OLG Stuttgart, Urteil vom 14.01.2021 - 7 U 249/20
Fundstelle
openJur 2021, 26700
  • Rkr:
Rubrum

Oberlandesgericht Stuttgart

7. ZIVILSENAT

Im Namen des Volkes

Urteil

In dem Rechtsstreit

S... F... S.C.A. RAIF, ..., ..., ...

- Klägerin und Berufungsklägerin -

Prozessbevollmächtigte:

Rechtsanwälte ...

gegen

W... Lebensversicherung AG, vertreten durch d. Vorstand, ...

..., ... Stuttgart, Gz.: ...

- Beklagte und Berufungsbeklagte -

Prozessbevollmächtigte:

Rechtsanwälte ...

wegen Widerspruch Lebensversicherung

hat das Oberlandesgericht Stuttgart - 7. Zivilsenat - durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht

..., den Richter am Oberlandesgericht Dr. ... und den Richter am Landgericht

... aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 17.12.2020 für Recht erkannt:

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 17.06.2020, Az. 18 O 227/19, abgeändert:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.630,53 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 29.05.2019 zu bezahlen.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die weitergehende Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

III. Von den Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz tragen die Klägerin 85 % und die Beklagte 15 % und von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin 60 % und die Beklagte 40 %.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Streitwert des Berufungsverfahrens: 8.885,36 €.

Gründe

I.

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß §§ 313a Abs. 1, 540 Abs. 2, 544 Abs. 2 ZPO abgesehen.

II.

Die zulässige Berufung der Klägerin erweist sich zum Teil als begründet.

Der Klägerin steht aus abgetretenem Recht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Erstattung der von dem Versicherungsnehmer geleisteten Prämien sowie auf Herausgabe der von der Beklagten gezogenen Nutzungen gemäß den §§ 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1, 818 Abs. 1 und 2 BGB i. V. m. § 398 BGB in Höhe von 3.630,53 € zu.

1.

Die Klägerin ist vorliegend aufgrund der ihr von dem Versicherungsnehmer abgetretenen Ansprüche aus der Rückabwicklung des Vertrages aktivlegitimiert. Die Abtretung ist wirksam. Zwar kann aufgrund der von den Parteien eingereichten Unterlagen nicht abschließend geklärt werden, ob der Versicherungsnehmer sein Widerspruchsrecht gemäß § 5a VVG a.F. bereits vor Abtretung der bezeichneten Ansprüche ausgeübt hat.

Der Zeitpunkt der Abtretung und Ausübung des Widerspruchsrechts bedarf hier jedoch keiner näheren Klärung, weil sich die Abtretung in jedem Fall als wirksam erweist.

Der Versicherungsnehmer hat an die Klägerin ausweislich der vorgelegten Unterlagen nicht sämtliche Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag abgetreten, sondern lediglich die sich aus der Rückabwicklung des Vertrages nach erklärtem Widerspruch ergebenden Ansprüche gemäß den §§ 812 ff. BGB (Anzeige vom 17.04./18.04.2018, Anlage KGR 4, GA 37). Auch wenn der Widerspruch erst mit Zugang der Erklärung beim Vertragspartner (der Beklagten) Wirkung entfaltet, war die Abtretung eines zu diesem Zeitpunkt noch künftigen (aufschiebend bedingten) Anspruches möglich und wirksam (vgl. Roth/Kieninger in Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2019, Rn. 78 zu § 398).

2.

Der Versicherungsnehmer hat nicht auf einen wirksamen Vertrag geleistet. Das Widerspruchsrecht konnte er noch im Jahr 2018 wirksam ausüben, weil er nicht ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht gemäß § 5a VVG in der maßgeblichen, vom 29.07.1994 bis zum 31.07.2001 geltenden Fassung (nachfolgend: § 5a VVG a.F.) belehrt wurde.

In dem Policenbegleitschreiben vom 28.12.1998 (Anlage KGR 2, GA 35) wurde der Versicherungsnehmer nicht ordnungsgemäß belehrt, denn die auf Seite 2 enthaltene Widerspruchsbelehrung genügte nicht den Vorgaben des § 5a VVG a.F., weil sie keinen Hinweis darauf enthält, dass der Widerspruch schriftlich zu erheben war (BGH, Beschluss vom 27.01.2016 - IV ZR 130/15, RuS 2016, 230, Rn. 12 ff.).

Die notwendige Belehrung über das gesetzliche Formerfordernis (dazu BGH, Urteil vom 28.01.2004 - IV ZR 58/03, Rn. 16, juris) erfolgte nicht dadurch, dass dem Versicherungsnehmer mitgeteilt wurde, zur Fristwahrung genüge die rechtzeitige "Absendung" der Widerspruchserklärung (BGH, Urteil vom 17.06.2015 - IV ZR 426/13, Rn. 12, juris).

Selbst wenn ein verständiger Versicherungsnehmer nur verkörperte Erklärungen als der Absendung zugänglich ansieht, so bleibt für ihn dennoch unklar, ob hierzu eine Verkörperung in Textform ausreicht oder ob es nicht der traditionellen Schriftform bedarf (BGH, Urteil vom 29.07.2015 - IV ZR 448/14, Rn. 24, juris).

3.

Der Versicherungsnehmer verstößt mit seiner Rechtsausübung nicht gegen Treu und Glauben.

a)

Für eine Verwirkung des Rechts auf Widerspruch fehlt es vorliegend jedenfalls am Umstandsmoment. Ein schutzwürdiges Vertrauen kann die Beklagte schon deshalb nicht in Anspruch nehmen, weil sie die Situation selbst herbeigeführt hat, indem sie dem Versicherungsnehmer keine ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung erteilte (BGH, Urteil vom 07.05.2014 - IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101-121, Rn. 39).

b)

Aus demselben Grund liegt in der Geltendmachung des bereicherungsrechtlichen Anspruchs keine widersprüchliche und damit unzulässige Rechtsausübung.

c)

Besonders gravierende Umstände, die dem Versicherungsnehmer ausnahmsweise die Geltendmachung des Widerspruchsrechts verwehren würden (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 27.01.2016 - IV ZR 130/15, Rn. 16, juris) liegen nicht vor. Die von der Beklagten vorgetragenen Umstände genügen hierfür jedenfalls nicht, insbesondere nicht der Zeitablauf zwischen Vertragsabschluss und dem knapp 20 Jahre später erklärten Widerspruch. Weiter ist zwar zu berücksichtigen, dass der gegenständliche Versicherungsvertrag von dem Versicherungsnehmer bereits zum 28.02.2005 gekündigt wurde, indes erfolgte daraufhin eine Auszahlung von 3.704,69 € und damit wesentlich weniger als die Summe der von ihm gezahlten Beiträge in Höhe von 9.203,25 € (vgl. zu diesem Kriterium auch OLG München, Urteil vom 31.08.2018 - 25 U 607/18).

4.

Die Beklagte ist der Klägerin mithin nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB zur Herausgabe des durch dessen Leistung Erlangten verpflichtet.

a)

Die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung gegenseitiger Verträge hat nach den Grundsätzen der sogenannten Saldotheorie zu erfolgen. Danach ist der Bereicherungsanspruch bei beiderseits ausgeführten gegenseitigen nichtigen Verträgen ein von vornherein in sich beschränkter einheitlicher Anspruch auf Ausgleich aller mit der Vermögensverschiebung zurechenbar zusammenhängender Vorgänge in Höhe des sich dabei ergebenden Saldos (vgl. BGH, Urteil vom 20.03. 2001 – XI ZR 213/00, Rn. 15, juris).

b)

Daher kann die Klägerin nach § 818 Abs. 2 BGB dem Grunde nach den Ersatz des Wertes der von dem Versicherungsnehmer insgesamt geleisteten Prämien in Höhe von 9.203,25 € verlangen.

Indes muss sich die Klägerin Fondsverluste bereicherungsmindernd anrechnen lassen (BGH, Urteil vom 21.03.2018 – IV ZR 353/16, juris). Nach den plausiblen und nachvollziehbaren Angaben der Zeugin ... haben die realisierten Fondsverluste 1.126,46 € betragen.

c)

Die Klägerin muss sich weiter im Rahmen der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung den Versicherungsschutz anrechnen lassen, den der Versicherungsnehmer während der Vertragslaufzeit genossen hat.

Erlangter Versicherungsschutz ist ein Vermögensvorteil, dessen Wert nach den §§ 812 Abs. 1 Satz 1, 818 Abs. 2 BGB zu ersetzen sein kann (vgl. BGH, Urteil vom 07.05.2014 - IV ZR 76/11, VersR 2014, 817, Rn. 45). Dies zugrunde legend, sind für diesen Vertrag nach den plausiblen und nachvollziehbaren Ausführungen der Zeugin ... kalkulierte Risikokosten in Höhe von 741,57 € in Ansatz zu bringen.

d)

Der Klägerin steht ein weiterer Anspruch nach § 818 Abs. 1 BGB auf Herausgabe der gezogenen Nutzungen nicht mehr zu. Aus den Ausführungen der Zeugin ... folgt, dass die Risikoüberschüsse in Höhe von 185,44 € dem Fondsvermögen zugeführt wurden, dies gilt ebenso für die Kostenüberschüsse in Höhe von 114,99 € aus den kalkulierten Verwaltungskosten. Es sind daher keine weiteren berücksichtigungsfähigen Kosten entstanden.

e)

Die Ausführungen der Zeugin sind für den Senat insgesamt überzeugend. Es besteht - nicht zuletzt aufgrund des persönlichen Eindrucks, den der Senat von der Zeugin gewonnen hat - kein Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit. Die Zeugin hat - obwohl bei der Beklagten beschäftigt - insbesondere keine Aussagetendenz zu deren Gunsten erkennen lassen, sondern vielmehr die maßgeblichen Umstände sachlich, ruhig und ihrem Kenntnisstand entsprechend geschildert.

f)

Demgemäß beziffert sich der noch bestehende Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte wie folgt:

Bezahlte Prämien 9.203,25 €

- Fondsverluste 1.126,46 €

- Risikokosten 741,57 €

- geleistete Auszahlung 3.704,69 €

Ergebnis 3.630,53 €

5.

Aus dem oben genannten Betrag kann die Klägerin - wie geltend gemacht - aufgrund des Schreibens der vormaligen Bevollmächtigten der Klägerin vom 24.07.2018 (Anlage KGR 5, GA 38 ff.) Verzugs- und Rechtshängigkeitszinsen gemäß §§ 288, 286, 291 BGB ab dem 29.05.2019 verlangen.

6.

Ein Anspruch auf Erstattung der außergerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten steht der Klägerin indes nicht zu.

a)

Ein solcher Anspruch ergibt sich nicht aus dem Gesichtspunkt des Verzuges gemäß §§ 280 Abs. 2, 286 Abs. 1 BGB. Denn die Beklagte befand sich im Zeitpunkt der Beauftragung der (vormaligen) Prozessbevollmächtigten mit der Auskehrung des der Klägerin aufgrund des Widerspruchs zustehenden Betrages noch nicht in Verzug; der Versicherungsnehmer bzw. die Klägerin hatten bei Erklärung des Widerspruchs keine Auszahlung eines bestimmten Betrages geltend gemacht.

b)

Aus dem Gesichtspunkt eines Schadensersatzes nach § 280 Abs. 1 BGB kann sich hier ein Anspruch ebenfalls nicht ergeben. Der Umstand der nicht ordnungsgemäßen Belehrung durch die Beklagte ist nicht ausreichend, um einen entsprechenden Schadensersatzanspruch zu begründen. Das diesbezügliche Vorbringen der Klägerin ist nicht genügend.

III.

1.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO, wobei für die erste Instanz der zunächst von der Klägerin geltend gemachte Betrag von 24.145,76 € maßgeblich war. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

2.

Ein Grund, die Revision zuzulassen (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegt nicht vor.

3.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde gemäß §§ 47, 48 GKG festgesetzt.

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