VG Darmstadt, Beschluss vom 19.08.2021 - 7 K 1566/21.DA.A
Fundstelle
openJur 2021, 26771
  • Rkr:

1. Die Haftentscheidung des Amtsgerichts stellt keine "andere Entscheidung" i.S.d. § 71 Abs. 7 Satz 1 AsylG dar. Die Zuweisungsentscheidung gilt auch nach Abschluss des (ersten) Asylverfahrens fort.

2. Der bloße Antritt einer Strafhaft hat keine Aufgabe des Wohnsitzes i.S.d. § 52 Nr. 3 Satz 2 und Nr. 5 VwGO zur Folge (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Juni 1996 - XII ARZ 5/96 -, juris), was erst Recht für die Abschiebehaft gelten muss.

Tenor

Das Verwaltungsgericht Darmstadt erklärt sich für unzuständig und verweist den Rechtsstreit an das örtlich zuständige Verwaltungsgericht Gießen.

Gründe

Die Entscheidung ergeht durch die Berichterstatterin, da die Beteiligten mit Schriftsatz der Klägerbevollmächtigten vom 06.08.2021 und Schriftsatz der Beklagten vom 12.08.2021 gemäß § 87a Abs. 2, Abs. 3 VwGO ihr Einverständnis hierzu erteilt haben.

Das Verwaltungsgericht Darmstadt ist für den vorliegenden Rechtsstreit örtlich nicht zuständig und verweist den Rechtsstreit deshalb nach Anhörung der Beteiligten an das örtlich zuständige Verwaltungsgericht Gießen (§§ 83 Satz 1 VwGO, 17a Abs. 2 Satz 1 GVG entsprechend).

Gemäß § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO ist in Streitigkeiten nach dem Asylgesetz das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Ausländer nach dem Asylgesetz seinen Aufenthalt zu nehmen hat; ist eine örtliche Zuständigkeit danach nicht gegeben, bestimmt sie sich nach Nr. 3. Gemäß § 52 Nr. 3 Satz 2 und 5 VwGO ist bei Verpflichtungsklagen gegen einen Verwaltungsakt, der von einer Behörde erlassen worden ist, deren örtliche Zuständigkeit sich auf mehrere Verwaltungsgerichtsbezirke erstreckt, das Verwaltungsgericht zuständig, in dessen Bezirk der Beschwerte seinen Wohnsitz hat.

Da der Kläger bereits vor Klageerhebung, am 11.07.2017, dem Wetteraukreis zugewiesen wurde (vgl. Bl. 43 der Gerichtsakte und Dok. 28 der Verwaltungsakte 2) und zudem in Z im Wetteraukreis zuletzt wohnhaft war, ist das Verwaltungsgericht Gießen gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 3 HessAGVwGO örtlich zuständig.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass es sich vorliegend um einen Folgeantrag i.S.d. § 71 AsylG handelt und sich der Kläger bereits seit dem 27.07.2021 und damit auch zum Zeitpunkt der Klageerhebung am 06.08.2021 in Abschiebehaft in Darmstadt-Eberstadt befindet.

Die Zuweisungsentscheidung gilt auch nach Abschluss des (ersten) Asylverfahrens fort (vgl. § 71 Abs. 7 Satz 1 AsylG; BVerwG, Urteil vom 31. März 1992 - 9 C 155/90 -, Rn. 21, juris). Nach § 71 Abs. 7 Satz 1 AsylG gilt, wenn der Aufenthalt des Ausländers während des früheren Asylverfahrens räumlich beschränkt war, die letzte räumliche Beschränkung fort, solange keine andere Entscheidung ergeht.

Durch die Haftentscheidung des Amtsgerichts Darmstadt liegt nach Auffassung des hiesigen Gerichts keine "andere Entscheidung" i.S.d. § 71 Abs. 7 Satz 1 AsylG vor.

Der Auffassung, welche eine eventuelle frühere Zuweisungsentscheidung in einem anderen Gerichtsbezirk auch ohne ausdrückliche Änderung der Aufenthaltsbestimmung nach dem Asylgesetz als gegenstandslos betrachtet, da infolge der Inhaftierung asylrechtlich keine Möglichkeit einer anderweitigen Aufenthaltsbestimmung bestehe (vgl. VG Bayreuth, Beschluss vom 19. Januar 2017 - B 3 K 17.30091 -, Rn. 1, juris, m.w.N.; VG Karlsruhe, Beschluss vom 29. September 2003 - A 9 K 12056/03 -, juris) ist nicht zu folgen. Zwar steht die Haftentscheidung der Zuweisungsentscheidung insofern entgegen, als dass der in einem anderen Kreis in Haft befindliche Kläger seinen Aufenthalt nicht zugleich im Wetteraukreis nehmen kann, aber es handelt sich hierbei nicht um eine Aufenthaltsbestimmung "nach dem Asylgesetz" im Sinne des § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO. Diese Ansicht hätte einerseits zur Folge, dass bei Haftentlassung zwangsläufig eine erneute Zuweisungsentscheidung ergehen müsste, und andererseits, dass ein sogenanntes "forum-shopping" ermöglicht würde, da die Inhaftierung grundsätzlich am Ort des aktuellen Aufenthalts erfolgt. Auch würde diese Ansicht dem Sinn des § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO, der Dezentralisierung der gerichtlichen Zuständigkeit in Asylverfahren, widersprechen, da die Abschiebehafteinrichtungen teilweise zentralisiert sind (in Hessen beispielsweise in Darmstadt-Eberstadt, vgl. BT-Drucks, 19/31669, S.18) und damit immer das für diesen Ort zuständige Gericht zuständig wäre.

Vielmehr können andere Entscheidungen im Sinne von § 71 Abs. 7 Satz 1 AsylG nur Behörden treffen, die für die Durchführung des Asylgesetzes sachlich zuständig sind (vgl. VG Berlin, Beschluss vom 06. Januar 2005 - 34 X 112.04 -, Rn. 11, juris; so im Ergebnis auch VG Karlsruhe, Beschluss vom 20. Dezember 2019 - A 19 K 10472/18 -, Rn. 13, juris; VG C-Stadt, Beschluss vom 20. November 2001 - 8 E 3619/01 -, juris). Es kommt in der Regel für die örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts nicht darauf an, wo der Asylsuchende sich tatsächlich aufhält, sondern allein darauf, wo er sich aufzuhalten hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. Juli 1997 - 9 AV 3/97 -, juris).

Der bloße Antritt einer Strafhaft hat zudem keine Aufgabe des Wohnsitzes i.S.d. § 52 Nr. 3 Satz 2 und 5 VwGO zur Folge (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Juni 1996 - XII ARZ 5/96 -, juris), was erst Recht für die Abschiebehaft gelten muss, sodass der Aufenthalt des Klägers in der Abschiebehafteinrichtung keinen dortigen Wohnsitz begründet und der bisherige Wohnsitz entscheidend ist.

Hinweis: Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).