AG Siegburg, Urteil vom 26.07.2021 - 115 C 2/21
Fundstelle
openJur 2021, 26717
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung gegen sich durch Sicherheitsleistung von 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Die Parteien streiten über Ansprüche aus einer Betriebsschließungsversicherung.

Die Klägerin betreibt in P die Gaststätte "H". Sie unterhält seit dem Jahr 2016 bei der Beklagten unter anderem eine Betriebsschließungsversicherung (Versicherungsscheinnummer SV 93219325-88202) mit einer Versicherungssumme von zuletzt 41.000 Euro. Wegen der Einzelheiten wird auf die vorgelegten Versicherungsscheine (Bl. 14 ff. d.A., Bl. 120 ff. d.A.) verwiesen. Dieser liegen die Bedingungen für die Betriebsschließungs-Pauschalversicherung Gewerbe (BBSG 19) zugrunde, die auszugsweise wie folgt lauten:

"1 Gegenstand der Versicherung

Ist der versicherte Betrieb von behördlichen Anordnungen (siehe Ziffer 3) aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG) betroffen, ersetzt der Versicherer den dadurch entstehenden Schaden.

Die Versicherung umfasst Schäden und Kosten infolge behördlicher Anordnungen zu Schließung, Desinfektion und Tätigkeitsverboten (siehe Ziffer 3.1), Schäden und Kosten infolge behördlicher Anordnungen zu Vorräten und Waren (siehe Ziffer 3.2) sowie behördlich angeordnete Ermittlungs- und Beobachtungsmaßnahmen (siehe Ziffer 3.3).

(...)

3.1 Behördliche Anordnungen zu Schließung, Desinfektion und Tätigkeitsverboten

Der Versicherer leistet bis zu den in Ziffer 9 genannten Entschädigungsgrenzen Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Infektionsschutzgesetzes beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Ziffer 3.4)

3.1.1 den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen nach Ziffer 3.4 ganz oder teilweise schließt; Tätigkeitsverbote gegen sämtliche Betriebsangehörige eines Betriebs oder einer Betriebsstätte werden einer Betriebsschließung gleichgestellt (Schließung); ein behördlich angeordnetes Verkaufsverbot von Speiseeis gilt für Eisdielen und Eiscafés auch als Betriebsschließung;

3.1.2 die Desinfektion der Betriebsräume und -einrichtung des versicherten Betriebs ganz oder in Teilen anordnet oder schriftlich empfiehlt, weil anzunehmen ist, dass der Betrieb mit meldepflichtigen Krankheitserregern nach Ziffer 3.4 behaftet ist (Desinfektion);

3.1.3 in dem versicherten Betrieb beschäftigten Personen ihre berufliche Tätigkeit

(1) wegen Infektionen mit meldepflichtigen Krankheitserregern,

(2) wegen Erkrankung an meldepflichtigen Krankheiten,

(3) wegen entsprechenden Ansteckungs- oder Krankheitsverdachts oder

(4) als Ausscheider von meldepflichtigen Erregern untersagt

(Tätigkeitsverbote).

3.2 Behördliche Anordnungen zu Vorräten und Waren

Der Versicherer leistet bis zu den in Ziffer 9 genannten Entschädigungsgrenzen Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Infektionsschutzgesetzes beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Ziffer 3.4) die Brauchbarmachung zur anderweitigen Verwertung, die Vernichtung oder die Desinfektion von Vorräten und Waren (siehe Ziffer 4) in dem versicherten Betrieb anordnet oder empfiehlt, weil anzunehmen ist, dass die Vorräte und Waren mit meldepflichtigen Krankheitserregern nach Ziffer 3.4 behaftet sind.

3.3 Behördlich angeordnete Ermittlungs- und Beobachtungsmaßnahmen

Der Versicherer leistet bis zu der in Ziffer 9 genannten Entschädigungsgrenze Entschädigung, wenn die zuständige Behörde beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Ziffer 3.4) Ermittlungsmaßnahmen nach § 25 Abs. 1 IfSG oder Beobachtungsmaßnahmen nach § 29 IfSG anordnet, weil jemand krank, krankheitsverdächtig, ansteckungsverdächtig oder Ausscheider ist.

3.4 Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger

Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger, ausgenommen sind jedoch humane spongiforme Enzephalopathien nach § 6 (1) 1. d) IfSG.

(...)

8.1 Entschädigungsberechnung Schließung

Der Versicherer ersetzt im Falle einer Schließung nach Ziffer 3.1.1 den entgehenden Gewinn aus dem Umsatz der hergestellten Erzeugnisse, der gehandelten Waren und der Dienstleistungen sowie die fortlaufenden Kosten bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Schließung wieder aufgehoben wird, höchstens bis zum Ablauf der vereinbarten Haftzeit.

(...)

9. Entschädigungsgrenzen, Selbstbeteiligung

9.1 Allgemein

Der Versicherer leistet Entschädigung je Versicherungsfall höchstens bis zu den Entschädigungsgrenzen, die in diesen Bedingungen vorgesehen oder zusätzlich vereinbart sind.

9.2 Entschädigungsgrenzen

Soweit nichts anderes vereinbart ist, ist die Entschädigung auf folgende Beträge begrenzt:

9.2.1 für Schäden infolge Schließung noch Ziffer 3.1.1 und

Ziffer 8.1 bis zu 1/12 der vereinbarten Versicherungssumme

(...)"

Wegen des weiteren Inhalts wird auf Anlage K2 (Bl. 228 ff. d.A.) verwiesen.

Durch Allgemeinverfügung vom 16.03.2020 ordnete die Stadt P auf der Grundlage des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (IfSG) wegen des Infektionsrisikos durch die COVID-19-Pandemie die Schließung der Gaststätte an. Durch die Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 des Landes Nordrhein-Westfalen (CoronaSchVO NRW) vom 22.03.2020 war der Betrieb von Gaststätten zunächst bis zum 11.05.2020 untersagt.

Die Klägerin nahm die Beklagte außergerichtlich auf die Regulierung eines von ihr behaupteten, durch die behördlichen Anordnungen entstandenen Schadens in Anspruch, wobei sie diesen auf die vertragliche Entschädigungsgrenze von 1/12 der Versicherungssumme von 41.000 Euro, insgesamt 3.416,66 Euro, bezifferte. Die Beklagte lehnte die Regulierung ab.

Die Klägerin meint, die Allgemeinverfügung der Stadt P und die Verordnung des Landes Nordrhein-Westfalen seien behördliche Schließungsanordnungen im Sinne der BBSG 19. Sie behauptet, sie habe infolge dessen ihren Betrieb in dem genannten Zeitraum dauerhaft und vollständig schließen müssen. Ihr sei dadurch ein Gewinn von 312,57 Euro pro Tag im März 2020 und von weiteren 73,65 Euro pro Tag im April 2020 entgangen und ein Schaden in Höhe von 2.817,84 Euro aufgrund fortlaufender Fixkosten entstanden. Sie hält die Bestimmungen in Ziffer 3.4 der BBSG 19 für intransparent; jedenfalls sei eine dynamische Verweisung auf die jeweils gültige Fassung des Infektionsschutzgesetzes enthalten, so dass das SARS-CoV-2-Virus eine meldepflichtige Krankheit im Sinne der Ziffer 3.4 BBSG 19 darstelle.

Die Klägerin beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an sie 3.416,66 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.05.2020 zu zahlen,

2. die Beklagte zu verurteilen, sie von vorgerichtlich entstandenen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 403,22 € freizustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, die behördlichen Anordnungen der Stadt P sowie die CoronaSchVO NRW seien rechtswidrig. Die Bestimmungen in Ziffer 3.4 enthielten eine lediglich statische Verweisung auf das Infektionsschutzgesetz in der zum Abschluss des Versicherungsvertrags gültigen Fassung. Darüber hinaus seien nach dem Sinn und Zweck lediglich betriebsinterne Gefahren versichert, nicht solche, die aufgrund abstraktgenereller präventiver Gesundheitsmaßnahmen einträten. Die Beklagte meint außerdem, die Klägerin habe die Schadenshöhe nicht ausreichend dargelegt und habe gegen ihre Schadensminderungsobliegenheit verstoßen, indem sie nicht vorrangig staatliche Leistungen, etwa Kurzarbeitergeld, in Anspruch genommen habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 19.05.2021 sowie die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

I.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Leistungsanspruch aus dem streitgegenständlichen Versicherungsvertrag. Ein Versicherungsfall im Sinne der Ziffer 3.1 der BBSG 19 ist nicht eingetreten. Es liegt keine von Ziffer 3.1.1 der BBSG 19 umfasste behördliche Maßnahme vor.

1. Zwar stellen die Allgemeinverfügung der Stadt P sowie die CoronaSchVO NRW - unabhängig von ihrer konkreten Rechtsförmigkeit als Bescheid, Allgemeinverfügung oder Landesverordnung - Maßnahmen dar, die von einer zuständigen Behörde auf der Grundlage des IfSG erlassen worden sind, und die zumindest faktisch eine Schließung des klägerischen Betriebs bewirkt haben, indem sie den Betrieb der Gaststätte in dem konkreten von der Klägerin gewählten Geschäftsmodell zeitweise untersagt haben. Auch auf die Rechtmäßigkeit dieser Maßnahmen - an denen das Gericht dem Grunde nach keinen Zweifel hat - kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Denn die Klägerin muss sich weder auf die Wahl eines anderen möglichen, aber nicht von ihrer unternehmerischen Entscheidung umfassten Geschäftsmodells, etwa den Außerhausverkauf von Speisen, noch auf die vorherige, in ihren Erfolgsaussichten ungewisse verwaltungs- oder verfassungsgerichtliche Anfechtung der jeweiligen Maßnahmen verweisen lassen (vgl. hierzu ausführlich LG München I, Urteil vom 20.04.2021 - 12 O 15984/20 - juris Rn. 72; LG Darmstadt, Urteil vom 10.03.2021 - 26 O 145/20 - juris Rn. 91; LG Düsseldorf, Urteil vom 19.02.2021 - 40 O 53/20 - juris Rn. 39 f.).

2. Jedoch sind die Allgemeinverfügung der Stadt P und die CoronaSchVO des Landes keine Maßnahmen, die aufgrund interner Gefahren gerade des klägerischen Betriebs getroffen wurden. Denn Zweck der Maßnahmen ist die Verhinderung von Infektionen mit dem SARS-CoV-2-Virus u.a. durch Ansammlungen von Personen im öffentlichen Raum. Der Betrieb der Klägerin ist davon allenfalls reflexartig betroffen, die abzuwehrenden Gefahren gehen dabei aber nicht von dem einzelnen Betrieb, seiner Einrichtung, seinen Waren oder seinem Personal aus.

Gegenstand der Betriebsschließungsversicherung im Sinne der Ziffern 1 und 3.1 bis 3.3 der BBSG 19 sind aber nur Maßnahmen, die aufgrund solcher betriebsinternen Gefahren getroffen werden. Dies ergibt die Auslegung der maßgeblichen Bestimmungen in den Versicherungsbedingungen.

a) Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit - auch - auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Wortlaut der jeweiligen Klausel auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (BGH, Urteil vom 31.03.2021 - IV ZR 221/19 - juris Rn. 26 m.w.N.). Bei der hier in Rede stehenden Betriebsschließungsversicherung ist überdies zu berücksichtigen, dass der typische Adressaten- und Versichertenkreis nicht aus Verbrauchern besteht, sondern geschäftserfahren und mit Allgemeinen Geschäftsbedingungen vertraut ist, da die Versicherung ihrem Zweck und Inhalt nach auf Gewerbebetriebe abzielt (OLG Stuttgart, Urteil vom 18.02.2021 - 7 U 351/20 - juris Rn. 34 m.w.N.).

b) Eine Einschränkung auf Maßnahmen zur Abwehr betriebsinterner Gefahren ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus dem Wortlaut der Ziffer 3.1.1 der BBSG 19. Sie entspricht aber dem erkennbaren Sinn und Zweck der Regelung und ihrer systematischen Stellung in dem vertraglichen Regelungsgefüge.

Die Vertragsbedingungen beschreiben in den Ziffern 3.1 - dort unterteilt in 3.1.1, 3.1.2 und 3.1.3 - sowie 3.2 und 3.3 eine Vielzahl verschiedener behördlicher Eingriffe, die sich gegen den Betrieb selbst, gegen einzelne Betriebsstätten oder gegen einzelne in dem Betrieb beschäftigte Personen richten. Den hier streitgegenständlichen Fall der vollständigen Betriebsschließung nach Ziffer 3.1.1 1. Halbsatz hinweggedacht, verbleiben als Versicherungsfälle ausschließlich unmittelbar betriebsbezogene Eingriffe. Denn ihnen ist gemeinsam, dass sie auf das Vorhandensein von oder den Verdacht auf meldepflichtige Erreger oder Krankheiten in den Räumlichkeiten, der Einrichtung, den Vorräten, den Waren oder bei den beschäftigten Personen des konkreten versicherten Betriebs gestützt sind.

Vor diesem Hintergrund überzeugt es nicht, dass allein der in Ziffer 3.1.1 1. Halbsatz genannte Versicherungsfall einen solchen Bezug zu dem konkret versicherten Betrieb nicht voraussetzen soll, weil es sich um einen eigenständig geregelten Fall handele (so aber LG München I, Urteil vom 20.04.2021 - 12 O 15984/20 - juris Rn. 77; LG Darmstadt, Urteil vom 10.03.2021 - 26 O 145/20 - juris Rn. 99; LG Mannheim, Urteil vom 19.02.2021 - 11 O 131/20 - juris Rn. 38). Eine solche Auslegung würde sich in das aufgezeigte Regelungsgefüge nicht einfügen, sondern vielmehr eine einzelne Fallgruppe schaffen, die in ihrem Anwendungsbereich weit über die übrigen erfassten Fälle hinaus ginge, ohne dass dies in der Beschreibung des Hauptleistungsversprechens nach Ziffer 1, im Wortlaut und der systematischen Stellung der Ziffern 3.1 bis 3.3 oder bei der Rechtsfolge - der Zahlung einer Entschädigung in den vertraglich vorgesehenen Entschädigungsgrenzen - Ausdruck finden würde.

Dies war für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer aus dem maßgeblichen geschäftserfahrenen Adressaten- und Versichertenkreis auch erkennbar. Aus den aufgezeigten Gründen muss sich bei der verständigen Lektüre der Vertragsbedingungen für den Versicherungsnehmer der Eindruck aufdrängen, dass alle beschriebenen Versicherungsfälle allein auf betriebsinterne Risiken Bezug nehmen (vgl. OLG Schleswig, Urteil vom 10.05.2021 - 16 U 25/21 - juris Rn. 24 ff.). Es bedarf hierzu auch nicht der Verwendung spezifisch verwaltungsrechtlicher Begriffe (so aber OLG Karlsruhe - Urteil vom 30.06.2021 - 12 U 4/21 - juris Rn. 79) oder des Verständnisses der versicherungsmathematischen Berechnung der Jahresprämie (so aber LG München I, Urteil vom 20.04.2021 - 12 O 15984/20 - juris Rn. 78), um die Beschreibung der von den Versicherungsbedingungen erfassten Versicherungsfälle verständig zu würdigen. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass aus dem systematischen Zusammenhang eine Gleichstufigkeit der unterschiedlichen Versicherungsfälle klar erkennbar ist. Dies ist bei der Aufzählung in Ziffer 1, bei dem Katalog der auf Ziffer 3.1.1 folgenden Bedingungen und auch innerhalb der verschiedenen Halbsätze von Ziffer 3.1.1 der BBSG 19 der Fall.

c) Die Klausel - welche als allgemeine Geschäftsbedingung im Sinne der §§ 305 ff. BGB zu qualifizieren ist - ist auch nicht gemäß § 305c Abs. 2 BGB oder gemäß § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 BGB unwirksam. Die oben genannte Auslegung der Ziffer 3.1.1 der BBSG 19 stellt zugleich die der Inhaltskontrolle zugrunde zu legende "kundenfeindlichste Auslegung" dar.

aa) Die Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB kommt nur zur Anwendung, sofern nach Ausschöpfung aller in Betracht kommenden Auslegungsmöglichkeiten Zweifel verbleiben und zumindest zwei Auslegungsergebnisse rechtlich vertretbar sind. Hierbei bleiben allerdings Verständnismöglichkeiten unberücksichtigt, die zwar theoretisch denkbar, praktisch aber fern liegend sind und für die an solchen Geschäften typischerweise Beteiligten nicht ernsthaft in Betracht kommen (BGH, Urteil vom 10.06.2020 - VIII ZR 289/19 - juris Rn. 27; BGH, Urteil vom 20.01.2016 - VIII ZR 152/15 - juris Rn. 19; jeweils m.w.N.).

Richtig ist zwar, dass es nach dem Sinn und Zweck des § 305c Abs. 2 BGB grundsätzlich im Verantwortungsbereich Verwenders liegt, die Klausel hinreichend klar zu formulieren, im vorliegenden Fall also dergestalt, dass sie seinen Willen, ein bestimmtes Risiko nicht mehr abzudecken, hinreichend klar zum Ausdruck bringt (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 30.06.2021 - 12 U 4/21 - juris Rn. 80; LG Darmstadt, Urteil vom 10.03.2021 - 26 O 145/20 - juris Rn. 100; Armbrüster, VersR 2020, 577 (583)). Dies betrifft aber nicht mehr diejenigen Fälle, in denen der Verwender - und jedermann sonst - aufgrund geänderter Umstände mit dem späteren Eintreten einer derartigen Auslegungsmöglichkeit nicht zu rechnen brauchte. Die behördlichen Maßnahmen, im vorliegenden Fall die der Stadt P und des Landesgesundheitsministeriums, sind solche zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht vorhersehbaren Umstände.

Nach diesen Maßstäben ist die oben dargelegte Auslegung eindeutig. Das Auslegungsergebnis, wonach in Ziffer 3.1.1 1. Halbsatz der BBSG 19 auch betriebsfremde - und sogar geschäftszweigfremde - Gefahren erfasst sein sollen, ist eine nur theoretisch denkbare Verständnismöglichkeit, die zum maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsschlusses von den Beteiligten weder gewollt noch vorhersehbar war. Diese extensive Auslegung ist ersichtlich allein von der heutigen, rückblickenden Sicht auf die zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie getroffenen Maßnahmen beeinflusst. Dies ist aber nicht der an die Auslegung anzulegende Maßstab.

Vielmehr war es noch wenige Wochen vor den erstmals im März 2020 getroffenen Maßnahmen schlechterdings unvorstellbar, dass die für den Gesundheitsschutz zuständigen Behörden auf Kommunal-, Landes- und Bundesebene Regelungen erlassen würden, die weite Teile des öffentlichen (Wirtschafts-)Lebens über einen längeren Zeitraum stillstehen lassen und über den Einzelfall hinausgehend - nicht nur im Gaststättengewerbe, sondern in einer Vielzahl von Geschäftszweigen - Betriebe mit Öffnungsverboten und/oder weit in die Betriebsabläufe hinein reichenden Hygieneauflagen belegen. Auch hierbei kommt es nicht auf die Rechtmäßigkeit und Sinnhaftigkeit der staatlichen Maßnahmen an, die auch insoweit - jedenfalls dem Grunde nach - nach Auffassung des Gerichts nicht zweifelhaft ist.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass schon immer Krankheiten und Pandemien sowie bereits vor Vertragsschluss und in weltweitem Maßstab neuartige Krankheitserreger aufgetreten sind, etwa der SARS-Erreger in den Jahren 2002/03 und der MERS-Erreger im Jahr 2012 (vgl. LG Darmstadt, Urteil vom 10.03.2021 - 26 O 145/20 - juris Rn. 100). Denn auch bezogen auf dieses bereits bekannte Geschehen waren das Ausmaß der COVID-19-Pandemie und der zu deren Bekämpfung getroffenen Maßnahmen gänzlich neu und nicht ansatzweise vorauszusehen.

bb) Die Klausel hält auch der Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB stand.

Dabei kann es dahin stehen, ob es sich überhaupt um eine der Inhaltskontrolle zugängliche Klausel handelt, oder ob sie - in Verbindung mit Ziffer 1 der BBSG 19 - selbst den unmittelbaren Gegenstand der geschuldeten Hauptleistung festlegt (vgl. dazu BGH, Urteil vom 26.09.2007 - IV ZR 252/06 - juris Rn. 13). Die Klausel führt jedenfalls nicht zu einer unangemessenen Benachteiligung der Klägerin.

Eine solche unangemessene Benachteiligung ist nach § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB im Zweifel anzunehmen, wenn wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrages ergeben, so eingeschränkt werden, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist. Dies ist jedoch nicht der Fall. Selbst wenn man annimmt, dass die Auslegung von Ziffer 3.1.1 1. Halbsatz der BBSG 19 das in Ziffer 1 gegebene Hauptleistungsversprechen lediglich einschränkt - und nicht definiert -, ist der Kern des Leistungsversprechens, wie er sich aus Ziffer 1 in Verbindung mit Ziffern 3.1 bis 3.3 ergibt, nicht berührt. Die Einschränkung fügt sich vielmehr, wie aufgezeigt, in das übrige Regelungsgefüge ein.

3. Nach dem Vorgesagten kann es offen bleiben, ob es sich bei dem SARS-CoV-2-Virus bzw. bei der Krankheit COVID-19 um einen Krankheitserreger bzw. eine Krankheit im Sinne der Ziffer 3.4 der BBSG 19 handelt, insbesondere ob die entsprechende Bestimmung im Wege der statischen oder der dynamischen Verweisung auf §§ 6, 7 IfSG Bezug nimmt.

II.

Mangels Hauptanspruchs stehen der Klägerin auch die geltend gemachten Nebenforderungen nicht zu.

III.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Streitwert: 3.416,66 €

Rechtsbehelfsbelehrung:

Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung für jeden zulässig, der durch dieses Urteil in seinen Rechten benachteiligt ist,

1. wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 EUR übersteigt oder

2. wenn die Berufung in dem Urteil durch das Amtsgericht zugelassen worden ist.

Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung dieses Urteils schriftlich bei dem Landgericht X, eingegangen sein. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde, enthalten.

Die Berufung ist, sofern nicht bereits in der Berufungsschrift erfolgt, binnen zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils schriftlich gegenüber dem Landgericht X zu begründen.

Die Parteien müssen sich vor dem Landgericht Bonn durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, insbesondere müssen die Berufungs- und die Berufungsbegründungsschrift von einem solchen unterzeichnet sein.

Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.

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