212,61 € freizustellen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz tragen der Kläger 32 % und die Beklagte 68 %. Die Kosten des Rechtsstreits in zweiter Instanz haben der Kläger zu 60 % und die Beklagte zu 40 % zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

Für den Kläger besteht bei der Beklagten eine Krankheitskostenversicherung mit den Tarifen A, C, B und D. Daneben war er im Tarif E bei der Beklagten pflegepflichtversichert.

Mit seiner Klage wendet sich der Kläger gegen die Wirksamkeit verschiedener von der Beklagten vorgenommener Prämienanpassungen in der Krankheitskostenversicherung.

Zum 01.01.2012 erhöhte die Beklagte die Prämie im Tarif A um einen Betrag von 47,81 € sowie im Tarif C um einen Betrag von 7,67 €. Zuvor hatte sie dem Kläger im November des vorangegangenen Jahres eine Begründung für die Beitragsanpassung übersandt, wegen deren genauen Wortlauts auf die Anlage KGR 1 (Bl. 34 der elektronischen Gerichtsakte erster Instanz, im Folgenden eGA-I und für die zweite Instanz eGA-II) verwiesen wird.

Im Tarif C erfolgte zum 01.01.2013 eine weitere Erhöhung um 1,91 €. Auch hier hatte die Beklagte dem Kläger im November 2012 eine Begründung übersandt; wegen des Wortlauts des Begründungsschreibens wird verwiesen auf die Anlage KGR 2 (eGA-I 27).

Zum 01.01.2015 erhöhte die Beklagte den Beitrag im Tarif B um 2,19 €. Wegen der genauen Fassung der dem Kläger auch hier zuvor übersandten Begründung wird verwiesen auf die Anlage BLD 22 (eGA-II 163).

Mit Wirkung zum 01.01.2016 wurde der Beitrag im Tarif A um 146,27 € erhöht. Die dem Kläger zuvor übersandte Begründung hatte den aus der Anlage KGR 4 (eGA-I 44) ersichtlichen Inhalt.

Schließlich erfolgte eine Anpassung der Prämie im Tarif D zum 01.01.2017, nämlich eine Erhöhung um 12,76 €.

Mit seiner am 26.09.2019 zugestellten Klage hat der Kläger zunächst die Rückzahlung angeblich überzahlter Prämien bis Ende 2018, die Feststellung der Unwirksamkeit der angegriffenen Prämienerhöhungen sowie schließlich den Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten begehrt. Nach Eingang der Klageerwiderung hat er - wegen einer von ihm angenommenen Heilung der behaupteten Begründungsmängel - den Feststellungsantrag für erledigt erklärt. Die Beklagte hat sich der Teilerledigungserklärung nicht angeschlossen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.

Zur Begründung hat es ausgeführt, die Begründungen der Beklagten für die Prämienerhöhungen genügten den Anforderungen des § 203 Abs. 5 VVG.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes in erster Instanz, der Anträge, des Tenors und der Begründung des Urteils wird auf dieses Bezug genommen (eGA-I 631 ff.).

Gegen die Klageabweisung wendet sich der Kläger mit seiner Berufung.

Er hat in seiner Berufungsbegründung erklärt, die erstinstanzliche Erledigungserklärung wegen des Feststellungsantrages zu "widerrufen". Dazu hat er vorgetragen, die Prämienanpassungen nunmehr auch in materiellrechtlicher Hinsicht anzugreifen. Ferner hat er die Klage erweitert und begehrt zusätzlich die Feststellung, dass die Beklagte auch zur Herausgabe von Nutzungen verpflichtet sei.

Ursprünglich (eGA-II 42) hat der Kläger in der Berufungsinstanz den anfänglich erstinstanzlich in der Klageschrift unter Nr. 1) angekündigten Feststellungsantrag gestellt sowie ferner die Verurteilung der Beklagte zur Zahlung von 10.683,24 € nebst Rechtshängigkeitszinsen und zur Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten begehrt. Schließlich hat er die Feststellung verlangt, dass die Beklagte verpflichtet sei, an den Kläger Nutzungen herauszugeben, die sie aus dem Prämienanteil gezogen hat, den die Klägerseite auf die im Feststellungsantrag zu 1) aufgeführten Beitragserhöhungen gezahlt hat, und dass die Beklagte ferner verpflichtet sei, auf diese Nutzungen Rechtshängigkeitszinsen zu zahlen.

Auf einen Hinweis des Senats (eGA-II 142) hin hat der Kläger mit Schriftsatz vom 11.05.2021 (eGA-II 181 ff.) den Angriff gegen die materielle Rechtmäßigkeit der Prämienerhöhungen zurückgezogen und hinsichtlich des ursprünglichen Feststellungsantrages zu 1) wiederum die Feststellung begehrt, dass dieser Antrag anfänglich zulässig und begründet gewesen sei. Den Angriff gegen die Ordnungsgemäßheit der Begründung hinsichtlich der Prämienanpassung zum 01.01.2017 im Tarif D hat er jedoch fallen gelassen und die Berufung insoweit zurückgenommen. Ebenfalls teilweise zurückgenommen hat er die Berufung wegen des Zahlungsantrages, den er auf noch 10.027,32 € beziffert hat.

Mit weiterem Schriftsatz vom 07.06.2021 hat er die Berufung wiederum teilweise zurückgenommen und den Zahlungsantrag auf 7.374,36 € reduziert. Er macht nunmehr mit diesem Zahlungsantrag nur noch die angeblich überzahlten Beträge in den Tarifen A, B und C für den Zeitraum ab dem 01.01.2016 geltend.

Der Kläger beantragt nunmehr in Abänderung des landgerichtlichen Urteils,

1.

Es wird festgestellt, dass der folgende Feststellungantrag ursprünglich zulässig und begründet war:

Es wird festgestellt, dass folgende Erhöhungen des Monatsbeitrags in der zwischen dem Kläger und der Beklagten bestehenden Krankenversicherung mit der Versicherungsnummer 01 unwirksam sind:

a) in der Krankheitskostenversicherung im Tarif "A" die Erhöhung zum 01.01.2012 um 47,81 € und zum 01.01.2016 um 146,27 €,

b) in der Krankheitskostenversicherung im Tarif "B" die Erhöhung zum 01.01.2015 um 2,19 €,

c) in der Krankheitskostenversicherung im Tarif "C" die Erhöhung zum 01.01.2012 um 7,67 € und zum 01.01.2013 um 1,91 €.

2.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 7.374,36 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

3.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte

a) der Klägerseite zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet ist, die sie aus dem Prämienanteil gezogen hat, den die Klägerseite auf die unter 1) aufgeführten Beitragserhöhungen gezahlt hat,

b) die nach 3a) herauszugebenden Nutzungen in Höhe von fünf Pro- zentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu verzinsen hat.

4.

Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten und Auslagen in Höhe von 1.348,27 € freizustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angegriffene Entscheidung. Sie ist der Ansicht, die Begründungen für die Prämienanpassungen genügten den Anforderungen des § 203 Abs. 5 VVG. Ferner hat sie sich - wie schon in erster Instanz - auf die Einrede der Verjährung berufen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes in zweiter Instanz wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Verhandlungsprotokoll vom 09.06.2021 (eGA-II 246 f.) Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung ist teilweise begründet.

1.

Hinsichtlich des mit dem Klageantrag zu 1) zuletzt geltend gemachten Feststellungsantrages hat die Berufung Erfolg, soweit der Kläger sich gegen die Wirksamkeit der Prämienanpassungen zum 01.01.2015 (Tarif B) und zum 01.01.2016 (Tarif A) wendet.

Im Übrigen, also hinsichtlich der Anpassungen zum 01.01.2012 und zum 01.01.2013, bleibt die Berufung hingegen erfolglos.

a)

Der Klageantrag ist dahingehend auszulegen, dass der Kläger im aus dem Antrag ersichtlichen Umfang die Feststellung der Erledigung der Hauptsache begehrt.

Zu dieser Fassung des Klageantrages konnte der Kläger nach der schon in erster Instanz erfolgten Erledigungserklärung jedenfalls zurückkehren (vgl. BGH, Urteil vom 07.06.2001 - I ZR 157/98, NJW 2002, 413).

Da die Beklagte sich im Senatstermin am 09.06.2021 der teilweisen Erledigungserklärung nicht angeschlossen hat, ist der Antrag gerichtet auf die Feststellung, dass der anfänglich gestellte Klageantrag insoweit ursprünglich zulässig und begründet war und durch ein nach Rechtshängigkeit eingetretenes Ereignis unzulässig oder unbegründet geworden ist.

b)

Der in der Klageschrift angekündigte Feststellungsantrag war ursprünglich insgesamt zulässig (vgl. BGH, Urteil vom 19.12.2018 - IV ZR 255/17, VersR 2019, 283, juris Rn. 15 ff. und BGH, Urteil vom 14.04.2021 - IV ZR 36/20, juris Rn. 26 ff.).

c)

Er war hinsichtlich der Anpassungen zum 01.01.2015 und 01.01.2016 auch anfänglich begründet und ist erst durch ein nach Rechtshängigkeit eingetretenes Ereignis unbegründet geworden.

aa)

Diese Beitragsanpassungen waren im Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit nicht wirksam, weil es an einer ordnungsgemäßen Begründung gemäß § 203 Abs. 5 VVG fehlte.

Diese Vorschrift verlangt, dass der Versicherer in der Begründung mitteilt, bei welcher Rechnungsgrundlage - also entweder bei den Versicherungsleistungen oder bei der Sterbewahrscheinlichkeit oder bei beiden - eine nicht nur vorübergehende Überschreitung des maßgeblichen Schwellenwertes eingetreten ist. Dafür genügt nicht eine bloß allgemein gehaltene Information darüber, dass allgemein eine Veränderung bei einer dieser Rechnungsgrundlagen eine Anpassung auslösen kann (BGH, Urteil vom 16.12.2020 - IV ZR 314/19, r+s 2021, 95; BGH, Urteil vom 16.12.2020 - IV ZR 294/19, VersR 2021, 240).

Dem genügen die Begründungen der Beklagten für die Prämienanpassungen zum 01.01.2015 und 01.01.2016 nicht. Ihnen kann der Versicherungsnehmer nicht entnehmen, bei welcher konkreten Rechnungsgrundlage die für die Anpassung maßgebliche Veränderung eingetreten ist. Der Senat schließt sich der ausführlichen und überzeugenden Begründung in dem den Parteien bekannten Urteil des OLG Köln vom 29.10.2019 (9 U 127/18, r+s 2020, 31, insoweit bestätigt durch BGH, a.a.O.) an.

bb)

Insoweit ist die Klage durch ein nach Rechtshängigkeit eingetretenes Ereignis unbegründet geworden. Denn die Beklagte hat in der Klageerwiderung die maßgeblichen Angaben nachgeholt, so dass ab diesem Zeitpunkt eine ordnungsgemäße Begründung vorlag und die Beitragsanpassung gemäß § 203 Abs. 5 VVG ex nunc wirksam geworden ist (vgl. BGH, Urteil vom 19.12.2018 - IV ZR 255/17, VersR 2019, 283, juris Rn. 65).

d)

Hinsichtlich der Erhöhungen zum 01.01.2012 (Tarif A in Höhe von 47,81 € und Tarif C in Höhe von 7,67 €) und zum 01.01.2013 (Tarif C in Höhe von 1,91 €) kann der Kläger die begehrte Feststellung hingegen nicht verlangen.

Denn insoweit war der ursprüngliche Feststellungsantrag von Anfang an unbegründet.

aa)

Eine Begründetheit des ursprünglichen Feststellungsantrages wegen des Fehlens materiellrechtlicher Voraussetzungen für die in Rede stehenden Prämienanpassungen macht der Kläger selbst nicht mehr geltend.

bb)

Aber auch in formeller Hinsicht waren diese Beitragsanpassungen ordnungsgemäß. Die Begründungen genügten entgegen der Ansicht des Klägers jeweils den Anforderungen des § 203 Abs. 5 VVG.

Das in dieser Vorschrift normierte Begründungserfordernis hat den Zweck, dem Versicherungsnehmer zu verdeutlichen, dass weder sein individuelles Verhalten noch eine freie Entscheidung des Versicherers Grund für die Beitragserhöhung war, sondern dass eine bestimmte Veränderung der Umstände dies aufgrund gesetzlicher Regelungen veranlasst hat. Das wird durch die Angabe der Rechnungsgrundlage, die die Prämienanpassung ausgelöst hat, erreicht. Dagegen ist es für diesen Zweck nicht erforderlich, dem Versicherungsnehmer die Rechtsgrundlage des geltenden Schwellenwerts oder die genaue Höhe der Veränderung der Rechnungsgrundlage mitzuteilen (BGH, Urteil vom 16.12.2020 - IV ZR 314/19, r+s 2021, 95 und BGH, Urteil vom 16.12.2020 - IV ZR 294/19, VersR 2021, 240.

Unter Berücksichtigung dieser gesetzgeberischen Intention waren die Anpassungen zum 01.01.2012 und zum 01.01.2013 ordnungsgemäß begründet.

(1)

Nach der dem Senat zustehenden tatrichterlichen Bewertung brachten die Begründungen hinreichend deutlich zum Ausdruck, dass die Anpassung auf gestiegene Versicherungsleistungen (und nicht auf eine Veränderung der Sterbewahrscheinlichkeit) zurückzuführen ist.

Darauf lässt der Begriff "Leistungsausgaben" schließen. Das Gesetz spricht zwar in § 155 Abs. 3 VAG nicht von Leistungsausgaben, sondern von "Versicherungsleistungen". Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer wird aber den Begriff "Leistungsausgaben" im Sinne solcher Leistungen verstehen und nicht als Hinweis auf eine zukünftig relevant werdende Veränderung der Sterbewahrscheinlichkeiten.

Im Übrigen ergab sich für den bei der Beklagten auch im Tarif E pflegepflichtversicherten Kläger im weiteren Text bei der Begründung zur Beitragsanpassung in der Pflegeversicherung, dass dort einerseits eine Abweichung bei den Leistungsausgaben vorliege, "zudem" aber auch eine neue Sterbetafel zu berücksichtigen sei. Das kann auch ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer ohne rechtliche Spezialkenntnisse nur dahin verstehen, dass in der Begründung eine Veränderung der maßgeblichen Sterbetafel etwas anderes ist als eine Steigerung der Leistungsausgaben. Da innerhalb der Gründe für die Beitragsanpassung in der Krankenversicherung von einer solchen Sterbetafel keine Rede ist, muss er die Begründung insgesamt so verstehen, dass die Sterbetafel - und damit geänderte Sterbewahrscheinlichkeiten - bei der dortigen Anpassung keine Rolle gespielt hat.

(2)

Der Umstand, dass die Begründung keine Angaben dazu enthält, ob bei den Versicherungsleistungen eine Veränderung nach oben oder unten zu der Anpassung geführt hat, macht die Begründung nicht fehlerhaft.

Wie bereits dargelegt erfordert § 203 Abs. 5 VVG weder eine Mitteilung der Rechtsgrundlage des geltenden Schwellenwerts noch die Bezifferung der genauen Höhe der Veränderung der Rechnungsgrundlage. Ausgehend davon ist auch eine Angabe entbehrlich, ob eine Abweichung nach oben oder unten vorliegt. Denn letztlich ist das ein Teilaspekt der Höhe der Veränderung. Auch ohne eine solche Angabe kann der Versicherungsnehmer der Begründung zweifelsfrei entnehmen, dass weder sein individuelles Verhalten noch eine freie Entscheidung des Versicherers Grund für die Beitragserhöhung war, sondern dass diese vielmehr durch eine bestimmte Veränderung der Umstände aufgrund gesetzlicher Regelungen veranlasst wurde.

Ohnehin aber wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer bei einer Prämienerhöhung annehmen, dass eine Veränderung nach oben vorliegt.

(3)

Schließlich entspricht die Begründung zwar insoweit nicht dem Gesetz, als ihr zufolge eine Abweichung von "mindestens 10 %" bei der maßgeblichen Rechnungsgröße genügt, während gemäß § 155 Abs. 3 VAG eine Abweichung von"mehr als 10 %" erforderlich ist.

Auch das führt aber nicht dazu, dass die Beitragsanpassungen zum 01.01.2012 und 01.01.2013 nicht wirksam geworden wären.

Die Vorschrift des § 203 Abs. 5 VVG, nach der die Neufestsetzung erst nach einer Mitteilung der maßgeblichen Gründe wirksam wird, ist nach ihrem Sinn und Zweck auszulegen. Dieser besteht wie dargelegt darin, dem Versicherungsnehmer vor Augen zu führen, dass nicht sein individueller Schadensverlauf zu höheren Beiträgen führt und dass erst recht nicht der Versicherer nach eigenem Gutdünken die Prämie anpassen kann. Dem Versicherungsnehmer müssen die Gründe mitgeteilt werden, welche den Versicherer tatsächlich zur Prämienanpassung veranlasst haben. Dieser gesetzgeberische Wille bedeutet gleichzeitig, dass nicht jede Ungenauigkeit in der Begründung dazu führen muss, dass dem Versicherungsnehmer "die maßgeblichen Gründe" nicht ordnungsgemäß mitgeteilt worden sind. Das Begründungserfordernis in § 203 Abs. 5 VVG (tatsächliche "maßgebliche Gründe") unterscheidet sich grundlegend etwa von einer Belehrung des Versicherungsnehmers über ihm zustehende Rechte, beispielsweise in § 8 Abs. 2 Nr. 2 VVG. Damit der Versicherungsnehmer über die Reichweite solcher Rechte genau informiert ist und sie sachgerecht ausüben kann, muss die Belehrung auch in den Einzelheiten zutreffend sein. Diese Erwägungen lassen sich aber auf die Begründung einer Beitragsanpassung in § 203 Abs. 5 VVG nicht übertragen. Ihr Zweck ist auch dann erfüllt, wenn die nach dem Willen des Gesetzgebers zu erteilende Information für den Versicherungsnehmer klar und eindeutig ist. Das gilt vorliegend umso mehr, als der Unterschied zwischen den Formulierungen "mindestens" und "mehr als" nur in dem hier nicht gegebenen Fall zum Tragen kommt, dass die Abweichung exakt 10 % beträgt. Es mag für Belehrungen über Widerrufs- rechte und ähnliches sachgerecht sein, dass eine solche Belehrung abstrakt und losgelöst von den konkreten Umständen des Einzelfalls auf ihre Ordnungsgemäßheit hin zu überprüfen ist. Das kann jedoch auf das Begründungserfordernis des § 203 Abs. 5 VVG, das einen gänzlich unterschiedlichen Zweck verfolgt, nicht übertragen werden. Dem Kläger ist, da die Abweichung unstreitig nicht etwa exakt 10 % betrug, durch die Ungenauigkeit kein Nachteil entstanden.

2.

Ausgehend von dem Vorstehenden steht dem Kläger auch der geltend gemachte Anspruch auf Rückzahlung überzahlter Prämien aus §§ 812 Abs. 1 S. 1, 818 Abs. 1 BGB zu, jedoch lediglich in Höhe eines Betrages von 5.344,56 €.

a)

Die Zahlung der Erhöhungsbeträge im Tarif B zum 01.01.2015 und im Tarif A zum 01.01.2016 erfolgte jedenfalls hinsichtlich des zuletzt noch geltend gemachten Zeitraums von Anfang 2016 bis Ende 2018 ohne Rechtsgrund. Damit ergibt sich ein Anspruch in der aus dem Tenor ersichtlichen Höhe (Erhöhung 2,19 € + 146,27 € = 148,46 € * 36 Monate).

In dieser Höhe kann der Kläger die überzahlten Prämien in voller Höhe zurückverlangen, ohne dass dies treuwidrig wäre und ohne dass - wie im Senatstermin erörtert - die Beklagte sich auf den Einwand der Entreicherung berufen könnte (vgl. BGH, Urteil vom 14.04.2021 - IV ZR 36/20, juris Rn. 39 ff.).

b)

Darauf, dass der Begründungsmangel jeweils mit der Klageerwiderung geheilt wurde und ab diesem Zeitpunkt ein rechtlicher Grund vorlag, kommt es hier nicht an. Denn Gegenstand des Zahlungsantrages sind ohnehin nur Ansprüche des Klägers bis Ende des Jahres 2018.

Auch der Umstand, dass eine spätere wirksame Prämienerhöhung fortan die Rechtsgrundlage für die dort in ihrer Gesamthöhe festgesetzte Prämie bildet unabhängig davon, ob frühere Anpassungen an einem formellen Mangel litten (BGH, Urteil vom 14.04.2021 - IV ZR 36/20, juris Rn. 44 und zuvor schon BGH, Urteil vom 16.12.2020 - IV ZR 294/19, VersR 2021, 240, juris Rn. 55), ist hier ohne Bedeutung. Denn die - unstreitig wirksame - Anpassung zum 01.01.2017 betraf nur den Tarif D, nicht hingegen die hier in Rede stehenden Tarife A und B.

c)

Die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung greift für die vom Kläger allein noch geltend gemachten Ansprüche ab dem 01.01.2016 nicht durch.

Denn die jeweiligen Bereicherungsansprüche des Klägers entstanden mit der monatlichen Überzahlung der Prämie (vgl. OLG Köln, Urteil vom 28.01.2020 - 9 U 138/19, VuR 2020, 230, juris Rn. 155). Für die nach dem 01.01.2016 über- zahlte Prämie konnte die dreijährige Regelverjährungsfrist daher frühestens mit Ablauf des Jahres 2016 beginnen und Ende 2019 enden.

d)

Der geltend gemachte Anspruch auf Zahlung von Rechtshängigkeitszinsen folgt aus §§ 288, 291 BGB.

3.

Der Kläger kann im tenorierten Umfang des Weiteren die Feststellung verlangen, dass die Beklagte auch zur Herausgabe von Nutzungen verpflichtet ist.

a)

Der entsprechende Feststellungsantrag ist zulässig.

Zwar kann einer Feststellungsklage das Rechtsschutzbedürfnis fehlen, wenn eine Leistungsklage, und sei es in Form der Stufenklage, möglich ist (Zöller/Greger, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 254 Rn. 2). Dennoch kommt es auf die Frage, ob der Kläger nicht die Nutzungen hier, etwa durch Rückgriff auf die allgemein zugänglichen Geschäftsberichte der Beklagten, hätte beziffern können, nicht an. Denn ein Vorrang der Leistungsklage besteht ausnahmsweise dann nicht, wenn - wie hier - erwartet werden kann, dass auch ein Feststellungsurteil zu einer endgültigen Streitbeilegung führen wird (vgl. BGH, Urteil vom 28.09.1999 - VI ZR 195/98, VersR 1999, 1555, juris Rn. 19; für eine Zulässigkeit entsprechender Feststellungsanträge im Übrigen auch OLG Köln, Urteil vom 29.10.2019 - 9 U 127/18, r+s 2020, 31; OLG Köln, Urteil vom 07.07.2020 - 9 U 227/19, VuR 2020, 478; OLG Köln, Urteil vom 17.12.2019 - 9 U 131/18, juris; vgl. schließlich auch BGH, Urteil vom 16.12.2020 - IV ZR 314/19, r+s 2021, 95).

b)

Der Antrag ist auch teilweise begründet.

aa)

Soweit die Prämienanpassungen unwirksam sind, ist die Beklagte gemäß § 818 Abs. 3 BGB zur Herausgabe gezogener Nutzungen verpflichtet.

bb)

Abzuweisen ist der Feststellungsantrag jedoch insoweit, als er auch Nutzungen erfasst, welche die Beklagte auf solche Prämienzahlungen erbracht hat, die der Kläger vor dem 01.01.2016 leistete.

Hinsichtlich dieser Nutzungen steht der Beklagten ein Leistungsverweigerungsrecht aus § 214 Abs. 1 BGB zu, weil die Ansprüche verjährt sind. Denn es handelt sich um eine Nebenleistung im Sinne von § 217 BGB zu dem auf Rückgewähr der Prämienzahlungen gerichteten Bereicherungsanspruch. Diese Hauptansprüche sind für die Zeit vor dem 01.01.2016 ihrerseits gemäß § 199 Abs. 1 BGB verjährt.

(1)

Wie schon ausgeführt entstanden die jeweiligen Bereicherungsansprüche des Klägers mit der monatlichen Überzahlung der Prämie (vgl. OLG Köln, Urteil vom 28.01.2020 - 9 U 138/19, VuR 2020, 230, juris Rn. 155).

(2)

Der Kläger hatte mit Zugang der jeweiligen Begründungsschreiben auch im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen.

Für eine solche Kenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen ist grundsätzlich nicht erforderlich, dass der Gläubiger den Vorgang auch rechtlich zutreffend beurteilt (BGH, Urteil vom 29.01.2008 - XI ZR 160/07, NJW 2008, 1729, juris Rn. 26). Danach hat der Gläubiger eines Bereicherungsanspruchs die erforderliche Kenntnis, wenn er die Leistung und diejenigen Tatsachen kennt, aus denen sich das Fehlen des Rechtsgrundes ergibt (BGH, a.a.O.).

Diese Tatsachen - nämlich den genauen Inhalt der Begründung - kannte der Kläger mit deren Zugang unabhängig davon, ob er den rechtlich zutreffenden Schluss gezogen hat, dass dieser Inhalt hinsichtlich der Jahre 2015 und 2016 nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprach (für grob fahrlässige Unkenntnis demgegenüber OLG Köln, Urteil vom 28.01.2020 - 9 U 138/19, VuR 2020, 230, juris Rn. 157 ff.).

Allerdings kann der Beginn der Verjährungsfrist bei unsicherer und zweifelhafter Rechtslage hinausgeschoben sein (st. Rspr., vgl. zuletzt BGH, Urteil vom 17.12.2020 - VI ZR 739/20, VersR 2021, 324, juris Rn. 10 ff.). Dies kann wegen des Zwecks der dreijährigen Regelverjährungsfrist, in einem überschaubaren Zeitraum Rechtsfrieden und Rechtssicherheit zu schaffen, aber nur in eng begrenzten, besonders begründeten Ausnahmefällen angenommen werden (BGH, a.a.O., juris Rn. 10). Unzumutbar kann eine Klageerhebung etwa sein, wenn ihr eine höchstrichterliche Rechtsprechung entgegen steht; eine unsichere und zweifelhafte Rechtslage besteht hingegen nicht schon dann, wenn noch keine höchstrichterliche Entscheidung zu einer bestimmten Frage vorliegt (BGH, a.a.O., juris Rn. 12 f.). Wird die Rechtslage erst unsicher, nachdem die Verjährungsfrist zu laufen begonnen hat, schiebt dies den Beginn der einmal in Lauf gesetzten Frist nicht nachträglich hinaus (BGH, a.a.O., juris Rn. 15).

Bei Anlegung dieser Kriterien ergibt sich, dass weder im Jahre 2015 noch in der Zeit davor eine unsichere und zweifelhafte Rechtslage bestand. Soweit sich ab dem Jahr 2017 unterschiedliche Sichtweisen zu den Anforderungen des § 203 Abs. 5 VVG in der Rechtsprechung entwickelt haben mögen, ist das aus den dargelegten Gründen für den einmal eingetretenen Beginn des Laufs der Verjährungsfrist hinsichtlich der Ansprüche ab Januar 2015 bereits vom Ansatz her bedeutungslos; Weiteres hierzu kann dahinstehen. Darauf, ob es vor dem Jahr 2017 oder 2018 schwer oder nicht möglich war, die Rechtslage "zuverlässig" einzuschätzen, kommt es ebenfalls nicht an, weil wie dargelegt ein Beginn der Verjährungsfrist keineswegs erfordert, dass die Rechtsverfolgung risikolos möglich ist (BGH, a.a.O., juris Rn. 11). Eine Klageerhebung war seinerzeit jedenfalls nicht unzumutbar.

cc)

Nicht begründet und daher insoweit teilweise abzuweisen ist der Antrag zudem insoweit, als er auch Nutzungen umfasst, die nach Entstehung der Verzinsungspflicht des Rückzahlungsanspruchs gezogen werden. Denn der Anspruch auf Herausgabe gezogener Nutzungen ist auf die Zeit vor Eintritt der Verzinsungspflicht für die Hauptforderung beschränkt (BGH, Urteil vom 10.03.2021 - IV ZR 353/19, VersR 2021, 564, juris Rn. 35).

dd)

Schließlich ist der Antrag insoweit unbegründet, als der Kläger auch die Feststellung begehrt, dass die Beklagte auf die herauszugebenden Nutzungen Rechtshängigkeitszinsen zu leisten habe. Rechtshängigkeit im Sinne von § 291 BGB tritt nur mit Erhebung einer Leistungsklage ein, eine Feststellungsklage genügt hingegen nicht (vgl. BGH, Urteil vom 10.03.2021 - IV ZR 353/19, VersR 2021, 564, juris Rn. 36).

4.

Dem Kläger steht ein Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.212,61 € aus § 280 Abs. 1 BGB zu.

Ein darüber hinausgehender Anspruch besteht hingegen nicht. Denn bei der Bemessung des Gegenstandswertes ist zu berücksichtigen, dass der Klägervertreter im Zeitpunkt der Klageerhebung berechtigterweise lediglich die Anpassungen zum 01.01.2015 und 01.01.2016 für unwirksam halten durfte, nicht jedoch die übrigen Beitragserhöhungen (vgl. BGH, Urteil vom 12.12.2017 - VI ZR 611/16, VersR 2018, 239).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Dabei hat der Senat berücksichtigt, dass der Kläger in zweiter Instanz die Prämienanpassungen zunächst auch in materieller Hinsicht angegriffen, diesen Angriff dann aber im weiteren Verlauf zurückgenommen hat.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10 S. 1, 713 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen (§ 543 Abs. 2 ZPO). Insbesondere hat die Sache keine grundsätzliche Bedeutung. Die Frage, welche Anforderungen an die Begründung gemäß § 203 Abs. 5 VVG zu stellen sind, ist durch die Rechtsprechung des BGH geklärt. Obergerichtliche Rechtsprechung, von welcher der Senat abwiche, ist nicht ersichtlich.