FG Münster, Urteil vom 23.08.2021 - 9 K 1968/20 E
Fundstelle
openJur 2021, 26899
  • Rkr:
Tenor

Der Bescheid für 2015 über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer vom 18.09.2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19.06.2020 wird dahingehend geändert, dass der Gewinn aus Gewerbebetrieb um 1.167,30 € auf 16.575 € gemindert wird.

Der Bescheid für 2016 über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer vom 18.09.2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19.06.2020 wird dahingehend geändert, dass der Gewinn aus Gewerbebetrieb um 1.036,80 € auf 18.872 € gemindert wird.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin zu 2/3 und der Beklagte zu 1/3.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Einkommensteuerbescheide 2015 und 2016 nach § 173 der Abgabenordnung (AO) geändert werden können.

Die Klägerin erzielte in den Streitjahren Einkünfte aus der Erbringung von kaufmännischen Dienstleistungen (Buchhaltung, Sekretariat). Sie ermittelte ihren Gewinn gem. § 4 Abs. 3 EStG durch Einnahmen-Überschussrechnung, ihre Leistungen waren umsatzsteuerpflichtig. Im Jahr 2015 unterlag sie letztmalig der Kleinunternehmerregelung. Die Klägerin erwarb im Dezember 2015 ein Fahrzeug VW T4 Multivan zu einem Kaufpreis in Höhe von 5.600 €. Das Fahrzeug nutzte sie sowohl betrieblich als auch privat, ein Fahrtenbuch führte die Klägerin nicht.

In ihrer am 02.10.2016 per Elster elektronisch übermittelten Einkommensteuererklärung für das Jahr 2015 erklärte die Klägerin Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von 16.073 €, in ihrer am 24.10.2017 per Elster elektronisch ermittelten Einkommensteuererklärung 2016 erklärte die Klägerin Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von 14.971 €. Weiterhin reichte sie mit dem Programm Excel erstellte und auf Papier ausgedruckte Einnahmen-Überschussrechnungen ein.

Der Beklagte folgte den abgegebenen Steuererklärungen im Hinblick auf den Ansatz der Einkünfte aus selbständiger Arbeit und erließ mit Datum vom 25.10.2016 einen Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2015 und mit Datum vom 09.02.2018 einen Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2016. Für das Jahr 2016 erließ der Beklagte am 26.02.2018 auf Antrag der Klägerin (§ 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 a) AO) einen Änderungsbescheid, in dem er den Entlastungsfreibetrag zur Alleinerziehende berücksichtigte.

Im Jahr 2019 führte der Beklagte für die Veranlagungszeiträume 2015 bis 2017 eine Betriebsprüfung (Bp) durch. Dabei stellte der Beklagte fest, dass im Jahr 2016 lediglich Netto-Erlöse (ohne Umsatzsteuer) als Einnahmen erfasst worden waren und er erhöhte die Betriebseinnahmen um die vereinnahmte Umsatzsteuer in Höhe von 4.582,80 € (Tz. 2.3.1.1 des Bp-Berichts vom 09.09.2019). Zugleich stellte der Beklagte fest, dass im den Jahren 2016 auch keine Beträge für gezahlte Umsatzsteuer in Höhe von 4.014,93 € (Tz. 2.3.2.2 des Bp-Berichts vom 09.09.2019) und Vorsteuer in Höhe von 567,87 € (Tz. 2.3.2.1 des Bp-Berichts vom 09.09.2019) als Betriebsausgaben erfasst worden waren, der Beklagte erhöhte die Betriebsausgaben um die gezahlte Umsatzsteuer und Vorsteuer in Höhe von 4.582,80 €. Zudem stellte der Prüfer fest, dass eine Versteuerung der privaten PKW-Nutzung für das Fahrzeug VW T4 Multivan nach der 1%-Regelung bislang unterblieben war. Ausgehend von einem Bruttolistenpreis des Fahrzeugs in Höhe von 26.500 € ermittelte der Beklagte zusätzliche Betriebseinnahmen in Höhe von 265,00 € (2015) und 3.663,36 € (2016). Wegen der Einzelheiten wird insoweit auf Tz. 2.4.3 des Bp-Berichts vom 09.09.2019 sowie die Anlage 2 zum Bp-Bericht verwiesen. Ferner stellte der Prüfer fest, dass im Prüfungszeitraum Aufwendungen für einen Telefon- und einen Internetanschluss gewinnmindernd geltend gemacht worden waren, jedoch ein privater Nutzungsanteil nicht versteuert worden war. Für die Nutzungsentnahme setzte der Prüfer einen zusätzlichen Überschuss in Höhe 238,00 € in den Streitjahren an (Tz. 2.5 des Bp-Berichts vom 09.09.2019). Zudem stellte der Prüfer fest, dass die Klägerin neben tatsächlichen KfZ-Kosten (u.a. für Reparaturen, KfZ-Steuer und Versicherung) auch - anstelle der tatsächlichen Treibstoffkosten - pauschal ermittelte KfZ-Kosten in Höhe von 0,30 € pro km geltend gemacht hatte. Vor dem Hintergrund, dass der Klägerin zweifelsfrei Fahrtkosten im Zusammenhang mit ihrer betrieblichen Tätigkeit entstanden waren, verständigte sich der Prüfer mit der Klägerin dahingehend, dass die Fahrtkosten im Schätzungswege berücksichtigt werden sollten. In den Streitjahren führte dies dazu, dass der Prüfer um 1.167,30 € (2015) bzw. 1.036,80 € (2016) niedrigere Fahrtkosten berücksichtigte, wegen der Einzelheiten wird auf Tz. 2.6 des Bp-Berichts vom 09.09.2019 verwiesen. Darüber hinaus vertrat die Bp die Auffassung, dass die geltend gemachte AfA in Höhe von 1.400 € nur zeitanteilig geltend gemacht werden könne. Da das Fahrzeug im Dezember 2015 angeschafft worden sei, sei nur 1/12 von 1.400 €, d.h. ein Betrag in Höhe von 117 € als Betriebsausgaben abzugsfähig. Hinsichtlich der vereinnahmten Umsatzsteuerfestsetzungen komme auch eine Änderung nach § 129 AO in Betracht, da die Klägerin geleistete Umsatzsteuerzahlungen nicht in ihrer formlosen Gewinnermittlung berücksichtigt habe, obwohl sie Umsatzsteuerzahlungen in den zeitgleich eingereichten Umsatzsteuererklärungen ausgewiesen habe und die Umsatzsteuer jeweils erklärungsgemäß vom Beklagten festgesetzt worden sei.

Der Beklagte erließ, den Feststellungen der Betriebsprüfung folgend, mit Datum vom 18.09.2019 nach § 173 AO geänderte Einkommensteuerbescheide, in denen er der Besteuerung nunmehr statt selbständiger Einkünfte gewerbliche Einkünfte in Höhe von 19.026 € (2015) und 19.909 € (2016) zugrunde legte.

Hiergegen legte die Klägerin am 18.11.2019 Einsprüche ein. Zur Begründung trug sie vor, dass die von der Bp festgestellten Tatsachen dem Beklagten bekannt gewesen seien, so dass eine Änderung der Bescheide nach § 173 AO nicht in Betracht komme.

Mit Einspruchsentscheidung vom 19.06.2020 änderte der Beklagte die Einkommensteuerfestsetzung 2015 dahingehend, dass er die Einkommensteuer auf 1.205,00 €, die Kirchensteuer auf 36,00 € und den Solidaritätszuschlag auf 0,00 € herabsetzte. Er ging dabei nunmehr von gewerblichen Einkünften in Höhe von nur noch 17.743 € aus, weil er die Abschreibung für den PKW der Klägerin erklärungsgemäß in voller Höhe von 1.400 € (statt bislang 117 €) berücksichtigte (Gewinnminderung: um 1.283 €). Im Übrigen wies er den Einspruch der Klägerin als unbegründet zurück.

Mit ihrer am 13.07.2020 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren gerichtlich weiter. Sie trägt vor, dass die geänderten Einkommensteuerbescheide vom 19.06.2020 mangels Vorliegens einer Änderungsvorschrift nicht hätten ergehen dürfen. Insbesondere lägen die Voraussetzungen des § 173 AO nicht vor. Die Klägerin habe ihre Einnahmen-Überschussrechnungen selbst mittels einer Excel-Tabelle erstellt und diese zusammen mit sämtlichen Belegen im Original bei den zuständigen Sachbearbeiterinnen Frau A (2015) und Frau B (2016) abgegeben. Bei dieser Gelegenheit seien die Gewinnermittlungen und Steuererklärungen am 06.10.2016 (2015) und am 27.10.2017 (2016) eingehend und intensiv mit den jeweiligen Sachbearbeiterinnen besprochen worden. Dem Beklagten sei aufgrund entsprechender Erläuterungen der Klägerin bekannt gewesen, dass die Klägerin ihre Einnahmen und Ausgaben netto ohne Umsatzsteuer angegeben hatte. Ferner habe die Klägerin erläutert, dass sie ihren Betrieb von zuhause aus führe und auch ihren ab 2015 neuen Betriebs-PKW (VW T4 Multivan) für betriebliche Zwecke verwendete. Die Klägerin sei hieraufhin bewusst - weil die Überprüfung bereits an Amtsstelle stattgefunden habe - ohne Vorbehalt der Nachprüfung veranlagt worden. Die Klägerin habe bei der Einreichung ihrer Steuererklärung ganz ausdrücklich eigene KfZ-Kosten angegeben und belegmäßig nachgewiesen und den Ansatz einer privaten Mitbenutzung des Betriebs-PKW aufgrund mangelnder Rechtskenntnisse nicht gesondert bewertet. Das Finanzamt dürfe nicht von der Richtigkeit und Vollständigkeit der Sachverhaltsangaben in abgegebenen Steuererklärungen und Jahresabschlüssen ausgehen, wenn diese - wie im vorliegenden Fall - ganz offensichtlich und von der Klägerin bekundet auf einer steuerrechtlichen Fehlbewertung beruhen. Die Klägerin habe bei ihren Besuchen an Amtsstelle den gesamten Sachverhalt vollständig parat gehabt und nur trotz der - insofern offensichtlich unzureichenden - Erörterungen mit den Mitarbeiterinnen des Beklagten fehlerhafte steuerrechtliche Schlussfolgerungen gezogen. Die Betriebsprüfung habe keine neuen Tatsachen ermittelt, sondern die bekannten Tatsachen nur steuerrechtlich neu bewertet. Selbst im Falle einer Annahme neuer Tatsachen sei der Beklagte nach Treu und Glauben daran gehindert, sich auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zu berufen, weil er die angeblich nachträglich bekannt gewordenen Tatsachen bei gehöriger Erfüllung seiner ihm nach § 88 AO obliegenden Ermittlungspflicht schon vor der erstmaligen Steuerfestsetzung hätte feststellen können. Die Änderungsvorschrift des § 129 AO sei nicht einschlägig, da der Klägerin keine Eingabefehler, sondern aufgrund der Erörterungen und Besprechungen an Amtsstelle insoweit nachvollziehbare und entschuldbare rechtliche Bewertungsirrtümer unterlaufen seien.

Die Klägerin beantragt,

den Änderungsbescheid für 2015 über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer vom 18.09.2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19.06.2020 aufzuheben.

den Änderungsbescheid für 2016 über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer vom 18.09.2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19.06.2020 aufzuheben;

hilfsweise, für den Fall des Unterliegens oder Teilunterliegens, die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Auffassung, das Finanzamt dürfe grundsätzlich davon ausgehen, dass die Erklärungen eines Steuerpflichtigen richtig und vollständig seien und der Steuerpflichtige seine Angaben entsprechend der von ihm abgegebenen Versicherung "nach bestem Wissen und Gewissen" und nach einer sorgfältigen Prüfung der Sach- und Rechtslage gemacht habe. Den Angaben des Steuerpflichtigen müsse nicht mit Misstrauen begegnet werden und es bestehe keine Verpflichtung, alle nur möglichen Fälle einer steuerlich oder buchmäßig falschen Behandlung zu kontrollieren. Eine Verpflichtung der Finanzbehörden zur Überprüfung setze immer voraus, dass hinreichend begründete Zweifel am Vorliegen des vom Steuerpflichtigen erklärten Sachverhalts bestünden, dass der dem Steuerpflichtigen der Sache nach eingeräumte "Glaubwürdigkeitsvorschuss" erschüttert und dementsprechend eine Überprüfung veranlasst sei. Hierbei bestimme die Finanzbehörde Art und Umfang der Überprüfung und der Ermittlungen anhand des Einzelfalles. Dabei sei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten, so dass Ermittlungshandlungen nicht außer Verhältnis zu dem angestrebten Erfolg stehen dürften. Die Finanzbehörde dürfe auch Zweckmäßigkeitserwägungen anstellen und z.B. eine Abwägung zwischen dem Aufklärungsaufwand und den zu erwartenden steuerlichen Mehreinnahmen vornehmen. Eine Verletzung dieses Grundsatzes könne im Streitfall nicht erkannt werden. Die Ermittlungspflicht der Finanzbehörde sei geringer, wenn der Steuerpflichtige seiner eigenen Mitwirkungspflicht nicht im zumutbaren Rahmen nachkomme. Hierbei sei zu beachten, dass sich diese nach den Umständen des Einzelfalles bestimme. Eine besondere Bedeutung komme dabei dem Umstand der Beweisnähe zu. Je mehr Beweismittel der vom Steuerpflichtigen beherrschten Informations- und Tätigkeitssphäre angehörten, desto umfassender sei seine Verantwortung für die Aufklärung des Sachverhalts.

Mit Beschluss vom 27.04.2021 hat der Senat den Rechtsstreit dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.

In der Sache hat am 23.08.2021 eine mündliche Verhandlung vor dem Einzelrichter stattgefunden, in der die Mitarbeiterinnen des Beklagten, Frau A und Frau B, als Zeuginnen vernommen worden sind. Auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist teilweise begründet.

Der angefochtene Änderungsbescheid für 2015 über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer vom 18.09.2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19.06.2020 ist insoweit rechtswidrig, als dass der Beklagte einen Gewinn aus Gewerbebetrieb von mehr als 16.575 € der Besteuerung zugrunde gelegt hat.

Der angefochtene Änderungsbescheid für 2016 über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer vom 18.09.2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19.06.2020 ist insoweit rechtswidrig, als dass der Beklagte einen Gewinn aus Gewerbebetrieb von mehr als 18.872 € der Besteuerung zugrunde gelegt hat.

Im Übrigen sind die angefochtenen Bescheide nicht rechtswidrig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).

Gem. § 173 Abs. 1 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen.

Tatsachen im Sinne der Vorschrift sind Lebensvorgänge, die insgesamt oder teilweise einen gesetzlichen Steuertatbestand oder das einzelne Merkmal eines solchen Tatbestands erfüllen. Nachträglich wird eine Tatsache bekannt, wenn sie nach dem Zeitpunkt, in dem die Willensbildung über die Steuerfestsetzung abgeschlossen ist, bekannt wird. Hierbei kommt es auf den Kenntnisstand der Finanzbehörde, und zwar der Personen an, die innerhalb der Behörde dazu berufen sind, den betreffenden Steuerfall zu bearbeiten (BFH, Urt. vom 13.05.2004 - IV R 11/02, BFH/NV 2004, 1400 m.w.N.).

Wird dem Finanzamt eine Tatsache nachträglich bekannt, so ist eine Änderung eines bestandskräftigen Bescheides gemäß § 173 Abs. 1 AO nach Treu und Glauben ausgeschlossen, wenn die Tatsache dem Finanzamt bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner Ermittlungspflicht (§ 88 AO) nicht verborgen geblieben wäre. Eindeutigen Steuererklärungen muss das Finanzamt allerdings nicht mit Misstrauen begegnen; es kann regelmäßig von deren Richtigkeit und Vollständigkeit ausgehen. Nur wenn sich Unklarheiten oder Zweifelsfragen aufdrängen, ist das Finanzamt zu Ermittlungen verpflichtet. Andererseits muss auch der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflichten (§ 90 AO) erfüllt haben (BFH, Urt. vom 25.3.2021 - VIII R 47/18, DStR 2021, 1440 m.w.N.).

1. Es kann dahinstehen, ob der Beklagte nach § 173 AO insoweit zur Änderung des Einkommensteuerbescheides 2016 berechtigt war, als dass er sowohl die Betriebseinnahmen als auch die Betriebsausgaben um die erhaltene bzw. gezahlte Umsatzsteuer in Höhe von jeweils 4.582,80 € erhöht hat. Denn unabhängig von der Frage, ob insoweit neue Tatsachen vorliegen oder nicht, ergäben sich keine steuerlichen Auswirkungen.

a) Geht man davon aus, dass die Problematik der Nichterfassung der vereinnahmten und gezahlten Umsatzsteuer nicht Gegenstand der persönlichen Gespräche zwischen der Klägerin und den Veranlagungssachbearbeiterinnen war, so lägen insgesamt neue Tatsachen vor. Denn aus der Gewinnermittlung als solcher war nicht erkennbar, ob in den Betriebseinnahmen und -ausgaben auch Umsatzsteuer enthalten war.

In diesem Fall hätte der Beklagte zu Recht sowohl die Betriebseinnahmen um die erhaltene Umsatzsteuer erhöht (§ 173 Abs. 1 Nr. 1 AO) als auch die Betriebsausgaben wegen gezahlter Vorsteuern und gezahlter Umsatzsteuer in gleicher Höhe zugunsten der Klägerin erhöht (§ 173 Abs. 1 Nr. 2 AO).

Geht man von nachträglich bekannt gewordenen Tatsachen aus, so ist es im vorliegenden Fall auch unbeachtlich, ob der Beklagte seine Ermittlungspflicht verletzt hat und sich deshalb evtl. nach Treu und Glauben trotz des Vorliegens der Tatbestandsvoraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht auf nachträglich bekannt gewordene Tatsachen berufen kann, weil die Mitarbeiterinnen anhand der zeitgleich abgegeben Umsatzsteuererklärung möglicherweise hätten erkennen können, dass die Summe der umsatzsteuerpflichtigen Umsätze (ohne die Umsatzsteuer) gemäß der Umsatzsteuererklärung den einkommensteuerpflichtigen Einnahmen laut Gewinnermittlung entsprach (so FG Rheinland-Pfalz, Urt. vom 10.10.1990 1 K 1091/88 im Volltext online abrufbar in der WoltersKluwer Datenbank).

Denn selbst wenn man dieser Auffassung folgen würde und nur die Voraussetzungen für eine Änderung des Einkommensteuerbescheides 2016 nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO zugunsten der Klägerin, nicht aber für eine Änderung zugunsten des Finanzamts nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO als gegeben ansähe, so konnte das Finanzamt nach § 177 Abs. 2 AO den materiellen Fehler der Nichterfassung der vereinnahmten Umsatzsteuer in Höhe der Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO und damit vollständig berichtigen. Es ergäben sich insoweit keine Änderungen gegenüber der bisherigen Steuerfestsetzung.

b) Nimmt man demgegenüber - wie von der Klägerin vorgetragen - an, dass die Mitarbeiterinnen des Beklagten bereits im maßgeblichen Zeitpunkt der Durchführung der Veranlagung aufgrund der persönlichen Gespräche mit der Klägerin darüber Bescheid wussten, dass weder die erklärten Einnahmen noch die erklärten Ausgaben die Umsatz- bzw. Vorsteuer enthielten, so lägen bereits keine neuen Tatsachen im Sinne von § 173 AO vor. Der Beklagte wäre dann weder zur steuererhöhenden Berücksichtigung der Betriebseinnahmen noch zu einer steuermindernden Berücksichtigung der Betriebsausgaben berechtigt bzw. verpflichtet gewesen. Auch in diesem Falle ergäben sich keine Auswirkungen gegenüber der bisherigen Steuerfestsetzung.

2. Soweit der Beklagte sich darauf beruft, dass die Klägerin zu Unrecht zusätzlich pauschale KfZ-Kosten (Fahrtkosten) für ein Fahrzeug des Betriebsvermögens geltend gemacht hat, liegt keine nachträglich bekannt gewordene Tatsache vor, die den Beklagten gem. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zu einer Änderung der angefochtenen Bescheide zu Lasten der Klägerin berechtigt.

Aufgrund der mit den Steuererklärungen eingereichten Einnahmenüberschussrechnungen/Gewinnermittlungen, aus denen sich ergab, dass für den PKW die Absetzung für Abnutzung (AfA) geltend gemacht wird sowie weitere Kosten für die KfZ-Unterhaltung und die KfZ-Versicherung geltend gemacht wurden, war für die zuständigen Sachbearbeiterinnen des Beklagten bereits im Zeitpunkt der Veranlagung erkennbar, dass es sich um ein Fahrzeug des Betriebsvermögens handelt, für das ein (zusätzlicher) pauschaler und über die tatsächlichen Treibstoffkosten hinausgehender Fahrtkostenabzug ausscheidet. Jedenfalls hat das Finanzamt insoweit seine Ermittlungspflicht verletzt, da die gleichzeitige Angabe von tatsächlichen und pauschalen KfZ-Kosten widersprüchlich ist und Anlass für Nachfragen gegeben hätte. Die Klägerin hat demgegenüber ihre Mitwirkungspflichten vollständig erfüllt, da sie alle notwendigen Angaben in der Steuererklärung gemacht hat.

Die vom Beklagten durchgeführte Gewinnerhöhung in Höhe von 1.167,30 € (2015) und 1.036,80 € (2016) ist damit mangels Vorliegens der Voraussetzungen einer Änderungsvorschrift zu Unrecht erfolgt.

3. Zu Recht ist der Beklagte insoweit vom Vorliegen einer neuen steuererhöhenden Tatsache i.S.v. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO ausgegangen, als dass der Prüfer Nutzungsentnahmen für die private PKW-Nutzung (2015: 265 €; 2016: 3.663,36 €) und die private Telefonnutzung (2015: 238 €; 2016: 238 €) angesetzt hat.

Aus den von der Klägerin abgegebenen Einnahmen-Überschussrechnungen bzw. den Steuererklärungen ergibt sich weder, dass eine Privatnutzung des betrieblichen PKW bzw. eine private Telefonnutzung stattgefunden hat noch ist erkennbar, ob in den erklärten Einnahmen auch Nutzungsentnahmen für eine private PKW- oder Telefonnutzung enthalten sind. Die Klägerin hat selbst in der Klageschrift vorgetragen, dass sie den Ansatz einer privaten Mitbenutzung des Betriebs-PKW aufgrund mangelnder Rechtskenntnisse nicht gesondert bewertet habe. Auch in der mündlichen Verhandlung hat sie erneut dargelegt, dass ihr die Notwendigkeit zur Besteuerung eines privat genutzten betrieblichen PKW nach der 1%-Regelung zum damaligen Zeitpunkt der Abgabe der Steuererklärungen nicht bekannt gewesen sei.

Der Beklagte hat insofern auch nicht seine Ermittlungspflicht verletzt. Die bloße Tatsache, dass Kosten für ein Betriebsfahrzeug bzw. betriebliche Telefon- und Internetkosten steuerlich geltend gemacht werden, verpflichtet den Beklagten nicht zur Durchführung von Ermittlungsmaßnahmen hinsichtlich einer etwaigen Privatnutzung.

Selbst wenn man - wie von der Klägerin vorgetragen - als wahr unterstellt, dass die Klägerin den Sachbearbeiterinnen, den Zeuginnen B und A, anlässlich der Abgabe der Einkommensteuererklärungen von der privaten PKW-Nutzung erzählt hat, so bedurfte es insoweit keiner näheren Aufklärung durch den Beklagten, ob ein privater Nutzungsanteil in den nicht näher aufgeschlüsselten Einnahmen erklärt wurde. Der Beklagte durfte vielmehr darauf vertrauen, dass die Klägerin alle Betriebseinnahmen vollständig erklärt hat. Die Nichterklärung eines privaten Nutzungsanteils für die private KfZ-Nutzung und die private Telefonnutzung verwirklicht nach Auffassung des Einzelrichters den Tatbestand einer (versuchten) Steuerhinterziehung (so bereits FG Münster, Urteil vom 13.01.2005 - 8 K 2060/03, juris). Auch einem steuerlichen Laien ist bewusst, dass er nicht alle tatsächlichen Kosten für ein betriebliches Fahrzeug oder betriebliches Telefon vollständig (ohne Kompensation auf der Einnahmenseite) steuermindernd geltend machen kann, sofern er dieses Fahrzeug/Telefon auch privat benutzt. Die Klägerin ist jedenfalls ihrer Mitwirkungspflicht zur vollständigen Offenlegung des wirklichen Sachverhaltes insoweit nicht nachgekommen (so bereits FG Münster, Urteil vom 13.01.2005 - 8 K 2060/03, juris). Das Finanzamt darf hingegen grundsätzlich darauf vertrauen, dass sich ein Steuerpflichtiger steuerehrlich verhält.

Der Einzelrichter ist auch nicht davon überzeugt, dass die Frage der Besteuerung des privaten Nutzungsanteils des betrieblichen PKW bzw. des Telefons von der Klägerin mit den Sachbearbeiterinnen diskutiert worden ist. Die als Zeuginnen vernommenen Sachbearbeiterinnen haben keine Erinnerung an die Klägerin geschweige denn an die von der Klägerin behaupteten Gespräche gehabt. Auch die Klägerin selbst hat eine Diskussion über die private Nutzungsbesteuerung des PKW bzw. Telefons mit den Sachbearbeiterinnen nicht behauptet. Vielmehr hat sie mehrfach betont, dass ihr die Problematik der Notwendigkeit einer Privatversteuerung eines privat genutzten betrieblichen PKW bei Abgabe der Steuererklärungen nicht bekannt gewesen sei und die Bearbeiterinnen sie auf die fehlende Versteuerung nach der 1%-Regelung hätten hinweisen müssen.

Hinsichtlich der Höhe der von der Bp. angesetzten Nutzungsentnahmen besteht kein Streit zwischen den Beteiligten.

4. Es bestehen Zweifel, ob der Beklagte im geänderten Einkommensteuerbescheid 2015 vom 18.09.2019 auch im Hinblick auf die Frage der Höhe der AfA-Berechtigung zu Recht von einer neuen Tatsache i.S.v. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO ausgegangen ist, weil der Kaufvertrag über den PKW, aus dem sich eine Anschaffung im Dezember 2015 ergibt, möglicherweise bereits mit der Steuererklärung 2015 vorgelegt bzw. eingereicht worden ist.

Letztlich kann diese Frage aber dahinstehen, denn der Beklagte hat (ohne Begründung) in der Einspruchsentscheidung bereits wieder (wie im ursprünglichen Steuerbescheid) die volle von der Klägerin beantragte Jahres-AfA (unter Zugrundlegung einer Nutzungsdauer des Fahrzeugs von vier Jahren) in Höhe von 1.400 € berücksichtigt und hat die bislang nur anteilig in Höhe von 117 € gewährte AfA dementsprechend um 1.283,00 € erhöht. Da der Einkommensteuerbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung Gegenstand der vorliegenden Anfechtungsklage ist, bedurfte es insoweit keiner Änderung durch das Gericht mehr.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 FGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da keiner der in § 115 Abs. 2 FGO genannten Gründe vorliegt. Die Entscheidung folgt den Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung und beruht auf den Feststellungen und Umständen des Einzelfalles.

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