Bayerisches LSG, Beschluss vom 26.08.2021 - L 19 AY 70/21 B ER
Fundstelle
openJur 2021, 26529
  • Rkr:
Tenor

I. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 30.07.2021 aufgehoben. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 24.06.2021 wird angeordnet. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig für den Zeitraum vom 22.07.2021 bis zum 31.12.2021, längstens aber bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache, ungekürzte Leistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG (Regelbedarfsstufe 2) unter Anrechnung der für diesen Zeitraum bereits erbrachten Leistungen zu gewähren.

II. Der Antragsgegner erstattet die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin beider Instanzen.

III. Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt S, B-Stadt, beigeordnet. Ratenzahlungen sind nicht zu erbringen.

IV. Der Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe

I.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Antragstellerin gegenüber dem Antragsgegner Anspruch auf vorläufige höhere Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) für den Zeitraum vom 22.07.2021 bis zum 31.12.2021 hat.

Die 1993 geborene Antragstellerin ist syrische Staatsangehörige. Sie ist über Griechenland am 07.03.2021 in das Bundesgebiet eingereist und stellte am 24.03.2021 Antrag auf Asyl. Über den Asylantrag ist bisher nicht entschieden worden. Die am 24.03.2021 erteilte Aufenthaltsgestattung (§ 55 Asylgesetz -AsylG-) ist weiterhin gültig.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) teilte unter dem 06.05.2021 mit, dass die Antragstellerin in Griechenland einen internationalen Schutz vom 30.03.2021 bis zum 29.03.2024 erlangt hätte.

Mit Bescheid vom 17.06.2021 gewährte der Antragsgegner der Antragstellerin Leistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG für die Zeit vom 10.06.2021 bis 30.06.2021.

Nach Anhörung stellte der Antragsgegner mit Bescheid vom 24.06.2021 für den Zeitraum vom 01.07.2021 bis zum 31.12.2021 die Einschränkung der Leistungen nach § 1a Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 AsylbLG fest und gewährte der Antragstellerin Leistungen für Ernährung, Gesundheits- und Körperpflege in einem Umfang von insgesamt 163,00 Euro monatlich. Daneben würden Leistungen der Unterkunft einschl. Heizung und Strom als Sachleistungen gewährt. Krankenhilfe ergebe sich aus § 4 AsylbLG. Wegen des zuerkannten internationalen Schutzes in Griechenland, der weiterhin fortbestehe, seien die tatbestandlichen Voraussetzungen nach § 1a Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 AsylbLG erfüllt.

Gegen den Bescheid vom 24.06.2021 erhob der Bevollmächtigte der Antragstellerin den Widerspruch vom 22.07.2021, über den noch nicht entschieden wurde.

Mit Eingang am 22.07.2021 hat der Bevollmächtigte beim Sozialgericht Würzburg einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel gestellt, den Antragsgegner zu verpflichten, der Antragstellerin für die Zeit vom 22.07.2021 bis zum 31.12.2021 ungekürzte Leistungen nach den §§ 3, 3a AsylbLG (Regelbedarfsstufe 2) zu bewilligen.

Das Sozialgericht Würzburg hat mit Beschluss vom 30.07.2021 den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sei unbegründet. Es bestünden keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Regelungen des § 1a Abs. 4 Satz 2 Nr. 1, Abs. 1 AsylbLG und an der Rechtmäßigkeit der vom Antragsgegner festgestellten Anspruchseinschränkung. Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Leistungseinschränkung seien erfüllt. Auch der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, vorläufig Leistungen nach §§ 3, 3 a AsylbLG zu erbringen, sei unbegründet.

Gegen diesen Beschluss hat der Bevollmächtigte der Antragstellerin am 06.08.2021 Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht erhoben und gleichzeitig die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren beantragt. Unter dem Az. L 19 AY 76/21 B PKH ist beim Bayer. Landessozialgericht die Beschwerde gegen die Ablehnung der Gewährung von Prozesskostenhilfe durch den Beschluss vom 30.07.2021 anhängig.

Der Bevollmächtigte führt aus, die Regelung des § 1a AsylbLG sei verfassungswidrig, da sie das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verletze. Auch sei eine Anspruchseinschränkung nur zulässig, wenn dem Leistungsberechtigten ein pflichtwidriges Verhalten vorzuwerfen sei. Außerdem drohe in Griechenland die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung nach Art. 3 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK).

Die Antragstellerin beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 30.07.2021 aufzuheben, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 24.06.2021 anzuordnen und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr vorläufig für die Zeit vom 22.07.2021 bis zum 31.12.2021, längstens aber bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache, ungekürzte Leistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG (Regelbedarfsstufe 2) zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 30.07.2021 zurückzuweisen.

Die Leistungseinschränkung nach § 1a Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 AsylbLG sei nach der geltenden Gesetzeslage vorgenommen worden. Durch den internationalen Schutzstatus sei es der Antragstellerin jederzeit möglich, nach Griechenland einzureisen. Verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf die Anwendung der Rechtsvorschrift des § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG bestünden nicht. Dem Antragsgegner stehe als Behörde keine Normverwerfungskompetenz zu.

Zur Ergänzung des Sachverhaltes wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und auf die beigezogene Verfahrensakte des Antragsgegners Bezug genommen.

II.

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig (§§ 172, 173 SGG). Die Beschwerde ist auch begründet. Das Sozialgericht hat zu Unrecht dem Antrag der Antragstellerin auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nicht entsprochen.

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 22.07.2021 gegen den Bescheid vom 24.06.2021 ist nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG anzuordnen. Gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Gemäß § 11 Abs. 4 Nr. 2 AsylbLG haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Bescheid über die Feststellung einer Einschränkung der Leistungsberechtigung nach § 1a AsylbLG keine aufschiebende Wirkung. Damit ist in § 11 Abs. 4 AsylbLG grundsätzlich das vom Gesetzgeber im Regelfall als höher bewertete Interesse an einem Sofortvollzug der Leistungseinschränkung gegenüber dem Interesse des Leistungsberechtigten, dass ein Eintritt von Sanktionen erst nach rechtskräftiger Feststellung eines Pflichtenverstoßes eintreten soll, zum Ausdruck gebracht. Für die Entscheidung, ob die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs durch gerichtliche Anordnung hergestellt werden soll, ist eine Interessenabwägung unter Berücksichtigung der möglichen Erfolgsaussichten eines Hauptsacheverfahrens vorzunehmen. Ist der angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig und der Betroffene durch ihn in seinen subjektiven Rechten verletzt, wird in der Regel ausgesetzt. Bei offenen Erfolgsaussichten ist eine allgemeine Interessenabwägung unter Berücksichtigung des Grades der möglichen Erfolgsaussichten und der Schwere der Verwaltungsentscheidung für den Betroffenen durchzuführen.

Dies zugrunde gelegt ist die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs anzuordnen. Der Bescheid vom 24.06.2021 ist nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit rechtmäßig. Insoweit bestehen für den Senat erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides.

Zwar gehen das Sozialgericht und der Antragsgegner davon aus, dass (allein) die in § 1a Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 AsylbLG genannten Voraussetzungen für eine Leistungskürzung erfüllt sind. Nach § 1a Abs. 4 Satz 1 AsylbLG erhalten Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 1, 1a oder 5 AsylbLG, für die in Abweichung von der Regelzuständigkeit nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31), nach einer Verteilung durch die Europäische Union ein anderer Mitgliedstaat oder ein am Verteilmechanismus teilnehmender Drittstaat, der die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 anwendet, zuständig ist, ebenfalls nur Leistungen entsprechend Absatz 1. Nach Satz 2 gilt Satz 1 entsprechend für Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 oder 1a AsylbLG, denen bereits von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder von einem am Verteilmechanismus teilnehmenden Drittstaat im Sinne von Satz 1 internationaler Schutz (Nr. 1) gewährt worden ist, wenn der internationale Schutz fortbesteht.

Das Asylverfahren der Antragstellerin ist noch nicht abgeschlossen und sie hat weiterhin eine Aufenthaltsgestattung nach dem Asylgesetz inne. Die Antragstellerin ist demnach Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 AsylbLG. Ihr ist ein für drei Jahre fortbestehender internationaler Schutz in Griechenland zuerkannt worden. Diesen Schutz hat sie aber erst nach der Einreise erlangt. In der Hauptsache wird darüber zu entscheiden sein, ob Leistungsberechtigte auch dann von § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG erfasst werden, wenn ihnen erst nach der Einreise in das Bundesgebiet internationaler Schutz oder ein Aufenthaltsrecht aus anderen Gründen gewährt worden ist. Jedenfalls ist für dieses Antragsverfahren davon auszugehen, dass hinsichtlich der Einschränkung der Leistungen nach § 1a Abs. 4 Satz 2, Abs. 1 AsylbLG erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit bestehen.

Zu berücksichtigen ist, dass die Sanktionen der Anspruchskürzungen gem. § 1a AsylbLG nur solange andauern, wie auch das nach § 1a Abs. 1 bis 7 AsylbLG jeweils bestimmte rechtsmissbräuchliche Verhalten der betroffenen Leistungsberechtigten anhält. Bis dahin erhalten diese Leistungsberechtigten nur noch Leistungen zur Deckung ihres Bedarfs an Ernährung und Unterkunft einschließlich Heizung sowie Körper- und Gesundheitspflege (§ 1a Abs. 1 Satz 2 AsylbLG). Unter bestimmten Umständen "können" Leistungen für Kleidung und Hausrat gewährt werden (§ 1a Abs. 1 Satz 3 AsylbLG). Leistungen zur Deckung des soziokulturellen Existenzminimums entfallen vollständig. Hier hat das Bundesverfassungsgericht aber klargestellt, dass die soziokulturelle Seite des Existenzminimums nicht pauschal gestrichen werden darf (Nichtannahmebeschluss vom 12.05.2021 - 1 BvR 2682/17 - juris Rn. 24). Im Ergebnis erfolgt die Leistungsabsenkung auf das Niveau eines reduzierten physischen Existenzminimums noch unterhalb des notwendigen Bedarfes im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG. Dieses reduzierte Existenzminimum soll durch Sachleistungen gewährleistet werden (§ 1a Abs. 1 Satz 4 AsylbLG). Bei rechtskonformem Verhalten der Leistungsberechtigten besteht dann wieder Anspruch auf Grundleistungen gem. § 3 AsylbLG. Jedoch folgt aus dem Tatbestand des § 1a Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 AsylbLG, dass die betroffenen Leistungsberechtigten nach der Einreise keine Möglichkeit haben, ihr Verhalten so zu ändern, dass sie während ihres Aufenthaltes Grundleistungen nach § 3 AsylbLG beanspruchen können.

Leistungsminderungen sind aber nur dann verhältnismäßig, wenn diese unter Berücksichtigung ihrer Eignung zur Erreichung des Zwecks und als mildestes, gleich geeignetes Mittel in einem angemessenen Verhältnis zur Belastung der Betroffenen stehen. Vorliegend kann schon der mit der Leistungsminderung verfolgte Zweck der Vermeidung irregulärer Sekundärmigration, einer sozialleistungsmotivierten Einreise präventiv zu begegnen, nach der Einreise nicht mehr erreicht werden. Weiter muss es den Betroffenen tatsächlich möglich sein, die Minderung staatlicher Leistungen durch eigenes zumutbares Verhalten abzuwenden und die existenzsichernde Leistung wiederzuerlangen. Die Anforderungen aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz (GG) sind daher nur dann gewahrt, wenn die zur Deckung des gesamten existenznotwendigen Bedarfs erforderlichen Leistungen für Bedürftige jedenfalls bereitstehen und es in ihrer eigenen Verantwortung liegt, in zumutbarer Weise die Voraussetzungen dafür zu schaffen, die Leistung auch nach einer Minderung wieder zu erhalten (vgl. insgesamt LSG Hessen, Beschluss vom 31.03.2020 - L 4 AY 4/20 B ER - juris mit Bezug auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts).

Hinsichtlich der Antragstellerin gilt, dass sie durch ihr Verhalten eine Abänderung der Leistungseinschränkung nicht zumutbar erreichen kann. Im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Zweifel ist für die Regelung des § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal zu fordern, dass den Betroffenen die Rückkehr in das schutzgewährende Land aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen möglich und zumutbar ist (Bayer. LSG, Beschluss vom 09.08.2020 - L 19 AY 60/21 B ER n.v., Bayer. LSG, Beschluss vom 27.10.2020 - L 19 AY 102/20 B ER n.v.; LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 15.06.2020 - L 9 AY 78/20 B ER - juris; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27.03.2020 - L 20 AY 20/20 B ER - juris; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 19.11.2019 - L 8 AY 26/19 B ER - juris; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 11.06.2019 - L 8 AY 5/19 B ER - juris; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 14.05.2019 - L 7 AY 1161/19 ER B - juris; ähnlich auch der Bericht der Länderarbeitsgemeinschaft für Migration und Flüchtlinge vom 26.04.2021, TOP 2.1., nach dem bis zum Abschluss der Prüfung durch das BAMF, ob bei einem Betroffenen der internationale Schutz fortbesteht und in dem jeweiligen Einzelfall die Rückkehr nach Griechenland aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen möglich und zumutbar ist, von der Verhängung einer Leistungsminderung nach § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG abzusehen ist). Denn ohne eine solche ungeschriebene Voraussetzung hätten die Betroffenen keine Möglichkeit, sich der Leistungseinschränkung nach § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG nur durch ein zumutbares Verhalten - nämlich die zumutbare Rückkehr in das schutzgewährende Land - zu entziehen.

Unbehelflich ist der Hinweis des Antragsgegners, für die Antragstellerin sei eine Ausreise jederzeit möglich. Denn es wird bereits nicht berücksichtigt, dass der Aufenthalt der Antragstellerin im Bundesgebiet zur Durchführung des Asylverfahrens von Gesetzes wegen gestattet ist (§ 55 AsylG) und die Rückkehr in das schutzgewährende Land jedenfalls bis zur Entscheidung über die Asylanträge rechtlich unzumutbar ist. Sie ist nicht zur Ausreise vollziehbar verpflichtet. Insoweit kommt ihr ein vorläufiges Bleiberecht zu, welches als Vorwirkung des grundrechtlich geschützten Asylrechts zu begreifen ist (vgl. Bayer. LSG, Beschluss vom 21.12.2020 - L 19 AY 121/20).

Darüber hinaus ist - im Wege der summarischen Prüfung - davon auszugehen, dass entgegen den Feststellungen des Antragsgegners der Antragstellerin eine Rückkehr nach Griechenland nicht zumutbar ist und sehr wohl Hinweise dafür bestehen, dass der Antragstellerin in Griechenland eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. In der aktuellen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung wird herausgestellt, dass nach Griechenland zurückkehrenden, international Schutzberechtigten dort eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung auf Grund der staatlich zu verantwortenden Lebensverhältnisse droht und zwar auch dann, wenn die Betroffenen alleinstehend, gesund und arbeitsfähig sind (OVG Niedersachsen, Urteile vom 19.04.2021 - 10 LB 244/20 - juris - und 10 LB 245/20 n.v.; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteile vom 21.01.2021 - 11 A 1564/20.A - juris). Vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalls bestehe generell die ernsthafte Gefahr, dass diese Personen im Falle ihrer Rückkehr nach Griechenland ihre elementarsten Bedürfnisse für einen längeren Zeitraum nicht werden befriedigen können und damit ihre Rechte aus Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und Art. 3 EMRK verletzt werden. Asylanträge von international Schutzberechtigten aus Griechenland dürften daher grundsätzlich nicht als unzulässig abgelehnt werden.

Im Ergebnis ist daher für das Antragsverfahren und die hier anzustellende summarische Prüfung davon auszugehen, dass die Voraussetzungen für eine Einschränkung der Leistungen nicht vorliegen. Unter Berücksichtigung des Eingriffs in den Leistungsanspruch der Antragstellerin und der möglichen Erfolgsaussichten eines Hauptsacheverfahrens ist nach Überzeugung des Senats die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 24.06.2021 herzustellen.

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG setzt das Vorliegen eines Anordnungsanspruches und eines Anordnungsgrundes voraus, wobei es entscheidend darauf ankommt, ob der Antragstellerin ein Zuwarten auf die Entscheidung im Hauptsacheverfahren zuzumuten ist oder sie ohne die Anordnung vor vollendete Tatsachen gestellt wird. Je größer die Erfolgsaussichten eines Hauptsacheverfahrens zu bewerten wären, desto geringere Anforderungen sind an den Nachweis eines Anordnungsgrundes zu stellen. Unter Berücksichtigung der vorherigen Ausführungen zu den Erfolgsaussichten einer möglichen Hauptsacheklage, zu der Schwere des Eingriffs in die subjektiven Rechte der Antragstellerin und insbesondere zu der Deckung des nach Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG zu gewährenden soziokulturellen Existenzminimums ist der Antragsgegner zu verpflichten, der Antragstellerin einstweilig - wie tenoriert - ungekürzte Leistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG (Regelbedarfsstufe 2) zu gewähren (so im Ergebnis auch Bayer. LSG, Beschluss vom 27.10.2020 aaO).

Dem Antrag der Antragstellerin auf Gewährung von Prozesskostenhilfe war angesichts der Erfolgsaussichten in dem Beschwerdeverfahren zum einstweiligen Rechtsschutz zu entsprechen. Die Beiordnung eines Rechtsanwalts war erforderlich. Die wirtschaftlichen Voraussetzungen für eine Gewährung ohne Ratenzahlung waren zu bejahen. Das Rechtsschutzbedürfnis hinsichtlich der Gewährung von Prozesskostenhilfe ist auch durch die zusprechende Beschwerdeentscheidung nicht vollständig weggefallen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Der Beschluss ergeht kostenfrei und ist unanfechtbar (§ 177 SGG).

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